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Der Urmensch

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Textdaten
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Autor: Carl Vogt
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Titel: Der Urmensch
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, 42, 46, S. 638–640, 670–672, 726–728
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[638]

Der Urmensch.

Von Karl Vogt in Genf.
I.
Schule und Geschichte. – Die redenden Steine. – Der Urzustand des Menschengeschlechts. – Eiszeit. – Höhlenbärperiode. – Die drei fossilen Menschenschädel. – Der Affenmensch. – Rennthierperiode.

Sollte die Geschichte davon schweigen,
Tausend Steine würden redend zeugen,
Die man aus dem Schooß der Erde gräbt.

Der Reim ist zwar keiner der besten (obgleich, wenn ich nicht irre, von einem großen Dichter[WS 1]), die Sache aber darum nicht minder wahr.

Wenn ich noch an die älteste Geschichte denke, die wir als Gymnasiasten aufgetischt erhielten und bei den Prüfungen herplappern mußten, so graut mir zuweilen: Einerseits hatten wir einen bibelgläubigen Theologen als Religionslehrer, der uns auch kein Titelchen von den haarsträubenden Familiengeschichten des jüdischen Stammes nachließ, und andererseits einen im etymologischen Wurzelsuchen aufgegangenen Geschichtsprofessor, der uns unwiderleglich bewies, daß die Griechen ägyptisch und die Deutschen griechisch gesprochen hätten, daß Chinesen und Hindus und Altperser ein Volk seien und auch nur eine gemeinschaftliche Historie besäßen, die zwar leider verloren gegangen sei, aber wieder construirt werden könne. Sprach der Eine von Moses, so fabelte der Andere von Wischnu – berief sich Jener auf die Bibel, so baute Dieser Häuser auf die Vedas, und in Mitten saßen wir armen Kerle über den kleinen Bredow gebeugt und schwitzten hinter den drei Brezeln (333), wie wir die reducirte Jahreszahl Alexander’s des Großen, oder den drei Roßnägeln, wie wir die Zahl Solon’s (666) nannten. Daß wir noch einigen Verstand aus dem Zusammenstoß der beiden unser Gehirn ackernden und säenden Lehrmaschinen retteten, daran sind diese selbst wahrhaftig nicht schuld. Und wenn nun gar der Professor der classischen Philologie dazu kam (ich glaube gar, er hieß Geist, weil er keinen hatte) und uns mit eben so voller Ueberzeugung das goldene, silberne, eherne und eiserne Zeitalter demonstrirte, so geriethen die verschiedenen Paradiese und Stammörter des Urmenschengeschlechtes in eine solche Verwirrung in unseren Köpfen, daß wir vorzogen, auf Mord auswendig zu lernen, aber schließlich gar nichts von dem Gelernten zu glauben.

Ob wohl unsere Jungen jetzt, nach der Ausgrabung der Urmenschen und der von ihnen redenden Steine, noch immer auf den Schulbänken in ähnlicher Weise wie ihre Väter bearbeitet werden? Fast möchte ich es glauben – die meinen wenigstens bringen zuweilen seltsame Bruchstücke aus der Schule heim. Um so mehr aber dürfte es geboten sein, von Zeit zu Zeit die Funde zusammenzustellen, welche Mythen und Traditionen, religiöse Sagen und poetische Fiktionen wirklich mit Steinen todtschlagen und einer gesunderen, naturgemäßeren Auffassung der menschlichen Entwicklung von Urbeginn an die Thür öffnen.

Nichts giebt in der That eine großartigere Anschauung des Entwicklungsganges unseres Geschlechtes, als jene mühsamen Untersuchungen, welche aus Sandgruben und Höhlen, aus Torfmooren und Seegründen, aus Steinhaufen und Gräbern die Zeugnisse vom Urzustande des Menschen zu Tage fördern. Mit welch’ harter Mühseligkeit kämpfte ein armseliges Volk, das hinsichtlich seiner Geistesfähigkeiten, seiner Hülfsmittel weit unter den niedrigsten Wilden stehen mußte, welche uns überhaupt unter den mitlebenden Völkern bekannt wurden, den Kampf um das Dasein! Wie elend mußten die Zustände sein, wo man einen gespaltenen Kiesel für das non plus ultra einer Waffe, das Mark eines halbverkohlten und gespaltenen Knochen für den größten aller Leckerbissen hielt; wo man mit dem Bären um seine Beute ringen und mit dem Eichhörnchen um seine Nüsse klettern mußte; wo der Mensch und des Menschen Sohn in der That nicht hatte, wo sein Haupt hinlegen, und der Gorilla in seinem Urwalde und seiner Hütte aus Baumzweigen fast auf derselben Stufe stand, wie der Mensch, der noch obenein vielleicht in einem kälteren Klima ausdauern mußte!

Wenn wir aber nun sehen und an der Hand der Thatsachen nachweisen können, wie diese kaum über die Thierstufe erhabenen Geschöpfe sich allmählich aus der Wildheit hervorarbeiten, wie sie feste Wohnsitze sich gründen, den Nahrungsschatz, den wilde Pflanzen und wilde Thiere ihnen bieten können, durch Anbauung des Bodens und Zähmung der Thiere vermehren, wie sie also Ackerbau und Viehzucht sich gründen und nun, stets weiter und weiter gehend, sogar zu dem Punkte kommen, neben dem Bedürfnisse der Noth auch dem Gefühle der Schönheit Genüge leisten zu können; wenn wir sehen, wie sie dies Alles aus dem eigenen Nachdenken schöpfen und sich zugleich auf stets höhere Stufen der Intelligenz schwingen, indem sie die Hindernisse bekämpfen, die ihnen im Wege stehen, und die Mittel erfinden, sie zu besiegen – wenn wir so, indem wir die Producte der schöpferischen Kraft, die diesen Wesen innewohnt, kennen lernen, zugleich eine stets größere und weitere Vorstellung von dieser schöpferischen Kraft und der unendlichen Sphäre gewinnen, welche der Menschengeist sich nach und nach erobert und dienstbar gemacht hat: so meine ich, sollte uns das Alles weit mehr erheben, stärken und erfreuen, als alle noch so tiefsinnigen Dichtungen oder wunderbaren Erzählungen, die man uns als das letzte Wort selbst eines über den menschlichen erhabenen Geistes anrühmen möchte. Die in Stein, Horn oder Metall ausgeprägten Zeugnisse des Urzustandes des Menschengeschlechtes, welche uns die Forschung in die Hand legt, reden lauter in der That, vernehmlicher und überzeugender von der steten Vervollkommnung des Menschen, von der beständigen Verbesserung seiner Lage, der unablässigen Veredlung seiner Sitten, der unausgesetzten Fortbildung seines Wesens, als hundert philosophische Deduktionen oder tausend langweilige Predigten. Man staunt über das Gewaltige, was Menschen, die von Allem entblößt zu sein schienen, zu leisten vermochten – man fragt sich zögernd, ob man werth sei, solchen Vorgängern nachzueifern – aber man fühlt sich zugleich gehoben durch das Bewußtsein, daß die Verbesserungen des Menschen eigenes Werk und der Zustand, in dem sich der Mensch und die menschliche Gesellschaft befindet, nur ihm und der Gesellschaft selber zuzuschreiben ist.

Die Erde war durchaus nicht wüste noch leer, sondern wohl besetzt mit Pflanzen und Thieren zur Zeit, in welcher bis jetzt die ersten Spuren des Menschen in Europa gefunden worden sind. Die Organismen waren fast in gleicher Weise vertheilt, wie jetzt, dieselben Verbreitungszonen mögen etwa existirt haben, nur mit dem Unterschiede, daß kurz vorher die Zonen weiter nach Süden herabgedrückt und etwas früher noch weiter gegen den Norden hin vorgerückt waren.

