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Der bunte Zelter

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Textdaten
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Autor: Wilhelm Hertz
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Titel: Der bunte Zelter
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 136–139
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[136]

Der bunte Zelter.

nach Hüon dem SpielmannsKönig
 von Wilhelm Hertz.
Mit Illustrationen von Ernst Keppler.

Dereinst im Land Champagne lebte
Ein Ritter, der nach Ehren strebte,
Von hohem Sinn und kühnem Muth,
Am Herzen reich, doch arm an Gut.
Hätt’ ihm das Glück solch Gut bescheert,
Als er fürwahr an innrem Werth
Vor allen andern war erlesen,
Wär’ seinesgleichen nicht gewesen.
Herr Wilhelm hieß der junge Held.
So freudig pries ihn alle Welt,
Daß auch, wer ihn nicht selber kannte,
Gern den berühmten Namen nannte.
Barg er im Helm sein Angesicht
Beim Waffenspiel, so dacht er nicht,
Zur Schau der Damen sich zu schmücken
Und heimlich aus dem Kampf zu drücken:
Nein, wo am stärksten das Gedränge,
Stürzt er mit Wucht sich in die Menge.

Er trug im Herzen treu gesinnt
Ein schönes junges Herrscherkind,
Von hoher Art und viel umworben,
Die Mutter war ihr früh gestorben;
Ihr Vater, reich an Land und Macht,
Hielt eifersüchtig sie bewacht
Als seines Stammes letzten Sproß.
Im tiefen Walde lag sein Schloß,
Der damals weithin sich erstreckte
Und schattend rings das Land bedeckte,
Wild war der Tann und schwarz und dicht,
Doch treue Liebe schied er nicht.
Der junge Held fand guten Rath:
Er brach zu ihr sich einen Pfad
Von seinem Haus zwei Meilen weit
Durch tiefste Waldeseinsamkeit.
Kein lebend Wesen in der Runde
Erhielt von diesem Schleichweg Kunde
Als nur sein einziger Genoß:
Das war sein schönes edles Roß,
Ein Zelter schillernd bunt und fein;
Kein Farbenspiel, kein Blumenschein
War seinem Glanze zu vergleichen,
Kein schönres war in allen Reichen.
Es ging so sanft; er hätt’s im Leben
Um alles Gold nicht hingegeben.

Gar oftmals trug dies treue Roß
Ihn heimlich nach der Liebsten Schloß,
Die er doch nur von weitem sah.
Sie kamen nie einander nah;
Stets waren vor des Thores Bogen
Die Eingangsbrücken aufgezogen;
Ein Graben lief um’s Felsenhaus.
Nur durch die Blanken des Verhaus
Besprach das Paar sich scheu von fern
In Aengsten vor dem alten Herrn.
Denn der war klug und vielerfahren,
Und da ein Weg bei seinen Jahren
Ihm schwer ward, ritt er selten aus
Und hielt sich ruhig meist zu Haus.
Die Tochter mußte bei ihm bleiben,
Um ihm die Stunden zu vertreiben,
Indeß ihr Sinn in’s Weite ging
Und trauernd am Geliebten hing.

So brannten in der Sehnsucht Leid
Die jungen Herzen lange Zeit
Im ungeduldigen Verlangen
Nach Kuß und zärtlichem Umfangen.
Der Ritter dachte hin und her;
Doch endlich litt er’s nimmermehr:
Er kam zum alten Herrn geritten,
Um seine Tochter ihn zu bitten.

Mit Ehren ward er aufgenommen.
Herr, hub er an, ich bin gekommen
Vertrauend Eurer Gnad’ und Huld.
Hört meine Bitte mit Geduld,
Und was mein Herz von Euch begehrt,
Gott gebe, daß Ihr mir’s gewährt! –
Der Alte sah ihn forschend an
Und sprach: Gern thu ich’s, wenn ich kann.
Fürwahr, vergönnt’s die Ehre mir,
Ich helf’ Euch! Sagt, was wünschet Ihr? –
So hört mich, Herr! Euch sind mein Stand
Und meine Ahnen wohlbekannt
Und was ich habe, was ich treibe:
Gebt Eure Tochter mir zum Weibe!
Ich hörte stets, daß, wer sie kennt,
Sie nur mit Lob und Liebe nennt.
Schenkt mir dies Glück! Laßt Euch erweichen!
Auf Erden lebt nicht ihresgleichen. –

