Zum Inhalt springen

Der Todesgang des armenischen Volkes/Zweiter Teil/Sechstes Kapitel

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
<<< Sechstes Kapitel >>>
{{{UNTERTITEL}}}
aus: Der Todesgang des armenischen Volkes
Seite: {{{SEITE}}}
von: [[{{{AUTOR}}}]]
Zusammenfassung: {{{ZUSAMMENFASSUNG}}}
Anmerkung: {{{ANMERKUNG}}}
Bild
[[w:{{{WIKIPEDIA}}}|Artikel in der Wikipedia]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[[Index:{{{INDEX}}}|Wikisource-Indexseite]]
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe

6. Die türkische Darstellung.


Eine Revolution, noch dazu, wie behauptet wird, eine „das ganze armenische Volk umfassende Revolution“ konnte nicht improvisiert werden, sie hätte von einer das armenische Volk umfassenden Organisation vorbereitet und ins Werk gesetzt werden müssen. Die beiden Organisationen, die kirchliche und die politische, die hierfür in Frage kamen, haben, weit entfernt an eine Auflehnung gegen die türkische Regierung zu denken, ihr Äußerstes getan, um der Regierung ihre Loyalität zu beweisen und das gemeinsame Vaterland zu verteidigen. Auch der Bericht über die Tatsachen hat nirgends den Beweis an die Hand gegeben, daß die Armenier durch ihr Verhalten die Vernichtung ihres Volkstums verschuldet oder Maßregelungen irgend welcher Art provociert hätten.

Fragen wir also dir Türken selbst, soweit sie sich zur armenischen Sache geäußert haben. Es liegen einige mehr oder weniger offizielle Communiqués vor, die durch das Wolffsche Telegraphenbureau und die Presse verbreitet worden sind. Sie stellen das einzige Material dar, aus dem sich die öffentliche Meinung in Deutschland ein Urteil bilden konnte. Ihre Zahl ist gering. Bis auf das erste begnügen sie sich damit, auf Grund eines oder des anderen Falles, dessen Ursprünge nicht aufgehellt werden, allgemeinere Schlüsse zu ziehen. Untersuchen wir die Tatsachen, die von türkischer Seite zur Sprache gebracht worden sind.

Das erste türkische Communiqué.
W.T.B. Konstantinopel, d. 4. Juni 1915:

Am 24. Mai hatte die „Agence Havas“ folgende, von den Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und Rußlands im gegenseitigen Einverständnis beschlossenen Erklärungen veröffentlicht:

„Seit ungefähr einem Monat begeht die türkische und kurdische Bevölkerung Armeniens unter Duldung und oft mit Unterstützung der osmanischen Behörden Massenmorde unter den Armeniern. Solche Massenmorde haben um die Mitte des April in Erzerum, Terdschan, Egin, Bitlis, Musch, Sassun, Zeitun und in ganz Cilicien stattgefunden. Die Einwohner von ungefähr hundert Dörfern in der Umgebung von Wan sind alle ermordet, und das armenische Viertel ist von den Kurden belagert worden. Zur selben Zeit hat die osmanische Regierung gegen die wehrlose armenische Bevölkerung in Konstantinopel gewütet. In Anbetracht dieses neuen Verbrechens der Türkei gegen Menschlichkeit und Zivilisation geben die alliierten Regierungen der Hohen Pforte öffentlich bekannt, daß sie alle Mitglieder der türkischen Regierung sowie diejenigen ihrer Beauftragten, die an solchen Massenmorden beteiligt sind, in Person verantwortlich machen.“

Die Antwort der kaiserlich türkischen Regierung (W.T.B. Konstantinopel, 4. Juni) stellt die einzige umfangreichere Kundgebung über die Lage des armenischen Volkes seit dem Kriegsausbruch dar. Sie richtet ihre Spitze nicht gegen das armenische Volk, sondern gegen die Ententemächte. Es wird ausdrücklich erklärt, daß die Maßregeln der türkischen Regierung „keineswegs eine gegen die Armenier gerichtete Bewegung darstellen“. Ebenso wird den Armeniern von Erzerum, Terdjan, Egin, Sassun, Bitlis, Musch und Cilicien das Zeugnis ausgestellt, „daß sie keine Handlungen begangen hätten, die die öffentliche Ruhe und Ordnung hätte stören können“ und festgestellt, daß diese Armenier (im Gegensatz zur Behauptung der Ententeregierungen) „keinerlei Maßregeln der Kaiserlichen Behörden unterworfen“ worden seien. Das Letztere hatte die Note der „Agence Havas“ eigentlich nicht gesagt. Sie hatte nur gesagt, daß die türkische und kurdische Bevölkerung Armeniens um die Mitte des April unter Duldung und oft mit Unterstützung der osmanischen Behörden Massenmorde begangen habe, was für gewisse Gebiete der Wilajets Wan und Erzerum zutrifft. Zur Zeit der Abfassung der Note (4. Juni) war aber die Gesamtdeportation bereits beschlossen und in Cilicien schon ausgeführt worden. Stellen wir fest, was die türkische Regierung den Ententeregierungen vorwirft.

