Der Veteran der deutschen Theaterprincipale
Ein Gefühl eigenthümlicher Wemuth ergreift uns, indem wir das Blatt zurechtlegen, auf dem wir unsern Lesern das Bild eines Mannes zeichnen wollen, dem jene classischen Breter, welche die Welt bedeuten, mehr als vielen Andern schuldig geworden sind. Wir glaubten dem Manne, den wir noch vor wenigen Wochen geistig frisch und körperlich rüstig in unserer Mitte weilen sahen, dem wir gar manchesmal begegneten, wenn er mit munterem Schritte die Straßen seines alten, vielgeliebten Leipzigs, der heimathlichen Stätte seiner ersten Wirksamkeit, durcheilte, – wir glaubten ihm eine frohe Ueberraschung zu bereiten, wenn wir ihm zur Feier seines nahen achtzigsten Geburtstages in der Gartenlaube einen bescheidenen Denkstein stifteten, der älteren Generation, namentlich unter seinen Leipziger Mitbürgern, zu lieber Erinnerung an vergangene schöne Tage, der jüngeren zur Kenntniß und Beherzigung. Und nun – deckt schon der erste Schnee seinen Hügel auf dem St. Johannis-Friedhofe der Vaterstadt, und das unerbittliche Geschick hat uns die gehoffte Freude vereitelt. Wir können jetzt nur noch unsern Kranz niederlegen neben den vielen, welche das Grab des Greises schmückten, indem wir in kurzen Worten das reiche Leben und Streben des Geschiedenen schildern, – Karl Theodor’s von Küstner, des berühmten Bühnenleiters, ja in gewissem Sinne des Regenerators und Neuschöpfers der deutschen Bühne, wenigstens ihrer Verwaltung.
Es giebt keine Pflanzschulen und Seminarien zur Erziehung guter Bühnenleiter, sondern diese pflegen aus den verschiedenartigsten Berufen und Beschäftigungen, meist durch eine besondere Verkettung äußerer Umstände getrieben, zu einem solchen Wirkungskreise überzugehen, für den sie sich in der Regel durch eine alte leidenschaftliche Liebe zum Theater bestimmt, oder auch durch eigene künstlerische Versuche vorbereitet haben. Auch der Bühnenlaufbahn Küstner’s ging mehrfache gelehrte und praktische Thätigkeit und mannigfache Erfahrung und Bethätigung im Dienste des Lebens und der Zeit voran. Ein geborener Leipziger, der Sohn eines in der kaufmännischen Welt noch heute hochgeachteten Bankhauses, besuchte Küstner von jeher das Theater in Leipzig, wo damals die Franz Seconda’sche Gesellschaft spielte und das sogenannte Conversationsstück, die Iffland’schen und Kotzebue’schen Dramen, mit großer Lebenswahrheit und Virtuosität gab. Iffland selbst, Ludwig Devrient, die Unzelmann-Bethmann nebst ihrem Gemahl, die Fleck, die Hendel-Schütz, Beschort und Rabenstein, Alles in der Bühnenwelt hochgefeierte Größen, gastirten häufig bei der Gesellschaft. Ganz besonders aber übten die Darstellungen des von Goethe und Schiller geleiteten Weimarischen Theaters im nahen Lauchstädt und in Leipzig selbst, wo die herzoglich-sächsischen Hofschauspieler 1807 als Gäste erschienen, eine mächtige Anziehung auf den jungen Bühnenenthusiasten und gaben seiner Neigung für die Bühne jene ernste und gediegene, classische Richtung, welcher er seitdem stets treu blieb.
