Der Todtentanz
Ueber das Wesen der Todtentänze
im Allgemeinen ist eine so reiche
Literatur vorhanden, und der Stoff
ist ein so manigfaltiger und dehnbarer,
daß wird diejenigen unserer Leser, welche
sich eingehender hiermit beschäftigen wollen, auf
jene verweisen müssen. Nur in der Kürze sei
hier erwähnt, daß die Entstehung der Todtentänze in
Deutschland das Product äußerst trüber politischer
und bürgerlicher Verhältnisse ist, und welchen das
Gemüth von allem Weltlichen sich abwendend
seinen Trost in der Ewigkeit suchte; das Produkt
einer Zeit, in welcher durch Kriege, Noth und
Pestilenz jeden Augenblick dem Sinnenmenschen
das Memento mori vor Augen gehalten wurde.
Einen wirklichen Tanz freilich in unserem
Sinne dürfen wir das Herantreten des Todes
an den Menschen nicht nennen; es ist vielmehr
blos die Aufforderung des personificirten
Todes zu einem rhythmischen Reigen, dem wir
uns alle ohne Ausnahme anschließen müssen. So
wenigstens sind die berühmten mittelalterlichen
[2] Todtentänze in unserm benachbarten Basel aufzufassen.
Bei uns begegnen wir derartigen Fresken-Malereien zumeist in der Zeit des fünfzehnten Jahrhunderts. Unser Todtentanz, dessen Bilder-Cyclus wir hier folgen lassen, entstammt aber einer viel späteren Zeit, – dem Jahre 1757. Er ist somit ein rechter Spätling auf diesem Gebiete der Fresken-Malerei und unterscheidet sich demgemäß in manchen Stücken von seinen älteren Vorbildern. Von einem Tanze oder einer Aufforderung zum Tanze können wir hier schon nicht mehr reden; es ist blos die abstrakte Idee des Todes, der den Menschen in allen Lagen des Lebens begleitet, dargestellt. Während wir dort bei den älteren Todtentänzen in fortlaufender Reihe und in drastisch-humoristischer Weise das Werben des Todes und fast überall das ausgesprochene Widerstreben des Umworbenen erblicken, sehen wir hier den Knochenmann fast durchweg in dienender Stellung hilfreich Hand leistend, als Warner und Begleiter; von der derben Schalkheit des Mittelalters ist fast nichts mehr übrig geblieben.
Während uns ferner die älteren Todtentänze den Allbezwinger in Gestalt eines eingetrockneten mumienhaften Leichnams zeigen, sehen wir auf unserem Cyclus denselben als hautloses Gerippe, als wirklichen Knochenmann.
Dieses Wenige für das Allgemeine.
Was nun in Sonderheit unseren Freiburger Todtentanz angeht, so schicken wir als geschichtlichen Theil voraus, daß die Kapelle, in deren Vorhalle der Cyclus enthalten ist, auf der Stelle einer früheren, in der Belagerung von 1744 zu Grunde gegangenen Friedhofkapelle wieder aufgerichtet wurde und zwar hauptsächlich durch die werkthätigen Bemühungen und den Sammeleifer des Gastwirthes Andreas Zimmermann, des damaligen Besitzers des Hauses „zum Storken“, wie ehedem das jetzige Hotel „zum Römischen Kaiser“ hieß. Ganz aus eigenen Mitteln erbaute er die Vorhalle des kleinen Gotteshauses und sorgte sicherlich auch durch Wort und That für die Schaffung des jetzt noch vorhandenen Todtentanzes in derselben, obwohl gerade letzterer Umstand urkundlich nicht verbürgt ist. Ebenso ist der ausführende Künstler weder in den Urkunden [3] noch in den Jahrbüchern der Stadt genannt; jedoch ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß wir den mit hohem Sinne für gemeinnützige Zwecke ausgestatteten Maler, Bildhauer und Architekten Wenzinger, einen äußerst talentvollen Künstler, als Schöpfer unserer Bildwerke ansehen dürfen. Sicherlich hat er das Kunstwerk um Gottes Lohn vollführt, denn nirgends sind unter den noch vorhandenen Baurechnungen der Kapelle die Kosten für die Herstellung des Todtentanzes berechnet.