Es sind zunächst allgemeine Beschuldigungen: 1. „Daß die Beauftragten des Dreiverbandes, insbesondere diejenigen Rußlands und Englands jede Gelegenheit benützen, die armenische Bevölkerung zum Aufruhr gegen die kaiserliche Regierung anzustiften.“

Diese allgemeine Beschuldigung wird folgendermaßen spezifiziert:

1. Die Konsuln der Ententemächte und andere von ihnen Beauftragte hätten „in Bulgarien und Rumänien junge türkische Armenier über Warna, Sulina, Constantza usw. nach dem Kaukasus geschickt, und die russische Regierung habe sich nicht gescheut, diese jungen türkischen Armenier entweder in ihre Armee einzureihen oder sie, mit Waffen, Bomben und umstürzlerischen Aufrufen und Programmen versehen, in die armenischen Hauptorte des türkischen Reiches zu senden. Sie sollten in diesen Hauptorten eine geheime umstürzlerische Organisation schaffen und die Armenier dieser Gegenden, insbesondere diejenigen von Wan, Schattach, Hawasur, Kewach und Timar aufreizen und sich mit den Waffen in der Hand gegen die kaiserliche Regierung erheben. Zugleich sie dazu verleiten, die Türken und Kurden zu ermorden“.
Das Gebiet, das namhaft gemacht wird (Wan, Schattach, Hawasur, Kewach und Timar) ist ein kleiner Winkel an der Südostecke des Wansees. Was dort vorgegangen ist, haben wir geschildert. Die armenischen Dörfer dieses kleinen Gebietes standen, soweit sie politisch organisiert waren, unter der Leitung der Daschnakzagan in Wan. Hätte man hier erst eine Organisation schaffen wollen, (die ja vorhanden war), so hätte man dazu sicher nicht türkische Armenier über Bulgarien und Rumänien kommen lassen. Da hätten es die 1½ Millionen Armenier im benachbarten Kaukasus näher gehabt. Es handelt sich also in der türkischen Mitteilung um eine Kombination weit auseinander liegender Dinge. Die vereinzelten Armenier, die über Bulgarien und Rumänien in den Kaukasus gegangen sind – es waren größtenteils russische Armenier – zählen unter den 1½ Millionen Kaukasus-Armeniern überhaupt nicht.

Die türkische Mitteilung weiß denn auch von einem Erfolg dieser angeblichen Sendlinge nichts zu berichten. Als Beispiel wird nur