Auf Reisen durch Deutschland, Frankreich und Italien lernte er nach und nach alle größeren und ersten Künstler des In- und Auslandes kennen, namentlich auch das Theatre français zu Paris und mit ihm Talma, die Georges, Duchesnois und Mars, die unübertroffenen Heroen der tragischen und komischen Muse Frankreichs. Die Anschauung des Theaters verband sich aber auch noch mit dem Studium der besten dramaturgischen Werke, sowie endlich mit eigenen mimischen Versuchen. Auf einem wahrhaft ausgezeichneten Liebhabertheater im Hause des auch in weiteren Kreisen bekannten Gelehrten und Kunstkenners, Oberhofgerichtsraths Blümner in Leipzig, wurden während mehrerer Jahre classische Dramen, z. B. „Nathan“, „Emilia Galotti“, „Minna von Barnhelm“, „Tasso“, „Iphigenia“, „die Laune des Verliebten“, „die Geschwister“ u. s. w. von einem Vereine hochgebildeter Männer und Frauen (Blümner selbst, Rochlitz, Müllner, Limburger, Wilhelmine Reichenbach, Caroline Hoffmann, Julie Limburger, Betty und Caroline Tischbein) mit Lust und Fleiß gegeben und mit einer Gründlichkeit, die nicht auf allen Dilettantenbühnen heimisch ist. Küstner schloß sich mit Begeisterung diesem Vereine an und übernahm unter Anderen die Rolle des Tasso, des Orest, des Wilhelm (in den Geschwistern).
So lebte und webte denn bereits der junge Mann in einer reichen und bunten Kunstwelt, als die mächtige Bewegung von 1813 alle Geister mit Sturmesgewalt ergriff und auch ihn gewaltig packte. Die Katastrophe in Rußland hatte im Frühling des genannten Jahres die Franzosen aus Sachsen vertrieben, da kam Theodor Körner mit einer Anzahl seiner Cameraden vom Lützow’schen Corps nach Leipzig. Ein gemeinschaftlicher Freund, von Behrenhorst aus Dessau, führte den Sänger von „Leier und Schwert“ auch mit Küstner zusammen, und bei diesem war es, wo sich die Jünglinge dann oft in traulichen Abendgesellschaften sahen.
Nach der Leipziger Schlacht im October 1813 meldete sich Küstner zu dem damals sich bildenden „Banner der freiwilligen Sachsen“, verschaffte demselben für Equipirung Unbemittelter bedeutende Summen und wurde demzufolge bei der Kammer des Freicorps angestellt. Er und Professor Krug, die ersten, die sich gemeldet hatten, waren auch die ersten vom Fürsten Repnin und General Carlowitz ernannten Officiere. Doch hatte, wie man weiß, das Banner keine Gelegenheit mehr, seinen Muth im Felde zu bewähren; schon auf dem Marsche nach Frankfurt a. M. traf es die Nachricht vom Einzuge der Verbündeten in Paris.
Das Kriegerthum hatte aber unseren Küstner nicht der Muse entfremdet, der er schon früh mit Innigkeit huldigte. Es kam vielmehr die Zeit, wo er zur Anknüpfung eines entschiedenen Verhältnisses für seine Lieblingsthätigkeit überging, die ihm, der nach wohlbestandenem Examen bereits seit 1810 zum Doctor juris promovirt und als Docent an der Leipziger Universität habilitirt war, schon lange als eigentlicher Lebensberuf gewinkt hatte. Er war es, der 1817 hauptsächlich den neuen Theaterbau und die Errichtung einer stehenden Bühne in seiner Vaterstadt förderte; er wußte das Interesse für Gründung einer solchen unter der Bewohnerschaft zu wecken und sammelte eine Menge gewichtiger Unterschriften zu einer von ihm verfaßten Adresse an den König von Sachsen, mit dem Gesuch um Erlaubniß zu einem stehenden Theater und um Aufhebung des Privilegiums, vermöge dessen die Seconda’sche Hofschauspielergesellschaft aus Dresden während der Messe in Leipzig gespielt hatte. Das Gesuch wurde genehmigt. Küstner erbot sich zur Uebernahme der Direction und zu dem bedeutenden Pachtzins von jährlich dreitausend Thalern, welche Summe die Zinsen des für den Theaterausbau aufgewendeten Capitals deckte, und so wurde die Errichtung des Leipziger Stadttheaters möglich gemacht. Er ist mithin der eigentliche Begründer desselben und verdient um so mehr den Dank seiner Mitbürger, als er seiner elfjährigen Unternehmung große finanzielle Opfer brachte.
