Der Wallensteinstag in Stralsund am 24. Juli
Wer in der Richtung von Berlin in mondheller Nacht nach Stralsund kommt, erfreut sich sogleich des schönsten Blickes auf die alte stattliche Hansastadt am Strelasunde. Wenn der Zug das Fort auf dem Paschenberge erreicht hat und in den Bahnhof einbiegt, so breitet sich vor den überraschten Blicken des Ankommenden die weite, mondbeglänzte und schilfumrauschte Fläche des Frankenteiches auf. Dahinter erhebt sich die Ehrfurcht gebietende, wuchtige Masse der Marienkirche, und aus der Häusermenge strecken die übrigen Kirchen, vor allen die Nicolaikirche, ihre gewaltigen Thürme gen Himmel.
Die Fläche, auf welcher Stralsund liegt, ist ein fast gleichseitiges Dreieck, dessen drei Seiten von dem Frankenteiche, dem Knieperteiche und dem schmalen Meeresarme gebildet werden, der Rügen von Pommern trennt; nur durch drei Dämme – zur Zeit der Wallenstein’schen Belagerung ware es fünf – ist die Stadt zugänglich. Von allen Seiten hat man lohnende Blicke auf die interessante alte Stadt, besonders auch von der Seeseite. Wenn man im leichten Segelboote oder auf der Dampffähre von dem gegenüber liegenden Rügensche Orte Alte Fähre herüberkommt, so sieht man in ganzer Breite neben der dem Patrone der Schiffer, dem heiligen Nicolaus (Sünteklas) geweihten Kirche das stattliche Rathhaus mit seiner luftigen, durch sieben gothische Thürmchen verzierte Façade. Weit über die Insel Hiddensee hinaus in’s offene Meer sind die Thürme von Stralsund dem Schiffe eine sicher führende Landmarke. Vor Jahrhunderten als noch die Marienkirche die alte stilgerechte, bis zur Höhe von dreihundertfünfundsechszig Fuß aufragende Steinpyramide statt des jetzigen verschnürten Thurmes auf ihrem stattliche Octogone trug, war ihre Spitze meilenweit draußen in See und Land sichtbar. Außer dem Hauptthurme und dem Vierungsthurme zählte man damals noch zehn andere, im Ganzen zwölf, und zweiundfünfzig Fenster in dem gewaltigen dreischiffigen Gotteshause, das jetzt durch die von dem kunstsinnigen König Friedrich Wilhelm dem Vierten gestifteten gemalten Fenster einen besonderen Schmuck erhalten hat.
Doch nicht von Stralsunds herrlichen Backsteinbauten, durch die es sich den andern baltischen Hansastädte würdig anreiht, [515] wollte ich den Lesern der „Gartenlaube“ erzählen, sondern von der Heldenzeit Stralsunds und seinem Wallensteinstage.
Es giebt wenige Orte im deutschen Reiche, die recht lebendige Erinnerungen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges bewahrt haben, und fast nirgends sind diese Erinnerungen freudiger Art. An vielen Orten, die der Kriegsfurie besonders zu gedenken hätten, ist Niemand übrig geblieben, der die Erinnerung hätte überliefern können. Um so wohlthuender ist es, einen Ort zu finden, an welchem ein frohes Gedenken jener blutigen Tage mit berechtigtem Stolze durch zweihundertundfünfzig Jahre von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt ist und noch jetzt mit beharrlicher Treue gepflegt wird. Das geschieht in Stralsund am 24. Juli zum frohen Gedächtniß des Tages, an welchem im Jahre 1628 das Friedländische Heer die Belagerung aufhob, um in fluchtgleicher Eile abzuziehen.
Die Belagerung der Stadt bietet ein treues, wenig erfreuliches Bild der traurigen Zustände des armen Vaterlandes zur Zeit des unglückseligen Dreißigjährigen Krieges. Der Kaiser war vertreten durch den selbstsüchtigen Herzog von Friedland, der mit begehrlichem Auge nach Pommern blickte und Herzog Bogislav den Vierzehnten gern verjagt und sein Land dem ihm verliehenen Herzogthum Mecklenburg zu besserer Abrundung hinzugefügt hätte. Stralsund aber begehrte er als Schlüssel zu dem baltischen Meere, zu dessen Admiral er bestellt war. Der „Hansische Wecker“, eine Flugschrift vom Jahre 1628, faßt die Lage der Dinge richtig auf, indem er warnend nachweist, „das alles Päbstlich-Spanisch, mit nichten aber Kays. Majest. Werck, sondern deren Namen nur zum Deckmantel und deroselben eigenen Nachtheil mißbraucht werde“. Auf der andern Seite ging Stralsund zunächst in den Kampf für Erhaltung eines alten verbrieften Privilegiums; es lehnte die Aufnahme der kaiserlichen Einquartierung ab, deren ganze Last nur der Bauer und die offenen Orte zu tragen hatten, während feste Städte, Adel und Geistlichkeit frei waren. Um so kräftiger wehrte sich die Stadt, weil sie wußte, was die Einquartierung, mit welcher das arme Pommern im Jahre 1627 heimgesucht wurde, zu bedeuten hatte. In einem der Lieder aus jenen Tagen heißt es:
„Drum Teutschland thu die Augen auf,
Merck, was dies Wallensteinisch Hauf
In seinem Schilde führen.
