Der Zauberer und sein Lehrling
Es war einmal ein Vater, der hatte drei Söhne: Jörg, Michel und Hans. Der Jörg und Michel waren tüchtige, fleißige und vigilante [15] (flinke, rührige) Kerl’; aber mit dem Hans hatte der Vater sein Kreuz und Quästion, zu allen Arbeiten stellte er sich ungeschickt und es war gar nichts rechtes mit ihm anzufangen. Den ganzen Tag strabanzte er herum, gaukelte alleweil mit Hunden und Katzen, denen er allerlei Kunststücke lernte, oder er guckte den Himmel an, wobei er sich gern auf den Buckel legte. Deswegen wurde er auch nur der Himmelsgucker geheißen. Der Vater wäre froh gewesen, wenn er den Hans vom Brote gehabt hätte, aber kein Mensch wollte ihn in den Dienst nehmen. Eines Tages mußte Hans in den Wald hinaus, um Holz zu lesen. Da kam ein Mann zu ihm und fragte ihn nach seinem Aus und An (Verhältnissen). Hans erzählte treuherzig, wie es mit ihm stehe, daß man ihn nur den dummen Hans und den Himmelsgucker heiße. „Einen solchen Kerl kann ich brauchen,“ sagte der Mann zu sich, „den ding’ ich mir.“ Der Mann ging mit Hans heim und sprach mit seinem Vater; der Alte war froh, den Hans los zu werden, und so war er bald mit dem fremden Mann überein gekommen und handeleins. Hans mußte nun seinen Bündel zusammenpacken und dahin ging er mit dem fremden Mann. Es tat ihm gar nicht leid, da er daheim nur gezankt worden war und auch oft Hiebe kriegt hatte. Lange waren Hans und der fremde Mann gegangen und Hans war schon ganz kaput, da kamen sie an einen Wald. Hier wollte sich Hans niedersetzen. „Gehts nicht noch e bißle,“ sagte sein Herr zu Hans, „wir kommen bald zu einem Wirtshause, dort essen und trinken wir und bleiben auch übernacht.“ Hans schleppte sich fort und war herzlich froh, als sie an das Wirtshaus kamen.
Als sie in die Wirtsstube kamen, saßen schon verschiedene Leute drin, und als die Wirtin kam, wäre Hans bald omicht (ohnmächtig) geworden, so toll sah sie aus. Das ist eine Hexe, dachte Hans bei sich. Sein Herr tat aber sehr gemeinschäftlich mit der Wirtin. Die kennen einander gut, dachte sich Hans, no, bas kann mir dro gelich (nun, was kann mir dran liegen). Er aß und trank, was heilges Zeug heißt; denn so gut hatte er in seinem Leben noch nie gegessen und getrunken. Bald darauf mußte er sich niederlegen, was ihm ganz recht war. In einem so schönen und weichen Bett hatte Hans auch in seinem Leben nie geschlafen; er war also recht zufrieden und dachte, es ist doch schöner als bei dir daheim. Früh beizeit kam sein Herr und weckte ihn auf. „Allo, Hans, raus!“ sprach er, „jetzt gehts weiter.“ Hans riebelte sich die Augen aus, stand auf und tat (zog) sich an. Und als sie gefrühstückt hatten, ging es weiter. Lange liefen sie im Wald fort und Hans kannte sich gar nicht mehr aus. Endlich kamen sie an ein Häuslein. „So jetzt sind wir daheim, das ist mein Haus,“ sprach der Herr zu Hans. Dann schloß er die Tür auf und ging mit Hans ins Häuslein hinein. „Bei mir hast du es gut,“ sprach der Herr zu Hans, „essen und trinken darfst du, was dir schmeckt, und die Arbeit ist auch nicht schwer; du mußt die Katz’ füttern, aber lasse sie ja keinen Hunger leiden; Holz mußt du im Wald suchen und es [klein] machen. Und wenn ich fort bin, mußt du dir halt selber kochen. Wenn ich daheim bin, koche ich. Dazu mußt [16] du mir bloß Holz und Wasser beitragen, die Erdäpfel schälen und Feuer anmachen.“ Hans tat alles, was ihm sein Herr hieß, und der Herr war zufrieden mit Hans. Eines Tages sprach der Herr zu Hans: „Höre, Hans, ich gehe fort und du mußt allein daheim bleiben; schließe abends immer gut zu und laß keinen Menschen ins Haus. Kochen kannst du dir, was du willst; Zeug ist da dazu.