Es war eine Kälteperiode vorhergegangen, deren Spuren sich nicht nur in Europa, sondern auch in Amerika, ja auf der ganzen nördlichen Hälfte des Erdballs deutlich nachweisen lassen. Von den Gebirgen, welche heute noch Gletscher tragen, waren die Eisströme weiter herabgedrungen in die Thäler, hatten die ebene Schweiz bis zu den Gipfeln des Jura selbst erfüllt, ganz Scandinavien überzogen mit Finnland als Beigabe und waren selbst bis unter den Wasserspiegel der jetzigen Ostsee hinabgerückt. Gebirgszüge, [639] die heute keine Gletscher mehr tragen, wie die schottischen Gipfel, die Ketten der Vogesen und des Schwarzwalds, waren damals ebenso mit Gletschern gekrönt, wie heute die Alpen. Gewaltige Ströme entsprangen aus diesen Eismeeren und führten den feinen Gletscherschlamm, den Löß, durch die Thäler hinab dem Meere zu. Die Umgrenzung des Festlandes und der Meere war damals eine andere. Die Wüste Sahara war ein Meer, das wahrscheinlich direct mit dem rothen Meere zusammenhing; die Säulen des Herkules dagegen und wahrscheinlich auch die Dardanellen waren geschlossen, während das schwarze Meer weithin die russischen Steppen überfluthete und jedenfalls mit dem kaspischen Meere bei Astrachan, vielleicht selbst mit dem Aralsee zusammenhing. Die Küstenketten, welche heute das Mittelmeer umgeben, bildeten also einen geschlossenen Ring, vielleicht mit alleiniger Ausnahme der Landenge von Suez, über welche hinaus die Wasser des Mittelmeeres mit denjenigen des rothen Meeres zusammenflossen. Dieser Küstenring des Mittelmeeres war also nach Süden durch die Wüstenmeere, nach Norden durch die Steppenmeere, nach Nordwesten durch die Gletscher der Pyrenäen und Alpen von allem übrigen Lande abgeschlossen und bildete so ein zusammenhängendes Ganze mit eigenthümlicher Fauna und Flora. Schon längst ist es den Naturforschern aufgefallen, daß die Begrenzung des Mittelmeeres eine ganz eigene, ihr zukommende organische Bevölkerung besitzt, gleich weit verschieden von der transalpinischen in Mitteleuropa, wie von der eigentlich afrikanischen im Süden. Noch neulich erst hat mein Freund, Professor Martius in Montpellier, darauf aufmerksam gemacht, wie sehr die Pflanzen und Thiere der Provence und Italiens mit denen Algeriens übereinstimmen, und wen die Sache interessirt, der mag die näheren Belege dieses Satzes in der Revue des deux mondes nachlesen, wo die charakteristischen Züge des nördlichen Küstenlandes von Algerien mit denen der Provence zusammengehalten und denen der Sahara gegenüber gestellt werden. Der Löwe war früher in Griechenland heimisch, die Hyäne in Sicilien, der Makakea-Affe lebt noch auf dem Felsen Gibraltars, und selbst bis auf den Menschen erstreckt sich die Scheidung in Afrika, indem der Neger im Küstenlande nur eingeführt, aber erst südlich von der Sahara eigentlich heimisch ist.

Wie im Süden unseres Continentes, so zeigten sich aber auch im Norden desselben bedeutende Verschiedenheiten. England bildete eine Halbinsel und hing mit der Bretagne zusammen – ein großer Theil Nordfrankreichs, Belgiens und Hollands so wie der norddeutschen Ebene stand dagegen unter Wasser. Dänemark hing mit Schweden zusammen, so daß die Ostsee nach Westen hin vollkommen geschlossen war, während sie durch ein breites Meer um Finnland herum mit dem weißen Meere zusammenhing und also nur einen Arm des Eismeeres darstellte – selbst ein wahres Eismeer, indem überall von Norwegen, Schweden und Finnland her die Gletscher bis in dieses Meer hinein durch die Thäler sich ergossen. Scandinavien mit Finnland bildete also damals eine Art Spitzbergen oder Grönland und die früheren Theile Deutschlands mit einem Theile Frankreichs und Ost-Europas eine rings umfluthete Insel, die aber freilich mit England direct durch die französischen Westgebiete zusammenhing.

Diese Eiszeit, sagen wir, ging zurück; der Canal, der Sand, die Meerengen von Gibraltar und den Dardanellen brachen durch, die Landenge von Suez, die Wüsten, Steppen und Ebenen hoben sich aus den Wellen, und die Gletscher zogen sich allmählich in ihre jetzigen Grenzen zurück. Zu den Bildungen aber, welche diese Rückzugspenode bezeichnen, in den Schwemmgebilden, welche man auch als Ablagerungen der Diluvial-Periode bezeichnete (ohne daß diese Bezeichnung im Sinne der heutigen Geologen die mindeste Beziehung zu der rein hypothetischen, niemals stattgefunden habenden Sündfluth hätte, in diesen Schwemmgebilden und in den Höhlen, welche zu dieser Zeit ausgefüllt wurden, finden sich die ersten Spuren des Menschen auf europäischem Boden.

Sehen wir zuerst nach, in welcher Gesellschaft.

Theils mit ausgestorbenen, theils mit noch lebenden Thierarten, die aber häufig auch von dem Orte ausgewandert sind, an welchem jetzt ihre Knochen gefunden werden, stößt man auf menschliche Ueberreste. Da giebt es Arten, welche man als Höhlen-Arten bezeichnet hat, weil ihre Knochen bis jetzt vorzugsweise oder einzig in Höhlen und Grotten gefunden wurden – mehrere Bären, worunter besonders der gewaltige Höhlenbär – die Hyäne, der Tiger, der Panther der Höhlen – Alles von den jetzigen Arten verschieden und, wie es scheint, vollkommen ausgestorben. Aber mit den ausgestorbenen Raubthieren lebten auch noch fest im Norden vorkommende, der Luchs, der Vielfraß, der Wolf, oder bei uns noch einheimische, wie der Fuchs, der Igel, der Maulwurf. Alle diese Raubthiere nährten sich von Nagern, Wiederkäuern, Dickhäutern, bei welchen ähnliche Verhältnisse vorkommen, indem einige Arten ganz ausgestorben, andere nur ausgewandert, andere noch an denselben Orten wohnhaft und einheimisch sind. Ausgestorben sind Arten von Biber, Hase, Eichhorn, Wühlmaus; der irische Riesenhirsch, von welchem man in einzelnen Torfmooren ganze Skelete fand, als sei das Thier dort eingesunken; der Riesendamhirsch, Antilopen, Steinböcke, Ochsenarten, Elephanten, Nashörner, Flußpferde und Mastodonten, während das Rennthier, der Lemming, der Auerochs, das Elen ausgewandert sind und Gemse, Steinbock, Murmelthier, Mufflon, Stachelschwein und andere Arten noch in unseren Gegenden wohnen, aber theilweise sich auf hohe Gebirge zurückgezogen haben, deren Klima dem der nordischen Länder entspricht.

Man kann diese Periode die Periode des Höhlenbären nennen, da dieser wohl am häufigsten vorkommt und seine Zähne besonders leicht kenntlich sind.

Der Mensch fand also eine mit Wild reich besetzte Tafel vor, sobald er sich nur der Thiere bemächtigen konnte.

Es ist in der That wahrscheinlich, daß er sich vorzugsweise von Fleisch nährte, denn man hat nur sehr wenige Pflanzenreste, die ihm zur Nahrung gedient haben könnten, gefunden. Das Feuer kannte er jedenfalls, Asche und Kohlen haben sich überall an seinen Nahrungsstellen gezeigt, zuweilen mochte wohl ein platter Stein als Heerd dienen. Er kratzte das Fleisch sorgfältig von den Knochen, die häufig Spuren dieses Abkratzens tragen; er nagte an den jungen Knochen die Gelenkknorpel ab bis auf das Bein; er spaltete die langen Knochen, um das darin enthaltene Mark zu genießen, er öffnete den Schädel, um das darin enthaltene Gehirn zu verzehren. Also ein Jägerleben. Das Fleisch wurde wohl auf heißen Steinen geröstet oder auch an Spießen gebraten; gewiß aber nur in geringem Grade, denn es finden sich kaum Knochen, welche einigermaßen vom Feuer ergriffen oder verkohlt wären. Das Jagdthier zu erlegen und mit höchst mangelhaften Werkzeugen zuzubereiten, kostete gewiß zu viel Mühe und Anstrengung, als daß der Mensch nicht im äußersten Grade sparsam mit der schwer erbeuteten Nahrung hätte umgehen sollen.

