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Der erste Staatsstreich Napoleon’s des Ersten

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Textdaten
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Autor: W.
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Titel: Der erste Staatsstreich Napoleon’s des Ersten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 526–527
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[526] Der erste Staatsstreich Napoleon's des Ersten. In seiner ausgezeichneten Geschichte Napoleon’s des Ersten erzählt Lanfrey aus der Jugendzeit des Kaisers einen wenig bekannten Vorgang, der, an und für sich unbedeutend, das Interesse in besonderem Grade in Anspruch nimmt, einmal wegen der Folgen, die er für die militärische Laufbahn Napoleon’s hatte, dann, weil er mit seltener Schärfe im Jüngling die charakteristischen Züge des Mannes erscheinen läßt. Der Einsatz bei diesem Staatsstreich ist nicht wie am 18. Brumaire das Schicksal Frankreichs, sondern nur die Majors-Epaulette und noch dazu die Epaulette eines Majors in der Bürgerwehr.

Ein hervorstechender Zug im Charakter des jungen Napoleon war das tiefe Gefühl für das Land seiner Geburt, für Corsica, dessen letzte Kämpfe gegen die französische Herrschaft in seinem ersten Lebensjahre spielen. Trotz seiner späteren Erziehung in Frankreich aus französischen Militärbildungsanstalten, war Napoleon in seinem Inneren ein Corse geblieben: auf die hervorragenden Männer dieses Landes, namentlich auf den General Paoli, den letzten corsicanischen Staatsmann, blickte er mit Bewunderung, und um den Kampf Paoli’s und Corsicas zu rechtfertigen, ließ er sein erstes politisches Manifest (im Jahre 1791), den „Brief an Matteo Batta Juoco“, erscheinen. Zu wiederholten Malen kehrte Napoleon, zumal als die Revolution die Ordnung in der französischen Armee gelockert hatte, auf längere Zeit nach der heimatlichen Insel zurück, nicht ohne, namentlich in Ajaccio, mehrfach eine hervorragende Rolle zu spielen.

Dort befand er sich auch gerade, als das Gesetz über die Bildung von Bürgerwehren in Corsica eine überaus lebhafte Bewegung hervorgerufen hatte. Der höchste Posten in der Bürgerwehr von Ajaccio. der eines Bataillonsführers, war damals das Ziel der Bestrebungen Napoleon’s; gab diese Stellung doch sichere Bürgschaft für seine Popularität und damit ein Pfand für sein weiteres Avancement in einer Zeit, wo die Volksgunst die Quelle jeder Macht bildete. Allein diese Stellung wurde Napoleon von anderen reichen und einflußreichen Mitbewerbern streitig gemacht, die bessere Aussichten auf Erfolg zu besitzen schienen. Marius Peraldi und Pozzo di Borgo waren die Führer seiner Gegner, und auf ihrer Seite standen die angesehensten Männer der Stadt. Aber Napoleon verstand diesem Nachtheil durch seine Rührigkeit abzuhelfen. Er entwickelte, um sich neue Anhänger zu gewinnen und die schon gewonnenen festzuhalten, eine für seine Jahre außerordentliche Regsamkeit und Schärfe des Geistes; er kaufte die, die käuflich waren; die es nicht waren, suchte er in Furcht zu setzen; Geld, Versprechungen, Drohungen, Familieneinfluß, Alles bot er auf, um die Wähler zu gewinnen.

Bald war die Stadt in zwei sich kampfbereit gegenüberstehende Lager getheilt und die Anzahl der Anhänger Napoleon’s der seiner Gegner fast gleich. Die Bevölkerung allein gewonnen zu haben, genügte indessen nicht. Die Constituante in Paris hatte Commissare mit der Organisation der Nationalgarden beauftragt, und die in Ajaccio ausgebrochenen Spaltungen wiesen diesen Vertretern der Centralgewalt eine vermittelnde Stellung an und gaben ihnen den entscheidenden Einfluß auf den Ausgang der Wahlen; wer sie zu Gegnern hatte, war verloren. Ihre Ankunft wurde daher mit Ungeduld erwartet.