2. die Tätigkeit des früheren Abgeordneten Witoman Karikin Pasdermadschian, bekannt unter dem Namen „Armen Garo“ gekennzeichnet, „der in die von den armenischen Bandenführern Tro und Hedscho gebildete Bande eintrat“. „An der Spitze von armenischen Freiwilligen, die von Rußland bewaffnet waren, zerstörte er, als Bajasid von den Russen besetzt wurde, alle türkischen Dörfer, die er auf seinem Weg fand, und ermordete die Einwohner. Als die Russen aus dieser Gegend verjagt wurden, wurde er verwundet. Gegenwärtig ist er mit seiner Bande an der kaukasischen Grenze tätig. Die in Amerika erscheinende Zeitung Asparez hat seine Photographie veröffentlicht, auf der er zusammen mit Tro und Hedscho abgebildet ist, wie sie eben den feierlichen Eid vor dem Auszug in den Krieg leisten.“[1]
Es ist allen türkischen Mitteilungen eigentümlich, daß sie die Öffentlichkeit darüber im Unklaren lassen, daß die anderthalb Millionen russischer Armenier pflichtgemäß auf russischer Seite kämpfen müssen. Es wird der Schein erweckt, daß die in die russische Armee oder in russische Freischaren eintretenden Armenier verräterischer Weise gegen ihr türkisches Vaterland kämpfen, während sie wohl oder übel für ihr russisches Vaterland kämpfen mußten. Nehmen wir selbst an, daß die Angaben über die Tätigkeit von Garo Pasdermadschian, über die wir bereits Seite 180 berichtet haben, richtig seien, so könnten sie billigerweise nur vom russischen Standpunkt aus beurteilt werden. Wenn es mit der Zerstörung türkischer Dörfer im Gebiet von Bajasid seine Richtigkeit hätte, so würde es sich um kriegerische Handlungen der russischen Armee handeln. Die Dörfer dieser Gegend aber sind zum größten Teil von Armeniern bewohnt, und diese armenischen Dörfer waren bereits vor dem Einmarsch der Russen von türkischen und kurdischen Banden geplündert, die Männer massakriert und die Frauen und Mädchen weggeschleppt worden. Es würde sich also um Vergeltungsmaßregeln handeln. Da aber die Türken überall, bevor die Russen kamen, ihre Dörfer verließen und sich hinter die türkische Front zurückzogen, ist nicht anzunehmen, daß hier eine nennenswerte Zahl von Türken umgekommen ist. Der eine Fall Pasdermadschian ist als einziger Beweis für die allgemeine Behauptung der Anstiftung umstürzlerischer Handlungen seitens der Ententeregierungen nicht glücklich gewählt, denn es handelt sich um einen wohlhabenden und selbstbewußten Armenier, der für das, was er tat oder nicht tat, keiner Anstiftung bedurfte und für Dollars und Rubel unzugänglich ist.

3. Nachdem im allgemeinen gesagt war, daß die Armenier „von Cilicien überhaupt keine Handlung begangen hatten, die die öffentliche Ordnung und Ruhe hätte stören oder Maßregeln der Regierung erforderlich machen können“ (ein Zeugnis des Wohlverhaltens, das um so schwerer wiegt, da zur Zeit seiner Ausstellung, am 4. Juni die armenische Bevölkerung von Cilicien schon so gut wie völlig deportiert war), werden die englischen Behörden von Cypern beschuldigt, „Armenier in die Umgebung von Alexandrette gebracht zu haben, die unter anderm einige Züge zur Entgleisung gebracht hätten“. Genannt werden die Armenier „Toros-Oglu und Agob, bei denen Papiere gefunden wurden, die unzweifelhaft den angestrebten verbrecherischen Zweck beweisen“. Sodann werden die Kommandanten der englisch-französischen Seestreitkräfte beschuldigt, „mit den Armeniern der Gegend von Adana, Dört-Jol, Jumurtalik, Alexandrette und anderen Küstenorten in Verbindung getreten zu sein und diese zum Aufruhr aufgestachelt