Wenzinger wurde zu Ehrenstetten am 10. Dezember 1710 geboren und starb am 1. Juli 1797 als Stadtrath in sehr wohlhabenden Verhältnissen, die im erlaubten aus seiner Hinterlassenschaft für die Einrichtung des Krankenspitals eine zu jener Zeit ganz gewaltige Summe Geldes zu stiften. Sein Hauptwerk ist das jetzt noch im Haus zum „Schönen Eck“ am Münsterplatz [1] erhaltene ungewöhnlich edel gedachte und ebenso edel ausgeführte Treppenhaus mit Deckengemälde, das von großer Begabung Zeugniß giebt. Sowohl in zeitlicher als in künstlicher Hinsicht würde es stimmen, wenn wir Wenzinger als den Schöpfer unseres Todtentanzes annehmen.
Im Jahr 1856 wurde Letzterer durch den Maler Dominik Weber erneuert, der auf jeden Fall auch noch vieles von seinen eigenen Gedanken hineingelegt hat; so. z. B. verwendete er, wie uns auf das bestimmteste versichert wurde, bei einer der weiblichen Figuren (Blatt 7) den Porträtkopf einer damals lebenden, allbekannten und etwas extravaganten, jungen Dame aus einer der vornehmsten Familien der Stadt.
Betrachten wir die einzelnen Bilder des Cyclus für sich und in ihrem Zusammenhange unter einander, so bildet sich ungefähr nachstehende Gedankenfolge: Die Blätter 1-7 umfassen die menschlichen Lebensalter, schließen aber mit dem Mannesalter und dem Ehestand ab. Dann folgen die gesellschaftlichen Unterschiede und Stände des Menschen, der reiche und vornehme Adelige, der arme und geringe Bettler, der wohlhabende Bürger, der Geistliche und endlich als breiteste Grundlage aller menschlichen Gesellschaft der Bauer, von dem die anderen alle leben.
[4] Auf den ersten Bilde spielt der Tod dem Kind zum ewigen Schlaf das Wiegenlied, aus dem es nimmermehr erwachen wird.
Auf dem zweiten führt er des Knaben Hand zum Lernen in die Kunst des Schreibens ein; jedoch die Feder ist kein Kiel, sondern ein Todespfeil, und wenn wir der Zahl der Buchstaben eine Bedeutung beimessen wollen, so wird der Schüler das 13. Lebensjahr nicht überschreiten – ohnehin schon eine ominöse Zahl – denn er kömmt nur bis zum „n“, dem 13. Buchstaben des A b c.
Im dritten Bild ist das Mädchen eben daran, eine nützliche Handarbeit, das Spitzenklöppeln oder etwas dergleichen anzufangen; vorher aber noch möchte dasselbe sich einige Blumen in’s Haar stecken und will sich am würzigen Wohlgeruch derselben laben; da erscheint der Tod von rückwärts und faßt das Mädchen beim Zopfe.
Auf Blatt „vier“ haben wir den herangewachsenen wohlgebildeten Jüngling, der im Bewußtsein seiner Vollkraft, im Uebermuth „Tod und Teufel“ nicht fürchtet. Offenbar ist er ein Lebemann und hat schon manches Duell glücklich bestanden. Aber der Tod, linkshändig, ist ein geschickterer Fechter als er, obwohl er als Handwaffe nur seinen Pfeil führt; mit der Spitze des Pfeiles faßt er des Gegners Degenspitze, entwaffnet den Gegner und durchbohrt ihm das Herz, ohne auch nur den Ausfall zu machen, wie dies sonst die Regel der Fechtkunst verlangt.
Als Gegenstück zu Nr. 4 finden wir in Nr. 5 die herangewachsene junge Dame an ihrem Toilettentische sitzend, um nach der Sitte jener Zeit ihre Haare zu pudern und sich zu schminken; sie ist ganz in der Betrachtung eines Ringes oder Armbandes versunken, vielleicht ein Geschenk des Bräutigams oder eines stillen Verehrers. Aber vergeblich gedenkt sie sich für den Geliebten zu schmücken; schon steht hinter ihr der Tod, der in der linken Hand eine Schüssel geweihter Asche hält und mit der rechten einen Theil davon durch die Knochenhand auf das todtgeweihte Haupt rinnen läßt. Mit bitterer Ironie spielt der Tod die Rolle des Friseurs. Der Porträtrahmen über dem Toilettentisch trägt in den oberen Ornamenten das badische Wappen. Sollte hierin wohl irgend eine Beziehung zu der damals in Freiburg lebenden [5] Prinzessin Elisabeth von Baden-Baden zu suchen sein, die als Letzte des markgräflichen Hauses Baden katholischer Linie die lange Ahnenreihe dieses Zweiges Baden schloß?