Endlich kommen sie an; aber der bedeutendste von ihnen, Murati, nimmt bei Marius Peraldi, Napoleon’s Hauptgegner, sein Absteigequartier. Das hieß soviel als sich offen für die Bewerbung dieses aussprechen, ohne jedoch einen sträflichen Druck auf die öffentliche Meinung auszuüben. Napoleon empfand diesen unvorhergesehenen Schlag tief. Er schien finster, niedergeschlagen, unentschlossen. Den Dingen freien Lauf lassen, hieß den Gegnern den gewissen Sieg einräumen; Widerstand leisten war nicht weniger gefährlich. Er verbrachte einen großen Theil des Tages im Zwiegespräch mit seinen intimsten Vertrauten; unruhig und aufgeregt, wagt er nicht einen Entschluß zu fassen und versucht sich mit halben Worten verständlich zu machen, in der Hoffnung, man werde ihm die Verantwortlichkeit eines gewagten Entschlusses abnehmen. Aber als Niemand ihm entgegen kommt, entschließt er sich, selbst zu handeln.

Als gegen Abend die Peraldi bei Tisch sitzen, wird plötzlich an die Thür des Hauses geklopft. Ein Diener öffnet, und sofort dringen Bewaffnete auf die erschreckten Tischgenossen ein. Murati hatte die Flucht ergriffen; er wird eingeholt und mit Gewalt in das Haus Bonaparte’s geführt, wo dieser voll Unruhe den Ausgang des kühnen Handstreichs abwartete. Er bemeistert seine Bewegung und empfängt mit ruhiger Miene und erkünstelter Freundlichkeit seinen Gefangenen.

[527] „Ich wollte,“ sagte er ihm, „daß Sie frei, ganz frei sein sollten. Im Hause der Peraldi waren Sie es nicht.“ Verblüfft von diesem Gewaltstreich und Allem, was er im Fall einer Widersetzlichkeit anzudrohen schien, hielt es der Commissar nicht geeignet, Protest einzulegen, und noch weniger, dorthin zurückzukehren, woher er gekommen.

Am folgenden Tage fand die Wahl statt, und Napoleon Bonaparte wurde zum Führer des Bataillons gewählt. Als Pozzo di Borgo von der Tribüne herab gegen die dem Commissar zugefügte Gewalt und gegen die Einschüchterungen, welche die Gültigkeit der Wahl beeinträchtigt, Verwahrung einlegen wollte, zerrte man ihn an den Beinen herunter und trat ihn mit Füßen; er verdankte seine Rettung nur dem Dazwischentreten Napoleons! Im schwindelerregenden Wirbel der Ereignisse zu Paris wurde der ganze Vorfall unterdrückt und Napoleon behielt sein Commando, das in dieser Weise erworben war und ihm den Weg zu seinem späteren Vorgehen erschloß.

Gewiß hat Lanfrey Recht, wenn er sagt: „Hätten die Fünfhundert am Vorabend des 18. Brumaire diesen Zug aus Bonaparte’s Leben gekannt, sie würden wahrscheinlich nicht in St. Cloud zusammengetreten sein.“ Daß in Corsica indessen der Ruhm des kaiserlichen Landsmanns bald das richtige Urtheil über den erzählten Hergang blendete, zeigen die unserm Ohr fast satirisch klingenden Worte, mit denen der Ueberlieferer dieser Geschichte, ein richterlicher Beamter in Corsica, seine Erzählung schließt. „Das Gefühl für Ehre, Tugend und Freiheit war seinem (Napoleon’s) Herzen tief eingeprägt.“ Am 18. Brumaire jedenfalls nicht weniger als am Vorabend der Wahl in Ajaccio!

W.