zu haben“. Daß ihnen dieses gelungen sei, wird nicht behauptet. Zuletzt werden die Armenier von Zeitun erwähnt, „die sich gegen die kaiserlichen Behörden erhoben und die Residenz des Gouverneurs umzingelt hätten“. Über die Vorgänge in Zeitun haben wir uns bereits unterrichtet. (Vgl. Seite 4 bis 10.) In Zeitun handelte es sich um etwa 20 Armenier, die eines Mädchens wegen mit türkischen Gendarmen in Konflikt gerieten. Dieser Fall wurde mit der Deportation der 20 000 Armenier von Zeitun und Umgebung bestraft. Die völlig vereinzelten Spionageakte im Küstengebiet wurden mit der Deportation der gesamten armenischen Bevölkerung von Cilicien in Zahl von mehr als 100 000 Armenier geahndet. Von der Unterdrückung einer Revolution kann nicht die Rede sein. Die Bevölkerung war längst entwaffnet, die Männer waren ausgehoben. Die Frauen, Kinder und Greise sind wie eine Schafherde in die Wüste getrieben
worden. Die Bestrafung einzelner landesverräterischer Handlungen, noch dazu im Kriege, versteht sich von selbst. Ebenso wie die Bestrafung von Deserteuren, die sich dem Heeresdienst entziehen. Die Deportationen einer Bevölkerung kann man damit nicht begründen. Darum schweigt auch das Communiqué von der bereits erfolgten Deportation.
4. Es folgt der Versuch, einen Beweis zu erbringen, daß von der Entente die Armenier zu einem Aufstande verleitet werden sollten, der unter dem Schutz der französischen, englischen und russischen Regierung von revolutionären Komitees im Auslande geplant worden sei. Da hierbei auf den Kongreß der Hintschakisten, der vor 2½ Jahren in Constantza stattfand, Bezug genommen wird, kann es sich nur um das Komplott der türkischen Opposition handeln, das von Scherif Pascha, Sabaheddin, Oberst Zadik und Ismail von Gümüldschina geplant und bereits vor dem Ausbruch des europäischen Krieges aufgedeckt worden war. In dieses Komplott, dessen Geschichte wir Seite 165 ff. erzählt haben, waren einige Hintschakisten verwickelt. Da die türkischen Hintschakisten die Beschlüsse des Kongresses von Constantza abgelehnt hatten, unterläßt das türkische Communiqué nicht hinzuzufügen, „daß der Kongreß öffentlich den Anschein erwecken wollte, als hätte er auf die aufständische Bewegung verzichtet“. Die türkischen Hintschakisten hatten in der Tat darauf verzichtet. Da es sich bei diesem Komplott um ein von der türkischen Opposition gegen die gegenwärtige türkische Regierung geplantes Komplott handelte (und nicht um die Anstiftung einer armenischen Revolution) unterläßt auch das türkische Communiqué nicht, noch das Folgende hinzuzufügen: „Die englischen, französischen und russischen Drahtzieher haben sich nicht damit begnügt, den Aufstand der Armenier (?) auf diese Weise vorzubereiten, sie haben auch versucht, die muselmanischen Bevölkerungsteile
ebenfalls gegen die Regierung Seiner Majestät des Sultans zu empören. Um diesen Zweck zu erreichen, haben sie sogar die Ausführung persönlicher Verbrechen organisiert, wofür die Beweise in den Händen der Hohen Pforte sind. Diese unqualifizierbaren Umtriebe sind selbst in den ältesten und von Handlungen der Grausamkeit am meisten befleckten Zeiten nicht mehr beobachtet worden“. (Sollte diese Charakteristik nicht zutreffender auf die vernichtenden Maßregeln anzuwenden sein, die die türkische Regierung gegen das armenische Volk zur Ausführung gebracht hat, als auf ein mißlungenes von Türken angestiftetes Komplott, dessen „Beweise“ unter dem Titel „Eine politische Komödie“ (!) vom Tanin veröffentlicht wurden?)