Wo du die Lenge wirst zusehn,
So wird dirs an die Gurgel gehn,
Der große Schlag dich rühren.“
Mitten in dem Kampfe der Stadt mit dem Friedländer tauchte aber auch der alte Hader zwischen den Geschlechtern und den Zünften im Innern auf; der Herzog Bogislav suchte seine Rechte in der freien Hansastadt zu mehren, wozu ihn Wallenstein mit diplomatischer List nur noch mehr reizte, und endlich zogen durch Stralsunds Wasserthore Dänen und Schweden auf den Schauplatz des Krieges um eine deutsche Sache, wie der Kaiser als Bundesgenosse der Spanier des Papstes Vorkämpfer war.
Aus diesen Wirrnissen ist es zu erklären, daß während der Jahre 1627 und 1628 die diplomatischen Verhandlungen fast ebenso lebhaft geführt wurden, wie die kriegerischen Actionen. Tractate wurden entworfen; Gesandte gingen hin und her zwischen dem Friedländischen Hauptquartiere und der Stadt; herzoglich pommersche und kurbrandenburgische Vermittler, letztere durchs die Erb-Aussichten auf Pommern bewogen, suchten den Streit gütlich auszutragen. Der Protonotar von Stralsund, Johannes Vahl, wurde unmittelbar an das kaiserliche Hoflager gesandt und erwirkte dort einen der Stadt günstigen, aber von Wallenstein nicht respectirten Bescheid. Mit der Hansa, mit Dänemark und Schweden, endlich auch mit den Generalstaaten von Holland wurde verhandelt. Geld wurde nicht gespart; am 22. Februar quittirte Wallenstein’s Obrister von Arnim über eine Abschlagszahlung von dreißigtausend Thalern auf die zur Abwendung der Einquartierung angebotene Summe. Am vierten Februar 1628 besetzte Arnim den Dänholm (wendisch „Strela“ genannt, woher Sund und Stadt den Namen bekommen haben), eine damals noch unbefestigte Insel, welche ihren Besitzer zum Herrn des Hafens von Stralsund macht. Das war der Anfang der Feindseligkeiten. Bald darauf wurde Stralsund in weitem Kreise von den Kaiserlichen eingeschlossen, die alle Zufuhr von der Landseite abschnitten.
Die erste Niederlage erlitten die kaiserlichen Waffen bei dem Dänholm. Ehe noch die Arnim’sche Besatzung Schanzzeug und Geschütz erlangen konnte, legten sich Stralsunder Schaluppen und Boote an die Insel und hinderten jede Verbindung mit der in kaiserlicher Gewalt befindlichen Insel Rügen und mit dem Festlande. Die Folge war, daß die Besatzung sich am 5. April durch Hunger zur Capitulation genöthigt sah. Der Freiherr von Schellendorf wurde mit seinen Leuten nach Rügen transportirt, und die Stadtsoldaten besetzten und verschanzten den Dänholm. Nun rückte Arnim mit seiner Armee, die der Herzog von Pommern und sein Land erhalten mußten, der Stadt näher, ihre zahlreichen weltlichen und geistlichen Güter in Pommern und auf Rügen furchtbar verheerend.
Schiffer und Freiwillige, welche sich erboten, die kaiserlichen Schanzen bei Brandshagen zu zerstören, wurden vom Rathe zurückgewiesen, der auch jetzt noch „alle Offension vermeiden wollte“.
Die Bürgerschaft dachte anders. Unaufgefordert trat sie wiederholt in ihren Quartieren zusammen, und durch ihre Sprecher, Johann Jusquinus von Gosen, Laurentius Rostock und Andere, drängte sie den Rath, dessen Majorität zu Verträgen und Opfern sehr geneigt war, zu entscheidender That, und die nicht geringe Minorität des Rathes folgte willig solchem Drängen. An der Spitze dieser Partei stand der Bürgermeister Steinwich, ein Mann, gleich groß im Rathen wie im Handeln. Er war die Seele des Widerstandes; sein erfinderischer Geist wußte immer neue Hülfsquellen zu eröffnen, und es ist befremdend, daß kein Ehrenmal in Stralsund an diesen großen und hochverdienten Bürger erinnert.