Die Instrumente und Waffen, deren sich der Mensch in dieser ersten Zeit bediente, waren äußerst mangelhaft. Feuersteinkiesel und Knollen wurden mit anderen Steinen so gespalten und dann später langsam und mühselig durch leichtes Behauen zugeschärft, daß sie eine unregelmäßige Schneide erhielten und nun theils als Waffen, theils als Messer benutzt werden konnten. Je nach der Form und Größe haben die Alterthumsforscher diese bearbeiteten Steine Aexte oder Messer genannt. Außerdem dienten noch Bärenkiefer mit abgebrochenem Ende und vorstehenden Backzähnen als Waffen, vielleicht auch als Instrumente zum Bearbeiten der Erde; Geweihstücke der Hirsche, besonders die Augenzinken, die mit dem daran befindlichen Stamme einen Haken oder sonst eine Waffe darstellten; endlich zugespitzte Holzstücke, die wohl als Piken dienen konnten. Bis jetzt hat man keine Spur von Wohnungen oder Gräbern aus dieser Periode gesunden; die Knochen liegen kunterbunt zwischen den Thierknochen und in den Anschwemmungen; die Steinäxte an den Orten, wo sie aus den Kieseln der Kreide und den Feuersteinknollen herausgeschlagen wurden. Die Steinäxte und Messer haben offenbar mehr zufällige Formen, die aus der Spaltbarkeit des benutzten Kiesels hervorgingen; man suchte ihnen dann eine Schneide oder Spitze zu geben, indem man an den geeigneten Rändern kleine Stücke absprengte. Niemals zeigen die Aexte aus dieser Periode eine weitere Bearbeitung, Schleifung oder Politur, wie später, sie sind nur roh ausgeschlagen. Auch Bruchstücke eines rohen Töpfergeschirrs, Thon mit Sand und kleinen Kieselstückchen zusammengeknetet und an der Sonne oder im Feuer getrocknet, aber nicht gebrannt, findet man hier und da. Offenbar konnten diese porösen Gefäße höchstens zum Auffangen von Flüssigkeiten, nicht aber zum Kochen dienen.

Sie waren also ärmer als Robinson, diese Menschen, ärmer in doppelter Beziehung, weil sie niemals etwas Besseres gekannt hatten, und dann, weil Robinson doch einige Bruchstücke der Cultur aus seinem gestrandeten Schiffe gerettet hatte.

Außer ihren rohen Instrumenten haben diese Menschen auch [640] ihre Knochen in den Ablagerungen zurückgelassen, deren Zahl freilich noch sehr gering ist, nämlich außer einer gewissen Menge von Kiefern, Zähnen, Schenkel- und Armbeinen nur drei Schädel, von denen einer in der Höhle von Engis bei Lüttich, ein zweiter in einer Grotte des Neanderthales bei Düsseldorf und der dritte am 17. Juni 1864 in den Schwemmgebilden von Moulin-Quignon bei Abbeville in Frankreich gefunden wurde. An letzterem Orte entdeckte man vor zwei Jahren eine menschliche Kinnlade, über deren Authenticität sogar ein wissenschaftlicher Congreß zusammenberufen wurde, der trotz englischer, auf biblische Vorstellungen gegründeter Einsprüche endlich doch die Echtheit des Fundes und das hohe Alter der Kinnlade anerkannte – heute, wo man an derselben Fundstätte noch viele andere Knochenreste entdeckt hat, die von über alle Zweifel erhabenen Forschern selbst aus dem Lager gezogen wurden, dürfte ein solcher Congreß wohl gar nicht mehr zusammenberufen werden.

Der Schädel von Moulin-Quignon ist noch nicht genauer untersucht worden; aus der Beschaffenheit der Kinnlade schloß Quatrefages, ein bekanntes Mitglied der französischen Akademie, daß es ein Volksstamm von kleiner Statur mit wahrscheinlich rundem Kopfe gewesen sein müsse, vielleicht den heutigen Lappen ähnlich, eine vorläufige Untersuchung der neulich gefundenen Reste scheint seine damaligen Schlüsse bestätigen zu wollen.

Ich habe in meinen „Vorlesungen über den Menschen“ im zweiten Bande die Resultate der bis jetzt bekannten Untersuchungen über die beiden Schädel von Engis und Neanderthal zusammengestellt und nachgewiesen, daß sie keiner jetzt bekannten europäischen Race, wohl aber den Australiern am nächsten stehen, indem sie bei großer Länge eine nur sehr geringe Breite besitzen, wozu noch außerdem eine Menge anderer Eigenthümlichkeiten kommen; daß der Schädel von Engis vielleicht einem Weibe angehörte, während der vom Neanderthal, wie auch die dabei gefundenen sonstigen Knochen bestätigten, der eines großen und starken Mannes gewesen und der wildeste und affenähnlichste Schädel ist, der uns überhaupt bis jetzt bekannt. Einem normalen deutschen Schädel gegenüber gehalten, bietet dieser Schädel aus der Bärenzeit eine so furchtbare Degradation dar, daß man sich eines gelinden Schauders nicht erwehren kann. Die entsetzlich aufgewulsteten Lagen der Augenbrauen, ähnlich den Ringen, welche die Augen des erwachsenen Gorill oder Orang umgeben; die tiefe Einbuchtung dahinter, die sich in ein flaches Gewölbe fortsetzt, so daß man bei horizontaler Stellung der Schädeldecke über den Augenbrauen gar keine Stirne mehr sieht; der flache Scheitel und die ungeheure Dicke der Schädelknochen selbst – Alles das läßt eher den Gedanken an eine wilde Bestie als an einen Menschen aufkommen, und erst eine genauere Untersuchung läßt uns erkennen, daß dies doch ein menschlicher Schädel war und das darin eingeschlossene Gehirn einen menschlichen Typus hatte.

Aber dieser Affenmensch, denn anders können wir ihn wohl kaum nennen, hat doch einen Funken in sich, der ihn über seine nächsten Verwandten erhebt; er sinnt darauf, seine Lage zu verbessern und sich das Uebergewicht über die ihn umgebende Thierwelt zu verschaffen. Diese wird nicht durch irgend einen Machtbefehl in seine Hand gegeben, sondern er selbst muß sich die Mittel schaffen, sie zu überwältigen. Zugleich ändern sich nach und nach auch die umgebenden Verhältnisse. Der Höhlenbär wird seltener und macht seinem weniger kolossalen Vetter, dem gewöhnlichen braunen Bär, Platz. Höhlentiger und Hyänen verschwinden ebenfalls nach und nach, ebenso die großen Dickhäuter, Flußpferd, Nashorn und Mammuth, während dagegen Auerochsen, Pferde und namentlich Rennthiere im südlichen Frankreich häufig sind und die gewöhnliche Nahrung des Menschen zu bilden scheinen. Man kann diese Epoche füglich die Periode des Rennthiers nennen, da dieses das charakteristischste Thier ist, dessen Knochen auch am häufigsten ihrer Härte wegen verarbeitet werden, woraus man fast schließen könnte, daß der Mensch damals ein Leben führte, ähnlich den wandernden Lappen, denen früher auch das Rennthier Alles war. Jetzt freilich, seit die Civilisation in die Finnmarken gedrungen ist, weiß auch der wandernde Lappe die Producte derselben zu schätzen, und Kaffee und Zucker, Wollengewebe und ähnliche Dinge gegen seine Rennthierhäute und Zungen einzutauschen. Es ist also diese Periode die Aussterbezeit der untergegangenen Thierarten und zugleich die Rückzugszeit der nordischen Thiere, die noch im Süden hausten, gegen höhere Breiten hin.

[670]
II.
Funde im Trüffellande. – Das Auftreten des Haushunds. – Erste Spuren von Malerei und Skulptur. – Das Liliputanervolk. – Ein Völker-Aërolith. – Die Baskenschädel. – Die Periode von Dänemarks Küchenabfällen. – Geschliffene Instrumente. – Mecklenburger und Südseeinsulaner.

