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Der Zählkommissar im Hinterhause

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Textdaten
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Autor:
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Titel: Der Zählkommissar im Hinterhause
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 861, 864–865
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[861]

Ein Bild von der Volkszählung: Der Zählkommissar im Hinterhause.
Nach einer Skizze von E. Hosang gezeichnet von R. Gutschmidt.

[864] Der Zählkommissar im Hinterhause. (Mit Abbildung S. 861.) Es ist keine Kleinigkeit, Millionen zu zählen. Ein zungenfertiger Mensch kann bei deutlicher Aussprache der Zahlen in einer Minute etwa bis 200 gelangen. Er braucht also, um eine Million zu zählen, rund 5000 Minuten oder 83 1/3 Stunden oder 8 volle Arbeitstage. Wollte er bis zur Höhe der letzten Bevölkerungszahl des Deutschen Reiches mit rund 47 Millionen weiterzählen, so müßte er sich schon 3916 2/3 Stunden bemühen, er würde also schon in einem ganzen Jahre nicht mehr fertig. Und nun sollten am 1. Dezember d. J. diese 47 Millionen sammt dem Zuwachs seit 1885 nicht bloß gezählt, sondern auch aufgeschrieben, nach Namen, Stand, Religion und allerlei anderen Gesichtspunkten bestimmt und verzeichnet werden – welch eine Riesenarbeit! Kein Wunder, daß, um diese Millionenzählung zu bewältigen, fast wieder Millionen von Zählern erforderlich waren!

Die Beamten, die sonst wohl mit der Bevölkerungsstatistik beschäftigt sind, reichen natürlich bei der alle fünf Jahre wiederkehrenden allgemeinen Volkszählung lange nicht aus, und so ist es üblich geworden, in allen [865] größeren Gemeinden freiwillige Hilfskräfte heranzuziehen, Leute, die womöglich über freie Zeit verfügen, die vermöge ihrer Bildung dazu befähigt sind, den Zweck der Zählung richtig zu verstehen, die Formulare richtig anzuwenden und die richtigen Fragen zu stellen. Denn es ist gar nicht immer so leicht, den Zählkommissar zu spielen. Er hat mit gar viel Unklarheit, Unverstand, ja nicht selten geradezu mit bösem Willen zu kämpfen; wenn so ein gut gekleideter, „herrisch" aussehender Eindringling in die Hinterhäuser und in die Dachstuben kommt, zu den Armen und Gedrückten, da begegnet er oft dem bittersten Argwohn. „S’ ist ja doch bloß wieder wegen der Steuer" denkt der und jener, und es bedarf umständlichen Zuredens und Beschwichtigens, bis endlich die nöthigen Angaben zögernd und vorsichtig gemacht werden.

Nun, so gefährlich steht es nicht in dem Hinterhause, in welches unsere Skizze uns einen Blick thun läßt. Hier ist der selbstlose Herr, der sich als Zählkommissar hergegeben hat, lediglich Gegenstand einer kindlichen Neugierde. Ja, fast will es scheinen, als ob der Herr Kommissar seine Arbeit in diesem Falle ganz interessant fände, als ob er sich gar nicht übermäßig beeilte, mit seinem Auftrag zu Ende zu kommen, und recht gerne die liebliche junge Frau weiter examinirte, die, ihr Jüngstes auf dem Arme, ihm kurz und sachlich Auskunft giebt. Er ist wohl noch nie mit den Menschen dieser Volksschichte in Berührung gekommen, kennt sie nur vom Hörensagen und hat sich kein besonders günstiges Bild von ihnen gemacht. Nun ist er eingetreten in diese bei aller Enge doch saubere Stube, sieht das trauliche Zusammenleben der drei Generationen, bemerkt mit Freuden die manierlich erzogenen Kinder und bewundert den ruhigen Anstand der jungen Mutter – und für seinen ausgefüllten Fragebogen, für seine Zahlen und Vermerke, die er mitnimmt, hat er etwas zurückgelassen in dem schlichten Hinterhause – ein Vorurtheil.