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Der Weltbühnen-Prozeß

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Textdaten
Autor: Carl von Ossietzky
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Titel: Der Weltbühnen-Prozeß
Untertitel:
aus: Die Weltbühne. 27. Jahrgang 1931, Nummer 41, Seite 803-811.
Herausgeber: Carl von Ossietzky
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1. Dezember 1931
Verlag: Verlag der Weltbühne
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Die Weltbühne. Vollständiger Nachdruck der Jahrgänge 1918–1933. 27. Jahrgang 1931. Athenäum Verlag, Königstein/Ts. 1978. Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
siehe das Reichsgericht Urteil Weltbühne-Prozess vom 23. November 1931
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[803]

Der Weltbühnen-Prozeß von Carl v. Ossietzky

An einem solchen Nachmittag sitzt der Lord-Oberkanzler da mit einer Nebelglorie um das Haupt, eingehüllt und umgeben von Scharlachtuch ...

Charles Dickens, Bleakhouse


Der IV. Strafsenat des Reichsgerichts hat am 23. November den Schriftsteller Walter Kreiser und mich als verantwortlichen Leiter der ‚Weltbühne‘ zu einer Gefängnisstrafe von anderthalb Jahren verurteilt wegen Verbrechens gegen § 1 Absatz 2 des Gesetzes über den Verrat militärischer Geheimnisse. Gegenstand der Anklage war der Artikel Kreisers vom 12. März 1929 „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“. Zwischen dem Verbrechen und der Sühne liegt also ein Zeitraum von zweieinhalb Jahren. In dieser Zeit ist das Heft mit dem landesverräterischen Artikel nicht einen Tag beschlagnahmt gewesen. In dieser Zeit hielt sich Kreiser, gelernter Flugzeugtechniker und Konstrukteur, beinahe ein Jahr in Amerika auf, um in Philadelphia für das Pennsylvania Airdraft Syndicate zu arbeiten. In dieser Zeit hat Kreiser unserm Anwalt Alfred Apfel jede Adressenänderung mitgeteilt und ist schließlich in dem heitern aber unangebrachten Vertrauen zurückgekehrt, daß vor der Sagazität des höchsten Gerichtes die Anklage wie eine Seifenblase zerplatzen würde.

Diese frohe Gewißheit habe ich niemals geteilt, wenn ich auch diesen Ausgang nicht für denkbar halten konnte. Ich weiß, daß jeder Journalist, der sich kritisch mit der Reichswehr beschäftigt, ein Landesverratsverfahren zu gewärtigen hat; das ist ein natürliches Berufsrisiko. Dennoch war diesmal für eine reizvolle Abwechslung gesorgt: wir verließen den Saal nicht als Landesverräter sondern als Spione.

Aus begreiflichen Gründen muß ich davon absehen, auf das innere Thema des Prozesses einzugehen. Vor den Lesern der ‚Weltbühne‘ ist es gewiß unnötig, Kreiser und mich zu rechtfertigen, aber vor jenem Publikum, das uns nicht kennt und seine Meinungen aus den Reservoiren der nationalistischen Presse empfängt, sind wir diffamiert, ohne uns zur Wehr setzen zu können. Hinter verschlossenen Türen sind wir abgeurteilt worden, militärische Geheimnisse Deutschlands an auswärtige Regierungen weitergeleitet zu haben. Mit Recht schreibt die ‚Frankfurter Zeitung‘, daß ärger als Gefängnis ein solches Odium ist.

