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Der Upasbaum

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Textdaten
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Titel: Der Upasbaum
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 386-387
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der Upasbaum.

Um das Jahr 1775 schrieb der holländische Arzt Försch, der sich längere Zeit in Java aufgehalten hatte, ein Buch über alle die Merkwürdigkeiten jener Insel, und erzählt dann unter Andern auch: „Irgendwo im Innern Java’s befindet sich ein furchtbarer Baum, dessen giftige Ausschwitzungen von so zerstörender Wirkung sind, daß sie nicht nur durch die bloße Berührung schon tödten, sondern auch meilenweit im Umkreise die Luft derart vergiften, daß fast Alle, die sich diesem Pflanzenungeheuer nähern, schon in großer Entfernung todt hinfallen. Selbst den Pflanzen wird sein Hauch verderblich, und in finstrer Einsamkeit steht dieser Feind alles Lebens in seinem weiten, öden Todesthal, nur umgeben von einigen kleinen Sprößlingen seiner eigenen schrecklichen Art. Bis über drei Meilen im Umkreise von ihm ist der Boden mit den Gebeinen von Vögeln, Thieren und Menschen bedeckt.“

Unter mehreren anderen Beispielen der tödtlichen Wirkung dieses Baumes erzählt Försch, daß, als sich einst viele hundert Javanesen gegen den Kaiser empört und besiegt worden waren, sie in die gefürchtete Gegend des Upas flohen, um sich nicht als Gefangene ergeben zu müssen. Allein ob sie gleich die angenommene Grenze seines Gifthauches nicht überschritten, war doch selbst hier schon die Luft so todesschwanger, daß die meisten von ihnen schnell starben, und der Rest um die Erlaubniß bat, sich nach einem gesünderen Zufluchtsort begeben zu dürfen, was ihnen denn auch gestattet wurde. Auch diese jedoch waren bereits von den verderblichen Einflüssen des Upas ergriffen, so daß nur wenige der Begnadigten das Leben retteten.

Nach Försch wurde der Saft des Upas nicht nur zum Vergiften der Pfeile und als Hinrichtungsmittel Verurtheilter gebraucht, sondern diente auch wie in Europa die Aqua Tofana und die Successionspülverchen dem Privatbedürfnisse nach Entfernung irgend eines Lästigen. Die Holländer sollen in ihren Kriegen mit den Javanesen durch das Trinken aus vergifteten Brunnen und Quellen so große Verluste erlitten haben, daß sie lebendige Fische mit sich zu führen pflegten, durch die sie überall das Wasser zuerst untersuchen ließen. Försch gibt auch als Augenzeuge einen ausführlichen Bericht über die Hinrichtung von dreizehn Frauen des Kaisers auf einmal, bei welcher Heinrich VIII. mit Upasgift bestrichene Lancetten anwenden ließ. Diese Armen, welche das Unglück hatten, sich irgendwie das Mißfallen ihres Herrn und Meisters zuzuziehen, wurden nur ganz leicht mit der Lancette geritzt, und waren in wenig Secunden der lebenszerstörenden Wuth dieses Saftes zum Opfer gefallen.

Der Leser wird nun vielleicht fragen, auf welche Weise man sich denn dies Upasgift verschaffte, da der Baum sich so erfolgreich zu verbarricadiren verstand, daß ihm kein Mensch auch nur auf drei Meilen zu nahe kommen durfte? Auch hierauf gibt Försch befriedigenden Aufschluß: Verurtheilte Verbrecher machten sich das Vergnügen, dies dringende Staatsbedürfniß zu befriedigen. Nachdem der Spruch über sie ergangen, wurde ihnen die Wahl gestellt zwischen sofortiger Hinrichtung oder einem Gange nach dem Upasbaume und Begnadigung bei der Rückkehr mit Gift – eine treffliche Sühne für todeswürdige Verbrechen. Sie zogen in der Regel das letztere vor, denn obschon im höchsten Grade gefährlich, war doch ein Davonkommen nicht schlechthin unmöglich, und im schlimmsten Falle hatten sie einigen Aufschub gewonnen. Wenn nämlich der Wind gerade stark nach dem Baume zu wehte, und der Giftbote ein recht kräftiger Mensch war, rettete er meist das Leben, sonst freilich nicht. An der Grenze des Upasthales lebte ein alter Priester, dessen einzige Aufgabe darin bestand, die auf diese häkelige Commission Ausgesandten über das beste Verfahren zu belehren [387] und mit religiösen Stärkungen auszurüsten. Försch hatte mit diesem Priester eine lange Unterhaltung, in der er alles Nähere über den verhängnißvollen Baum erfuhr. Der alte Menschenfreund hatte während eines dreißigjährigen Aufenthaltes in dieser Gegend nicht weniger als siebenhundert Waghälse auf die Reise nach dem Upas vorbereitet, von denen kaum der zehnte Theil wieder zurückgekommen war. Er versah einen Jeden mit einer Maske, einer ledernen Kapuze und einem kleinen Kästchen für den trefflichen Saft, der ihnen das Leben und Andern Tod bringen sollte. Die Verurtheilten warteten gewöhlich in des Priesters Wohnung den Eintritt eines günstigen Windes ab, mit dem sie sich auf den Weg machten, von dem alten Manne bis zu einem Bach geleitet, dessen Lauf sie an den Baum führte. Försch hatte sehr gewünscht, sich irgend ein Stück dieses Wunderbaumes zu verschaffen, konnte aber nach langem Warten und durch vieles Bitten nichts weiter als zwei verdorrte Blätter erlangen.