Die Instrumente werden in dieser Rennthier-Periode mannigfaltiger, besser bearbeitet. Die Kieseläxte und Messer werden zum Theil geschliffen, ihre Form wird auch handlicher oder besser zum Einfügen in Griffe von Horn oder Holz zugerüstet. Das Rennthierhorn besonders wird mit großer Sorgfalt bearbeitet. Lanzen- und Pfeilspitzen, Ahle und Nadeln, Glättmesser (vielleicht zum Gerben der Häute) werden zugerichtet; Pfeifchen aus den Fingerknochen gebildet durch Aushöhlung; Zähne von wilden Thieren angebohrt, um sie als Schmuck umhängen zu können, ja man denkt selbst an Verzierung und Ausschmückung des Geräthes, dessen man sich bediente.

In dieser letzteren Beziehung höchst merkwürdige Funde haben die Herren Lartet und Christy im Trüffellande, im alten Périgord, dem heutigen Departement der Dordogne, gemacht. Das Kalkgebirge der dortigen Gegend hat eine Menge von Grotten und Höhlen nachzuweisen, auf deren Boden Knochenanhäufungen liegen, die zuweilen in zwei Schichten getrennt sind, von denen die untere der Periode des Höhlenbären, die obere derjenigen des Rennthiers entspricht. Die Knochenablagerung selbst besteht aus einer schwarzen, muffig riechenden Erde, die offenbar aus der Verwitterung und Fäulniß des Fleisches, welches die Knochen umhüllte, hervorgegangen und durch Infiltration von Tropfsteinmasse eine feste Kruste geworden ist, in welcher die Ueberreste stecken, Alles durcheinander, zerschlagene und ganze Knochen, bearbeitete Hornstücke und Steinäxte, die man dann aus der Masse herausklauben kann. Wagenladungen voll von diesem Fußboden der Grotte von Eyzies, dessen Dicke zwischen einem bis dritthalb Fuß schwankt, haben die Herren Lartet und Christy gefördert und theils den einzelnen Museen geschenkt, theils selbst ein Museum aus ihren Funden zusammengestellt, das vielleicht eines der merkwürdigsten in seiner Art ist.

Wie oft die kleinsten Umstände bei diesen Untersuchungen zu überraschenden Schlüssen Veranlassung geben können, möge aus folgendem Bruchstücke der Abhandlung der Finder hervorgehen, das ich mit ihren eigenen Worten wiedergebe.

„Der erste Anblick der herausgebrochenen Platten zeigte uns, daß zwar alle Röhrenknochen unfehlbar zerbrochen oder der Länge nach gespalten waren, daß aber dennoch die Wirbelreihen in ihrer natürlichen Folge sich aneinandersetzten und daß die mehrfachen Stücke, welche gewisse Gelenke zusammensetzen, wie die Hand- und Fußwurzel, stets in ihrer relativen, anatomischen Lage zu einander sich befanden.

Dies bewies uns, daß jene Ur-Jäger, welche das Mark der Knochen für einen Leckerbissen hielten, nicht die gleiche Vorliebe für die Knorpel der Gelenke zu haben schienen, wie wir dies bei noch früheren Racen zu bemerken geglaubt hatten. Wir finden in diesem Umstände auch einen freilich negativen Beweis für das Nicht-Vorhandensein des Haushundes bei unseren Ahnen aus der Rennthierperiode, denn wenn der Hund an ihrem Essen Theil genommen hätte, so würde er schwerlich die Knorpel des Rennthiers und der anderen Grasfresser verschont haben. Auch sehen wir in der Grotte keine von Fleischfressern angenagten Knochen, und den Vogelknochen fehlen auch die Gelenkköpfe nicht, wie dies in den ‚Küchenabfällen‘ in Dänemark der Fall ist. Bekanntlich hatte Professor Stenstrup in Kopenhagen aus diesem Umstände auf die Gegenwart des Haushundes bei den Eingeborenen der Ostsee geschlossen.“

Die Rennthierjäger des Périgord zeigten offenbar einen künstlerischen Sinn und künstlerische Begabung. Man findet dort schon Steinmesser mit gerundetem Rücken und schmalem Stiele, der in einen Hornstiel befestigt werden konnte; die Instrumente aus Rennthierhorn sind wohlgeformt, oft sehr fein, wie z. B. Nadeln mit ihren Oehren und mit geschlungenen oder gebrochenen Linien im Relief und in Hohlarbeit geziert. Außerdem aber giebt es einige Versuche, auf Schieferplatten und Horninstrumenten Bildnisse von Thieren anzubringen. Die meisten derselben stellen offenbar Wiederkäuer dar, viele allerdings unkenntlich und nicht besser, als wenn ein Kind die Wände beschmiert; in einigen ist das Rennthier unverkennbar. „Das schönste Stück, welches wir besitzen,“ sagen die Herren Lartet und Christy, „stammt aus der Grotte von Laugerie-Basse und ist ein Degen- oder Dolchgriff, der aus der Stange eines Rennthiergeweihes geschnitzt wurde. Der Handwerker oder, besser gesagt, Künstler hat eine gewisse Geschicklichkeit an den Tag gelegt, indem er die Form des Thieres, ohne ihr zu viel Gewalt anzuthun, dem Gebrauch der Waffe anschmiegte. Die Hinterbeine sind in der Längsrichtung der Klinge ausgestreckt; die Vorderbeine unter den Leib gebogen, wie beim Sprunge. Der Kopf ist zurückgebogen und die Schnauze so emporgestreckt, daß die verästelten Geweihe auf die Schultern fallen, wo sie sich anlegen, ohne die Führung der Waffe zu beeinträchtigen. Doch gehört zu dem so gebildeten Griffe eine sehr kleine Hand, weit kleiner, als die der jetzigen europäischen Racen. Die dem Kopf gegebene Lage erlaubte dem Künstler nicht, die für das Rennthier so charakteristischen Augenzinken des Geweihes anzugeben; doch läßt die Kürze der Ohren und die Dicke des Halses schließen, daß er ein Rennthier ausschnitzen wollte. Außerdem hat der Künstler unter dem Halse einen dünnen und zackigen Kamm stehen lassen, der wohl den Haarbüschel vorstellen soll, welchen der männliche Rennhirsch an dieser Stelle trägt und der dem Hirsch selbst fehlt.“

Ich habe diese Waffe selbst in der Hand gehabt und muß sagen, daß mir die Absicht des Künstlers, ein Rennthier darzustellen, in der That unzweifelhaft scheint. Der Griff paßt aber höchstens in die Hand eines zehnjährigen Knaben germanischer Race.

Es waren also wohl kleine Leute, die mit dem Rennthiere, dem wilden Pferde, der Gemse, dem Steinbock, dem Auerochs im Trüffellande zusammenlebten, die sich von dem Ertrage der Jagd und des Fischfanges nährten, in die Felle der erlegten Thiere kleideten, die noch kein Hausthier, selbst den Hund nicht gezähmt hatten, die noch kein Metall und selbst die Politur der Steine nicht kannten, dagegen aber schon sich Zierrathen und Schmuckwaffen verfertigten, welche von einigem Kunstsinn Zeugniß ablegen.

Wer aber sich hinsetzen soll, um mühsam mit einem Steinmesser aus hartem Rennthierhorn eine Figur zu schnitzen, der muß Zeit dazu haben! Erst muß, nach dem alten Homer, das Bedürfniß nach Speise und Trank gestillt sein, ehe der Mensch an etwas [671] Anderes, an die Befriedigung eines höheren Kunsttriebes, gehen kann. Die Rennthierjäger des Périgord müssen also Wild genug zu ihrer Disposition gehabt haben, um einige Stunden dieser Beschäftigung widmen zu können, sie müssen nicht von steten Nahrungssorgen gedrängt gewesen sein.

Dann aber ist die Art dieser Kunstbethätigung höchst merkwürdig. Es ist Nachahmung der Natur. Bei andern Racen tritt diese erst weit später auf. In der Schweiz z. B. findet sich selbst bis in eine weit spätere Periode, in die Zeit der Metalle hinein, keine Spur von Ausschmückung durch Naturnachahmung, sondern einzig und allein durch geometrische Linien, gerade, gebogene, gewellte und zackige Linien. Sollte der Geschmack der Naturnachahmung, die realistische Kunstrichtung, etwas diesem französischen Boden Eigenthümliches sein, während diesseits des Rheines die idealistische Richtung sich in geometrischen Abstractionen kund gäbe? Sollte die Race der Rennthierjäger des Trüffellandes ganz besondere künstlerische Fähigkeiten besessen haben?

