Der amerikanische Büffel und die Büffeljagd
Wie der Vogel mit dem Wechsel der Jahreszeiten von Zone zu Zone eilt, so wandert der zottige Bison beim Beginn des Frühlings von den texanischen Ebenen aus nordwärts, bis ihn endlich die herbstlichen Stürme, als Vorboten eines harten, unerbittlichen Winters, zur Umkehr mahnen und aus den canadischen Territorien fort und zurück gegen Süden treiben. Seine Straße, deren östliche Grenze immer zwei- bis fünfhundert englische Meilen weit westlich von der Civilisation liegt, während im Westen die große Wasserscheide der Rocky-Mountains die Grenze bildet, erstreckt sich also in ihrer Verlängerung über mehr als zwanzig Breitengrade. Einzelne Heerden, die von frühzeitigen Schneestürmen überrascht wurden, sich deshalb nicht aus dem Bereich Schutz gewährender Gebirgsschluchten und schroffer Thalsenkungen auf die kahle Prairie hinauswagen und lieber mit einem Gefühl von Sicherheit ihr kärgliches Futter unter tiefem Schnee hervorscharren, überwintern allerdings in den nordischen Regionen; ebenso wie kleine Gruppen alter Stiere, die zu träge oder schon zu steif, um ihren rüstigeren Gefährten auf der langen Reise zu folgen, die südlichen Breiten auch während des Sommers beleben und dort das von der tropischen Hitze gedörrte Gras abnagen; doch dieses sind nur Ausnahmen, und es steht fest, daß die Hauptmassen niemals ihre regelmäßige Wanderung aussetzen.
Seit aber die nordamerikanische Civilisation sich nicht mehr darauf beschränkt, als mächtige Woge von Osten nach Westen unaufhaltsam vorzudringen, sondern auch, den von den Rocky-Mountains dem Missouri und dem Mississippi zuströmenden Flüssen aufwärts folgend, die Prairien, mithin die Heerstraße der Büffel keilförmig durchschneidet, eilen diese stattlichen Thiere nur noch schneller ihrem unvermeidlichen Untergange entgegen. Es entstehen nämlich in den colonisirten Stromgebieten des Nebrasca, des Kansas und des Arkansas Stationen, auf welchen von den Ansiedlern die furchtbarsten Verheerungen unter den eintreffenden Heerden angerichtet werden, die, mit den zahlreichen Indianern und Wölfen in ihrem Gefolge, zuletzt dem von allen Seiten drohenden Verderben nach keiner Richtung hin mehr auszuweichen vermögen.
Auf diese Weise bedrängt und verfolgt, kann der Bison sich unmöglich noch lange halten, und die Zeit ist nicht mehr fern, in welcher 300,000 Eingeborene und Millionen von Wölfen, ihres Unterhaltes beraubt, den angrenzenden Colonien zur Last fallen und als Landplagen mit gleich unversöhnlichen Gefühlen ausgerottet werden. Denn wer gäbe sich wohl die Mühe, die ursprünglichen Herren der Steppe auf den Pfad der Gesittung zu führen, wenn dieselben nicht mitunter, aus eigenem natürlichem Antriebe, sich auf Ackerbau und Viehzucht verlegten? So lange die Büffel noch in manchen Beziehungen bei den Prairie-Indianern die Stelle von nützlichen Hausthieren vertraten und nur der aus ihren Häuten zu schaffenden Zelte und Bekleidung und des Fleisches wegen gejagt wurden, war eine Verminderung derselben nicht bemerkbar. Als aber die Weißen in den weichhaarigen Pelzen, in dem gedörrten Fleisch und in den schmackhaften Zungen gangbare Handelsartikel entdeckten, da wurde das erste vernichtende Urtheil über eine der Hauptzierden der westlichen Grasfluren ausgesprochen.
Man erweckte bei den sorglosen, wilden Steppenreitern die Begierde nach glänzenden und betäubenden Erzeugnissen, bot von diesen, aber in geringstem Maße, für die zu liefernde Jagdbeute, und die Verheerung nahm ihren Anfang. Wie weit diese sich aber ausdehnte, läßt sich daraus ermessen, daß allein von der St. Louiscompagnie in manchen Jahren gegen funfzigtausend gegerbte Büffelhäute den Missouri hinunter gebracht wurden, nicht zu gedenken der nur ihres Fleisches oder ihrer Zungen wegen erlegten Thiere, deren Zahl die eben angeführte mindestens um das Sechsfache überstieg.