“ Hans versprach, alles richtig zu tun; dann ging der Herr fort. „Ich werde lange ausbleiben,“ sagte er noch zu Hans. Die erste Zeit krabbelte Hans so im Haus herum, aber allmählich wurde ihm doch die Zeit lang. Als er nun wieder einmal so alles im Hause herumstürte, fand er in einem Lädle (Trühlein) Bücher. Gott sei dank! sagte Hans, jetzt hab ich doch äbbes zum Lesen. Hans fing an, in den Büchern zu lesen, aber da ging es ihm nicht zum besten; vieles verstand er nicht und dann waren so viel Haken und Schnörkel drinnen, welche er auch nicht kannte. Dem Hans ging ein Licht auf: sein Herr war ein Hexenmeister (ein Zauberer). Sobald nun Hans allemal seine Arbeit getan hatte, setzte er sich über die Bücher, simulierte und grübelte drin rum. Ueber dem Grübeln verging dem Hans die Zeit und er wurde es so gar nicht weiß, daß er allein war. Nach einem halben Jahre konnte Hans die ganzen Bücher auswendig und konnte auch das Hexen perfekt. Eines Tages ging er ein Stück in den Wald hinein, um Holz zu lesen und als er wieder heimkehrte, wunderte er sich, daß die Tür auf war; er wußte doch, daß er zugeschlossen hatte. Als er in die Stube kam, stand sein Herr darin, hatte ein Buch in der Hand und bitzelte vor Zorn. „Du Schlingel!“ sprach er, „du hast in meinen Büchern gelesen, ich habe es daran gesehen, wahrscheinlich hast du auch das Hexen gelernt.“ Hans spannte, daß die Geschichte dreckig werden könnte und schlitzte aus. Er dachte: das Ausreißen hat kein Dummer erdacht. Aber hier nützte es nichts. Denn Hans war noch nicht vor die Tür gekommen, so war der Hexenmeister hinter ihm. Hans besann sich nicht lange, machte sich zu einem Adler und flog auf und davon. Der Hexenmeister ging in die Stube, holte ein Gewehr und schoß auf Hans, aber Hans hatte sich kugelsicher gemacht, die Kugel tat ihm nichts und er flog ruhig weiter. Der Hexenmeister sprach: Der kanns besse bi (wie) ich, den muß ich mit List dro krieg, Gewalt hilft da nichts.
Als Hans über den Wald hinaus geflogen war, guckte er sich um, und als er nichts Verdächtiges mehr sah, flog er auf die Erde und machte sich wieder zu einem Menschen. Als er so dahinging, war ihm doch nicht recht wohl; denn er dachte sich, daß ihn der Hexenmeister auf Schritt und Tritt verfolgen werde. Auf einmal sah er über sich einen Geier fliegen und Hans erkannte seinen Herrn. Hans machte sich zu einem Gaul und fing an und jackte (galoppierte), was er konnte. Während er so dahinjackte, sah er einen Bauern gehen. Auf diesen hielt er zu, und da der Bauer dachte, es sei ein durchgegangener Gaul, so fing er ihn, was sich Hans ruhig gefallen ließ. Als der Bauer so mit Hans dahin ging, kam ein nobler Herr zu ihnen, der wollte den Gaul kaufen. Dem [17] Hans wurde angst und bang, er kannte den nobeln Herrn, es war der Hexenmeister. Hans sagte leis zum Bauern: „Verkaufe mich nicht!“ Darüber wäre der Bauer bald omich worn; ein Gaul, der reden konnte, war ihm was Neues. Der Bauer verkaufte den Gaul nun erst recht nicht; denn einen Gaul, der reden konnte, hatte nicht jeder Mensch. Er führte also den Hans heim in seinen Stall. Im Stalle litt es Hans nicht lange, er machte sich zu einer Fliege und flog durch einen Fensterritz davon. Wie er so dahin flog, sah er unter sich den Hexenmeister gehen; aber auch dieser hatte den Hans bald bemerkt. Er machte sich zu einer Schwalbe und flog dem Hans nach. Bald hätte er den Hans erschnappt, aber Hans machte sich zu einem Fingerle (Fingerringlein) und fiel vor einem Mädchen nieder, das gerade daher ging. Das Mädchen sah das Fingerle, hob es auf und steckte es an seinen Finger, wohin es recht schön paßte. Alle Tage kam nun ein Mann, der dem Mädchen das Ringlein abkaufen wollte. Doch das Mädchen gab es nicht her. Eines Tages, als der Mann wieder lange umsonst gehandelt hatte, wollte er dem Mädchen das Ringlein mit Gewalt nehmen. Da fiel das Ringlein auf den Boden und wurde zu lauter Hirsekörnern. Der fremde Mann, es war der Hexenmeister, machte sich zu einem ‚Göhger‘ (Hahn) und fraß die Hirsekörner auf; dann flog er davon. Die Sache hatte aber doch einen Haken gehabt; der Hexenmeister glaubte, er hätte den Hans vertilgt, aber der Hans lebte noch. Ein Hirsekörnlein, welches der Hans selbst war, hatte der Hexenmeister übersehen. Dies Hirsekörnlein war in des Mädchens Pantoffel gefallen und dort hatte es der Hexenmeister nicht gesehen. Hans verwandelte sich wieder in seine richtige Gestalt und freite um das Mädchen, das ihn schon als Ring an der Hand getragen hatte. Das Mädchen fand Gefallen an Hans und wurde seine Frau.