Unter Küstner’s von künstlerischer Begeisterung und praktischem Talent getragener Leitung stieg die Bühne Leipzigs zu einer ersten Kunstanstalt Deutschlands empor. Die äußeren Erfolge wie die artistischen Früchte dieser Leipziger Theaterepoche waren glänzend. Indem er der Anstalt eine allseitige Ausbildung, und zwar nach dem höchsten Maßstab, zu geben suchte, faßte er auch die gesellschaftliche und juristische Seite eines Bühnenverbandes in’s Auge, wie es vor ihm noch nie mit solch umfassendem, alle Einzelheiten aus dem Gesichtspunkt eines großen und würdigen Ganzen durchdringendem Blick geschehen war. Bereits die Gesetze, welche er für seine Leipziger Schauspielergesellschaft aufstellte, bewiesen seine Befähigung zum Bühnenleiter, – ein Talent, das er später in München und Berlin unter noch schwierigeren und verwickelteren Verhältnissen abermals zu bethätigen Gelegenheit erhielt. Die günstigen Wirkungen dieser Gesetze zeigten sich in Leipzig nicht blos in der Strenge der inneren Disciplin, welche Küstner jederzeit aufrecht erhielt, sondern auch in der Einigkeit und dem regen Kunsteifer aller Mitglieder – Dingen, die bekanntlich weiße Sperlinge in den Bühnengesellschaften zu sein pflegen. Für die auserlesene Vorzüglichkeit des Personals sprechen die Namen Wohlbrück Vater, Genast und Frau, Doris Böhler, nachherige Devrient, Löwe, Stein, Emil Devrient, Wurm und Frau, Vetter und Frau, frühere Miedke, Anna Sessi, Corona Werner und Katharina Canzi. So steigerte sich natürlich die Theilnahme für das Theater in Leipzig ungemein und mit ihm die Einnahme desselben. Trotzdem und ungeachtet er es war, welcher auch die wirklich mustergültige Pensionsanstalt des Leipziger Theaters gründete, die jetzt so manche dienstunfähig gewordene frühere Mitglieder vor Noth und Entbehrung schützt, sah er sich doch durch örtliche und zufällige Umstände veranlaßt, seine in der gesammten deutschen Bühnenwelt Epoche machende Direction [749] schon zu Ostern 1828 niederzulegen. Wie er in allen Dingen eine freimüthige Oeffentlichkeit liebte, so ließ er auch diesen ersten bedeutenden Abschnitt seines Theaterlebens nicht vorübergehen, ohne dem Publicum in seinem „Rückblick auf das Leipziger Stadttheater“ einen Rechenschaftsbericht seiner Verwaltung vorzulegen.
Viel und mancherlei Interessantes könnte aus der Zeit der Küstner’schen Leitung noch erzählt werden; wir wollen uns darauf beschränken, einen Besuch in seiner dicht neben der Bühne befindlichen Directorialloge zu machen. Wir sehen darin verschiedene Notabilitäten, den Herzog Karl von Braunschweig, Generalissimus Fürst Schwarzenberg, Staatskanzler Fürst Hardenberg und Frau, Kotzebue, Spontini, C. M. von Weber u. A. Auch der nach seiner Abdankung sich Oberst Gustavson nennende König von Schweden besuchte in Leipzig sehr oft Küstner’s Loge und war z. B. einmal bei der Aufführung des „Freischütz“ gegenwärtig. Als im ersten Act Samiel erschien, fragte er Küstner, was dieser vorstelle. Die Antwort lautete: „Das böse Princip oder, geradezu gesagt, den Teufel.“ Da entfernte sich der König mit zwei Riesenschritten und kam nie wieder; offenbar glaubte er an die leibhaftige Existenz des Höllensohnes. – Herzog Karl von Braunschweig, der später bekanntlich aus seiner Residenz fliehen mußte, kam zur Vorstellung des „Oberon“ nach Leipzig. Am nächsten Tage erkundigte sich Küstner, wie der Fürst geschlafen habe. Der Herzog entgegnete, daß er von einem lebhaften Traum beunruhigt worden sei: er habe sein Schloß brennen sehen und flüchten müssen; ein sehr fatalistischer Traum, der bald genug sich verwirklichte.