Ich weiß mich in bester Übereinstimmung mit Kreiser, wenn ich hier erkläre, daß Anklage und Urteil an unsern Absichten glatt vorbeitreffen, daß wir noch heute zu ihnen stehen und nichts zu widerrufen haben. Der Artikel Kreisers befaßte sich mit Bedenklichem aus dem Luftfahrtetat, er behandelte Tariffragen der Piloten und Facharbeiter auf den Flugplätzen, er geißelte die Vergeudung von Steuergeldern in einem schlecht kontrollierten Subventionswesen, er streifte zum Schluß ganz episodisch eine militärische Spielerei, die bereits durch eine [804] Reichstagsdrucksache den politisch Interessierten zugänglich war. Kreiser, damals stellvertretender Abteilungsleiter im Deutschen Verkehrsbund, ist in diesen Fragen sehr sachverständig. Den Spion möchte ich sehen, der seinen Auftraggebern eine Information zu bringen wagt, die bereits seit einem Jahr im Druck vorliegt. Er würde im Gleitflug vor der Tür landen. Außerdem hat die ‚Weltbühne‘ im Laufe der Jahre genügend militärpolitische Artikel gebracht und dabei auf Tarnung verzichtet. Die ‚Frankfurter Zeitung‘ meint zwar, daß wir uns häufig im Tone zu vergreifen pflegten. Eh bien, aber Hinterhältigkeit ist uns noch niemals vorgeworfen worden.

Nur mit einiger Mühe bin ich von unsern Verteidigern zurückgehalten worden, einen Ablehnungsantrag zu stellen. Ich hatte zu diesem Senat nach seiner bestens bekannten Judikatur gegen Pazifisten und Kommunisten nur ein herabgemindertes Vertrauen. Jahrelang hatte ich geschrieben, daß der IV. Strafsenat nicht das Recht der Deutschen Republik spricht, sondern durchaus die Gepflogenheiten eines Standgerichts angenommen hat. Sollte der Mann von der ‚Weltbühne‘ dort Objektivität erwarten? Im Herbst 1930 hatte im gleichen Saal und vor dem gleichen Vorsitzenden, Herrn Reichsgerichtsrat Baumgarten, Adolf Hitler das berühmte Wort von den „rollenden Köpfen“ gesprochen, und damals hatte ich geschrieben (‚Weltbühne‘ 1930, Nr. 40): „Man vergleiche die trockene Abfertigung des Staatssekretärs Zweigert, des Mannes der Reichsregierung, mit der entgegenkommenden Geste für Hitler... Das Reichsgericht ahnt den Herrn von morgen... Was Hitler mit einem spinnwebdünnen Tuch von Legalität umkleidet vor dem höchsten Gericht verkündete, hieße bei Politikern, die nicht Koalitionsfreunde des Reichsjustizministers sind: Vorbereitung zum Mord. Max Hölz soll neulich im Sportpalast gesagt haben, daß man auch in Deutschland eine G.P.U. brauche, und flugs war der Arm der Gerechtigkeit lang ausgestreckt. Wenn ein Gericht einen hochverräterischen Plan, wie es in Leipzig geschah, mit Achtung anhört, anstatt den Mann in eine Heilanstalt zu stecken oder als Verbrecher in Eisen zu legen, so ist dies ein recht deutliches Zeichen, daß die Vertreter der Staatsautorität entweder arg erschöpft sind oder daß sie schon mit schüchternen Fußspitzen den Boden neuer Tatsachen zu suchen beginnen.“

Ich wollte also einen Ablehnungsantrag stellen. Unsre Anwälte jedoch rieten dringend ab. Nicht nur der formalen Schwierigkeiten halber, nein, wir hätten reiches Material zur Verfügung, um den Tatbestand der Anklage zu erschüttern, genug Rechtsgründe, um ihren Geist niederzuzwingen. Wir wollten argumentieren, nicht demonstrieren. So zogen wir denn aus zur Hermannsschlacht: – zwei Angeklagte, vier Advokaten. Max Alsberg, Alfred Apfel, Rudolf Olden, Kurt Rosenfeld, vier Juristenköpfe, die eine schwer berechenbare Summe von Qualität verkörpern. Als wir am 23. November, nachmittags 13 Uhr 30 aus dem Gerichtssaale kamen, da wußten wirs: der Angriff der Jurisprudenz auf den IV. Strafsenat war siegreich abgeschlagen. Und als wir etwas verdattert über den scheußlichen steinernen Korridor gingen, da trafen wir im [805] muntern Plaudern mit unserm Ankläger einen leicht ergrauten, frisch aussehenden Herrn von untersetzter Statur, der sich, nach seiner frohen Miene zu schließen, in bestem Einklang mit Gott und der Justiz zu befinden schien. Das war jener Prokurator des Reichs, der das Dezernat für Hochverrat und Spionage innehat. Das war Herr Jorns.