Auf das Drängen der Gemeinde und gegen den Wunsch des Rathes wurden der Stadt Scheunen und die Häuser vor dem Frankenthore eingeäschert, damit sie nicht dem Feinde Deckung gewährten. Kloster und Kirche zu Sanct Jürgen vor dem Knieperthore wurden abgebrochen. Noch jetzt heißt das in eine Versorgungsanstalt umgewandelte Kloster, obgleich mitten in der Stadt gelegen, zur Erinnerung an seine alte Stelle „Sanct Jürgen am Strande“.
Immer heftiger wurde das Andrängen der Arnim’schen Schaaren, allein die Stadthauptleute Volckmann und Chemnitz hielten mit den Stadtsoldaten und den unermüdlichen Bürgern gute Wacht und jagten die Stürmenden mit blutigen Köpfen zurück. Hülfe kam noch im Mai von Dänemark, deutsche und schottische Söldner unter dem Obristen Holk; später kam Proviant und Munition aus Schweden und aus Lübeck; endlich, nachdem ein Vertrag mit der Krone Schweden geschlossen war, welcher dem Kaiser und dem Reiche ausdrücklich alle Rechte wahrte, kamen auch schwedische Hülfstruppen.
Dabei mußte natürlich strenge Mannszucht gehalten werden, wenn die Stadt nicht von den Freunden ebenso Uebles erleiden sollte, wie von den Feinden. Ein Kriegsrath, der aus Mitgliedern des Rathes und der Bürgerschaft und aus fremden Officieren bestand und dem für eilige Sachen dictatorische Gewalt zustand, während er sonst an die Genehmigung des Rathes gebunden war, leitete die Vertheidigung. Die Seele dieses Kriegsrathes waren Volckmann, Jusquinus und Steinwich. Strenge Kriegsartikel wurden erlassen, die Meuterei, Gotteslästerung, Feigheit und Verrath mit harten Strafen an Ehre, Finger, Leib und Leben bedrohten. In der Trunkenheit begangene Verbrechen wurden um so härter bestraft.
In blutigen Kämpfen erwehrte sich die Stadt der andrängenden Kaiserlichen. Besonders am Knieper- und am Frankenthore unternahmen die Belagerer im Juni Sturm auf Sturm. So groß ihre Verluste dabei auch waren, an beiden Orten gewannen sie Terrain.
Endlich, am 26. Juni, da Alles so weit gefördert schien, daß nur noch die letzten Streiche auf die bedrängte Stadt geführt zu werden brauchten, kam Wallenstein selbst im Lager vor Stralsund an und machte seine Drohung wahr, drei Tage und drei Nächte stürmen zu lassen. Tapfer widerstanden die Stralsunder; dennoch schien das Loos der unglücklichen Stadt besiegelt zu sein. In der höchsten Noth wurden auch einmal Boten an Gustav Adolf gesendet, um weitere Hülfe zu erbitten, zugleich aber beschloß man, einen letzten Versuch zu machen, um von dem Friedländer erträgliche Bedingungen zu erlangen. Am 30. Juni ging eine Deputation aus der Stadt in’s Hainholz, das Hauptquartier Wallenstein’s, und wurde von ihm unerwartet gnädig [516] aufgenommen. Er stellte Bedingungen, über die sich verhandeln ließ, und beruhigte die Deputirten sogar, sie möchten nicht denken, daß er als Katholik Ketzern keine Treue halten zu müssen glaube.