Kotzebue sah in Leipzig die Oper: „Der Bergsturz von Goldau“. Küstner bemerkte ihm, daß wegen der darin dargestellten Katastrophe die Maschinerie nicht gestatte, hinterher noch ein anderes Stück zu geben, und daher die Vorstellung sehr früh endige. Jener erbot sich hierauf gleich, ein Lustspiel zu schreiben, das vor dem Vorhang seinen Schauplatz habe – ein neues Beispiel seiner unerschöpflichen Erfindungsgabe. Doch – er ging nach Mannheim, wurde von Sand ermordet, und Küstner erhielt das Stück nicht! Weber war auf der Reise nach London in Leipzig und besprach sich mit Küstner bis tief in die Nacht über die Aufführung seines „Oberon“ daselbst. Noch von der englischen Hauptstadt aus, wo er bekanntlich starb, schickte er die Partitur an Küstner, und so wurde es möglich, die Oper bereits ein Jahr früher, als auf allen übrigen deutschen Theatern, und zwar mit einer glänzenden Ausstattung, zu geben, welche eine Menge fremder Fürsten und Intendanten nach Leipzig zog. Um unserer Neugierde hier gleich auch einen Blick in Küstner’s Logen in München und Berlin zu gönnen, gedenken wir der Dichter Eduard v. Schenk und Grillparzer als häufiger Besucher der ersteren, wogegen uns in letzterer der liebenswürdige englische Gesandte und große Beschützer der Musik, Lord Westmoreland, ferner der Fürst Pückler-Muskau und seine Gemahlin, geb. v. Hardenberg, mit ihrem Zwerge, die Herzogin von Sagan, Fürst Lichnowsky, Gutzkow u. v. A. begegnen.
Durch seine Leipziger Direktion hatte sich Küstner einen so großen Ruf erworben, daß es ihm jetzt, als jene Unternehmung aufgegeben, nicht an mannigfachen Anträgen zu einer anderweitigen Wirksamkeit fehlte. So ergingen an ihn Berufungen zur Uebernahme der Dresdner Bühne auf eigene Rechnung und zur Leitung des Theaters in Frankfurt a. M. Beides lehnte er ab und ward statt dessen im Jahre 1830 Director der Hofbühne zu Darmstadt. Es war ihm jedoch nicht lange vergönnt, sich in den dortigen freundlichen Verhältnissen zu bewegen, da das betreffende Kunstinstitut bereits nach Verlauf eines Jahres aufgelöst werden mußte, weil der Hof sich veranlaßt sah, die Subvention zurückzuziehen. Küstner’s nächster Wirkungskreis [750] ward nun München, wo ihm 1833 auf Veranlassung des Ministers und Dichters Eduard von Schenk die Intendanz des Hoftheaters angeboten wurde. Hier in München erhielt er ganz besonders Gelegenheit, nicht blos den ihm vorausgegangenen Ruhm seiner artistischen Verwaltungsgabe zu rechtfertigen, sondern auch seine Kunst einer ersprießlichen Theaterökonomie zu bewähren, durch welche letztere er nicht etwa in Folge einseitiger Sparmethode, vielmehr lediglich in Folge richtiger Berechnung der Ausgaben die Einnahmen beträchtlich zu erhöhen wußte. Es wurde ihm die Aufgabe gestellt, den Zuschuß von 78,000 Gulden, der bisher nie ausgereicht hatte, nicht zu überschreiten und außerdem eine Schuldenlast von 44,000 Gulden zu decken. Er erreichte vollkommen das ihm gesteckte Ziel, ohne im Mindesten der Kunst Eintrag zu thun, die vielmehr unter seiner Leitung an allgemeiner Anerkennung bedeutend gewann. Während der Leipziger Direction, die er für eigene Rechnung führte, war er überall und immer mit größter Liberalität zu Werke gegangen, ohne ängstliche Wahrnehmung seines pecuniären Vortheils. Bei den späteren Hoftheaterleitungen für fürstliche Rechnung hatte er dagegen streng das ihm bestimmte Maß des bewilligten Zuschusses im Auge und scheute keine, auch mit Unannehmlichkeiten verknüpfte Maßregel, die dazu dienen konnte, jenes Maß aufrecht zu halten. Der König von Baiern wußte übrigens Küstner’s Verdienste zu würdigen, er ertheilte ihm 1837 den Adel.