Anderthalb Jahre Freiheitsstrafe? Es ist nicht so schlimm, denn es ist mit der Freiheit in Deutschland nicht weit her. Mählich verblassen die Unterschiede zwischen Eingesperrten und Nichteingesperrten. Jeder Publizist, der in bewegter Zeit seinem Gewissen folgt, weiß, daß er gefährdet lebt. Die beste politische Publizistik wurde stets heimlich in Dunkelkammern geschrieben, nächtlich an Mauern geklebt, während Denunzianten durch die Straßen schlichen und auf den großen Plätzen die Soldaten in Karrees standen. Wer, wie der Schriftsteller, an die immaterielle Kraft des in die Welt hinausgeschleuderten Wortes glaubt, der wird also nicht jammern, wenn dieses, Körper geworden, als Gummiknüppel oder Stahlmantel oder Gefängnishaft wieder auf ihn zurückprallt.

Gewiß, die Zeiten sind bewegt, aber die Justiz ist es gar nicht. Die politische Justiz namentlich trottet hinter der Zeit her, so weit sie nicht mit kühnem Sprung über die Gegenwart sich mit den Machthabern von morgen gut zu stehen sucht. Hoher Senat, Herr Vorsitzender –! Wenn das vor Jahr und Tag in Deutschland ausgegebene Schlagwort von der Justizkrise nicht verstummen will, so liegt die Verantwortung dafür vornehmlich bei Ihnen, meine Herren Reichsgerichtsräte! Justizkrise, damit will niemand das Amtsgericht von Kuhschnappel anprangern, das sich redlich mit seinen Aktenstößen herumquält, auch nicht das Kammergericht zu Berlin, von dem kaum jemand spricht und gegen das keine Broschüren geschrieben werden. Justizkrise, die findet ihre Verkörperung in der leipziger Reichsanwaltschaft und in dem politischen Gerichtshof, im IV. Strafsenat. Dort ist jene unselige Staatsraison entstanden, die alle Gefahr ausschließlich links sucht, die jeden roten Funktionär mit Zuchthaus bedroht, die den literarischen Hochverrat erfunden hat und ihn bis auf Kolporteure und Setzerjungen ausdehnt. Dort hat die Reaktion, als Rechtsprechung der Republik maskiert, ihr Hauptquartier aufgetan. Wenn heute die Kommunisten der demokratischen Republik in so erbitterter Feindschaft gegenüberstehen, daß ihnen der offene Fascismus manchmal passabler scheint als der Staat der Weimarer Verfassung, so ist das nicht allein parteipolitische Verwirrung, so ist das zu einem großen und schlimmen Teil Ihr Werk, meine Herren Reichsrichter! Ihr Senat ist der Staatsgerichtshof der Republik, aber Ihre Tätigkeit hat sich im ganzen darauf beschränkt, dem Reichswehrministerium gelegentliche Unannehmlichkeiten zu ersparen; was Sie sonst zur Rettung von Sicherheit und Ordnung unternommen haben, Gott verzeih es Ihnen!