Heutzutage würde Mynheer Försch nicht die geringste Schwierigkeit finden, sich so viele Upasblätter, als er nur immer wünschen mag, zu verschaffen. Sie sind in vielen botanischen Werken als die Blätter der Antaria toxicaria abgebildet. Der Saft des Baumes ist in der That so außerordentlich giftig, daß Alles, was Försch in Betreff der Wirkung kleiner Stiche von damit bestrichenen Lancetten erzählt, streng übereinstimmt mit dem, was wir über die Kraft dieser Giftarten wissen. Hätte der holländische Chirurg sich nur nicht verleiten lassen, die volle Wahrheit auch aller übrigen Erzählungen der Eingebornen auf Grund seiner eigenen angeblichen Erfahrungen zu verbürgen, so wäre nichts Erhebliches gegen seinen Bericht einzuwenden, denn Java besitzt nicht nur Upasbäume, deren Saft, wie gesagt, ein furchtbares Gift ist, sondern es enthält auch ein giftiges Thal, dessen Luft sich so tödtlich erweist, daß jedes dahin sich verirrende Wesen nach wenig Augenblicken ausgerungen hat. Dies Giftthal verdankt jedoch seine Eigenschaft keineswegs dem Upasbaume, und die Ausdehnung seiner Wirkung auf die umliegende Gegend wird sich aus den nachstehenden authentischen Berichten über diese Erscheinung leicht ermessen lassen.

Die meisten unserer Leser haben wohl schon von der Hundsgrotte in der Nähe von Neapel gehört, die ihren Namen dem Umstande entnimmt, daß gewöhnlich unglückliche Hunde dazu ausersehen werden, neugierigen Fremden ihre Eigenschaften zu produciren. Erwachsene Menschen betreten diese Grotte ohne die geringste Gefahr, denn das giftige Gas hält sich in Folge seiner Schwere tiefer, wo der Hund es einathmet und nach wenig Secunden todt hinfällt. Das Giftthal Javas ist etwas Aehnliches, wie diese Hundsgrotte, nur in colossalem Maßstabe. Es waltet jedoch ein Unterschied zwischen den Gasarten hier und dort. Die Luft, welcher in der neapolitanischen Grotte so viele Hunde zum Opfer fallen, ist die bekannte Kohlensäure, die sich bei jeder Verbrennung entwickelt, die wir ausathmen und in allen moussirenden Getränken ohne allen Nachtheil in den Magen bringen, während sie sofort tödtlich wirkt, wenn sie in größerer Menge in die Lunge gelangt. Die Giftatmosphäre des javanischen Thales scheint jedoch nach den Berichten mehr aus dem nicht minder gefährlichen Schwefelwasserstoffgas, das sich in Abzügen entwickelt und seine Anwesenheit durch einen sehr widerlichen Gestank verräth, entstanden zu sein.

Eine genaue Beschreibung dieser merkwürdigen Naturerscheinung verdanken wir dem Engländer Alexander Loudon. Vor mehreren Jahren in Java anwesend, erzählte ihm ein Häuptling, daß nur ungefähr zwei Stunden von Batum ein Thal sei, Gueva Upas genannt, welches Niemand, ohne sein Leben einzubüßen, betreten könne, und dessen Boden ganz mit Gebeinen der umgekommenen Vögel, Thiere und Menschen bedeckt sei. Loudon hatte schon vorher von einem gewissen Bergsee gehört, dessen Besuch mit großer Gefahr verknüpft sei, allem was er jetzt über dies Thal vernahm, reizte seine Neugier so sehr, daß er sich mit den holländischen Behörden besprach, und eine Untersuchungs-Expedition dahin beschlossen wurde. Es hielt schwer, Führer zu gewinnen; die wirkliche Gefahr hatte längst die Anwohnenden zurückgeschreckt, und die hieraus folgende Unbekanntschaft mit dem wirklichen Sachverhalt ließ der Phantasie freies Spiel, die Schrecken des Ortes in’s Fabelhafte zu vergrößern, so daß sich endlich Niemand auch nur auf weite Entfernung hinantraute, obwohl Jedermann die ausführlichsten Schilderungen davon zu geben unternahm, während vielleicht weit und breit kein Mensch lebte, der das gefürchtete Gueva Upas mit eigenen Augen gesehen hatte.