Die ungemein glücklichen Erfolge seiner Münchner Wirksamkeit zogen die Aufmerksamkeit auch des Königs von Preußen auf sich, welcher im Jahre 1841 sich am bairischen Hofe zu Besuch befand und früher schon das Küstner’sche Theater in Leipzig kennen gelernt hatte. In Küstner glaubte Friedrich Wilhelm IV. den geeigneten Mann zu finden, der die Berliner Hofbühne innerhalb eines beschränkteren Finanzetats, als bisher, zu halten und trotzdem nach dem höchsten artistischen Maßstab weiterzuführen wissen würde. So verließ denn Küstner im Jahre 1842 München und übernahm, von einer Reise nach Italien zurückgekehrt, im Juni die Generalintendanz der königl. Schauspiele zu Berlin unter Zusicherung lebenslänglicher Anstellung.
Auch seine nun folgende Thätigkeit in der preußischen Hauptstadt zeigte das consequente Streben: eine musterhafte Disciplin in der Verwaltung mit vollster Hingebung an die Kunstinteressen und an die Forderungen der Gegenwart zu vereinigen. Alle seine Versuche und Schritte gingen dahin, eine Bühnenreorganiation in zeitentsprechender, auf der künstlerischen und gesellschaftlichen Höhe der Gegenwart stehender Form zu vollbringen. Wenn es nun auch in den verschiedenen Kreisen, welche durch seine Reformversuche, wie überhaupt durch seine mit Entschiedenheit und Freimuth behauptete Stellung berührt wurden, nicht an mannigachen Gegenwirkungen fehlen konnte, so mußte man doch bei allen Parteien stets dem aufrichtigen und biedern Sinn, dem edlen, völlig selbstlosen Streben, sowie dem ebenso energischen, wie humanen Charakter, mit dem Küstner unter all den ihm bereiteten schwierigen Verhältnissen sich immer Herr seines Handelns und Wollens zu bleiben wußte, Gerechtigkeit widerfahren lassen. Unter den neuen Einrichtungen, die er in Berlin traf, verdient obenan der Autorenantheil, die Tantième, genannt zu werden, welche im Jahre 1844 gleichzeitig an dem Berliner Hoftheater und der Wiener Burg, die damals unter Holbein’s Direction stand, zumeist auf Küstner’s Anregung und wesentlich nach dem von ihm ausgearbeiteten Plane eingeführt wurde. Das allein bleibt ein unvergeßliches Verdienst der Küstner’schen Theaterverwaltung. Die Tantième wurde in beiden genannten Städten vorerst nur versuchsweise auf drei Jahre in’s Leben gerufen, und obwohl es von gewisser Seite her nicht an Opposition fehlte und sogar Stimmen erstanden, die in ihr ein staatsgefährliches, die Schriftsteller zur Aufregung der Massen verführendes Element erkennen wollten, so blieb doch die Anerkennung ihrer Ersprießlichkeit Sieger und sie ward Anfang 1847 bis auf Weiteres prolongirt. Ein zweites, tief in das Bühnenwesen eingreifendes Verdienst erwarb sich Küstner durch das Theatergesetzbuch, den vollständigsten Bühnencodex, der je zusammengestellt worden ist und dessen Nutzen und Milde Zeit und Erfahrung an’s Licht gebracht haben.
