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Der Ursprung der Zeitungsenten

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Textdaten
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Autor: Hans Boesch
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Titel: Der Ursprung der Zeitungsenten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 67
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Adam Lonicers Vollständiges Kräuterbuch oder das Buch über alle drey Reiche der Natur : erstens die Destillirkunst ... ; zweytens von allen Gattungen der Thiere der Erde, Augsburg, 1783, ULB Düsseldorf, Entenbaum, Entenmuscheln, Anatifera arbor, S. 164.
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[67] Der Ursprung der Zeitungsenten. Zu den merkwürdigsten Vögeln gehört die Zeitungsente, die namentlich während der heißen Jahreszeit sich recht vortheilhaft entwickelt und dann unermüdlich von einem Blatte zum andere flattert. Ihre Herkunft war bis jetzt in Dunkel gehüllt – sie war eben auf einmal da, „man wußte nicht, woher sie kam“. Es dürfte daher die Leser interessiren, zu erfahren, daß es mir gelungen ist, aus uralten, in Schweinsleder gebundenen Büchern, die über viele seltsame Sachen berichten, den Ursprung der Zeitungsente festzustellen. Lange hatte ich in allen möglichen Scharteken geforscht, ohne eine Spur des fabelhaften Thieres zu finden, bis mir ein gütiges Geschick Peter Lauremberg’s „Vierhundert außerlesene nützliche, lustige und denkwürdige Historien und Diskursen“ vom Jahre 1650 in die Hand spielte, woselbst auf S. 509 ein Geschichtchen steht, das die vielversprechende Ueberschrift „Endvögel wachsen auf Bäumen“ führt. Freudigst überrascht durch diese großartige Entdeckung, habe ich nicht den mindesten Zweifel, daß ein solcher auf dem Baume gewachsener Entenvogel nur unsere Zeitungsente sein kann. Lauremberg schreibt über dieselbe: „Es fällt mir ein Wunderding nach dem andern ein (die vorhergehende Erzählung führt nämlich die Ueberschrift: „Lämmer wachsen wie Kräuter aus der Erden“) und ist die Natur so reich und überflüssig, daß man immer was neues findet: es wird nicht allein in Schottland und den Orknischen Inseln, sondern auch in England an der Themse (ist ein Fluß, welcher die Stadt London anstösset) eine sonderliche Art kleiner Muscheln gefunden, welche ganz rund und auswendig weiß, wachsen und hangen an die Schiffe, an alte Bretter, insonderheit an die Bäume, so am Ufer mit den Aesten ins Wasser reichen: die Muscheln, wenn sie ins Wasser fallen, so kriechen daraus junge Vögel, welche hernacher den Enten gleich werden an Größe, Art und Federn, und aufm Wasser schwimmen, sich von Fischen ernähren und oftmals bei hundert, ja tausend sich zusammenrotten und weit hinfliegen.“ Daß sie weit hinfliegen, ist uns nur zu bekannt, schrecklich ist aber, daß sie zu Hunderten und Tausenden sich zusammenrotten.

Viel besser als in Lauremberg’s Buche ist in Adam Lonicer’s „Vollständigem Kräuterbuch", herausgegeben von Peter Uffenbach, Dr. med. in Frankfurt am Main (Ulm, 1716), der Nachweis gebracht, daß die Ente zu den Pflanzen gehört. Auf S. 164 desselben findet sich die Beschreibung des Enten-Baumes, Anatifera arbor. „Zum Beschluß dieses ersten Theils von den Bäumen, Staudten und Hecken muß ich hinzusetzen und beschreiben die Historien von dem Enten-Baum, das ist, von dem Baum, aus dessen Frucht lebendige Enten, so zur Speise gebraucht werden (sie werden meist mit Heißhunger verschlungen), wachsen. Und es lautet wohl lächerlich und unglaublich, daß Enten oder Vögel auf den Bäumen sollen wachsen … so ist es doch keine Fabel, sondern bestehet und befindet sich also mit der Wahrheit, und es bezeugen auch solches die Angli oder Engelländer in ihrem Kräuterbuch, daß sie es selbst also gesehen haben. Es wachsen solche Früchte an etlichen Bäumen, an den Gestaden oder Ufern des Meeres“ etc. Diese Früchte, welche wie Muscheln sehen, thun sich auf, wenn sie ins Wasser fallen, und die berühmte Ente kriecht daraus hervor. Lonicer oder Uffenbach aber irren, wenn sie schreiben: „Die aber auf das truckene Land fallen, dieselbige verderben“; im Gegentheil, das ist meist erst ein recht günstiger Boden für sie, auf welchem sie sich bis ins Ungeheuerliche entwickeln können.

Im Jahre 1716 war die Naturforschung schon so weit fortgeschritten, daß sie dem Texte auch eine Abbildung des Entenbaumes beifügen konnte. Am bergigen Meeresufer sehen wir einen Baum vor uns, der keine Blätter, sondern nur große muschelartige Früchte trägt, von welchen eine bereits so reif ist, daß sie etwas aufgesprungen ist und den Schwanz der Ente etwas herausstehen läßt. Zwei der Früchte sind aufs Trockene gefallen, statt der sechs ins Meer gefallenen aber erblicken wir sechs fidel sich tummelnde Enten. Leider ist der Holzschnitt nur ganz klein, was sehr zu bedauern ist; wir würden sonst sicher auch die bekannte Seeschlange sehen, welche, wie man schon seither wußte, mit der Zeitungsente engverwandt ist; daß diese Verwandtschaft aber eine noch viel innigere ist, als man seither annahm, ist durch unsern Nachweis, daß auch die Ente ihre Jugendzeit auf der See verlebt, klärlich dargethan.

Wer an der Wahrhaftigkeit unserer Mittheilungen zweifeln sollte, dem empfehlen wir zur Beachtung die goldenen Worte Lauremberg’s, die er bei seinen Lämmerpflanzen oder Pflanzenlämmern niedergeschrieben: „Die Natur regieret oder schicket sich nicht nach unserm Kopf oder Begreiflichkeit, sondern was wir in der Natur finden, davon müssen wir unsere Speculationes machen.“ Wer sich aber auch damit nicht zufrieden giebt, dem können wir nur den Rath geben, welchen Uffenbach am Ende seiner Beschreibung des Entenbaumes giebt: „Wer solchem nicht Glauben geben will, der mag in dieselbige Lande hinein reisen und den Augenschein dieser Dinge selbst einnehmen.“ Hans Boesch.