Zum Inhalt springen

Der Wirth am Berge

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator:
Titel: Der Wirth am Berge
Untertitel:
aus: Fliegende Blätter, Band 1, Nr. 6, S. 41–44
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1845
Verlag: Braun & Schneider
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: MDZ München, Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[41]
Der Wirth am Berge.



F riedrich, der erste hohenstauffische Herzog von Schwaben, hatte unter den Mannen seines Hofhaltes einen jungen Ritter, Herr Johannes geheißen, der, obwohl er arm war, dennoch, um seiner großen Klugheit und Tapferkeit willen, von seinem Herrn sehr hoch und werth geachtet wurde. Dabei war derselbe von milden Sitten, unvergleichlicher Schönheit des Leibes, und wohlerfahren im Waffenwerk und allen ritterlichen Künsten. Diesen nun ließ der Herzog eines Tages zu sich entbieten, und sprach zu ihm: „Lieber Freund Johannes, da mein erstgeborner Sohn und dereinstiger Nachfolger nunmehr zu seinen Jahren gelangt ist, und ich demselben eine Gemahlin beizulegen Bedacht nehmen muß, also habe ich dich, um deiner großen Treue und Klugheit willen, ausersehen, mir zur Ausführung dieses meines Vorhabens, Hilfe und Beistand zu leisten. Nimm dir also wessen du bedarfst, um dich auf's schnellste und beste zu rüsten, und reite mit stattlicher Begleitung hinunter nach Freiburg, entbiete Herzog Berchtold meine Dienste und freundlichen Gruß, und bringe meine Werbung um die Hand seiner Tochter, der schönen und tugendreichen Jungfrau Mechtildis, für meinen Sohn, Herzog Friedrich, auf das beste bei demselbigen an, denn diese ist es, welche ich meinem Sohne zur Gemahlin, und mir zur Schnur erkoren habe.“

[42] Herr Johannes hatte nicht sobald die Botschaft vernommen, zu welcher er ausersehen worden, als er sich auf das schnellste und beste beschickte, seinen Urlaub nahm, und freudigen Muthes seine Straße fuhr, die Sendung auszurichten.

Am Hoflager des Herzogs Berchtold angelangt, wurde, sobald selbiger die Ursache seiner Ankunft erfahren, Herrn Johannes große Ehre und Gunst erwiesen, und seine Werbung mit Freuden angenommen. Alsbald wurde ein prächtiges Fest veranstaltet, Banket, Turnier und Lustbarkeiten jeglicher Art, die Verlobung von Herrn Berchtolds schöner Tochter zu feiern. Bei jedem Anlaß erwies sich Johannes, des Herzogs Brautwerber, als der stärkste und muthigste Ritter, beim Lanzenrennen, oder im Schwerdtschwingen und Kolbenschlagen, so wie geübt in anmuthiger Rede, und erfahren in manch einer schönen Kunst, womit er Ritter und Frauen, Alt und Jung zu vergnügen wußte, also daß ihn alle aufs herzlichste liebgewannen. Doch zumeist gewogen ward ihm die schöne Herzogstochter selber, und wie er, um zu seinem Herrn heimzukehren Urlaub nehmend, vor ihr stand, und so hellen, freundlichen Blickes auf sie schaute, da trat unbemerkt eine Thräne in ihr schönes Auge, und sie konnte nicht hindern, daß nicht der leise Wunsch in ihr sich regte: ihr künftiger Gemahl möge diesem gleichen! – Und als er nun vollends sich entfernt hatte, da fühlte sie wohl, er habe ihr Herz mit sich hinweggenommen, doch gelobte sie sich, ihre Empfindung niemals zu offenbaren, und den Willen des Vaters zu vollbringen, denn sie war eine fromme und gehorsame Tochter.

Aber auch dem Johannes war es gleichermassen ergangen. Als er seinem Geleite voraus, über die glänzende Morgenau, der Heimath entgegen ritt, da versuchte er es umsonst, wie er es zu thun früher gewohnt war, ein fröhliches Jagd-, Schlacht- oder Minnelied, deren er selber kunstreich zu setzen wußte, in die frische blaue Luft hinaus zu singen. Die wohltönende Stimme versagte ihm, seine Brust war beklommen, still sinnend ritt er vor sich hin, und erwog betrübten Muthes, wie so große Tugend und Schönheit er an Jungfrau Mechtildis erfunden, und wie er sein Leben lang solch Gemahl in treuer Liebe und Verehrung halten würde, und wie recht betrübt es doch sei, daß dieses nun und nimmermehr geschehen könne.