5. Um den Eindruck zu erzeugen, daß etwas wie eine armenische Revolution geplant gewesen sei, wird noch berichtet, daß bei Untersuchungen in den Wohnungen der Revolutionäre revolutionäre Fahnen und wichtige Dokumente über den beabsichtigten Aufstand, sowie über die separatistischen Ziele der Bewegung gefunden seien, und daß in den Provinzen bei den Armeniern Tausende von russischen Gewehren und Bomben entdeckt worden seien. Auf diese Funde von Fahnen (es handelt sich um das bekannte Parteiwappen der Daschnakzagan, das seit Begründung der Konstitution in allen armenischen Klubs öffentlich aushing), Dokumenten und Waffen werden wir noch zurückkommen. Die Pforte versprach „zur geeigneten Zeit alle diese Dokumente einzeln zu veröffentlichen, um die öffentliche Meinung aufzuklären“. Mit Ausnahme der Publikation des „Tanin“ ist bis jetzt nichts derart geschehen.13)

Eine besondere Beachtung verdienen diejenigen Ausführungen des türkischen Communiqués, welche sich auf die Bestrafung von landesverräterischen Akten und umstürzlerischen gegen die Reichseinheit gerichteten Bewegungen beziehen. Es wird ausdrücklich betont, daß die Verhaftung revolutionärer Armenier, die mit revolutionären Komitees im Auslande und mit Agenten des Dreiverbandes in Verbindung standen, (wie es bei den in das Komplott der türkischen Opposition verwickelten vier Hintschakisten der Fall war), in allen Formen des Rechtes vor sich gingen. Es wird mitgeteilt, daß „gewisse Armenier von ihren Wohnorten weggeschafft werden mußten, weil sie im Kriegsgebiet wohnten und ihre Anwesenheit daselbst der Regierung in Anbetracht der vorgefallenen Ereignisse eine gewisse Unruhe im Hinblick auf die nationale Verteidigung einflößte“. Sicherlich ist niemand auf den Gedanken gekommen, daß mit dem Ausdruck „gewisse Armenier“ das ganze armenische Volk der Türkei gemeint sei, und daß das „Kriegsgebiet“, aus dem die Armenier weggeschafft werden mußten, ganz Kleinasien, Armenien, Cilicien, Nordsyrien und Mesopotamien umfaßte. Aber es wird ausdrücklich betont, daß alle diese Maßregeln „ohne die geringste Beteiligung irgendwelcher Elemente der Bevölkerung“ durchgeführt worden seien, und daß die Aufstandsbewegung der Armenier, für deren Existenz das Communiqué selbst nur das eine Beispiel der Tätigkeit von Pasdermadschian und den Fall von Zeitun bringt, „unterdrückt wurde, ohne daß Massenmorde stattgefunden hätten“. Obwohl die allgemeine Deportation des armenischen Volkes bereits beschlossen war, wird ausdrücklich versichert: „Diese Maßregeln stellen keineswegs eine gegen die Armenier gerichtete Bewegung dar, was schon daraus hervorgeht, daß von den 77 835 Armeniern Konstantinopels nur 235 der Mitschuld an der aufständischen Bewegung bezichtigt und verhaftet worden sind, während die anderen in Ruhe ihren Geschäften nachgehen und sich der größten Sicherheit erfreuen“.

Die genannten Zahlen sind interessant. 235 Konstantinopeler Intellektuelle waren bereits in der Nacht vom 24. auf den 25. April verhaftet worden. Die 300 bis 400, die ihnen folgten, werden nicht erwähnt. Auch ist es unrichtig, daß die Konstantinopeler Intellektuellen „der Mitschuld an einer aufständischen Bewegung bezichtigt worden seien“. Unter vier Augen gestand man, „daß man keinen bestimmten Verdacht habe, und daß es sich nur um eine Vorsichtsmaßregel handle“.14) Auch nachträglich wurden keine Beweise revolutionärer Absichten oder Handlungen beigebracht. Die Zahl der Armenier in Konstantinopel wird gewöhnlich auf ca. 150 000 Gregorianer, 10 000 Katholiken und 1000 Protestanten angegeben. Dies entspricht einer älteren Statistik des armenischen Patriarchates. Neuerdings wurde die Zahl der Armenier von Konstantinopel auf mindestens 180 000 eingeschätzt. Die Zahl von 77 835 scheint also bereits mit einem Abgang von 100 000 Armenier gerechnet zu haben. Sollte damit vorweggenommen werden, daß nach der Durchführung der Maßregeln nur noch so viel Armenier in Konstantinopel übrig bleiben würden? Oder handelt es sich nur um ein in der türkischen Statistik übliches Verfahren, die Zahl der den christlichen Nationalitäten angehörigen Untertanen etwa um die Hälfte zu reduzieren und die muhammedanische Bevölkerung dementsprechend zu erhöhen?

Die übrigen Ausführungen des Communiqués, die gegenüber den unmenschlichen Grausamkeiten, die sich seinerzeit Engländer, Franzosen und Russen in Ägypten, Indien, Marokko und im Kaukasus hätten zuschulden kommen lassen, die Humanität der Türkei ins hellste Licht rücken, können wir auf sich beruhen lassen. Uns interessiert daran nur, daß die türkische Regierung versichert, daß sie „die Abwehrmaßregeln, zu denen sie sich genötigt sah, mit der größten Mäßigung und Gerechtigkeit angewandt“ habe.

Das zweite türkische Communiqué
W.T.B. Konstantinopel, den 17. Juni 1915

enthält eine Bekanntmachung des Platzkommandos von Konstantinopel, die in den Konstantinopeler Blättern veröffentlicht wurde. Die Bekanntmachung betrifft die Hinrichtung der 21 Hintschakisten auf dem Platz vor dem Kriegsministerium. Vier von diesen Hintschakisten waren in das Komplott der türkischen Opposition, dessen Geschichte wir dargestellt haben, verwickelt. Die übrigen wurden als Hintschakisten mitgehenkt. Das türkische Komplott geht auf zwei Jahre zurück, war vor dem Beginn des europäischen Krieges bereits aufgedeckt worden und die vier Hintschakisten saßen bereits vor Kriegsbeginn im Gefängnis (Vergl. Seite 165 ff.) Mit dem armenischen Volke und den Kriegsereignissen hat das Komplott nichts zu tun. Vor dem Kriege war auch die Partei der Hintschakisten in der Türkei geduldet. Nach dem Kriegsausbruch genügte der Nachweis der Parteizugehörigkeit, um ein Todesurteil zu begründen.