Sie lebten sehr lange und waren glücklich miteinander. Aber nie soll Hans seiner Frau etwas von seiner Hexenkunst erzählt haben und ihr auch nie gesagt haben, daß sie ihn schon als Ring an der Hand getragen habe. Gegen seine Frau war Hans sehr gut, da er sich immer dachte, hat sie mich als Ring schon so gern gehabt, so hat sie mich als Mensch noch viel lieber.
Seine Hexenkunst hat Hans nie mehr ausgeübt, da er bei seinem ersten Versuch so viel Angst hat ausstehen müssen, und wenn einmal die Rede aufs Hexen kam, soll Hans immer gesagt haben: Das ist nichts für rechtschaffene Leute.
Aufgeschrieben durch Herrn Adolf Schäfer, z. Z. Steuerrevisor in Fichtelberg, O.-Fr.; dem Verein übergeben am 3. 2. 1896. (Urschrift.)
- ↑ Vorbemerkung des Märchen-Aufschreibers: Die Märchen auf der Rhön sind noch zahlreich, mehr als die Sagen. In jedem Dorfe gibt es gewisse Personen, die besonders gut Märchen erzählen können und über eine große Anzahl solcher verfügen. Solche Personen haben immer ein gutes „Sprechwerk“, wie der Volksausdruck heißt, dazu ein beneidenswertes Gedächtnis, so daß sie ein einmal gehörtes Märchen meist sofort Wort für Wort nacherzählen können; dagegen sind sie nur mangelhaft lese- und schreibkundig, manche von ihnen sind es gar nicht. Natürlich war die Erzählweise sehr urwüchsig und durchaus nicht salonfähig. In der Spinnstube, beim Spielgehen, auf der Weide wurden „Märlich“ und „Geschichtlich“ erzählt, und wo ein Mann oder eine Frau im Hause war, die schön erzählen konnte, dahin ging man gern „spiel“ und „spinn“. Ein Märchen, der goldene Johannes, der bei seiner Geburt schon ein goldenes Kreuz auf seiner Brust hatte, wurde besonders gern und oft verlangt und es durfte ein guter Erzähler sein, wollte er dieses Märchen an einem Abend erzählen. Die alten Märchen kommen „außer der Modi“, die Leute haben Lesen und Schreiben gelernt und lesen jetzt selbst Geschichten. Die alten Märchen- und Geschichtenerzähler sterben – kein Mensch will die alten Sachen mehr glauben.
Wie oft und oft saßen wir aufmerksam zuhorchend da und dort und hörten Märchen erzählen. Geschichten und Märchen, die wir lesen und lesen konnten, gaben uns lange nicht so viel ab; das gesprochene Wort wirkte viel mehr auf uns ein. Tief bedauerten wir jedesmal den Tod eines guten Erzählers oder einer Erzählerin und die Drohung, daß wir nicht mehr in das oder jenes Haus, in dem viel Märchen erzählt wurden, dürfen, wenn wir nicht folgen wollten, fruchtete mehr als Schläge. Das war noch so vor 20 Jahren. Heute kann man bei der Jugend nicht mehr ohne Stecken reden – versicherten mir viele Leute gelegentlich eines Urlaubes in der Rhön.