Endlich gelangten die Neugierigen zur Stelle. Während man den Berichten zufolge schon in größerer Entfernung eine durch den Gifthauch des Thales bewirkte Abwesenheit alles Pflanzenwuchses erwarten mußte, zeigte sich das Gegentheil, und man war genöthigt, sich mit Beilen einen Pfad durch das dichte Gestrüpp zu bahnen. Am Fuße des Berges, auf dessen Gipfel das Gueva Upas liegen sollte, angelangt, ließen sie ihre Pferde zurück und erkletterten, sich an die Baumzweige haltend, mit großer Anstrengung die äußerst steile und glatte Anhöhe. In kleiner Entfernung von der Kante des Thales kam ihnen ein höchst widerlicher, erstickender Geruch entgegen, der jedoch wieder verschwand, als sie dicht an den Krater traten, denn nichts anderes als der Krater eines ehemaligen Vulcans war das Giftthal. „Wir waren von Entsetzen ergriffen über den grauenvollen Anblick zu unsern Füßen,“ sagt Loudon; „der Schlund mochte ungefähr dreitausend Fuß im Umkreis haben und war nur dreißig bis fünfunddreißig Fuß tief. Der Boden war ganz eben, ohne den geringsten Pflanzenwuchs, ohne auch nur einen Grashalm, dagegen dicht bedeckt mit Gerippen von Menschen, Tigern, Schweinen, Rehen, Pfauen und einer Menge anderer Thiere. Nachdem wir den ersten Eindruck überwunden hatten, sah ich mich nach Sprüngen und Rissen um, aus denen das tödtliche Gas sich ergießen mochte, entdeckte aber nichts der Art. Der Boden schien ganz fest und aus einem weißen, sandartigen Mineral zu bestehen, auf dem viele einzelne Steine umherlagen. Die Thalwände waren von oben bis unten mit Bäumen und Sträuchern bewachsen. Vorsichtig stiegen wir bis auf achtzehn Fuß vom Boden hinab, ohne Schwierigkeit des Athmens zu empfinden, nur wurde der fade, ekelerregende Geruch stärker. Die tödtlichen Eigenschaften der Ausdünstung des Kraters lassen sich nach einigen Versuchen beurtheilen, die wir anstellten. Einer der zu diesem Zwecke mitgebrachten Hunde wurde an das Ende eines achtzehn Fuß langen Bambusrohres gebunden und hinuntergelassen. Mehrere von uns waren mit Hemmuhren versehen, nach denen wir die Dauer seines Lebens genau berechnen konnten. Nach zehn Secunden fiel das Thier, vom Gas überwältigt, auf den Rücken, und athmete noch ungefähr achtzehn Minuten, ohne nur einen Laut von sich gegeben oder ein Glied geregt zu haben. Der andere Hund machte sich von dem Rohre los und ging selbst dahin, wo der erste lag. Hier blieb er zehn Secunden ruhig stehen, fiel dann plötzlich auf den Rücken und hörte schon nach sieben Minuten zu athmen auf. Dieser Tod scheint demnach ein ganz schmerzloser zu sein. Ein Huhn, das wir hinabwarfen, lebte ungefähr ein und eine halbe Minute; ein zweites war todt, ehe es noch den Boden erreichte. An der gegenüberstehenden Seite des Thales sah ich ein schneeweißes menschliches Gerippe, mit der Hand unter dem Kopfe auf einem großen Steine liegen, das ich mir gern verschafft hätte, doch fehlte es an Stangen und Haken, und die angestellten Versuche hatte uns die Gefahr der Tiefe auf’s warnendste vor Augen gebracht. Dies und die andern zahlreichen Menschengebeine werden Aufrührern zugeschrieben, die sich auf der Flucht hierher verirrten, ohne den tödtlichen Charakter des Ortes zu kennen. In der That auch ist der widerliche Geruch des Gases, den wir nur achtzehn Fuß über dem Boden gut vertragen konnten, nicht hinreichend, um zurückzuschrecken, und einmal unten angelangt, tritt die Besinnungslosigkeit so schnell und anscheinend so schmerzlos ein, daß an eine Rettung nicht mehr zu denken ist.

Dies ist das gefürchtete Upasthal, um dessen Schrecken sich so phantastische Sagen gruppiren. Es verdankt seine mit Recht gefürchtete Eigenschaft nur dem Umstande, daß die Wandung des Kraters, bei den meisten Vulcanen auf der einen Seite niedriger oder eingebrochen, einen vollkommenen Kessel bildet, in dem sich das aus dem Innern aufsteigende Schwefelwasserstoffgas ansammeln muß, da es schwerer ist, als die Luft. Ein von der Seite bis auf den Boden des Kraters getriebener Stollen, der dem Gase Abfluß gewährte, würde das Gueva Upas bald seiner Schrecken berauben, ohne der umliegenden Gegend Gefahr zu bereiten, denn stark mit atmosphärischer Luft verdünnt, athmen wir dies Gas – mit dessen Fabrication wir selbst und namentlich unsere Haare fortwährend stark beschäftigt sind – ohne allen Nachtheil.