Voll scharfen Spottes hilft in Nr. 6 der Tod dem geplagten Ehemann sein schweres Kreuz, das er sich selbst gewählt, durch Unterschieben seines Todespfeiles tragen. Es ist selbst dem Tod fast zu schwer, denn er sinkt dabei recht merklich in die Kniee.
Ob vielleicht in Nr. 7 die Art eben dieses Kreuzes in Gestalt eines eigensinnigen und zänkischen Weibes näher angedeutet sein soll? Wir wollen hoffen, daß der Maler hier nicht im allgemeinen seinen Gedanken Ausdruck geben wollte, sondern daß er individualisirend blos einen bestimmten Fall im Auge hatte.
Nun folgt der adelige Herr, Blatt 8, der im reich betreßtem Hofgewand sein Schloß verläßt, um im eigenen Reisewagen zu Hof zu fahren. Doch schwerlich erreicht er sein Ziel; denn der Reiter auf dem Sattelpferde zeigt mit dem Todespfeil den nahen Abgrund, wo er stürzen wird. Hätte es der Raum gestattet, so würde unser Künstler für diese Todtenfahrt sicherlich einen Viererzug genommen haben.
Recht als Gegenstück hierzu finden wir auf Blatt 9 den hungernden Bettler kniefällig um eine Unterstützung ansprechend; die einzige, aber gründlich erlösende Barmherzigkeit erweist ihm der Tod, der statt anderer Gabe eine Schüssel voll Knochen in den Hut wirft. Das Kapellchen dort auf der Höhe ist des Bettlers sicherer Trost, und in frommer Zufriedenheit nimmt er die Gabe dankbar an
Ganz anders verhält es sich mit dem geldgierigen Manne, Blatt 10, dessen ganzes Dichten und Trachten nur auf den Erwerb und Geld gerichtet war. Durchaus nicht mir derselben Ergebenheit wie der Bettler fügt er sich in sein Loos; ja seine Handbewegungen lassen sogar vermuthen, daß er einiges mit sich nehmen zu können glaubt. Ein bedenkliches Zeichen für das Seelenheil des Todescandidaten ist der auf der Geldkiste sitzende Höllenhund; die Uhr zeigt fünfzehn Minuten bis zwölf! Kehr um, ’s ist höchste Zeit – und die Todtenkapelle, die man durch’s Fenster sehen kann, liegt gar so nahe.
[6] Einen wahrhaft wohlthuenden Eindruck macht dagegen wiederum das sanfte, fast kindlich reine und kindlich vertrauensvolle Antlitz des jungen Geistlichen im zweitletzten Bilde, Blatt 11. Er hat die schwarze Welt, also die mit schwarzen Lastern verdunkelte Welt, mit ihren Herrlichkeiten und sinnlichen Vergnügungen verlassen, um dem Herrn allein zu dienen. Schwarzer Undank ist der Welt Lohn; alle seine Hoffnung steht auf Gott gerichtet. Bild und Wort lassen fast vermuthen, daß eine bittere Herzenstäuschung den Diener Gottes erfüllt hat. Aber dieser wird ihn segnen; eben hat er seine letzte Todtenmesse gelesen und Niemand geringerer als der Tod selbst ist es, der dienend ihm das Meßgewand ablegen hilft.
Wir kommen zum letzten Bild, Blatt 12. Heiter und zufrieden sitzt der Landmann im Schatten eines Baumes und betrachtet die Schneide seines Messers, neben ihm auf dem Boden eine Logel Wein und darauf ein Imbiß, Brod oder Käse. Was er wohl für tiefsinnige Betrachtungen mit seinem Messer anstellen mag? Vielleicht denkt er auch an gar nichts von der Welt, höchstens an das Neun-Uhr-Brod, während dessen ihm gegenüber der Tod die zur Seite gelegte Schaufel ergreift, um hilfreich dem Geplagten die Arbeit abzunehmen, die ihm sonst doch Niemand abnehmen wird.