Verschiedenartig, wie die Feinde des Büffels sind, ebenso verschiedenartiger Mittel bedienen sich dieselben, um seiner habhaft zu werden; jedenfalls aber steht die Hetzjagd der Prairie-Indianer obenan, und zwar nicht nur, weil sie gewöhnlich die erfolgreichste ist, sondern weil bei derselben auch die Kräfte und Gewandtheit der Reiter und Pferde am meisten in Anspruch genommen werden und sie dadurch einen gewissen Charakter von Ritterlichkeit erhält. Auf ihren flinken ausdauernden Pferden, die größtentheils wild in der Steppe eingefangen wurden, sind die Indianer im Stande, jedes Wild in der Ebene einzuholen; einen besonderen Ruhm suchen sie aber darin, mit größter Schnelligkeit und möglichst reichem Erfolg ihre Geschosse, seien es nun Kugeln oder Pfeile, vom Pferde herab unter eine fliehende Büffelheerde zu versenden. Zu einer solchen Hetzjagd entledigen sie sowohl sich selbst, als auch ihre [619] Pferde aller entbehrlichen und beschwerenden Gegenstände. Kleidung und Sattelzeug bleiben zurück, und nur eine vierzig Fuß lange, von rohem Leder geflochtene Leine ist mittelst einer Schlinge um den Unterkiefer des Renners befestigt und schleppt, nachdem sie vorher quer über den bemähnten Hals gelegt wurde, in ihrer ganzen Länge auf der Erde nach. Sie ist weniger dazu bestimmt, dem lenkenden Druck der Schenkel, welchem das gelehrige Thier augenblicklich Folge leistet, zu Hülfe zu kommen, als dieses nach einem Sturz oder sonstige durch verwundete Büffel verursachte Unfälle schneller wieder in die Gewalt des Reiters zu geben.
Um nicht durch wiederholtes Ausstrecken der Hand nach dem Köcher Zeit zu verlieren, führt der Jäger neben dem Bogen in der linken Faust oft auch noch zwischen den Zähnen so viel Pfeile, als er bequem zu halten vermag; in der rechten dagegen schwingt er eine schwere Peitsche, mittelst deren er sein flüchtiges Roß durch unbarmherzige Schläge dicht an die Seite einer fetten Kuh oder eines jungen Stiers der zersprengten Heerde heran treibt. Das wohlgeschulte Pferd bedarf dann keiner weiteren Führung mehr; es versteht die Absicht seines Reiters, und indem es gleichen Schritt mit der ausgewählten Beute hält, giebt es dem Jäger Gelegenheit, den Pfeil bis an die Federn in die Seite des Opfers zu senden. Kaum schwirrt die straffe Sehne oder knallt die Büchse, kaum gräbt sich das scharfe Eisen oder das runde Blei durch die dichte Wolle in’s fette Fleisch, so entfernt sich das Pferd durch einen mächtigen Satz aus dem Bereich des verwundeten Thieres, um nicht von den Hörnern des ergrimmten Feindes aufgespießt zu werden, und ein neues Opfer wird von dem leidenschaftlichen, unersättlichen Jäger in’s Auge gefaßt.
Nicht selten mißlingt aber auch dem Pferde das Ausweichen, und mit aufgeschlitzten Weichen oder zerschmetterter Schulter rollt es sammt Reiter und Büffel in einen Haufen zusammen, und nur seiner Gewandtheit verdankt es in solchen Fällen der Indianer, wenn er selbst bei dem heftigen Anprall unbeschädigt davonkam.
So geht die Hetzjagd mit Sturmeseile über die Ebene dahin, bis das Ausgehen der Geschosse oder die Ermüdung des Pferdes den wilden Jäger mahnen, seiner Jagdlust Einhalt zu thun. Die verwundeten Büffel haben sich unterdessen von der Heerde getrennt und liegen erschöpft oder verendend auf der Straße, auf welcher vor wenigen Minuten erst die Jagd donnernd einherbrauste. Die Weiber der Jäger sind mit Packthieren den weithin sichtbaren Spuren gefolgt, um die Beute vollends zu tödten, zu zerlegen und die besten Stücke nebst Häuten nach den Wigwams zu schaffen, wo dann das Fleisch in dünne Streifen geschnitten und gedörrt, die Felle dagegen oberflächlich gegerbt werden. Der größte Antheil des erlegten Wildes fällt natürlich den Wölfen zu, die sich schon im Gefolge der Büffel befanden oder auch durch das Knallen der Büchsen und das donnernde Getöse der fliehenden Heerde aus weiter Ferne herbeigelockt wurden.