Vor diesem Tribunal hatten wir uns also zu verantworten. Der Reichsanwalt ist kein Torquemada sondern ein höflicher jüngerer Herr, der angenehmerweise nicht emphatisch wird und seine schwerkalibrigsten Argumente so leger vorträgt wie [806] eine Einladung ins Café Felsche. (Ich hoffe, damit die Schweigepflicht nicht zu verletzen.) Der Ankläger bleibt übrigens durchweg sehr reserviert. Seine Rolle übernimmt, wie so oft bei deutschen Gerichten, der Herr Präsident. Nichts gegen Herrn Baumgarten! Er besitzt vollendete Manieren, er hat eine sehr cavalière Art, die unvermeidlichen Zwischenfälle zu behandeln. Aber sehr bald merken wir, daß wir bei diesem so liebenswürdigen Herrn recht arg ins Hintertreffen kommen. Er holt, zum Beispiel, zu meiner Kennzeichnung das lange durch Amnestie getilgte Urteil des Femeprozesses von 1927 heraus. Ein politischer Tendenzprozeß, der in erster Instanz mit einer Gefängnisstrafe endete, die in der Berufung in Geldstrafe umgewandelt wurde. Jetzt erfahren wir auf Grund eines höchstgerichtlichen Entscheides, daß auch Amnestie keinen Strich unter Vergangenes bedeutet. Jetzt werden die Konklusionen eines offensichtlich nationalistisch und militaristisch denkenden Richters verlesen, aus denen sich ergeben muß, daß ich mit der Ehre von Offizieren höchst leichtfertig umgehe. So kehrt ein in einem politischen Prozeß ausgesprochenes Urteil in ganz andrer Zeit und unter andern Voraussetzungen wieder. Eigentlich existiert es nicht mehr, weil die Epoche, in der es gefällt wurde, vorüber ist, weil alle politischen Strafen an bestimmte Zeitläufte und Entwicklungsphasen gebunden sind. So dachten wir bisher, aber das gilt nicht beim Reichsgericht.

Mit einigem Schrecken denke ich daran, wie es in der gefährlich höflichen Luft dieses Gerichtshofes wohl einem unbeholfenen Proletarier ergehen mag, der so viel Verbindlichkeit gegenüber doch den Haß, der ihm auf der Zunge brennt, nicht bändigen kann, und in dessen Herzen trotzdem eine kleine Hoffnung auf Gerechtigkeit zitternd atmet. Wir haben ihm gegenüber den Vorzug der Illusionslosigkeit. Wir haben Distanz. Wir regen uns ebenso wenig auf wie die Herren jenseits des grünen Tuchs. Hier werden verschiedene Sprachen gesprochen, hier hilft kein Toussaint-Langenscheidt, kein Esperanto. Hier gilt, was Rudyard Kipling von Europa und Asien dichtete: „Osten ist Osten und Westen Westen, und niemals werden sie sich treffen.“

Neben mir sitzt mein Mitangeklagter Kreiser. Ich sehe sein gutes gebräuntes Schwabengesicht; ein prachtvoller Kerl, mit dem man Pferde stehlen kann, aber keine militärischen Geheimnisse. Von dem würde man in jeder andern Umgebung wissen, daß er sein innerstes Wesen in den offen blickenden Augen trägt, während er hier in grotesker Transfiguration ein ertappter Spion, Mitglied einer höchst ehrenrührigen Branche wird. Wie unwirklich ist überhaupt dies Ganze! Der große Saal mit zwei Emporen liegt leer da und verdämmert langsam. Die paar Mitspieler sitzen vorn zusammengedrängt, die Stimmen verhallen hohl im Riesenraum. Unheimlich, so ein Theater ohne Publikum. Durch die hohen bunten Glasscheiben, die mit allegorischen Damen mehr als besetzt sind, fällt mit dem sinkenden Tag ein grünliches Licht und liegt wie Patina auf den roten Talaren. Das ist die Grundfarbe von Hoffmanns Erzählungen. Da dringt plötzlich lautes Kinderlachen in den Spuk. Draußen, nur durch etwas Stein und Glas von [807] uns getrennt, spielen Kinder und tanzen juchzend über die breite Auffahrtrampe. Es gibt also doch noch etwas andres. Es hat nur ein Stümper an der Zeitmaschine hantiert und uns in spaßhafter Anwandlung in ein Stück aus der Aera Metternich oder dem Sozialistengesetz hineingeworfen. Gleich wird ein verständiger Mensch kommen und die Geschichte wieder regulieren. Denn ein paar Schritte weiter lachen Kinder, rasseln Autos vorüber. Dort draußen ist 1931.