Der Greis vernahm’s zum Wort bereit;
Er sann nicht lang auf den Bescheid:
Ich weiß zu würd’gen, was Ihr sprecht.
Ja, meine Tochter, Ihr habt Recht,
Sie ist so jung und schön und gut,
Ein magdlich Kind von Fürstenblut.
Ich selbst bin reich, von hohen Ahnen,
Die stolz mich alter Ehren mahnen,
Und weithin ist mein Adel kund,
Mein Land trägt jährlich tausend Pfund.
Ich müßte doch von Sinnen sein,
Wollt’ ich sie einem Ritter frein,
Der zum Turnier nach Beute fährt
Und sich vom Lanzenbrechen nährt.
Ich hab’ nur sie; nach meinem Sterben
Wird sie, was mein ist, alles erben.
Kein Fürst im Reich braucht sich zu schämen,
Will er mein Kind zur Gattin nehmen. –

Der junge Ritter stand befangen;
Er schied mit schamerglühten Wangen.
Verwirrt ritt er davon und stahl
Zur Liebsten sich voll Seelenqual
Und bracht’ ihr klagend den Bescheid:
Ach, edles Fräulein, süße Maid,
Was soll ich thun? Ich muß Euch fliehn
Und will in weite Ferne ziehn.
Verlorner Wahn, wie warst du hold!
Weh über das verhaßte Gold,
Das Eures Vaters Herz bethört!
Sonst hätt’ er mich gewiß erhört. –
Glaubt, sprach sie, gings nach meinem Sinn,
Wie gerne gäb’ ich alles hin!
Fürwahr, den besten Theil vergißt,
Wer Euch nur nach der Habe mißt.
Wollt’ Euren Heldenwerth dagegen
Mein Vater auf die Wage legen,
Er schaute froh, was er gewinnt,
Doch Stolz des Reichthums macht ihn blind.
Mein Sehnen stört ihm nie den Schlummer;
Was fragt er je nach meinem Kummer?
Ein altes Herz versteht nicht mehr
Der Jugend Sinnen und Begehr.
Doch laßt Euch rathen! Hört mich an!
Ich weiß, was uns noch helfen kann. –
Ja, sprach er, sagt mir Euren willen! –
Ich sann darüber längst im Stillen:
Euch lebt ein Oheim groß und reich,
An Macht wohl meinem Vater gleich.
Er hat nicht Weib, er hat nicht Kind,
Noch Sippen, die ihm lieber sind
Als Ihr, der nächste seines Blutes.
Ihr seid der Erbe seines Gutes.
Geht hin und sagt ihm, was geschehn,
Und bittet ihn, Euch beizustehn,
Da schwerlich Euer Wunsch gedeihe,
Wenn er nicht seine Hilfe leihe.

[137]

Die beiden Alten schätzen sich Als Ehrenmänner inniglich, Vertraun einander als Berather. Sagt Euer Ohm zu meinem Vater: „Vereinen wir das junge Paar! Ich geb’ dem Neffen jedes Jahr Von meinem Land dreihundert Pfund“, So willigt er in unsern Bund. Und ist besiegelt unser Glück, So gebt dem Ohm sein Gut zurück. Reich wär’ ich, wenn mir nichts verbliebe Als Ihr allein und Eure Liebe. – Er folgte freudig ihrem Rath Und ritt auf grünem waldespfad Zum Oheim, der ihn wohl empfing Und mit ihm fern von Zeugen ging. Hoch überm Thor auf dem Altan Besprachen sie des Ritters Plan. Der Alte stimmte willig ein: Du kannst um keine Bessre frein, Mit Freuden biet ich meine Hand, Bei meinem Haupt! ich brings zustand. – Ach, sprach er, liebster Ohm, das thut! Führt meine Sache rasch und gut! Ich fahre jetzt in voller Zier Nach Gallardon auf ein Turnier. Gott geb’, daß ich in Siegesehre Zu meiner Hochzeit heimwärtskehre! – In Eile schied er wie verzückt, Von neuer Hoffnung hochbeglückt: Er sah so nah sein holdes Ziel. So sprengt er froh zum Waffenspiel.