Wider alle Vermuthung empfing ihn Herr Friedrich von Schwaben, welchem er Boten vorausgesendet, und den glücklichen Ausgang zu wissen gethan, mit gar trauriger Geberde, und redete zu ihm also: „O mein lieber Freund Johannes, wie wohl und reiflich hatte ich mein Vorhaben erwogen, und wie gedachte ich weislich zu handeln, indem ich dir diese Brautwerbung auszurichten befahl, und ist nunmehr solche eine Ursache großer Trübsal und Unmuthes geworden, denn du sollst wissen, daß mein junger Herr Sohn allbereits ohne mein Vorwissen seine zukünftige Gemahlin erwählet und sich derselben mit einem theuern Eidschwur verlobet hat. Auch vermögte ich diese seine Wahl nicht zu schelten, denn es ist gleichermaßen eines reichen und mächtigen Herzogs Tochter und tugendvolle Jungfrau, adeligen Gemüthes, in mancherlei Kunst und Wissenschaft wohl unterwiesen, und von großer Schönheit, und möchte ich selbige wohl als eine liebe Tochter annehmen, hätte ich nicht mein Wort an Herrn Berchtold durch dich allbereits schon verpfändet, und wollte ich lieber das Leben lassen, als solches nicht einlösen. Jetzo mein werther Johannes, bezeige dich als einen getreuen und verständigen Diener und Freund, und entdecke mir einen Rath und Anschlag, wie ich mein gegebenes Wort bei Ehren erhalte, ohne meinen Herrn Sohn zu einer Gemahlschaft zwingen zu müssen, welche seinem Sinne also sehr widerstrebet. Findest du ein Mittel, solchem Verdruße zu begegnen, so will ich es dir lohnen mit großen Ehren und Würden und reichem Gute, und dich zeitlebens werth halten als meinen liebsten und getreuesten Freund!“ –

Als der Herzog seine Rede beendiget, da erblühete eine helle Röthe auf dem Antlitze seines Dieners Johannes, und die Hoffnung in seinem Herzen erhob freudig ihr leuchtendes Panner. Er beugte das Knie und sprach vergnügten Muthes: „Gnädigster Gebieter, so verscheuchet denn Eueren Kummer, dieweil ich zuversichtlich glaube, mit Gottes Beistand Euer Vertrauen zu rechtfertigen, und Euer Anliegen zu einem für alle Theile frohen Ende zu bringen, unbeschadet Euerer Ehre [43] und gegebener Versprechung. Laßt mich unverweilt von hinnen und harret getrost erwünschter Botschaft, die Euch in Bälde von mir zukommen soll!“

Nachdem ihm ein solches verstattet worden, so kehrte Herr Johannes auf das schleunigste wieder zurück an das Hoflager des Zähringers, woselbst er indessen großes Trauern und Wehklagen erfuhr, denn die schöne und tugendreiche Herzogstochter war inzwischen in ein also schweres Siechthum verfallen, daß die erfahrensten Aerzte und Meister der Kunst an ihrem Aufkommen verzweifelten, und für gewiß dafür hielten, daß in kurzer Frist die Sichel des unerbittlichen Todes diese glanzvolle und süßduftende Blume von der Erde hinwegnehmen würde. Herr Johannes erbat sich die Gnade, der Jungfrau alsogleich vorgestellt zu werden, dieweil er eine Botschaft an sie allein zu bringen gekommen sei. Als denselben nun Herr Berchtold in das Gemach der Tochter geführt, und er an ihr Lager getreten, sich auf das Knie niedergelassen, und von ihr bemerkt worden – da sahen Alle, so zugegen, mit großem Staunen, was ihnen wie ein übernatürliches Wunder erschien, denn die blassen Wangen der Jungfrau wurden mit schimmernder Röthe überzogen, das erloschene Auge strahlte von neuem Glanze, ein mildes Lächeln öffnete die geschlossenen Lippen, und ein Blick des innigsten Wohlwollens ruhte auf dem in tiefer Bewegung des Gemüthes vor ihr knieenden Johannes. Als die Jungfrau sich in etwas wieder gefaßt hatte, brach sie zuerst das Stillschweigen, und erhobenen Hauptes sprach sie mit leiser aber fester Stimme: „Geliebter Herr und Vater, warum sollte ich jetzo, wo ich vielleicht in dieser Stunde noch von Euch und dem Leben mich trennen muß, nicht ungescheut das Geheimniß meines Herzens, welches, so mir Hoffnung längeren Lebens geblieben, nichts auf der Welt mir zu entreissen würde im Stande gewesen seyn, nunmehr nicht freudig bekennen? Ja, mein Johannes, da ich deine hohe Tugend und adelige Gesinnung, Klugheit und Muth und große Treue an dir erkannt, da hatte meine Seele sich dir zu eigen gegeben, und ich gedachte welch ein großes Glück es seyn müßte, wenn ich als dein Gemahl mein Leben lang in getreuer Liebe dir angehören dürfte. Da aber dieses nicht geschehen können, dieweil mein geliebter Herr und Vater über mich ein anderes beschlossen, so gelobte ich bei mir als eine getreue Tochter in allem mich gehorsam zu bezeigen. Nunmehr nimmt Gott die schwere Verpflichtung von mir, und freudig folg' ich seinem Rufe, indem ich hoffe, daß er nach seiner Barmherzigkeit uns alle nach kurzer Trennung in seiner Herrlichkeit vereinigen werde, und sage ich also hiermit Euch allen mein letztes Lebewohl!“