Kehren wir also in dieses deutsche Jubeljahr zurück, in dem man zwei Schriftsteller wegen Verrates militärischer Geheimnisse verurteilt, weil sie vor zweieinhalb Jahren auf ein paar kostspielige budgetäre Kunststücke hingewiesen haben, die zu Lasten des auch damals schon genug geplagten deutschen Steuerzahlers gefingert worden sind. Ausspionieren kann man nur ein Geheimnis, nur etwas Verborgenes, und hier war höchstens etwas öffentlich Unbekanntes. Hier ruhte die Sensation, die wir verbrecherischerweise an fremde Regierungen gelangen ließen, schon ein Jahr in einer Reichstagsdrucksache. Das große Geheimnis war auf den Flugplätzen Deutschlands – und also auch des Auslands – wohlbekannt. Im Frühjahr 1929 lebten wir noch unter den Nachwehen des Lohmannskandals, und bald darauf brach im Reichstag das Unwetter über den Luftfahrtetat des Herrn Ministerialdirigenten Brandenburg herein. Eine ungewöhnliche Etatskürzung war die Folge. In dieser Zeit ist der Artikel Kreisers geschrieben worden. Er wandte sich gegen die düstere Betriebsamkeit kommerziell begabter Offiziere, die Millionen von Reichsmitteln in hoffnungslose Unternehmungen gesteckt hatten. In den Zeiten der verblichenen Schwarzen Reichswehr wurden militärische Institutionen zivil getarnt. Daran zu tippen, war Landesverrat, bis schließlich das große Unglück von Küstrin passierte, Herr Geßler seine heimlichen Heerscharen öffentlich als „nationalbolschewistische Haufen“ denunzieren mußte und seine legalen Bataillone gegen seine illegalen vorschickte. In der Aera Lohmann lagen die Dinge umgekehrt. Damals wurden höchst zivile, höchst merkantile Unternehmungen militärisch getarnt, und als vaterländische Heiligtümer erklärt, weil darin erwerbstüchtige Offiziere ihr Wesen trieben.

Man darf sich von Prozessen dieser Art, so infamierend die Anklage auch sein mag, nicht bluffen lassen. Das Ausland ist, wie jeder Kundige weiß und jeder Unkundige durch Zeitungsstudium erfahren kann, bestens unterrichtet, und zwar nicht aus der deutschen Presse, die sich musterhaft diskret verhält, sondern durchweg aus dem Geschwätz von intim Beteiligten, die das Maul nicht halten können. Auch unsre chauvinistische und militärfromme Presse packt oft in renommistischer Laune die tollsten Dinge aus, ohne daß es der Reichsanwaltschaft einfiele, hier ein Wort der Ordnung zu sprechen. Es ist überhaupt die Frage, welchem Zweck diese Landesverratsprozesse dienen: sollen sie das Wissen des Auslandes oder das des Inlandes verhindern? In all den Jahren, wo um solche und ähnliche Dinge gestritten worden ist, [808] hat es sich gezeigt, daß bestimmte Stellen in der Reichswehr die Neugier des deutschen Steuerzahlers mindestens in gleichem Maße fürchten wie den Geheimdienst des französischen oder englischen Generalstabs. Der Feind, vor dem etwas versteckt werden soll, sitzt meistens nicht in Paris oder Genf sondern im Haushaltsauschuß des Deutschen Reichstags.