Jedoch der Ohm, dem er vertraut, Der war in Lug und Trug ergraut, In erster Früh’ am andern Tag Ritt schon der Falsche durch den Hag Und kehrte noch bei Morgenschein Am Hof des reichen Nachbars ein. Zum Willkomm lief der alte Degen Erfreut dem werthen Gast entgegen Und führt ihn festlich in sein Haus. Gerüstet ward ein großer Schmaus. Sie saßen lang im hohen Saal Und sprachen heiter nach dem Mahl Von ihrer Jugendzeit und nannten Die alten Freunde und Bekannten. Sie tauschten manche lustge Mähr, Drin klang’s von Schwert und Schild und Speer, Bis endlich nun der Ghm begann: Ich häng’ Euch recht in Treuen an, Das wisset Ihr seit langen Tagen. So laßt Euch eine Bitte sagen, Darum ich hergekommen bin! Gott stimme günstig Euren Sinn! – Der andre rief: was Ihr begehrt, Sprecht nur! Es ist Euch schon gewährt. Gern zahl’ ich alter Liebe Schuld. – Herr, sprach der Oheim, Dank und Huld Bewahr’ ich, wie’s mir stets gebührt. So hört denn, was mich hergeführt! Um Eure Tochter möcht’ ich frein, Und willigt Ihr in Freundschaft ein, So wird ihr alles, was ich habe, Von mir verbrieft als Morgengabe. Ihr wißt, mein Gut ist reich und groß, Ich bin allein und erbelos. Wir Freunde lebten dann im Frieden, An [Haus] und Habe ungeschieden.

Seht, Herr, drum werde sie die meine, Daß sich in ihrer Hand vereine, Was Gott uns beiden hat bescheert. – Herr, wie mich das beglückt und ehrt! Sprach freudestrahlend sein Genoß, Ich nähme drum kein Königsschloß. Fürwahr, wie könnte mir auf Erden Ein solch erwünschter Eidam werden, So zuverlässig, reif an Jahren, So ehrenfest und vielerfahren, Ein Mann so ganz nach meinem Sinn? Mein Kind ist Euer: nehmt es hin! –

Doch als das Fräulein dies erfuhr, Erschrak sie jammernd und beschwur Die heil’ge Jungfrau, sie zu retten Vor dieser Ehe schnöden Ketten. O weh mir! rief sie thränenbleich, Mich mordet dieser Schelmenstreich! Wie hat der Alte uns gelogen Und den geliebten Mann betrogen, Den edlen Ritter tugendvoll! Die Goldgier macht den Alten toll. Erwirbt er mich, geb’ Gott ihm Leid! Sein Todfeind bleib’ ich allezeit. Nein, nein! Den Tag erleb’ ich nicht! Wo berg’ ich nur mein Angesicht? Doch wehe mir, ich kann’s nicht wenden! Hier lieg’ ich mit gebundnen Händen. Wehrlos gefangen muß ich still Erdulden, was mein Vater will. O Schmach dem Alter, Schmach dem Gold, Drum ich mein Lieb verlieren sollt’! –

Indessen schmückte man das Haus Mit Kranz und Teppich festlich aus. An alle greisen Herrn im Land Ward Gruß und Ladung ausgesandt. Wohl ihrer dreißig kamen an, Worauf ein weis Gespräch begann, Und man beschloß im Rath der Alten, Am nächsten Tag das Fest zu halten, Und gab den Zofen das Gebot, Ihr Fräulein noch vor Morgenroth Beim Brautschmuck fertig zu bedienen; Sie hörten’s mit bestürzten Mienen. Der Vater strengen Angesichts Rief: Sind wir fertig? Fehlt uns nichts? – Herr, sprach der Mädchen eines, doch! An guten Zeltern fehlt es noch, Daß insgesammt wir mit ihr reiten Und nach der Kirche sie geleiten. – Der Alte sprach: Die Noth ist klein. An Pferden soll kein Mangel sein. Er rief die Knappen: Lauft zur Stunde Und sagt den Nachbarn in der Runde, Die Frauen seien unberitten, Wir lassen sie um Zelter bitten. –

Der junge Ritter mittlerweile War heimgekehrt in Liebeseile. Er schied vom Kampfplatz sieggekrönt, Von Lob und Freudenruf umtönt Und blühend Hoffnungsglück im Herzen. Er war voll Muthwill und voll Scherzen, Mit lustgem Trällern wandert er Im Hause ruhelos umher. Stets mußt’ ein Fiedler um ihn sein, Der strich ihm neue Melodein. Und so erharrt er Stund’ um Stunde Von seinem Oheim frohe Kunde.