Wir sehen, es ist bei allen diesen Bildern von irgend einer Andeutung des Tanzes auch keine Spur vorhanden, vielmehr tritt er in prosaischer Weise lediglich als Begleiter des Menschen auf, aber immer in einer dem Sterbenden verwandten Beziehung: beim Kind als Kinderfrau, beim Schüler als Lehrer u. s. w.
„Todtentanz“ ist somit nicht eigentlich die zutreffende Benennung für unseren Bilder-Cyclus, aber die stereotypische Bezeichnung für derartige Kunstschöpfungen ist immerhin die allgemein verständlichste geblieben und so wollen auch wir die unsrige als solche weiter beibehalten.
Als Schlußstein des Ganzen verwendet der Künstler das jüngste Gericht; auch dieses ist neu [WS 1] gegenüber den älteren Todtentänzen – natürlich nur die Verwendung; denn die Darstellung des jüngsten Gerichts mit Christus auf dem Regenbogen – die s. g. maiestas domini – ist viel älter. Auffallend an eben dieser Darstellung ist aber wieder hier, daß wir auf der Seite der Verdammten [7] nichts von all den Qualen der Hölle sehen, nichts von Flammen und Höllenrachen, wie diese durchgängig im 15. Jahrhundert zu finden sind, Mit Ausnahme eines einzigen Kopfes finden wir auf den Gesichtern der Verurtheilten nicht einmal den Ausdruck der Niedergeschlagenheit. Fast möchte es scheinen, als ob hier der Künstler den antiken Gedanken von der versöhnenden Macht des Todes zur Anschauung bringen wollte. Jedenfalls ist die Conception nicht die gewöhnliche und nicht die orthodoxe.
An die Antike anlehnend ist auch die Auffassung des Todes als Pfeilschütze, währen das Gerippe mit Sense und Stundenglas der deutschen Todes-Idee entspricht.
Was nun den künstlerischen Werth des Freiburger Todtentanzes anbelangt, so kann man wohl sagen, daß trotz der Uebermalung und trotz des verdorbenen Colorits sowohl die Auffassung als die charakteristische Zeichnung auf einen tüchtigen Künstler schließen lassen und daß wir einen solchen von der Begabung, wie sie die Bilder voraussetzen, aus jener Zeit in Freiburg nicht kennen, außer Wenzinger.
Die Originalaufnahme ging aus dem Atelier des Decorationsmalers Herrn Wilh. Weber hervor, wozu die Kosten von der Stadt bereitwilligst übernommen wurden. Die ornamentale Ausschmückung des Textes verdanken wir Herrn H. Merkel.
[8]
Mitte:
Sey uns
doch gnädig in dem
Gricht!
und nit
nach maas der sünden
Richt!
Tafel links:
Den nahbou ich
besorget hab
zum Dank die Hilf
hoff in dem Grab
den 6. July 1757
A Z M
[9]
Hier schlafft das kindt, dort ewig wacht,
weil ihm der Todt ein Music macht.
Das ABC kaumb schreibt der knab,
Ruefft ihn der Todt schon in das grab.
Beim Haar der Todt ergreift den kopf,
Zu diser Wueth taugt ihm der Zopf.
Zue fechten, zue spihlen die Jugendt ist gewohnt,
Dein alter der Jugendt der Todt nit verschont.
Mit aschen zierth der Todt das Haupt,
Die besser als der puder taugt.
Der Todt allein das Kreutz abnihmbt,
Das ihm der Ehemann selbst bestihmbt.
Der eigne kopf macht lauter Zanck,
Dem Todt darumb vor disen danck.
Zu fahren zu reuthen der Todt ist bereuth,
Damit er den Adel erhalte zur beuth.
Dem betler in der Hungers noth
Der Todt ihm ist das liebste brod.
[18]
Du Narr! was hülftt die gelt begür
Heünt kombt der Todt, was nimbst mit dir
Die schwarze Welt lis ich vor dich,
Die Hielf gar balt hof hofih vormich.
Beim pflueg der baur das brodt gewint
Beim pflueg den baur der Todt auch nimt
Fußnoten der Vorlage
- ↑ Münsterplatz 30.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Handschriftliche Bemerkung am Rand: falsch (Basel)