Doch auch ohne Rennpferd gelingt es dem Indianer, den Büffeln großen Abbruch zu thun. Er verhüllt dann seinen Körper mit einer Wolfshaut oder einer wollenen Decke, und den Wind genau beobachtend sucht er sich, auf Händen und Füßen kriechend, an eine ruhig grasende und lagernde Heerde heranzuschleichen. Geblendet durch die langen Kopfmähnen, traut der Bison nur seinen scharfen Geruchsorganen und beachtet den sich nähernden unförmlichen Gegenstand so lange nicht, als derselbe nicht die Formen und die aufrechte Haltung eines Menschen zeigt. Und so mag denn ein geübter Jäger lange mordend unter einer in Gruppen aufgelösten Heerde weilen; trifft nicht ein über ihn hinstreifender Lufthauch die scharfen Geruchsnerven einer wachsamen Kuh oder eines mißtrauischen Stiers und verräth seine verderbliche Gegenwart, das Schwirren der Bogensehne und der Knall der Büchse thun es gewiß nicht. Sogar das Todesröcheln eines schwer verwundeten Cameraden veranlaßt höchstens den einen oder den andern, sein mächtiges Haupt auf Augenblicke gravitätisch zu erheben und dann ruhig weiter zu grasen, oder auch, nachdem er warmes Blut gewittert, dumpf brüllend mit den Hörnern und Hufen den Boden aufzuwühlen und Sand und Rasen in die Luft zu schleudern. Nähern sich aber einige der in Wuth versetzten Thiere mit drohenden Gebehrden dem verborgenen Schützen, in welchem sie vielleicht einen Wolf vermuthen, dann braucht dieser nur seine volle Gestalt bloßzustellen und sie durch eine kurze Wendung unter Wind zu bringen, um zuerst einige Mitglieder, demnächst aber die ganze Heerde, von panischem Entsetzen ergriffen, mit emporgereckten Schweifbüscheln davonstürmen zu sehen.
Auch diese Art von Jagd hat viel Verlockendes, und wer jemals aus glücklich und nach unsäglicher Mühe gewonnenem Hinterhalte einen dieser Kolosse nach dem andern mit der tödtlichen Kugel fällte, wer jemals im tollen Wettlauf vom Pferde herab Schuß auf Schuß aus der Revolverpistole in die fliehende Beute sandte, daß das Feuer vor der Mündung der Waffe deren braune Wolle sengte, der kann begreifen, warum weiße wie rothe Jäger ihre Mordlust nicht zu zügeln vermögen und dem wilden Jagdeifer Tausende von harmlosen Geschöpfen opfern. Was hilft es, wenn man mitleidsvoll vor den unnöthig und zum Ueberfluß erlegten, schmerzhaft zuckenden Thieren steht, die bittersten Vorwürfe aus ihren brechenden Augen zu lesen meint und mit dem festesten Vorsatz, künftig schonender zu verfahren, von dannen geht? Die Büffeljagd ist berauschend, und nur zu leicht geht während derselben das Mitleid, die Ueberlegung und die Menschlichkeit verloren.
Zu allen Jahreszeiten wird dem armen Bison nachgestellt, selbst dann, wenn der winterliche Sturm die Niederungen mit einer tiefen Schneedecke überzogen hat. Langsam und schwerfällig wühlt sich eine Heerde durch die bankähnlich zusammengewehten Schneeanhäufungen; doch der sinnreiche Indianer hat breite, von Schnüren und hölzernen Bügeln geflochtene Schneeschuhe an seine Füße befestigt und eilt leicht und ohne einzubrechen über den unsichern Boden hinweg. Eine kurze Anstrengung bringt ihn an die Seite eines mühsam watenden Riesen, erbarmungslos stößt er ihn mit der Lanze nieder, und in der nächsten Minute schon befindet er sich in der Verfolgung eines andern, um ihm ein ähnliches Schicksal zu bereiten.
Auf diese Weise wird der Ausrottungskrieg gegen die Bisons ohne Schonung weiter geführt werden, bis endlich eine der schönsten Zierden der vielbeschriebenen nordamerikanischen Prairien verschwunden ist und die Kunde von den zahllosen Heerden und den aufregenden Jagden nur noch im Munde ganz alter Jäger und zuletzt nur noch in Schilderungen früherer Reisenden fortlebt. Denn wie Wenige giebt es jetzt schon, die auf ihren Streifzügen die Prairie, so weit das Auge reichte, förmlich mit einem dichten Mantel kolossaler, durcheinanderwogender schwarzer Leiber bedeckt sahen und deren Zahl nur nach Quadratmeilen oberflächlich abzuschätzen vermochten! Und schneller noch als bisher wird sich ihre Zahl verringern, wenn die brausende Locomotive erst auf dem Schienenwege jeden Sonntagsjäger innerhalb ganz kurzer Zeit, und ohne ihn Beschwerden und Noth empfinden zu lassen, bis ganz in ihre Nähe führt; denn verderblicher als die sichere Kugel und der todbringende Schaft sind die ewigen, durch unkundige Hände veranlaßten Störungen, die eine Vermehrung solch edlen Wildes endlich ganz unmöglich machen.