Zum Thore blickt er fort und fort, Und wirklich, sieh, wer naht sich dort? Ein Bote kommt! Vor Schreck und Lust Erbebt das Herz ihm in der Brust. Herr, sprach der Knappe, Gruß und Heil! Mich schickt mein alter Herr in Eil’ Mit einer großen Bitte her. Ihr wißt, er schätzt und liebt Euch sehr. Ihr habt das schönste Roß im Reich, Kein andres trägt so sanft und weich. Herr, habt die Güte denn und leiht Den Zelter uns auf kurze Zeit! – Wozu, Freund? – Daß er früh am Tage Zur Kirche unser Fräulein trage. – Was geht dort vor? Gieb mir Bericht! – Herr, sprach der Knappe, wißt Ihr’s nicht? Dort wird sie Eurem Ohm vermählt, Der sie zur Gattin sich erwählt. –

Vor Schreck begann der Herr zu wanken, Ein Schwindel lähmt ihm die Gedanken: Es ist nicht möglich, sag’ ich Dir! Du treibst nur Deinen Scherz mit mir! – Gewiß nicht, Herr! Ihr dürft mir traun, Ihr könnt’s mit eignen Augen schaun, Versammelt sind von nah und fern Zum Brautgeleit die alten Herrn. – So gab’s seit Kains Mörderthat Nie einen schnöderen Verrath! – Er stand betäubt von Zorn und Leid In dumpfem Brüten lang beiseit. Ach, sprach der unglückselge Mann, Sie selbst hat keine Schuld daran, Sie nicht! Ich muß den Wunsch gewähren Als letzten Dienst für all die Ehren, Die sie mir bot, für all die Wonnen, Die nun auf immerdar zerronnen! Doch wie? Durch den ich sie verlor, Dem soll ich armer blinder Thor Mein edles Roß zum Feste leihn, Zur Lustbarkeit ihm dienstlich sein? Wie kann sich nur der Mann erfrechen, Um solchen Dienst mich anzusprechen? Hat er nicht alles mir geraubt, Woran mein arglos Herz geglaubt, Ach, all die Schönheit, Huld und Güte, Die mir in meinem Lieb erblühte? Doch muß ich allem auch entsagen, Es sei: mein Zelter soll sie tragen, Daß, wenn sie seine Zügel lenkt, Sie nochmals innig mein gedenkt. Ich liebte sie zu meinem Leid Und will sie lieben allezeit! – Er ließ sofort den Zelter zäumen; Der Knecht entführt ihn ohne Säumen.

Herr Wilhelm bleibt allein zurück Und denkt auf sein verlornes Glück, In bittrem Grimm und Herzensjammer Vergräbt er sich in seine Kammer, Und seinen Dienern insgemein Schärft er bei Tod und Leben ein, Daß keiner ihn zu stören wage, Dann überließ er sich der Klage.

Der Knappe mit dem edlen Roß Kam abends spät in’s Hochzeitschloß, Wo all die greisen Ritter saßen, Ein reichlich Mahl mit Freuden aßen. Der Burgherr scherzte mit der Schaar, Der heut in bester Laune war.

[138]

Dann ließ er sein Gebot erschallen
Dem Thürmer und den Knechten allen:
Merkt auf und sagt’s von Mund zu Munde!
Vor Sonnenaufgang eine Stunde
Soll alles wach sein und bereit.
Drum sorget, daß zur rechten Zeit
Ein jeder flink das seine thue! –
Drauf legten alle sich zur Ruhe.
Die junge Braut nur lag in Thränen
Und wacht’ in hoffnungslosem Sehnen;
Sie weinte still und seufzte tief,
Indessen ringsum alles schlief.

Der Wächter selbst beschwert vom Wein
Nickt auf dem Thurm ermattet ein.
Da schreckt ihn auf um Mitternacht
Des nahen Mondes helle Pracht,
Die ostwärts überm Wald erglommen.
Er meint, schon will der Morgen kommen.
Zeit ist’s, denkt er in jähem Schrecken,
Die große Ritterschaft zu wecken.



Laut stößt ins Horn der trunkne Mann:
Steht auf, ihr Herrn! Der Tag bricht an! –
Das Dröhnen des Allarmhorns traf
Die Zecher all im ersten Schlaf;
Sie starrten gähnend in die Helle.
Die Knechte schlichen in die Ställe,
Und unter Lärmen und Geschrei
Zog Roß und Zelter man herbei,
Bis endlich die gesammte Schaar
Der alten Herrn im Sattel war.
Dem ältsten ward die bleiche Braut
Zu Dienst und Obhut anvertraut.
Der Armen führte man am Thor
Des Freundes bunten Zelter vor;
Da deckt sie mit dem Schleier sich
Und schluchzt und weinet bitterlich.