Ein französischer Forscher, Herr von Gobineau, behauptete vor einigen Jahren in einem mehrbändigen Werke, das manches Gute, aber auch manches Bizarre enthält, der Kunstsinn nach allen seinen Richtungen sei wesentlich der schwarzen Race eigen und die Bethätigung desselben hänge bei den verschiedenen Stämmen nur von der größeren oder geringeren Menge von Beimischung schwarzen Blutes ab, welches sich bei ihnen finde. Die germanische Race kommt bei dieser Anschauung freilich sehr schlecht weg: trotz Cornelius und Thorwaldsen (wenn es überhaupt erlaubt ist, in unseren Zeiten einen Dänen und einen Deutschen nebeneinander zu nennen), Mozart und Beethoven, verdammt uns Herr von Gobineau zu ewiger Unproductivität in der Kunst, weil wir ursprünglich blonde Haare, blaue Augen und weiße Haut haben, eine Beimischung schwarzen Blutes also nur schwer nachweisbar ist. Vielleicht kommt uns diese schwarze Kunstinfusion nur durch dritte Hand mittels der Romanen, besonders der Franzosen, denen Herr von Gobineau natürlich die bedeutendste Dosis davon zuspricht.

Immerhin mögen dies Träume sein, aber ich wurde doch daran erinnert, als ich die Kunstproducte der Lartet’schen Sammlung in Händen hatte und zugleich an die Schädel dachte, welche man von solchen Rennthierjägern gefunden hat. Die mir bekannten stammen aus der Höhle von Lombrive im südfranzösischen Departement der Arriège. Es sind schöne Schädel mit hochgewölbter Stirn, von mittlerer Länge und bedeutender Hirn-Capacität, ohne vorgewulstete Augenbrauen und überhaupt von sanft gerundeten Linien begrenzt, also offenbar Schädel eines Culturvolkes und von den Schädeln der Höhlenbärenzeit himmelweit verschieden. Genauere Untersuchungen, die Broca in Paris, einer der ausgezeichnetsten Forscher im Gebiete der Menschenkunde, über die Schädel der Basken angestellt hat (Broca war so glücklich, den Kirchhof eines tief in den Pyrenäen liegenden baskischen Dörfchens ausräumen und sechszig Schädel von dort entnehmen zu können), lassen eine große Aehnlichkeit der Schädel von Lombrive mit den Baskenschädeln nicht verkennen. Sie gehören dazu, unterscheiden sich nicht von ihnen. Man würde sie in der Reihe der Baskenschädel aufstellen, ohne sie unterscheiden zu können.

Nun sind aber diese Basken ein gar seltsames Völkchen, eine Völkerinsel mitten im indogermanischen Racen-Ocean, mit einer Sprache, die von allen andern in ihren tiefsten Wurzeln sich entschieden abtrennt, gar nichts mit ihnen gemein hat, gleichsam ein Völker-Aërolith, der auf die Pyrenäen gefallen scheint, ohne daß Spuren vorhanden wären über die Wurfbahn, auf welcher er dahin gelangt ist.

Vielleicht kann die Untersuchung der Baskenschädel selbst hierüber einige Auskunft geben. Broca findet in der That, daß dieselben mit den afrikanischen Langköpfen, nicht aber mit den europäischen Ähnlichkeit haben, und daß man unter den Racen des afrikanischen Mittelmeergürtels ihre Verwandten suchen müsse. Ist dies nicht ein bedeutsamer Fingerzeig auf die anderen Thatsachen entnommene Zusammengehörigkeit dieses Gürtels und auf den Zusammenhang der Säulen des Hercules, zur Zeit, als die Basken den pyrenäischen Theil dieses Gürtels bewohnten und in den Ebenen der Provence und des Périgord das Rennthier jagten?

Einen noch späteren Abschnitt der Zeit des Urmenschen mögen wohl die Küchenabfälle Dänemarks (Kjoekkenmöddinger) bezeichnen, welche in ungeheuren Haufen von Schalen der dort im Meere lebenden Seeschnecken, besonders Austern, Mies- und Herzmuscheln, in Fischgräten, Vögel- und Säugethierknochen, Kohlen, Bruchstücken von Töpferwaaren, Kieselgeräthschaften aller Art bestehen und von einem Strandvolke Zeugniß ablegen, das auch Gräber hinterlassen hat. Alles, was früher, zur Zeit jener Küstenlappen, hier wuchs und lebte, hat sich mehrmals geändert; anstatt der Fichten wuchsen später Eichen, auch diese gedeihen jetzt in Dänemark nicht mehr; der Auerhahn ist verschwunden und der große nordische Taucher ist gänzlich ausgestorben. Der Küstenlappe lebte im Sommer vom Fisch- und Austernfang und von der Jagd, welche sich auf die nächste Umgebung der Lagerplätze beschränkte, denn alle vorgefundenen Thierknochen, von Vögeln wie Säugethieren, weisen auf Geschöpfe hin, die gern Meer und Strand und Tiefgrund besuchten; er weidete seine Heerden vielleicht in einiger Entfernung und nährte sich nur von ihrer Milch, während im Winter das Fleisch und Blut des Rennthieres seine wesentliche Speise abgab.

Die Thierbevölkerung hat sich in dieser Periode der Küchenabfälle schon mehr der jetzigen genähert, wenn auch noch immer einige dieser Thiere, wie Schwan und Taucher, auf die nördlichere Fauna hindeuten. Aber der Fortschritt documentirt sich auch durch andere Thatsachen. Vor allen Dingen durch die Gegenwart des Haushundes, dessen Anwesenheit man zwar zuerst aus den benagten Vogelknochen erschloß, denen stets die verknorpelten Enden, sowie die feineren Knochen des Rumpfes, Wirbel und Rippen fehlten, welche die Hunde so gern zusammenknetschen, und von dem man später auch Knochen fand. Es war eine kleine, aber offenbar intelligente Hunderace mit ziemlich rundem und geräumigem Schädel und mittellanger Schnauze, die zwischen dem Wachtel- und Jagdhunde innestand. Vielleicht benutzten die Küstenlappen diesen Hund ebensowohl zur Jagd wie zur Wacht – vielleicht finden wir die Nachkommen dieser Urrace in den kleinen, struppigen, aber klugen und wachsamen Hunden, die den heutigen Lappen stets begleiten und ohne welche er seine Rennthierheerde nicht führen und zusammenhalten könnte. Die Race ist in der That ganz eigenthümlich langleibig mit kurzen Beinen, meist mit langem Haar, die ihr etwas Aehnliches mit den jetzt so beliebten Griffons giebt, deren Schönheit in ihrer Häßlichkeit besteht – aber die Lappen schätzen sie sehr, und ein guter Hund wird bei ihnen im Verhältniß zehnmal theurer bezahlt, als ein wohldressirter Hühnerhund bei uns. Merkwürdiger Weise war diese kleine Hunderace mit rundem Schädel während der Zeit, wo die Bevölkerung nur Stein, Horn und Holz als Material zu Werkzeugen kannte, über ganz Europa verbreitet und stets in ihren Charakteren identisch, so daß sich also damals keine Spur von jener außerordentlichen Menge von Raritäten, Racen und Arten fand, die wir jetzt in dem Hundegeschlechte gewahren. Erst später, mit der Kenntniß des Metalles, findet man einen großen Wolfshund oder Windhund, von welchem mir neulich ein außerordentlich schöner und wohlerhaltener Schädel zukam, den Professor Jeitteles in Olmütz in den Pfahlbauten am Ufer der March gefunden hat.

Derselbe Fortschritt, welcher sich in der Zähmung des Haushundes erblicken läßt, zeigt sich auch in der Bearbeitung der Instrumente. Zwar bleiben die Kieselmesser und Aexte, die man zum Oeffnen der Muscheln, zum Zerschlagen der Knochen braucht, noch eben so roh und nur durch Spalten der Feuersteine gebildet wie früher, aber daneben finden sich auch wohlpolirte und geschliffene Instrumente von höherem Werth, die offenbar auch der Seltenheit und der Schwierigkeit der Bearbeitung wegen geschont wurden, vielleicht selbst als Zeichen einer socialen Stellung dienten. Wenigstens fand man bei der Entdeckung mancher Südsee-Inseln, daß solche wohlpolirte und geschliffene Steinwaffen von Vater zu Sohn mit einer gewissen Häuptlingswürde sich vererbten.