Die Sage hat die drohende Aeußerung: „Ich will Stralsund erobern, und wäre es mit Ketten an den Himmel geschlossen“, in diese Besprechung verlegt, die nach einer anderen Mittheilung folgenden lakonischen Verlauf gehabt haben sollte: Auf Wallenstein’s Forderung, Geld zu schaffen, hätten die Deputirten geantwortet: „Dat hebben wi nich,“ auf die Zumuthung, einer kaiserlichen Besatzung die Thore zu öffnen: „Dat do wi nich,“ und auf die dann folgenden fürstlichen Schmähungen: „Dat sünd wi nich.“
Die Verhandlungen wurden an den folgenden Tagen fortgesetzt, aber wiederum war die Bürgerschaft vorsichtiger und zäher als der Rath, dessen Majorität die friedländischen Bedingungen gern angenommen hätte, und der den zum Widerstande drängenden Officieren und Bürgern antwortete: „Brod, Geld, Pulver regnet nicht vom Himmel.“ Dänische Hülfsvölker in der Stärke von vierhundert Mann kamen zu gelegener Zeit; ein starker und anhaltender Regen überschwemmte das Zeltlager im Hainholze, die Feinde standen in den eroberten Schanzen bis an den Leib im Wasser und riefen überlaut, den Regen hätten die ketzerischen Pfaffen heruntergebetet. Dazu kam, daß Wallenstein’s Heer furchtbar geschwächt war, daß Tilly und die Häupter der Ligue ihm die erbetenen Hülfsvölker neidisch versagten und daß sich eine dänische Flotte bei Rügen zeigte. Das alles vermochte Wallenstein, als die Stadt nicht capituliren wollte, den Weg der Verhandlung von Neuem zu betreten, aber nicht mit dem Rathe von Stralsund, sondern arglistiger Weise mit Herzog Bogislav, der schwach genug war, sein ganzes Herzogthum dafür zum Pfande zu setzen, daß die Stadt Stralsund die von Wallenstein gestellten Bedingungen erfüllen werde. Am 15. Juli verließ er die Belagerungsarmee, begab sich nach Güstrow und schrieb an Arnim: „Bitte, der Herr disponire auf solche Weise mit ihnen, auf daß wir mit Ehren bestehen und bald abziehen können.“
Des fremden Zuzuges wurde von nun an den Stralsundern fast zu viel, doch wurden dadurch glückliche Ausfälle möglich, die unter den entmuthigten Feinden furchtbar aufräumten. Arnim’s letzte Unternehmungen dienten nur dazu, den beabsichtigten Abzug zu verhüllen, und am 24. Juli zog er endlich die letzten Truppen und Geschütze zurück.
Ein Akrostichon aus jenen Tagen auf die Worte: „Obrister Arnheim, ein Narr, hinket schandlich von Stralsund,“ in welchem der Gang der Belagerung kurz dargestellt ist, schließt mit den Worten:
„Stralsund Adieu, dich Gott bewahr’!
Das wünsch’ ich dir von Herzen,
Wiewohl du mich in Leib’s Gefahr
Abtreiben thust mit Schmerzen.
Nun jubilir und triumphir,
Der lieb’ Gott woll’ dein walten;
Arnheimb zu Trutz und dir zu Nutz
Hast du den Sieg behalten.“
Dem Friedländer, dem Admiral ohne Schiffe, sang das Volk nach:
„Vor Stralsund dich der Strahl gerührt;
Hat dich der Schieff’r uff die See g’führt,
Der Strahl hat dich nit troffen.
Ist dir am Galgen b’schert dein End’,
Weil dich die See noch gar nicht kent,
So bistu unversoffen.“
Nicht minder scharf traf der kraftbewußten Bürger Spott nach glücklich errungenem Siege die Wallensteinische Soldatesca, namentlich die prahlerischen „Hautmacher“, die durch allerlei Spuk sich für hieb- und kugelfest hielten.
Ein schweres Schicksal ereilte zu allerletzt noch die siegreiche Stadt. Als des Kampfes Hitze am höchsten stieg, verließen etwa fünfhundert Frauen und Jungfrauen die Stadt und suchten Zuflucht in Schweden, dem Asyl aller derer, die um des Glaubens willen verfolgt wurden. Nach aufgehobener Belagerung wollten dreihundert von ihnen zurückkehren, allein, weil das Schiff nicht recht beballastet war, warf es der Wind um, und alle gingen elend zu Grunde.
