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Der Wunderstein

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Textdaten
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Autor: Johann Heinrich Lehnert
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Titel: Der Wunderstein
Untertitel:
aus: Mährchenkranz für Kinder, der erheiternden Unterhaltung besonders im Familienkreise, S. 60–65
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1829]
Verlag: J. G. Hasselberg
Drucker: Gebrüder Unger
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg = Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
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[60]
11.
Der Wunderstein.

Vor alten Zeiten lebte einmal ein Mann, der verkaufte seinen Acker, und kaufte dafür drei Stücke sehr feines Tuch, um damit Handel zu treiben, und reiste in ein anderes Land.

Auf dem Wege sah er einen Haufen Kinder, die hatten eine Maus an einer Schnur und warfen sie in’s Wasser, und zogen sie wieder heraus. Da bat er die Kinder, barmherzig zu seyn, und die Maus laufen zu lassen; die aber sagten trotzig: „Was geht das dich an? wir lassen sie nicht!“ Da gab er ihnen ein Stück des Tuches, und die Maus wurde befreit.

Bald darauf fand er einen Haufen anderer Kinder, die hatten einen jungen Affen gefangen, den schlugen sie ganz unbarmherzig, und schrieen dabei immer: „Spring! spring [61] ordentlich! spring besser!“ Aber der junge Affe konnte es noch nicht, und machte jammervolle Gebehrden.

Der Mann sah dies mitleidig an, und bat die Kinder, den Affen doch gehen zu lassen, sie aber wollten nicht. Da gab er ihnen das zweite Stück Tuch, und sie ließen ihn los.

Weiter hin traf er einen Haufen Knaben an, die einen jungen Bären hatten, auf welchem sie ritten und ihn prügelten. Der Mann erbarmte sich des Bären, und um ihm die Freiheit zu verschaffen, gab er sein letztes Tuch hin.

Nun hatte der Mann nichts zu handeln, und nichts zu zehren, und dachte: „Was soll ich nun anfangen?“

Als er so denkend weiter ging, fand er auf einer Schilfwiese ein großes Stück seidenes Zeug, mit Goldblumen durchwirkt, das war sehr kostbar. „Ach,“ sprach er zu sich selbst, „nun ist dir auf ein Mal geholfen! Um der Barmherzigkeit willen, die du geübt hast, hat der Himmel das Tuch dir siebenfältig ersetzt.“

Kaum war er aber einige hundert Schritte gegangen, da kamen Leute des Weges, die sahen das Zeug, und fragten: „Woher hast du das kostbare Seidenzeug? Das Zeug ist mit andern Stücken aus der Schatzkammer des Königs gestohlen. Nun haben wir endlich den Dieb gefunden; aber wo hast du die andern Sachen?“ –

Sie führten ihn vor den König, welcher ihn sehr zornig anredete, und also sprach: „Weil du so Unziemliches und Strafbares begangen, so lege man dich in einen großen Kasten, den man mit einem Nagel von Holz verschließe, gebe dir zwei Brote mit, und werfe dich in’s Wasser.“

Also geschah es. Aber der Kasten blieb bald hängen am Ufer, und obwohl die Luft im Kasten bewegt ward, so empfand der Mann doch große Angst, und war schon dem Ersticken nahe, als etwas an dem Holznagel knasperte, und ihm zurief: „Nun drücke ein wenig an dem Deckel!“ Und [62] als er drückte, wurde es eine kleine Spalte, der Eingesperrte bekam ein klein wenig Luft, und erkannte durch die Spalte die Maus, welche er losgekauft hatte. Diese sprach zu ihm: „Halte dich noch ein wenig, bis ich meine Gefährten herbeirufe; für mich allein ist es zu schwer.“

Die Maus kam mit dem Affen und Bären. Der Affe erweiterte die Spalte so viel, daß der Bär mit seiner Pratze hinein konnte, und darauf den Kasten mit Gewalt aufbrach, daß jetzt der Mann heraus konnte, und sich auf einem Rasenplatze mitten im Flusse niederließ. Alle drei Thiere brachten ihm hierauf Obst und allerlei Speisen.

Am andern Morgen erblickte der Mann am Ufer einen hellen Schein, und sandte den Affen hin. Der Affe brachte ihm einen glänzenden Stein, der ein Wunderstein war. Da wünschte er sich an das Land, und als er auf dem Lande war, wünschte er sich einen Palast, und alsbald stieg, mitten auf einem großen Platze, ein Palast empor mit allen Gebäuden und kostbaren Geräthen, und mancherlei Bäume standen umher, und Springbrunnen trieben lieblich helles Wasser aus Marmorbecken gen Himmel. In diesem Palaste wohnte er nun, und behielt seine Thiere bei sich.

Nach einiger Zeit kamen Kaufleute in diese Gegend, die verwunderten sich sehr, und sagten: „Wo kommt der Palast her? Hier war sonst ein wüster Platz!“ Sie befragten sich bei dem Herrn des Palastes, und dieser zeigte ihnen den Wunderstein, und erzählte ihnen alle seine Schicksale.

Da sprach der Eine: „Nimm Alles, was wir haben, nur laß uns den Stein.“ Gutmüthig gab er ihnen den Stein, und ließ ihnen auch ihre Ladungen; „denn,“ sagte er, „ich bin ja glücklich und reich genug!“

[63] Als am andern Morgen der Mann erwachte, saß er im Flusse auf dem Grasplatze, und war Alles verschwunden.