Es fehlt in Deutschland sehr an jener Budgetredlichkeit, die das englische Regierungssystem auszeichnet. Es fehlt der Sinn für demokratische Kontrolle, für die unbedingte Hochachtung vor dem aus Steuergroschen zusammengeflossenen Staatsgeld. Begreift man nicht heute nach dem Zusammenbruch der deutschen Finanzen, daß es nicht nur politisch richtig war sondern auch von moralischer Gewissenhaftigkeit zeugte, schon im März 1929 auf fehlgeleitete, schlecht angewandte Subventionen zu verweisen? Wo mit Reichsmitteln heimliche Gründungen stattgefunden haben, die sich der Beaufsichtigung entziehen, da muß eine Sphäre von Korruption entstehen, in die hineinzuleuchten nicht Landesverrat, nicht Spionage bedeutet sondern Verdienst um die Öffentlichkeit.

Es steht in unserm Falle nicht zur Debatte, ob es im wohlverstandenen Interesse der Allgemeinheit liegt, auch wirklich vorhandene militärische Rüstungen, die den Friedensverträgen widersprechen, offen aufzudecken, weil eine vernünftige Gesamtpolitik durch eine geldfressende und in der Praxis nutzlose Soldatenspielerei immer wieder durchkreuzt wird. Das steht hier, wie gesagt, nicht zur Debatte. Hier handelt es sich nur um die Frage, ob der Ressortpatriotismus des Reichswehrministeriums zum nationalen Schibboleth werden soll. Wir haben nur ein kleines Heer aber einen großen Militarismus. Wir sind allzu sehr gewohnt, uns vor Generalen zu ducken, die mit der Faust auf den Tisch schlagen. Über die Stellung der Militärs im demokratisch-republikanischen Staat hat Georges Clemenceau, der letzte große Jakobiner Frankreichs, in seiner Verteidigungsrede für Emile Zola Endgültiges gesagt: „Das Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft ist das Recht, die Freiheit, die Gerechtigkeit. Das Prinzip der militärischen Gesellschaft ist die Disziplin, der Befehl, der Gehorsam ... Die Soldaten haben nur Daseinsberechtigung, weil sie das Prinzip verteidigen, das die bürgerliche Gesellschaft darstellt.“ Diese Grundsätze, die nach Auffassung deutscher Offiziere gewiß an Hochverrat grenzen, hat Clemenceau in Frankreich zur Anwendung gebracht, mit ihnen hat er den Krieg gewonnen.

Immer wieder ist in diesen Tagen von deutschen und ausländischen Blättern gefragt worden, wie es denn möglich gewesen sei, daß die Reichsregierung diesen Prozeß überhaupt stattfinden lassen konnte. Nicht der Artikel Kreisers ist dem Wohle des Reichs abträglich gewesen, sondern dieser leipziger Prozeß und sein Ausgang. Wenn im Dritten Reich erst einmal nach der Plattform von Boxheim regiert werden wird, dann werden Verräter wie Kreiser und ich ohne Aufhebens füsiliert. Wir sind noch nicht ins SA.-Paradies eingegangen, wir wahren noch das Dekorum des Rechtsverfahrens, wenn auch nicht völlig seinen Geist. Da man in Leipzig gegen uns hinter verschlossenen Türen verhandelt hat, wäre es nur konsequent [809] gewesen, nicht nur die Urteilsbegründung, sondern auch den Urteilsspruch selbst geheimzuhalten, damit nichts davon in die Welt dringe. So aber steht die deutsche Außenpolitik jetzt, kurz vor der Eröffnung der Abrüstungskonferenz, vor arger Schädigung und lästigem Verdacht. Und was selbst im Lande verhindert werden sollte, die öffentliche Erörterung, sie ist da. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat soeben die folgende Interpellation eingebracht. Sie ist in vielen Blättern abgedruckt worden:

„Am 23. November 1931 hat das Reichsgericht zwei Schriftsteller wegen Verbrechens gegen § 1 Absatz 2 des Gesetzes über Verrat militärischer Geheimnisse zu je 1 Jahr 6 Monaten Gefängnis verurteilt.