Ich nannte die austernessenden Steinmenschen Küstenlappen und zwar mit vollem Rechte. Man hat Schädel dieser Race in ziemlicher Anzahl ausgegraben, die unter großen aus zusammengeworfenen Steinen gebildeten Hügeln, in Grabkammern aus rohen Steinblöcken, mit Steinwaffen an ihrer Seite lagen; ja man hat ähnliche Schädel im deutschen Küstenlande, in Mecklenburg, einfach im Sande gefunden, nebst einigen Stein- und Hornwaffen daneben. Diese Schädel sind klein, sehr rund, sehr kurz, die Nasenwurzel tief eingesenkt, die Augenbrauenbogen bei den Männern meist wild vorgetrieben. Es sind entschiedene Kurzköpfe und stehen, den Schädeln von Engis und Neanderthal gegenüber, fast am entgegengesetzten [672] Ende der möglichen Reihe menschlicher Schädelformen. Sie gleichen am meisten denjenigen der heutigen Lappen und Finnen, doch zeigen sie nicht vollständige Uebereinstimmung. Die Charaktere aber, welche sie von den heutigen Lappen trennen, gehören vielleicht zu der Anzahl derjenigen, welche im Laufe der Zeiten durch die Civilisation sich abändern können. Die Aehnlichkeit des Schädelbaues, die Uebereinstimmung in der geringen Körpergröße, der Schmächtigkeit des ganzen Knochenbaues, und die Analogie der Lebensweise, die sich aus den Funden ergiebt, mag also wohl meine Bezeichnung als Küstenlappen rechtfertigen.

[726]
III.
Verschiedener Menschentypus der verschiedenen Epochen. – Die Pfahlbauerepoche. – Verbreitung der Pfahlbauten über ganz Europa. – Die Steinpfähler. – Die Bronzepfähler. – Die Epoche des Eisens. – Der helvetische oder Sion-Menschtypus. – Das Alter des Menschengeschlechts.

Die Aufeinanderfolge der Epochen, welche wir aus der Veränderung der umgebenden Thierwelt, aus der Bearbeitung der Instrumente und der Zähmung der Hausthiere nachzuweisen suchen, hat uns also von Belgien und Nordfrankreich nach Südfrankreich und Nordspanien und von dort wieder nach Dänemark und Norddeutschland geführt. Dabei hat sich aber das merkwürdige Resultat herausgestellt, daß jede dieser Epochen wenigstens eine ihr zukommende Menschenrace besitzt, deren physische Charaktere ebensoweit von einander abstehen, wie nur die jetzigen, über die ganze Erde verbreiteten Menschenracen abweichen können. Mit der Ansicht, daß alle Menschenarten von einem einzigen Paare abstammen und ihre Verschiedenheiten sich nur allmählich herausgebildet haben, wie jeder konsequente Einheitler des Menschengeschlechtes doch annehmen muß, stimmt doch wohl diese nackte Thatsache am wenigsten. Die Verschiedenheit der Menschenracen ist schon in den ältesten Resten derselben vorhanden, die wir nur irgend kennen.

Aber unsere Aufgabe ist noch nicht beendet. Innerhalb der engen Grenzen, welche die Unkenntniß der Metalle und die Beschränkung auf Stein, Horn und Holz dem menschlichen Erfindungsgeiste zieht, innerhalb der Steinzeit, wie man diese lange Urzeit genannt hat, ist noch mancher Fortschritt möglich. Wir treten in die Epoche der Pfahlbauer.

Warum sie gerade in Lagunen, in Seen, in Torfmoore und Flußbuchten bauten? Man hat uns neulich gerathen, nach Venedig zu gehen, dessen Paläste ebenfalls auf Pfähle und Roste gegründet sind, und dort nach dem Grunde der Erscheinung zu suchen. Aber ich zweifle, daß Venedig, wo sich Civilisation auf Civilisation gethürmt hat und die alten Culturschichten unter der Last der Marmorpaläste vergraben liegen, daß diese Lagunenstadt uns nur so viel bieten könnte, als die alten Pfahlbauten, über die sich nur schützender Torf oder Schlamm gelegt hat. Der fromme Troyon hat die Frage für alle Frommen genügend beantwortet – die Pfahlbauten sind die bibelgemäße Entwicklung der Flöße, auf welchen die Nachkommen Sem’s, Ham’s und Japhet’s das Mittelmeer umschifften und in die Flußmündungen eindrangen, um dem Laufe der Flüsse folgend bis in das Innere des Continents zu gelangen. Mußten doch capitale Kerle sein, diese Flößer! Heut zu Tage flößt man flußabwärts, genau in derselben Richtung, in welcher das Wasser strömt – damals floß wahrscheinlich das Wasser bergauf! Welche Antwort man wohl von einem Schwarzwälder Floßmeister bekommen würde, dem man zumuthen wollte, sein Floß von Basel aus nach dem Bodensee, statt nach der Nordsee schwimmen zu lassen?

Mögen es nun Wohnungen zum Schutze gegen Angriffe und wilde Thiere oder Magazine sein, welche auf den damals fast nur allein möglichen Handelswegen der Wasserverbindungen errichtet wurden – genug, die Pfahlbauten existiren und der Kreis ihrer Verbreitung erweitert sich mit jedem Tage. Die Schweiz ging voran mit der Entdeckung und allseitigen Ausforschung, Italien folgte, Irland und England blieben nicht zurück, und neuerdings nimmt Deutschland auch seinen Antheil daran, indem Desor mit seinem treuen Benz im Stahrenberger See und Jeitteles in Olmütz sie nachwies. „Was sie im Auslande nicht Alles erfinden!“ sagte ein Custode in München zu einem meiner Freunde. „Da ist neulich ein Professor aus der Schweiz gekommen mit einem kleinen Kerl mit katzgrauen Augen, und der Professor sagte: Da im See, da an der Roseninsel, da müssens’s sein. Ja, sagte der Andere, ich seh’s auch. Und da fischten sie hinein und zogen die Sachen heraus. Unsere Herren, die mit waren, konnten nix sehen, bis es heraus war. Dann sind sie wieder fort – aber den Orden werden’s dem Professor wohl nachschicken, wenn er auch in der Schweiz wohnt, wo sie darauf nicht viel geben.“

Die Pfahlbauten sind also wohl über ganz Europa zerstreut und dienen sogar häufig als Grundlagen späterer Ansiedlungen, die sie verdecken. In Italien kömmt es nicht selten vor, daß man über der Pfahlbauschicht alle die Culturschichten findet, welche auf diesem classischen Boden sich ausgebreitet haben, etruskische, römische, mittelalterliche Reste, die einen die andern deckend und bergend. Anderswo sind diese Reste unter dem Schlamm der Seen, unter dem Torf der Moore begraben.

Es waren längliche Hütten, die theils auf Rosten, theils auch auf Packwerk standen, das aus Holzstücken zusammengehäuft, mit Lehm verbunden und durch Pfähle festgehalten wurde. Offenbar liefen um die Hütten Rostböden, die über dem Wasserspiegel standen und die Communication vermittelten. Die Pfähle selbst staken tief im Seegrunde, häufig mit angekohlten Spitzen. Die meisten Ansiedlungen sind durch Feuer zerstört worden, und aus der Richtung der Kohlenstückchen und der Asche konnte Messikomer, einer der verdientesten Forscher in der Nähe von Zürich, nachweisen, daß die Ansiedlung von Robenhausen am Pfäffikon-See bei einem heftigen Föhnsturme abgebrannt sei.

In der Schweiz läßt sich der Fortschritt in der Civilisation des Urmenschen während der Pfahlzeit deutlich verfolgen. In der Ostschweiz am Bodensee, an den Seen von Pfäffikon und Zürich sind die Geräthschaften noch roh, klotzig, unbeholfen, bäurisch in der Form, in der Westschweiz, bei Concise am Neuenburger See, in einer sehr reichen Station, welche der waadtländische Cantönligeist, gestützt auf die sprüchwörtlich gewordene Selbstsucht eines frommen Privilegienhaschers, während längerer Zeit der freien Forschung unzugänglich gemacht hatte, in Concise finden sich feinere Formen, gefälligere Werkzeuge, besser ausgearbeitete Verzierungen.