Indem er trauernd da saß, kamen die Thiere und fragten: „Was ist dir geschehen?“ Da erzählte er ihnen Alles, worauf diese sagten: „Du bist fürwahr zu beklagen; aber sprich, wohin ist der mit dem Stein gegangen? Wir wollen ihn suchen gehen.“

Als sie nun zu dem Kaufmanne kamen, der den Wunderstein hatte, sagten der Bär und der Affe: „Maus, schau umher, wo sich der Wunderstein findet!“

Die Maus schlüpfte durch alle Löcher, und kam in ein geschmücktes Gemach, wo der Kaufmann schlief, welcher den Stein bekommen hatte. Der Stein hing am Ende eines Pfeiles, und der Pfeil steckte in einem Reishaufen, und neben dem Reishaufen lagen zwei angebundene Katzen. Da wagte die Maus sich nicht an den Wunderstein, und sagte es ihren Gefährten.

Der Bär, der, wie gewöhnlich träge und dumm war, weil beides zusammengehört, wollte nichts versuchen, und sagte: „Hier hilft kein Mittel, laßt uns also zurückkehren!“ Der Affe aber war anderer Meinung, und sagte: „Vielleicht giebt es doch noch ein Mittel. Du, Maus, gehe zu dem Kaufmann, und benage ihm sein Haar, und in der nächsten Nacht siehe, wer neben dem Kissen des Kopfes wird angebunden seyn.“

Als am nächsten Morgen der Kaufmann sein Haupthaar benagt fand, band er zu Abend die Katzen an’s Kopfkissen an.

Die Maus konnte aber in der nächsten Nacht nicht an den Pfeil zum Wundersteine hinan. „Nun,“ sagte der Bär, „da giebt es denn weiter kein Mittel; kommt, laßt uns umkehren!“ Der Affe aber sagte: „Wohl giebt es dennoch ein Mittel; laßt uns nur nicht gleich verzagen. [64] Maus, gehe und durchwühle den Haufen Reis, bis der Pfeil umfällt, dann bringe den Stein im Maule hierher.“

Die Maus that, wie ihr der Affe gerathen hatte, und schleppte den Wunderstein bis zum Loche, sie konnte ihn aber nicht durchbringen, denn der Stein war zu groß. Das klagte sie ihren Gefährten. „Nun,“ sagte der Bär, „so giebt es weiter kein Mittel, und wollen wir wieder nach Hause: denn der Affe und ich, wir können doch nicht durch das Mauseloch kriechen.“ Aber der Affe erweiterte das Loch mit seinen Pfoten, bis die Maus mit dem Steine hindurch konnte.

Jetzt wanderten sie zurück, und da sie durch einen Fluß kamen, setzte sich die Maus in’s Ohr des Bären, der Affe aber, welcher den Wunderstein im Munde hielt, auf den Rücken desselben.

Als sie in den Fluß kamen, rühmte sich der Bär, daß er auch einmal etwas that, und sagte: „Seht, ist das nicht gut, daß ich euch alle drei tragen kann: Affe, Maus und Wunderstein? Aber das macht, weil ich stärker bin als ihr.“ So sprach er noch mancherlei, aber keins antwortete ihm: denn die Maus schlief vor Müdigkeit von der vielen Arbeit, und der Affe hatte den Stein im Munde.

Als nun keine Antwort erfolgte, wurde der Bär recht grollig, und sagte: „Wollt ihr nicht antworten, so werfe ich euch beide in’s Wasser!“

„Thue es nicht!“ sprach der Affe; und der Wunderstein fiel aus dem Munde in’s Wasser.

Als sie jetzt über den Fluß waren, sagte der Affe zürnend: „Du, Bär, bist doch wahrhaftig ein dummes Thier!“ Da erwachte die Maus, und fragte: „Was giebt’s denn?“ Und der Affe erzählte Alles und sprach: „Den Stein aus dem Wasser zu bringen, ist schwerer als Alles. Jetzt wollen wir fortgehen, dahin und dorthin.“ Die Maus aber [65] versetzte: „Ich will es versuchen, den Stein aus dem Wasser zu bringen. Ihr Beiden setzet euch weiter ab.“

Die Maus lief längs des Flusses auf und ab, gleichsam als wäre sie ängstlich. Da kamen die Fische und andere Wasserbewohner herbei, und sprachen: „Maus, was hast du für Unruhe?“ Die Maus aber sagte: „Wißt ihr denn nicht einmal, daß ein großes Heer anrückt, das alle Wasserbewohner aus dem Wasser forttreiben will?“

Da wurden die Wasserbewohner äußerst bestürzt, und baten die Maus, ihnen zu rathen, was sie thun sollten, um dies Unglück von sich abzuwenden.

„Es bleibt kein anderes Mittel übrig,“ antwortete die Maus, „als Steine herbei zu tragen, und am Ufer einen Damm aufzuführen.“

Dieser Rath gefiel den Wasserbewohnern. Sie fingen sogleich an, Steine aus der Tiefe des Wassers herbeizutragen, und endlich brachte ein großer Frosch den Wunderstein, und sagte: „Der Stein ist recht schwer!“

Als nun der Stein da war, lobte der Affe die Maus wegen ihrer Klugheit, und alle drei gingen nun zu dem Manne, der aber kaum noch lebte. Sobald er den Stein wieder hatte, wünschte er sich an’s Land, und wünschte dann wieder einen Palast, geschmückt wie der erste, und noch mehr.

Den Stein ließ er nun nicht mehr von sich, aber die drei treuen Gefährten auch nicht. Der Bär aß und schlief; der Affe aß und tanzte, und die Maus aß und schlüpfte durch alle Winkel und Löcher; nie aber durfte eine Katze in den Palast kommen.