Das dritte türkische Communiqué
W.T.B. Konstantinopel, den 29. Juni 1915
berichtet zuerst von einem Vorstoß gegen die kaukasische Front und von einer Vorwärtsbewegung der türkischen Truppen „in der Gegend von Wan“. Daß der östliche Zipfel des Wilajets Erzerum und der größere Teil des Wilajets Wan, das Gebiet nördlich, östlich und südöstlich des Wansees zu der Zeit in den Händen der Russen war, konnte man aus den türkischen Kriegsberichten nicht ersehen. In dem zweiten Abschnitt des Communiqués werden Russen und Armenier einer abscheulichen Schandtat gegen Frauen, die vergewaltigt und ermordet worden seien, beschuldigt. Die Schandtat wird folgendermaßen dargestellt:
„Vor kurzem griffen russische Abteilungen und armenische Banden im Dorfe Assulat, Bezirk Nevruz, eine größere Zahl Auswanderer an, töteten alle Männer und sperrten dann etwa 600 Frauen und Kinder in ein großes Haus ein; von diesen haben die russischen Offiziere zuerst, was sie zur Befriedigung ihrer Gelüste gut fanden, ausgesucht und den Rest von armenischen Banden durch Bajonettstiche ermorden lassen.“

Der Bezirk Nevruz (soll heißen Norduz) ist eine kurdische Kasa (Kreis) südöstlich des Wansees. Die „Auswanderer“ (Muhadjirs) waren Kurden, die vor den russischen Truppen, die in das obere Zabtal eingedrungen waren, mit der auf dem Rückzug befindlichen türkischen Armee von Chalil Bey geflüchtet waren. Ein Haus, das 600 Menschen fassen kann, gibt es in kurdischen Dörfern nicht. Die Vermutung liegt nahe, daß die Zahl 600 eine Null zu viel hat. In jedem Falle handelt es sich, wenn die Sache richtig ist, um eine Schandtat russischer Offiziere und, soweit Armenier in Betracht kommen, um russische Armenier und um die Ausführung eines Befehles russischer Offiziere. Die türkischen Armenier haben mit dieser Sache nichts zu tun. An diesen Bericht schließen sich die folgenden beiden Sätze an:

„Von 180 000 Muselmanen, die das Wilajet Wan bewohnen, haben sich kaum 30 000 retten können. Der Rest blieb den Mordtaten der Russen und Armenier ausgesetzt, ohne daß man bis jetzt über deren Schicksal etwas erfahren konnte.“

Dieser Passus ist, obwohl er in der deutschen Presse richtig abgedruckt worden ist, zu einer groben Fälschung benutzt worden. Der letzte Passus wurde dahin abgeändert, es seien 150 000 Muselmanen von Russen und Armeniern ermordet worden.15) In der deutschen Presse verschwinden später auch die Russen. In einem weit verbreiteten Artikel (von einem Berliner Dr.-a-Mitarbeiter), der u. a. im Neuen Stuttgarter Tageblatt und im Neuen Leipziger Tageblatt abgedruckt war, ist zu lesen: „Erwiesenermaßen(!) sind 150 000 Muhammedaner den Armeniern zum Opfer gefallen.“

Nun lese man noch einmal die vorsichtig gehaltene türkische Mitteilung. Sie beruht auf einem statistischen Rechenexempel: Das Wilajet Wan zählt 180 000 Muselmanen unter seinen Bewohnern. (ca. 30 000 Türken, der Rest Kurden.) 30 000 von diesen waren aus dem Wilajet Wan geflüchtet. Wie aus dem dritten Absatz des Communiqués hervorgeht, standen damals die Russen „östlich Achlat“, also schon jenseits der Westgrenze des Wilajets Wan am Westufer des Wansees. 30 000 Türken hatten sich aus den nördlichen und nordöstlichen von den Russen besetzten Gebieten geflüchtet; 150 000 Kurden befanden sich in den südlichen und südöstlichen Gebieten, die auf der einen Seite bis zum Tigris, auf der anderen über das obere Zab-Tal in das Gebiet der Hakkiari-Kurden hinübergreifen. Es sind die Gebiete der fast unabhängigen Kurdenstämme, die von den Russen nur an ihrer nördlichen Grenze berührt worden waren. Natürlich konnte man von dem Schicksal dieser abgelegenen Gebiete und von den „150 000 Muselmanen“, die sie bewohnen, im türkischen Hauptquartier „nichts erfahren“. Armenier und Russen wußten ebensowenig von ihnen. Auch hatten die Russen gar kein Interesse, diese Gebiete zu besetzen, da die Scheichs dieser Kurdenstämme sich um die Türkei herzlich wenig kümmern. Bekannte kurdische Scheichs hatten bereits vor dem Kriege mit den Russen konspiriert und waren in Tiflis und Petersburg liebenswürdig empfangen worden.16)