Als die Jungfrau geendigt, nahm sie Herr Berchtold mit großem Trauern in seine Arme und sprach: „O meine geliebte Tochter, hätte ich dieses zuvor wissen sollen, so wollte ich dich gerne Herrn Johannes zur Gemahlin gegeben haben, und darfst du deiner Wahl dich nimmer schämen, denn obwohl nicht von hoher Geburt oder großem Reichthum, besitzet derselbige so hohe Gaben und glanzvolle Tugenden, daß er solchergestalt wohl ebenbürtig zu nennen!“ –

Auf diese Rede erhob sich Johannes rasch und mit freudestrahlenden Mienen, eilte auf Herrn Berchtold und die Jungfrau zu, deren Hände er zu wiederholten Malen an seinen Mund drückte; alsdann rief er mit großer Bewegung: „Preis und Ehre sei dem allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden, ohne Ende ist seine Güte und wunderbar seine Fügungen uns zum Heil!“ Hierauf entdeckte er Herrn Berchtold die Ursache seiner Rückkehr und Alle lobten und dankten Gott, der so bittere Schmerzen in süsse Lust und so schwere Trauer in also große Fröhlichkeit verkehret.

Da die Jungfrau schnell von ihrem Siechthume sich erholte und wieder zu vorigen blühenden Kräften gelangte, so ward alsbald die Hochzeit auf das herrlichste ausgerichtet, und erhielt Herr Johannes gleichermassen vom Herzog Berchtold sowohl, als von Herzog Friedrichen weite Lehen und großes Gut an Burgen und Ländereien mit reichen Gefällen und Einkünften. Zu seinem Hauptsitze wählte er [44] ein schönes Schloß auf einem hohen rebenumpflanzten Berge am Nekar, zwischen den Städten Weiblingen, der Wiege des Hohenstauffen-Geschlechtes, Eßlingen und Stuttgart, von welcher herab er einen großen Theil seiner Herrschaft überschauen konnte, die er in Kurzem durch Freigebigkeit, Gerechtigkeit, Milde und weise Einrichtungen zu dem blühendsten und fruchtreichsten Garten des ganzen Gaues gestaltete. All sein Leben lang, welches er bis zu den höchsten Jahren brachte, die dem Menschen zu erreichen vergönnt sind, blieb er seinem Herrn und Wohlthäter in Dankbarkeit und unerschütterlicher Treue ergeben, und nach dessen Tode seinem Sohne, dem nachmaligen Kaiser Conrad, den er auch auf seinem Kreuzzuge in's heilige Land begleitete. Stets übte er nach der Väter Sitte gegen Alle, die bei ihm einsprachen, die bereitwilligste Gastlichkeit, und weil seine Burg das Haus am Berge genannt war, so hieß man Herrn Johannes weit und breit nur den Wirth am Berge. Dieser Name ist dann auch dem erlauchten Geschlechte verblieben, das aus seiner und Frau Mechtildis von Zähringen Nachkommenschaft seinen Ursprung nahm, und aus welchem zahlreiche tapfere Helden und weise Regenten hervorgingen; wie denn zu dieser Zeit ein Nachkomme derselben als eine Zierde unter den deutschen Fürsten ein weites gesegnetes glückliches Land regieret, der in früheren Kriegsläuften in manch heißer Feldschlacht, wie bei Sens und Montereau, die Heldenbrust dem Feind entgegenwarf und mit unerschrockenem Muthe für die Ehre des deutschen Namens und die Befreiung des Vaterlandes vom schmachvollen Joche der Franzosen, kämpfte und siegte; dann daheim dem Lande eine Verfassung und weise Gesetze und Einrichtungen gab, geehrt und geliebt von einem getreuen und biederen Volke als ein muthiger und milder, als ein weiser und gerechter Herrscher – Wilhelm I. König von Würtemberg! –