Auch die Abstellung eines alten Mißbrauchs ist unserm Küstner zu verdanken. Als er seine Berliner Stellung antrat, stand noch auf allen deutschen Theaterzetteln vor den Namen der Darstellerinnen Madame und Demoiselle, und bei Knaben von zehn bis vierzehn Jahren – höchst komischer Weise – Monsieur. Er verbannte diese lächerliche Ausländerei und setzte, wie sich’s gehört: Frau, Fräulein, und bei Kindern einfach die Vor- zu den Familiennamen. Schon früher hatte er mehreren Intendanzen den Vorschlag hierzu gemacht; sie trugen aber Bedenken, darauf einzugehen. Da kam das Revolutionsjahr 1848 und räumte auch mit diesen kleinlichen Bedenklichkeiten auf. Küstner führte die neue Einrichtung ein, und alle Theater folgten.
Während er indeß in Berlin unablässig für die innere Verfassung des dortigen Bühnenwesens zu sorgen bemüht war, richtete er seine Blicke zugleich auch nach außen auf den Gesammtbestand der deutschen Theaterwelt überhaupt, in der bisher anstatt des gegenseitigen Rechtsschutzes fast nur wechselseitige Uebervortheilungen und Ablistungen gegolten hatten. – Die Idee eines rechtlich begründeten Theaterstaats, die Küstner innerhalb des einen Instituts durchzuführen bestrebt war, brachte ihn so auf den Gedanken einer allgemein deutschen Theaterassociation. Es sollte ein Verein der deutschen Bühnen begründet werden, dessen ausgesprochener Zweck dahin ging, „contractlich erworbenen Rechten in den Theaterverhältnissen durch Anerkennung derselben von Seiten sämmtlicher contrahirender Bühnen eine größere Sicherheit zu verleihen und mit diesem gehobenen Rechtszustand zugleich den Schauspielerstand moralisch zu heben.“ Der von Küstner ausgearbeitete Plan wurde die Grundlage vieler mühsam angeknüpfter und verfolgter Unterhandlungen mit allen deutschen Bühnenvorständen und hatte das erfreuliche Resultat, durchgängig Anklang zu finden und namentlich von Seiten der Fürsten und Regierungen lebhafteste Förderung und besonderen Schutz zu erfahren, so daß fast sämmtliche größere Bühnen Deutschlands (zweiunddreißig) sich dem Vertrage anschlossen. Seitdem ist ihre Zahl noch beträchtlich gestiegen.
Der glücklichen und bedeutenden Wirksamkeit Küstner’s in Berlin lassen sich auch die dort von ihm erlangten finanziellen Resultate beizählen. Wenn die Einnahme im dreijährigen Durchschnitt vor ihm 170,000 Thaler betragen hatie, stieg sie unter ihm in den Jahren 1842, 1845 bis 1847, auf welche die Folgen des Opernhausbrandes und der Revolution nicht einwirken, auf die Durchschnittseinnahme von 210,000 Thalern jährlich, vermehrte sich sonach um 40,000 Thaler. Mehr noch als diese Verbesserungen in der Theaterökonomie zeugen aber für die Thätigkeit, Umsicht und den Kunstgeschmack Küstner’s die während seiner Leitung vollzogenen Engagements. Künstlerinnen, wie eine J. Wagner, Köster, Thomas, Hoppé, Viereck, Adolphine Neumann, Marie Taglioni; Künstler, wie Hendrichs, Döring, Hoppé, Dessoir, J. Wagner, Liedecke, Krause, Salomon, Hogunt-Vestris sprechen für sich selbst. Auch Ch. Birch-Pfeiffer, die beliebte Dichterin, ward durch Küstner für Berlin gewonnen.