Die Alten brummen in den Bart:
So war von je der Weiber Art.
Wenn sie des Vaters Haus verlassen,
Weiß keine sich vor Schmerz zu fassen. –

So brach man auf noch lang vor Tag.
Ihr Ziel, ein altes Kirchlein, lag
Fern an des großen Waldes Saum.
Der Weg bot nur zwei Rossen Raum,
Drum ordnet sachte sich die Schaar.
In langem Zuge Paar um Paar
Rottirten sich die vielen Reiter,
Zuletzt die Braut und ihr Begleiter.
Der alte Herr, der wenig sprach,
Ließ sie voraus und folgte nach,
Daß in des finstern Weges Enge
Sein Roß nicht an das ihre dränge.
So ging es durch die Wälder fort,
Man hörte kaum ein lautes Wort,
Das Rascheln nur im dürren Laub,
Der Thiere Stampfen und Geschnaub.
Die meisten nickten schlummertrunken,
Vorn auf des Pferdes Hals gesunken,
Und wer im Sattel aufrecht saß,
Der sann für sich auf dies und das,
Im Kopf umnebelt und verwacht,
Und niemand nahm des Fräuleins Acht.
Ihr Ritter war ein gutes Stück
Des Weges hinter ihr zurück,
Da oft sein Rößlein stehen blieb,
Bis er’s im Schlafe weiter trieb.
Sie selbst blickt achtlos vor sich hin,
Nur Lieb und Liebesleid im Sinn.

So ritt sie durch die Einsamkeit
Allein, nur Gott war ihr Geleit,
Bis tief sich in ein schattig Thal
Die Straße senkte, wo kein Strahl
Des Mondes durch das Dickicht drang.
Sie ließ dem Zelter freien Gang,
Und unvermerkt bog dort mit ihr
In jenen Pfad das treue Thier,
Den es in hoffnungsreichen Tagen
So manchmal seinen Herrn getragen.
Sie schwand im Wald. Der Troß der Reiter
Ritt auf der großen Straße weiter.

Doch endlich sah das Fräulein um:
Rings nächtge Wildniß öd und stumm;
Sie war verlassen und verirrt,
Sie bebt vor Schreck und Graus verwirrt,
Schon will sie rufen angstbeklommen,
Doch wehe, nein! was soll’s ihr frommen?
Viel besser wahrlich, hier zu sterben,
Und in der Wüste zu verderben!
Sie ließ dem klugen Roß die Zügel;
Das trug sie weit durch Thal und Hügel
Mit sanftem Schritt ohn’ Aufenthalt,
Und langsam lichtet sich der Wald.

Da kreuzt ein Gießbach ihren Weg,
Dumpfbrausend, tief und ohne Steg;
Das Roß ging ruhig längs dem Rand,
Bis es die Furt, die seichte, fand.
Und sicher klomm es aus der Schluft.
Ein Horn klang durch die Dämmerluft.
Sie kam ins freie Feld hinaus
Und sah vor sich ein festes Haus.
Dort auf der Zinne blies ein Mann
Den Tag mit hellen Weisen an.
Der treue Zelter ritt in Ruh
Dem wohlbekannten Thore zu,
Und auf der Brücke scharrt sein Huf.
Der Wächter stockt im Morgenruf
Und spähte lauschend hin und wieder.
Von seiner Warte stieg er nieder
Und rief durch’s Fensterlein am Thor:
Wer ritt hier auf die Brücke vor? –
Sie spricht, und ihre Thränen wallen:
Die Unglückseligste von Allen,
Die je geschaut des Lebens Licht!
Wohin ich soll, ich weiß es nicht.

Ich bin verirrt. Erbarm dich mein!
Nur bis es Tag ist, laß mich ein! –
Das darf ich nicht, bei meinem Haupt!
Bevor es mir mein Herr erlaubt.
Der liegt vergrämt in herbem Grimm;
Denn man betrog ihn allzu schlimm. –

Ob ihrer Schönheit staunt der Mann
Und stieg zu seinem Herrn hinan;
Der lag in stetem Kummer wach.
Verzeiht, Herr, rief er ins Gemach,
Vor unsrem Thor im Morgengrau
Hält eine tiefbetrübte Frau,
Von Jahren jung und fein von Sitten.
Sie kam dort aus dem Wald geritten.
Ihr Mantel glänzt in prächtgem Scheine,
Der ist von Scharlach, wie ich meine.