Offenbar ist es der Besitz fester Wohnungen, welcher die erste Bedingung der Civilisation bildet. Sobald das Jäger- und Nomadenvolk sich an den Boden gefesselt hat, strengt es auch seinen Scharfsinn an, denselben urbar und nutzbar zu machen, seine Production zu erhöhen und mehr Nahrungsstoff aus der Umgegend zu ziehen, als diese freiwillig bieten würde. Mit dem Zusammenwohnen muß auch eine gewisse Ordnung, ein gesellschaftlicher Verband entstehen, der vielleicht im Anfange sich nur auf die Familie beschränkt, bald aber sich ausdehnt. Wenn man bedenkt, daß in den Seen und Torfmooren der Schweiz allein jetzt über dreihundert Pfahlbauten nachgewiesen worden sein mögen, daß der Bieler- und Neuenburger-See überall den Ufern entlang mit solchen Bauten, deren Flächenraum oft großen Dörfern entspricht, förmlich bespickt erscheinen; daß außerdem noch ganz gewiß auf dem Lande Ansiedlungen waren, da man einerseits bei Zürich am Ebersberge eine solche gefunden hat, anderseits menschliche Gebeine in der Umgebung der Wasserbauten fast gänzlich fehlen: so kommt man unwillkürlich zu dem Schlusse, daß diese Bevölkerung eine ziemlich zahlreiche gewesen sein muß, in gesellschaftlichen Beziehungen lebte und Ackerbau und Viehzucht zu treiben genöthigt war, um auf so beschränktem Raume sich nähren zu können.

Der Fortschritt der Cultur läßt sich besonders an den Hausthieren, an der Landwirthschaft und den Gewerben nachweisen. Der Hund, der auch in den ältesten Zeiten der dänischen „Küchenabfälle“ vorhanden war, findet sich überall in der Schweiz; eine eigene Schweinsart, das Torfschwein, dessen Nachkommen jetzt kaum noch in den Thälern um den Gotthardt gezüchtet werden, findet sich anfangs nur wild, später aber in gezähmtem Zustande vor; das Wildschwein bleibt lange noch wild, erst in Concise gegen das Ende der Periode, die wir als die Epoche der Steinpfähler bezeichnen können, kommt es[WS 2] gezähmt vor und scheint dort als zahme Hausthierrace eingeführt worden zu sein. Der Wisent oder Auerochs, der jetzt noch in den polnischen Wäldern lebt, ist niemals gezähmt worden; der nicht minder große Ur hat sich zur friesischen Rindviehrace einigermaßen umbilden lassen, zeigt sich aber in der Steinzeit nur selten gezähmt. Dagegen giebt es eine kleine Rindviehrace, am ähnlichsten vielleicht dem noch jetzt in Algier gezüchteten Kleinvieh, die Torfkuh, welche allgemeines Hausthier wurde und die bekannte Schwyzer Race oder das Braunvieh der Schweiz gebildet hat. So haben also die Steinpfähler das Schwein und das Rind – aber auch das Schaf und die Ziege fehlen nicht. Letztere unterscheidet sich nicht von der gegenwärtigen, das Schaf aber hatte ziegenähnliche Hörner und scheint sich noch [727] jetzt in einer Race fortzupflanzen, die schlechten Ertrag an Wolle und Fleisch liefert und nur noch in der Nähe des Gotthardts, sowie in den Hochgebirgen von Schottland und Wales gezüchtet wird. Die wilden Jagdthiere haben sich in so fern verändert seit jener Zeit, als Ur und Wisent, Hirsch und Elen, die erst von den Steinpfählern gejagt wurden, ganz aus der Schweiz geschwunden sind, Damhirsch und Reh, Wildschwein und Wolf und Steinbock dagegen nur noch selten und ausnahmsweise sich antreffen lassen· Rütimeyer, der an dem lockeren Gewebe und fettigen Aussehen die Hausthierknochen leicht von den Knochen der entsprechenden wilden Racen unterscheidet, macht übrigens die sehr triftige Anmerkung, daß in den ältesten Ansiedlungen die Knochen der Jagdthiere überwiegen, in den jüngeren diejenigen der Hausthiere, woraus eben wieder mit Sicherheit geschlossen werden kann, daß erst die Steinpfähler in der Schweiz überhaupt festere Wohnsitze gründeten und die Thiere, welche ihnen das angrenzende Land bot, zu züchten versuchten, was ihnen auch bei einzelnen Arten allerdings gelang. Erst in der spätesten Zeit dieser Ansiedlungen finden sich Spuren von Einführungen neuer Hausthierracen, wie eine besondere Rindviehrace, Pferd und Esel, die alle auf den Mittelmeergürtel hindeuten – echt asiatische Thiere, wie das Huhn z. B., fehlen überall gänzlich, und keine Spur führt, wenigstens von den Thieren, nach Hochasien oder Indien hinüber.

Der Ackerbau stand auf verhältnißmäßig hoher Stufe. Der Weizen wurde allgemein gebaut, seltener der Emmer und die Gerste; die Brodfrucht wurde auf großen Steinen mit Läufern gequetscht und gebacken; das Brod sieht verkohltem Pumpernickel nicht unähnlich. Aepfel und Birnen wurden gezogen und mit der äußeren Haut, meist in Hälften gespalten, zu Schnitzen gedörrt. Faserpflanze war allein der Flachs; der Hanf war ebenso unbekannt, als die Weinrebe. Bewundernswürdig sind die Gewebe, welche auf offenbar höchst einfachen Webstühlen zu verschiedenen Zwecken angefertigt wurden.

Das Rennthier, dessen härtere Geweihe zu Instrumenten vorgezogen worden wären, existirte offenbar in der Schweiz nicht mehr – die Geräthe, oft sehr kunstvoll und fein (Nadeln, Strickstöcke, Speerspitzen, Feldhacken etc.) sind aus Hirsch- und Rehgeweihen verfertigt, und an einzelnen Stellen, wie in Concise, hat man solche Massen von Geweihen, halb und ganz bearbeiteten Stücken gefunden, daß man Haufen davon aufklaftern konnte und der Gedanke einer Fabrik und eines Magazins nahegelegt werden mußte. Die Art und Weise, wie die Steinäxte und Hämmer mit Horn- und Holzstielen befestigt wurden, indem bald die Axt in den Stiel geklemmt und gebunden, bald wieder ein Loch in den Stein gebohrt und der Stiel darin befestigt wurde, zeugt sowohl von der Festigkeit der benutzten Bänder, als von der Geschicklichkeit der Verfertiger. Ebenso bieten die Töpfergeräthschaften merkwürdige Zeichen allmählicher Vervollkommnung sowohl durch bessere Zubereitung des Materials, als durch Verfeinerung der Formen und künstlerische Anordnung der einfachen Verzierungen. Bogen und Pfeile, Schlägel und Speere, Schüsseln und Quirle aus Holz fehlen ebensowenig, als Kämme und Körbe – ja selbst Räder zeigen, daß man sich schon wenigstens der Schubkarren bediente, wenn nicht ein jochähnliches Holz sogar auf Einspannung der Rinder und also auf Gebrauch wirklicher Wagen hindeutet.

Das Einzige, was auf einen Cultus bezogen werden könnte, wären mondsichelähnliche Gegenstände aus Stein, Thon und Holz – die Hörner des Mondes sind nach oben gerichtet – mir haben indessen diese Geräthe von ansehnlicher Größe eher den Eindruck von Kopfträgern zum Schlafen gemacht. Bekanntlich legen die Chinesen und Japanesen ebenfalls das Genick beim Schlafe auf einen Holzblock, dessen etwas ausgehöhlter Rand nicht gerade allzu abgerundet ist, und der rohe Holzsattel, den der ungarische Pferdehirt als Kopfkissen benutzt, mag an Weichheit der Mondsichel der Pfahlbauern nicht weit voranstehen.