Verfolgt man nun mit Theilnahme das traurige Geschick der nordamerikanischen Büffel, dann drängt sich unwillkürlich der Gedanke auf, ob dieselben nicht auch für die Nachwelt erhalten werden könnten.
Es giebt Leute genug, die behaupten, der Bison könne niemals aus einer wilden Bestie ein brauchbares Hausthier werden, wie sie auch dem Indianer jede Anlage zur Gesittung kaltblütig absprechen, und die, ich wiederhole die treffenden Worte eines freundlichen Recensenten, „rothe Krieger und zottige Büffel behandeln, wie ein grober Arzt die zahlungsunfähigen Patienten.“ Wenn man aber auf wohleingerichteten Farmen die Gastfreundschaft herangebildeter und vorwärts strebender Indianer (Choctaw-, Cherokee-, Chickasaw- und Shawnee-Indianer) genoß und einen prüfenden Blick auf die in ihrer Muttersprache gedruckten Zeitungen warf; wenn man ferner den riesenhaften Bisonstier als das friedliebende Oberhaupt einer zahlreichen scheckigen Rinderfamilie erblickte (in Albuquerque in Neu-Mexico) und sogar eine Anzahl junger Büffelkühe und Kälber beobachtete (bei einem Grenzbewohner und Pelztauscher im Kansas-Territorium), die sich eng an eine Heerde zahmen Rindviehs angeschlossen hatten und mit dieser bei Einbruch der Nacht regelmäßig der heimathlichen Einfriedigung zuschritten, während kaum tausend, oft nur wenige hundert Schritte davon, zahlreiche wilde Bisons weidend vorbeizogen und auch gejagt wurden; wenn man also dergleichen Erfahrungen sammelte: dann hat man zugleich das Recht erworben, obigen Behauptungen mit Nachdruck entgegentreten zu dürfen. Ist es doch erwiesen, daß die Urvölker Neu-Mexicos, die alten Städte bauenden Azteken, Tolteken
[620][621] und Chichimeken, ganze Büffelheerden des Fleisches und des zu trinkenden Blutes wegen hielten;[2] warum sollte der Bison sich jetzt nicht mehr zähmen und züchten lassen, da doch das Einfangen der Kälber mit verhältnißmäßig geringer Mühe verbunden ist? Das Kalb weicht nämlich nicht von der erschossenen Mutter und folgt, nachdem dieselbe zerlegt worden, zutraulich dem Pferde nach, das beutebeladen seinen Reiter davonträgt.
Unberechenbare Schätze werden geopfert, um den Menschen dem Menschen gerüstet gegenüberzustellen; unberechenbare Schätze werden hingegeben, um sich im Scheinglanz irdischer Größe zu sonnen, sich in verweichlichendem Luxus zu wälzen, und in den Staub sinken die weise geordneten Meisterwerke einer schöpferischen Macht. Und doch, wie wenig gehört dazu, die von der Natur der Obhut des Menschen anvertrauten Gaben vor gänzlichem Untergange zu bewahren, um so mehr, da nutzbringender Erfolg einen derartigen Versuch krönen würde!
Wie der Amerikaner Kameele und Dromedare aus dem Orient bezieht und zu seinen Reisen durch die Wildnisse mit Glück verwendet, so könnte der Europäer den Bison seinen Hausthieren einreihen und durch Kreuzung, wenn auch keine milchgebendere, aber doch eine stärkere, fleischtragendere Race erzielen. Und wäre dies auch nicht der Fall, die prachtvollen Thiere verdienten, daß ihretwegen etwa zwanzigtausend Thaler geopfert würden, um einen entsprechenden eingefriedigten Flächenraum allmählich mit einer Heerde von funfzig bis siebenzig jungen Büffeln zu beleben, die innerhalb kurzer Zeit durch die Grenzbewohner in den Prairien zu beschaffen wären. Der Acclimatisation würde bald die Vermehrung folgen, doppelter Lohn den wohlwollenden Unternehmern erwachsen und der Anblick ihres Wirkens sie mit Stolz erfüllen.
- ↑ Dem Bisonochsen (Bos bison) ist der Name „Büffel“ fälschlicher Weise beigelegt worden. Er trägt in seiner äußern Erscheinung eine so auffallende Aehnlichkeit mit dem litthauischen Auerochsen (Bos urus), daß man ihn als eine Abart desselben bezeichnen darf.
- ↑ Die Pflege milchgebender Thiere bei den in Neu-Mexico eingewanderten Urvölkern finde ich vielleicht später Gelegenheit eingehender zu besprechen. B. M.