Interessant ist der Schluß eines 1629 in den Knopf des Nicolai-Thurmes gelegten und 1867 bei einer Reparatur herausgenommenen Berichtes über die Belagerung. Der geistliche Verfasser desselben, Magister Sleker, erzählt, daß es den Einwohnern von Stralsund nur selten am Nöthigsten gefehlt habe, und fährt dann fort: „Das griene Crauth, Khohl und Gartenfrüchten sind etwas seltzsam gewesen, an Kerebesen hats etzlichen auch eine Weile gemangelt, weil man keine Raiser gehabt, doch sein welche von Weyden gemacht worden. Nach der Belagerung hat man von Perona des grienen Krauths zur Speise und Artzney, wie auch der Meyen beym Brandeshagen her in nachtschlafender Zeit (dahin sich etzliche Deutsche und Swedische Soldaten geleget,) so viel herein geholet, daß unsere Kirchen in den heiligen Pfingsten schön gezieret, und wir im Herren höchlich sein erfrewet worden. Gott sei gelobet, der unser Gebet nicht verwirft, noch seine Güte von uns wendet, halleluja.“
Die Thatsache, daß die Soldaten aus der belagerten Stadt einen nächtlichen Ausfall wagen, um das Pfingstfest mit Maien zu schmücken, beweist zur Genüge den religiösen Charakter, den der Kampf auf protestantischer Seite damals noch hatte, und davon zeugt auch die alte Rathsverordnung, durch welche der 24. Juli für ewige Zeiten zum städtischen Festtage geweiht wird. Noch jetzt wird in allen Kirchen von Stralsund am Sonntage vor dem 24. Juli nach der Predigt diese Verordnung verlesen, worin die Bürger aufgefordert werden, an dem am 24. Juli einfallenden Wallensteinstage ihre bürgerliche Hantierung einzustellen und dem Herrn in den Kirchen für die wunderbare Errettung der Stadt und der reinen Lehre zu danken. Das Interesse für diesen Festtag ist immer rege geblieben; in den letzten Jahren, wo von neuem der Romanismus sein Haupt gegen das deutsche Reich und gegen den deutschen Protestantismus erhebt, ist es sogar gestiegen. Früh Morgens und nach der Predigt am Nachmittag schallt das Festgeläut von allen Thürmen der Stadt über Land und Meer. Nach dem Geläute ertönt Hornmusik von den Thürmen, zuerst ein Choral, dann eine wilde neckische Weise, angeblich dieselbe, welche am 24. Juli 1628 dem abziehenden Belagerungsheere nachgeblasen wurde. Die Kirchen sind besucht wie an den hohen Kirchenfesten. Die ganze Stadt ist festlich geschmückt. Die Fußwege und die Straßen werden mit weißem Sande, grünem Laube und bunten Blumen bestreut; von Giebel zu Giebel sind Seile gezogen, von denen Flaggen herniederwehen, deutsche, preußische und stralsundische. Letztere zeigen theils das Stadtwappen, theils in rothem Felde eine strahlenreiche goldene Sonne. Dazwischen sieht man bunte Consulatsflaggen und vielfarbige Schiffswimpel. Die Schiffe im Hafen prangen im reichsten Flaggenschmucke.
Nachmittags entwickelt sich an verschiedenen Orten das eigentliche Volksfest. Am buntesten geht es vor dem Knieperthore her; an der Vogelstange, die angeblich auf derselben Stelle steht, wo einst im Hainholze Wallenstein’s Kriegszelt aufgeschlagen war, wird getanzt und gespielt. Stunde um Stunde geht ein kleiner Dampfer nach Devin vor dem Frankenthore, wo sich ein unbedeutendes Gehölz befindet, eine Seltenheit in der Nähe von Stralsund. Dort lagern auf einem schön bewachsenen Hügel, unmittelbar am Strande des Sundes, viele einzelne Gesellschaften, und auf einem freien Platze im Holze wird getanzt; Musik und Gesang erschallt von allen Seiten. Auch in unmittelbarer Nähe der Stadt, in der Brunnenau und in den Gärten der beiden Ressourcen, im Elysium und im Thalia-Garten, überall herrscht lauter Frohsinn; vom Knieperteiche steigen Raketen in den Nachthimmel empor. Die Fähre und zahlreiche Boote bringen Festgäste von Rügen herüber; die Bahnzüge sind dicht besetzt. Spät in der Nacht, zum Theil erst am hellen Morgen, kehren die Festgenossen in die Stadt zurück.
Stralsund ist reich auch an anderen historischen Erinnerungen. Die Belagerung durch den großen Kurfürsten (1678) hat ihre traurigen Spuren hinterlassen. Leicht erkennt man die damals in Asche gelegten Stadttheile an der schlechteren Bauart der Häuser; im großen nordischen Kriege war der abenteuerliche König Karl der Zwölfte nach seiner Heimkehr aus der Türkei in der damals schwedischen Stadt eingeschlossen; in der Fährstraße floß Schill’s Heldenblut; am lebhaftesten aber bewahrt das Volk das Gedächtniß an die Zeit der Wallenstein’schen Belagerung – das ist Stralsunds Heldenzeit.
Noch lebt in der Stadt am Strelasunde ein freies, wackeres Geschlecht, ernst und stark die großen Aufgaben des Lebens erfassend, froh mit pommerscher Gemüthlichkeit die guten Tage genießend. Möge das Wallensteinsfest noch lange dazu beitragen, bei den nachwachsenden Geschlechtern in der guten Stadt die Gesinnungen der freiheitliebenden frommen Väter zu wecken und zu mehren!