Es war also mit Holz, Horn und Stein von diesen Steinpfählern erreicht, was nur irgend erreicht werden konnte. Die Landwirthschaft blühte – von fast rein thierischer Nahrung war der Urmensch zu vorwiegend pflanzlicher übergegangen; er wob sich seine Kleiderstoffe, statt den Thieren ihr Fell zu rauben; statt von dem Zufalle der Jagd zu leben, strengte er seine Intelligenz an, um seine eigene Vorsehung zu werden und sich den zum Unterhalte des Lebens nöthigen Nahrungsstoff selbst zu schaffen. Aber es fehlt noch jede Spur von höherer Entwickelung – namentlich jede Spur von einer Zeichen- oder Buchstabenschrift, durch welche der Mensch seine Gedanken befestigen und Solchen, die außer dem Bereich seiner Stimme waren, hätte mittheilen können.

Sogar in der nächsten Epoche, welche man die Periode der Bronzepfähler nennen könnte, fehlt eine jede solche Andeutung gänzlich. Das Metall wird offenbar allmählich eingeführt; das Erz wird, chemischen Analysen zufolge, aus den Alpen selbst gewonnen. Die Bearbeitung der Mischung geschieht nur durch Gießen in Formen; aber diese Formen selbst erreichen einen hohen Grad von Vollkommenheit und selbst künstlicher Schönheit. Die Schwerter und Aexte, die Messer und Dolche, die Speer- und Pfeilspitzen, die Sicheln und Sensen haben alle höchst eigenthümliche, aber auch sehr passende Formen, und der Schmuck? – mein Freund Desor hat Haarnadeln mit verzierten Köpfen, Arm- und Fußringe, Gehänge für Ohren, vielleicht auch für Nasen und Lippen, Agraffen und Brochen aus Bronze, die Jahrtausende lang im See gelegen hatten, durch geschickte Hände aufpoliren lassen, und ich kann versichern, daß viele dieser Gegenstände geschmackvoller und reicher gearbeitet sind, als viele Schmuckgegenstände aus Gold, die jetzt an den Schaufenstern der Genfer Juweliere den neuesten Modegeschmack repräsentiren.

Ich will mich über die Zeit der Bronzepfähler nicht weiter verbreiten. Mit dem Ende der Steinzeit, mit der Kenntniß des Metalls hört eigentlich die Urzeit der Menschheit auf. Aber das Ringen mit dem Material hört auch in der folgenden Periode nicht auf. Nach langen Jahren erst tritt das Eisen wahrscheinlich ebenso allmählich an die Stelle der Bronze, wie diese an die Stelle des Steins und des Hornes getreten war. Jedenfalls geschah letztere Einführung nicht plötzlich durch Invasion eines anderen Stammes, einer anderen Race, sondern nur nach und nach; jedenfalls waren die Bronzeinstrumente anfangs nur Seltenheiten, reichen Leuten angehörig, bis endlich die zunehmende Civilisation dem Metall mehr und mehr seine Rechte auch in den niederen Schichten der Gesellschaft eroberte. Ich will zum Schluß nur noch zwei Fragen berühren, welche mit dieser ganzen Darstellung enge verknüpft sind – das Racenverhältniß der Pfahlbauern der Schweiz zu den übrigen Urmenschen und das Alter der Ablagerungen, aus welchen wir die hier besprochenen Reste hervorgeholt haben.

In Beziehung auf den ersteren Punkt läßt sich sagen, daß die bis jetzt gefundenen Schädel der Pfahlbauern in Helvetien einem eigenen Typus angehören, der mit den bis jetzt besprochenen Schädeln gar nichts gemein hat; daß dieser Schädeltypus, den man den helvetischen oder Sion-Typus genannt hat und der sich durch große Länge und Breite auszeichnet, auch in den älteren Gräbern überwiegt und ununterbrochen von den ältesten Pfahlbauten bis in die neueste Zeit verfolgt werden kann, wenn auch in stets abnehmender Proportion, indem er von einer kurzköpfigen Race, den Alemannen und Rhätiern, nach und nach verdrängt wird, während zugleich später noch in historischer Zeit zwei Schädeltypen sich in die Schweiz einschieben, die aber niemals eine große Bedeutung erlangen. Die Fortpflanzung des ursprünglichen Schädeltypus beweist also die Autochthonie, die Urwüchsigkeit eines Theiles der heutigen schweizerischen Bevölkerung, und die Verschiedenheit von den Schädeln der übrigen Urmenschen ist zugleich so groß, daß an eine Ableitung des Typus von diesen nicht gedacht werden kann.

Das Alter aber – du lieber Himmel! Wie sollen wir mit unseren Genealogien da hinauf reichen? Tubalkain, der Vetter Noah’s, der vor der Sündfluth lebte, war schon Meister in Erz und Eisen, und ein Deuteln dieser Worte ist nicht erlaubt, denn das hebräische Wort für Eisen, das im ersten Buche Mosis vorkommt, hat nie eine andere oder eine Nebenbedeutung gehabt. Keine Tradition irgend eines Volkes führt uns in eine Zeit zurück, wo dasselbe noch kein Metall, ja noch kein Eisen kannte.

Die Berechnungen aber, die man auf geologische Gründe, auf das Anwachsen des Torfes, auf das Anschwemmen der Sand- und Kieslager, stützen könnte, sind trügerisch. Die Anschwemmungen sind kein regelmäßiger Faktor, welcher von Jahr zu Jahr sich wiederholte – auch das Anwachsen des Torfes findet nicht überall in demselben Maße statt, sondern richtet sich nach der Feuchtigkeit des Bodens, der Jahre, nach einer Menge von Bedingungen, die beträchtlichem Schwanken unterworfen sind. Man hat römische Geschirre in einer Tiefe von zweiundvierzig Centimetern im Torfe [728] gefunden. Der Torf ist also, wenn man das Alter dieser Geschirre auf mindestens 1400 Jahre zurück datirt, etwa einen Fuß (genau dreißig Centimeter) im Jahrtausend gewachsen. Wenn nun in einzelnen Torfmooren nicht nur ein Fuß Dammerde, sondern auch sieben bis zehn und noch mehr Fuß Torf über den Pfahlbauten liegen, so müssen wir diese, die jüngsten und neuesten Producte der Urmenschen, wenigstens auf ebensoviel Jahrtausende zurücksetzen, und gehörten die Scherben, statt dem vierten Jahrhundert nach Christo, der Invasion Cäsar’s an, so wüchse unsere Berechnung sogleich um einige Jahrtausende. Welche ungeheure Anzahl von Jahren muß aber von dem ersten Auftreten der Urmenschen, von der Periode der Höhlenbären an bis zu der Epoche der Pfahlbauern verflossen sein, damit so ungemeine Fortschritte in der Cultur bewirkt und so große Aenderungen in der umgebenden Thierwelt durchgeführt werden konnten, wie wir sie im Verlaufe dieser Zeiten schilderten? Annähernd läßt sich dies nur aus dem Umstande erschließen, daß die Feuersteinmesser aus der Höhlenbären-Periode unter Anschwemmungsschichten liegen, die bis zu zehn Meter, also dreißig Fuß Mächtigkeit erreichen und daß erst über diesen Anschwemmungen der Seegrund folgt, in welchen die Pfähle eingetrieben wurden, und der Torf, der sie bedeckte.

Wenn wir aber auf eine solche Altersbestimmung nach Jahrhunderten oder Jahrtausenden insofern verzichten, als wir nur das über alle Berechnung hohe Alter behaupten, so können wir nicht umhin, noch einmal auf die Resultate kurz hinzuweisen, die aus den Forschungen bis jetzt hervorgehen. Diese sind aber wesentlich die ursprüngliche Verschiedenheit der Menschenracen, die Europa’s Boden bewohnen, und ihre selbstständige Entwickelung auf diesem Boden durch harten Kampf hindurch und durch stete Bethätigung ihrer intelligenten Arbeit. Hinab also mit jener Annahme von ursprünglicher Einheit des Menschengeschlechtes und Abstammung desselben von einem einzigen Menschenpaare – hinab mit jenen Träumen von einem früheren glücklicheren Zustande, von einem Paradiese und ursprünglicher Unschuld und Leichtlebigkeit ohne Kampf um das Dasein – hinab damit in die Ideenstampfe und aufgeschaut zu diesem Entwickelungsgange und diesem Entwickelungsgesetze, das den Menschen auf seine eigenen Füße stellt und die Verbesserung seiner Zustände in seine eigene Hand legt!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Friedrich Schiller: An die Freunde. „Könnte die Geschichte …“
  2. Vorlage mit Doppelung "in Concise"