Dem Verfahren, das zu dieser Verurteilung geführt hat, liegt ein Aufsatz mit der Überschrift „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“ zugrunde, der in Nummer 11 der Zeitschrift ,Die Weltbühne‘ vom 12. März 1929 erschienen war. In diesem Aufsatz sind keine Geheimnisse enthalten, sondern nur Dinge erwähnt worden, die entweder in einer breitern Öffentlichkeit bekannt oder sogar im Protokoll der 312. Sitzung des Ausschusses für den Reichshaushalt vom 3. Februar 1928 gedruckt zu lesen waren. Nicht nur in dem Prozeß, der zu der Verurteilung der beiden Angeklagten geführt hat, sondern auch für die Verkündung der Urteilsbegründung war die Öffentlichkeit ausgeschlossen, da angeblich eine Gefährdung der Staatssicherheit zu besorgen war. Darüber hinaus hat der zuständige Senat des Reichsgerichts es für notwendig gehalten, allen Beteiligten unbedingte Schweigepflicht über alle während des Prozesses zu ihrer Kenntnis gelangenden Umstände aufzuerlegen.

Wir fragen die Reichsregierung:

1. Ist sie bereit, über die nähern Umstände, die zur Einleitung des Verfahrens geführt haben, Auskunft zu geben und insbesondere darüber, weshalb der Prozeß erst zweieinhalb Jahre nach dem Erscheinen des betreffenden Artikels stattgefunden hat?

2. Ist es wahr, daß die Bearbeitung der Anklage in diesem Prozeß in dem Referat des Reichsanwalts Jorns erfolgt ist?

3. Ist die Reichsregierung bereit, die Urteilsbegründung bekanntzugeben?

4. Hält die Reichsregierung ein Geheimverfahren, wie es bei diesem Prozeß vom Reichsgericht geübt wurde, für geeignet, das Vertrauen des deutschen Volkes in die deutsche Rechtsprechung zu stärken?

5. Ist die Reichsregierung der Meinung, daß durch die Art, in der der Prozeß vor dem Reichsgericht geführt worden ist, im Ausland nicht viel falschere Auffassungen wegen angeblicher deutscher Geheimrüstungen entstehen können, als sie vor der Durchführung des Prozesses bestanden haben? Ist dies vielleicht die Meinung des Auswärtigen Amtes gewesen? War die Verzögerung des Prozesses darauf zurückzuführen, daß das Auswärtige Amt aus außenpolitischen Gründen die Durchführung des Verfahrens für falsch hielt?

[810] 6. Ist die Reichsregierung bereit, alle Schritte zu tun, um die Vollstreckung dieses Urteils des Reichsgerichts zu verhindern?“

Die sozialistische Interpellation präzisiert die Fragen durchaus richtig. Findet das Weltbühnen-Urteil Nachfolge, so wird der Rest der Pressefreiheit in Deutschland der schnellen Vernichtung ausgesetzt sein. Wenn die Prüfung eines dunklen Etatpostens als zuchthauswürdiges Verbrechen bewertet werden kann, dann ist die akute Gefahr vorhanden, daß jede kritische Äußerung und daß schließlich auch das gesamte Nachrichtenwesen unter die Tyrannei des Spionageparagraphen gerät. Diese sehr gefährliche Möglichkeit hat unser Prozeß deutlich aufgezeigt.