Hatte er zu Leipzig und München in friedlichen und glücklichen Zeiten gewirkt, so legten ihm in Berlin der Brand des Opernhauses (1843) und die Jahre der Unruhen (1848 und 1849) große Hindernisse und Erschwerungen seiner Aufgabe in den Weg, ja gefährdeten selbst seine persönliche Stellung. Doch auch dies überwand er, obwohl nicht ohne Nachtheile für seine Gesundheit, ein Umstand, der ihn 1851, nachdem er die Generalintendant neun Jahre geführt, und seit 1817, also während ganzer vierunddreißig Jahre als Bühnenleiter thätig gewesen war – eine Zeitdauer, welche weder Schröder’s noch Iffland’s Regiment erreichte – um seine Pensionirung einzukommen bestimmte.
Allein dem Theater, der dramatischen Kunst sollte auch ferner noch seine Thätigkeit gewidmet bleiben. Zunächst schrieb er die „vierunddreißig Jahre seiner Theaterleitung“ und legte darin über seine sämmtlichen vier Bühnenverwaltungen ausführliche und genaue Rechenschaft ab. Das Feld der Theaterstatistik war vor ihm ein noch völlig unbebautes, und das von ihm in zwei Auflagen herausgegebene Taschen- und Handbuch für Theaterstatistik ist darum als ein höchst bedeutsames zu bezeichnen. Ingleichen gelang es seinen von Anderen unterstützten, vielfältigen Bemühungen, sowohl für Preußen, als durch Annahme von Seiten des Bundestags für ganz Deutschland ein Gesetz zu erwirken, vermöge dessen kein Stück, sei es gedruckt oder Manuscript, ohne Einwilligung des Verfassers aufgeführt werden darf, während früher diese Bestimmung nur für ungedruckte Werke zu Recht bestand. Hierdurch erst wurde das geistige Eigenthum der dramatischen Dichter in Deutschland vollständig gesichert, sowie es in Frankreich schon seit der französischen Revolution 1791 gewesen war.
[751] Küstner hatte nach seiner Pensionirung zunächst wieder eine Reise nach Italien gemacht, dann aber seinen Aufenthalt auf’s Neue in Berlin genommen. Im Frühjahr 1860 siedelte er, sich nach größerer Ruhe sehnend, in seine Vaterstadt Leipzig über, wo ihm noch nahe Verwandte lebten. Auch daselbst legte er sowohl für Theater und Kunst, als für alle politischen Begebenheiten und socialen Fortschritte ein fortdauerndes warmes Interesse an den Tag. Nach wie vor schrieb und wirkte er für die Tantième der dramatischen Schriftsteller, in deren Einführung den beiden Theatern zu Wien und Berlin leider bisher nur noch die Münchner Hofbühne nachfolgte, während anderwärts Küstner’s dringendste Aufforderungen von den Theatervorständen noch immer unbeachtet gelassen sind.
Mit vollstem Recht galt Küstner in allen Angelegenheiten des Theaters als eine Autorität, die ihren guten Rath, ihre reiche Erfahrung Niemandem versagte, der sich an sie wendete. Dabei hielt er in Leipzig stets offenes und gastfreies Haus und versammelte allwöchentlich mehrmals einen heitern, geistig angeregten und gemüthlichen Kreis von Gelehrten und Künstlern, deren Seele und Mittelpunkt immer er selbst war. So schienen sein frischerhaltener jugendlicher Sinn und sein warm gebliebenes Herz das Alter fast spurlos an ihm vorübergehen lassen zu wollen, da, kurze Zeit nur vor seinem achtzigsten Geburtstage, erkrankte er an einem Unterleibsleiden, um, nach einem wohlvollbrachten Tagewerk und einem behaglichen schönen Lebensabende, am 27. October d. J. die Augen zu schließen.