[139]

Und denkt doch, Herr, ich sah’s genau:
Auf Eurem Zelter sitzt die Frau.
Wie reizend ist sie, wenn sie spricht!
Glaubt, Herr, solch lieblich Angesicht
Hab’ ich im Lande nie gesehn.
Mich dünkt, ’s ist eine von den Feen,
Sie schickt Euch Gott zum Trost im Leid,
Weil Ihr so gar verlassen seid. –

Herr Wilhelm sprang in Hast empor,
Warf um den Rock und lief zum Thor.
Das ihm der Thürmer flink erschloß;
Da hielt sein Lieb auf seinem Roß.
Sie sprach: O Herr, laßt Euch erbitten!
So viel hab’ ich heut Nacht erlitten.
Vergönnet mir ein Obdach hier!
Ich bin verfolgt; man sucht nach mir. –
Er trat ins Licht; sie sahn sich an,
Und all ihr Herzeleid zerrann.
Er hob vom Roß die holde Maid
Und küßte sie voll Seligkeit.
Er hielt sie bei der Hand gefaßt,
Führt in sein Haus den lieben Gast,
Wo sie verzückt beisammen saßen
Und alle Welt um sich vergaßen.
Sie kosten, lachten inniglich;
Sie staunten und bekreuzten sich,
Ob mit solch unverhofftem Glücke
Sie nicht ein Traumgesicht berücke,
Und wenn es just kein Lauscher sah.
So drangen sie sich zärtlich nah,
Umfingen eng sich Mund an Mund
Und küßten sich von Herzensgrund.

Doch in des Morgens goldner Helle
Führt er sein Lieb in die Kapelle.
Der Burgkaplan war schon berufen;
Er stand auf des Altares Stufen
Und schlang um sie von Hand zu Hand
Ein unauflöslich heilges Band.
Und als die Messe war gesungen,
Kam das Gesind zum Tanz gesprungen,
Die Mägde mit den Mannen all,
Das Haus erdröhnt von Freudenschall.

Indessen machten fern am Wald
Die alten Herrn beim Kirchlein Halt.
Sie harrten lang und riefen laut:
Da sind wir nun! Wo bleibt die Braut? –
Ihr Ritter sprach: Ist sie nicht hier?
Sie ritt die ganze Zeit vor mir.
Der Wald war dicht, der Weg war schmal:
Ich schlief, und wacht’ ich auch einmal,
So dacht’ ich, sie wird vorne sein,
Und schlief beruhigt wieder ein.
Sonst hab’ ich weiter nichts vernommen
Mich wundert, wo sie hingekommen. –

Da stand bestürzt der ganze Haufen.
Das war ein Rufen und ein Laufen;
Man forschte hier; man fragte dort:
Doch ach, umsonst! Die Braut war fort.
Ihr alter Vater klagte sehr,
Ihr alter Bräutigam noch mehr.
Sie quälten sich in Angst und Reue;
Und suchten ruhlos stets auf’s Neue.

Da plötzlich kam, den Zaum verhängt,
Ein Knappe grüßend angesprengt:
Herr Wilhelm, der mich ausgesandt,
Reicht, Herr, als Eidam Euch die Hand.
Heut Morgen, als der Tag ergraut,
Ward Euer Kind ihm angetraut.
Das Paar umjubelt Sang und Reihn;
Kommt selber, Herr, und stimmt mit ein!
Auch seinen Oheim läßt er laden.
In seines reichen Glückes Gnaden,
Verzeiht, vergißt er seine Schuld
Und sendet Allen Gruß und Huld. –
Die Alten stehn mit offnem Munde
Bei dieser wundersamen Kunde.
Nachdem genugsam sie gestaunt,
Ward viel geredet und geraunt:
Nicht ändern könnt ihr, was geschehn,
Mögt ihr auch noch so sauer sehn.
Je nun, ihr seid doch aus den Sorgen:
Das Kind ist heil und wohl geborgen.
Zwar ging es nicht nach unsrem Sinn;
Doch nehmt’s als Gottes Fügung hin!
Drum faßt euch klug und geht als Gäste
Zu eurer Erben Hochzeitfeste!
Beschlossen ward’s. Mit Mann und Roß
Kam angerückt der ganze Troß,
Und grüßend trat den alten Degen
Das junge Paar versöhnt entgegen.