Er bietet aber auch einen hellern Aspekt. Seit Jahren hat sich die Judikatur des IV. Strafsenats auf die Parteigänger des Linksradikalismus beschränkt, gelegentlich wurden zur Belebung des gleichförmigen Bildes auch ein paar Pazifisten hinzugezogen. Die Protestbewegung arbeitete ausschließlich links von der Sozialdemokratie, von einigen Außenseitern abgesehen. Der Protest ist ebenso Parteisache geworden, wie es die Pflicht jedes Kommunisten ist, mutig in sein Schicksal zu gehen. Der Weltbühnen-Prozeß deutet auf eine hoffnungsvolle Erweiterung der Arbeitsphäre des Reichsgerichts hin. Die Öffentlichkeit ist aufgescheucht, die Blicke richten sich wieder nach Leipzig. Es wächst die Erkenntnis für das vom Reichsgericht in langen Jahren angestellte Unglück. Ich spreche den heißen Wunsch aus, daß die Empörung, die unser Prozeß verursacht hat, auch den frühern Opfern der leipziger reichsgerichtlichen Justiz zugute kommen möge, daß sie sich vor allem den proletarischen Opfern zuwenden möge, die unbeachtet in den Gefängnissen verschwunden sind, daß eine Volksbewegung daraus wachse, die dieser politisierten Justiz, die mit Politik noch weniger zu tun hat als mit Justiz, endlich den Abschied gebe. So schön und ehrenvoll die Sympathiekundgebungen für Kreiser und mich sind, sie dürfen nicht in der individuellen Sphäre bleiben. Die Protestationen müssen in den Bereich des politischen Kampfes gegen die machtvoll organisierte Konterrevolution getragen werden.

Wir stehen an einem schicksalsvollen Wendepunkt. In absehbarer Zeit schon kann der offene Fascismus ans Ruder kommen. Dabei ist ganz gleichgültig, ob er sich seinen Weg mit sozusagen legalen Mitteln freimacht oder mit solchen, wie sie der Henkerphantasie eines hessischen Gerichtsassessors entstiegen sind. Das Wahrscheinliche dürfte eine Zusammenfassung von beiden Methoden sein: eine Regierung, die beide Augen zudrückt, während die Straße der Hooligan- und Halsabschneiderarmee der SA.-Kommandeure ausgeliefert bleibt, die jede Opposition als „Kommune“ blutig unterdrücken. Noch ist die Möglichkeit der Zusammenfassung aller anti-fascistischen Kräfte vorhanden. Noch! Republikaner, Sozialisten und[1] Kommunisten, in den großen Parteien Organisierte und Versprengte – lange werdet ihr nicht mehr die Chance haben, eure Entschlüsse in Freiheit zu fassen und [811] nicht vor der Spitze der Bajonette! Die Zeit der isolierten Aktionen geht zu Ende, der Bürgerkrieg der Sozialisten wird seinen eifrigsten Kombattanten plötzlich fragwürdig. In diesen ganz großen Dingen spielt der Weltbühnen-Prozeß nur eine bescheidene Rolle, aber die Bewegung, die er im Gefolge hat, gibt doch wieder eine ferne Vision von der Macht kameradschaftlichen Abwehrwillens, der sich nicht nur schützend vor einzelne Personen stellt, sondern eine Sache groß auf die Fahne schreibt. Wir wollen mit dem starken Wort von der Roten Einheitsfront keinen vorschnellen, die natürliche Entwicklung schädigenden Unfug treiben. Es ist noch lange nicht so weit, noch sind die Hemmnisse zu groß. Noch kämpft die deutsche Arbeiterschaft gegen Wind und Sonne. Aber es ist heute die beglückende Tatsache zu verzeichnen, daß der Sinn für das wieder wächst, was der größte deutsche Freiheitsdichter etwas zu pathetisch aber doch mit einem Feuer ausgedrückt hat, das auch in unsrer härter und sachlicher gewordenen Zeit noch brennt: „Es ist ein Feind, vor dem wir alle zittern, und eine Freiheit macht uns alle frei!“

Anmerkungen (Wikisource)

Das Schlusszitat aus dem Wilhelm Tell von Schiller.

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