Das vierte türkische Communiqué
W.T.B. Nicht amtlich. Konstantinopel, den 12. Juli 1915

wendet sich gegen einen Artikel der „Gazette de Lausanne“ vom 19. Juni, in dem behauptet war, „die osmanische Regierung leihe den gegen die in der Türkei lebenden Armeniern begangenen Ausschreitungen ihren Schutz und die Ausschreitungen beständen häufig in Metzeleien“. Derselbe Artikel stellt die Teilnahme von 50 000 Armeniern am Kriege fest, darunter 10 000 Freiwillige, die auf russischer Seite ständen und ihr Blut für die Sache der Alliierten opferten. Die türkische Telegraphenagentur Agence Milli erklärt dazu:

„Wir halten es für unnütz, solche Sinnlosigkeiten zu dementieren, wir fragen indessen, wie die feindlichen Zeitungen die Handlungsweise ihrer Landsleute bezeichnen würden, die sich gegen ihr Vaterland erheben, zum Feinde übergehen und ihre im Heere des Vaterlandes verbliebenen Brüder bekämpfen. Das ist der Fall bei diesen Armeniern, die als Helden und Märtyrer gefeiert werden, während sie selber Ursache und Mittel grausamer Verbrechen sind, die von ihnen und ihren Religionsgenossen an der muselmanischen Bevölkerung unserer östlichen Provinzen begangen werden. Die osmanische Regierung geht mit großer Umsicht vor, um jeden Schuldigen nach dem Gesetz zu bestrafen, und erstreckt ihren wohlwollenden Schutz auf alle ehrlichen und friedlichen in der Türkei lebenden Christen, von denen eine große Anzahl in den Reihen der türkischen Armee kämpft. Wir stellen mit tiefer Verachtung fest, daß unseren zynischen Feinden alle Waffen recht sind. Sie besitzen die Niedrigkeit, uns unter Umkehrung der Wahrheit Untaten zuzuschreiben, welche die Russen im Kaukasus und in Persien täglich begehen.“

Daß es sich hierbei um russische Armenier handelt, wird verschwiegen. Was würde man dazu sagen, wenn wir Deutsche uns in derselben Weise darüber aufregen wollten, daß Hunderttausende von Polen in der russischen Armee kämpfen? Entweder weiß der türkische Schreiber der obigen Auslassung nichts davon, daß 1½ Millionen Armenier russische Untertanen sind, oder er spekuliert auf die Unwissenheit des Publikums in Fragen der Ethnographie. Hätte er hinzugefügt, daß es sich um russische Armenier handelt, dann hätte er sein Pathos sparen müssen. Von Untaten der Russen im Kaukasus und in Persien ist nichts bekannt. Dagegen haben türkische Banden im Verein mit russischen Adjaren (muhammedanischen Grusiniern) auf russischem Gebiet in dem Gebiet von Artwin und Ardanusch Massakers veranstaltet. (S. 77.)


Das fünfte türkische Communiqué
W.T.B. Konstantinopel, den 16. Juli 1915

bedient sich desselben Kunstgriffs, indem es darauf hinweist, daß die Armenier fortfahren, „auf russischer Seite gegen die Türkei zu kämpfen“. Sodann wird von dem Vorhandensein „eines seit lange vorbereiteten und beschlossenen Planes“ geredet, den „die Armenier pünktlich auszuführen fortfahren“. Ein Beweis dafür wird aber nicht erbracht, abgesehen von dem Fall Schabin-Karahissar, bei dem es sich um Widerstand gegen ein drohendes Massaker handelte. (Vergl. Seite 63.) Hierüber sagt das Communiqué:

„Am 2. Juni a. St. (12. Juni n. St.) überfielen 500 bewaffnete Armenier, welchen sich Fahnenflüchtige desselben Stammes angeschlossen hatten, die Stadt Schabin-Karahissar und griffen die muselmanischen Viertel an, wo sie sämtliche Häuser ausplünderten. Sie verbarrikadierten sich dann in der Zitadelle der Stadt und beantworteten die väterlichen und versöhnlichen Ratschläge der örtlichen Behörden mit Gewehrfeuer und Bomben, wodurch 150 Zivil- und Militärpersonen getötet wurden. Der letzte Vorschlag der Regierung, der auf die Unterwerfung ohne Blutvergießen abzielte, ist erfolglos geblieben. Unter diesen Umständen sahen sich die Behörden gezwungen, die Geschütze gegen die Zitadelle zu wenden, und dank dieser Zwangsmaßnahmen ist es gelungen, dieser Rebellen am 20. Juni Herr zu werden.
Ähnliche revolutionäre Bewegungen, die hier und da ausbrechen, zwingen uns, an unseren verschiedenen Grenzen unseren Armeen Kräfte zu entnehmen, um sie zu unterdrücken. Um diese Unannehmlichkeit zu vermeiden und die Wiederholung von Ereignissen zu verhindern, bei welchen neben den Schuldigen auch die unschuldige und friedliche Bevölkerung bedauernswerten Schaden erleidet, mußte die Kaiserliche Regierung gegen die revolutionären Armenier gewisse vorbeugende und einschränkende Maßnahmen treffen.
Infolge der Ausführung dieser Maßnahmen sind diese Armenier aus den Grenzzonen und den Gebieten, wo Etappenlinien eingerichtet sind, entfernt worden. Somit sind sie dem mehr oder weniger wirksamen Einfluß der Russen entzogen und sind dadurch außerstand gesetzt, den höheren Interessen der Landesverteidigung zu schaden und die innere Sicherheit zu gefährden.“

Hier wird zum ersten Male die Deportation, die bereits im größten Stile über das ganze armenische Volk der Türkei verhängt war, angedeutet. Sie wird allerdings als auf die „Grenzzonen“ und „die Gebiete, wo Etappenlinien eingerichtet sind“, beschränkt bezeichnet. Danach müßte die ganze Türkei, abgesehen von den arabischen Wüsten, aus Grenzzonen und Etappenlinien bestehen. Seltsam klingt die Besorgtheit um „die unschuldige und friedliche Bevölkerung, welche neben den Schuldigen bedauernswerten Schaden erleidet“.

Diese „unschuldige und friedliche Bevölkerung“ war inzwischen durch die Anordnung der Behörden ihrer gesamten Habe beraubt worden. Die Männer waren erschlagen, die unschuldigen Kinder und friedlichen Frauen befanden sich auf dem Wege in die arabische Wüste.

Über die Verteidigung der armenischen Viertel in Wan durch die dortigen Armenier und über die Entsetzung von Wan durch die russischen Truppen hat die türkische Regierung offiziell geschwiegen.

Ergebnis.

Stellen wir die nackten Tatsachen fest, die in den 5 Communiqués der türkischen Regierung mit Anführung von Personen und Ortsnamen als Beweise für eine revolutionäre Erhebung des armenischen Volkes aufgeführt werden. Es sind die Folgenden:

1. Garo Pasdermadschian, der in Tiflis zu Haus ist, begibt sich Ende August 1914, also vor dem Kriege, von Erzerum nach dem Kaukasus und schließt sich bei Ausbruch des Krieges, angeblich einem armenischen Freikorps an. Das übrige, was ihm zugeschrieben wird, geht die russische Kriegführung an.
2. Zwei Armenier, Toros Oglu und Agob, bringen in Cilicien Züge zur Entgleisung.
3. Kommandanten englischer und französischer Schiffe setzen sich mit Armeniern der Küstenorte in Verbindung.
4. Armenier von Zeitun haben den Behörden Widerstand geleistet.
5. Die Führer der türkischen Oppositionspartei zettelten ein Komplott an, in das vier Hintschakisten verwickelt waren. (Das Komplott wurde vor dem Kriege aufgedeckt.)
6. Armenier von Wan, Schattach, Hawasur, Kewach und Timar um die Südostecke des Wansees herum „erheben sich mit der Waffe in der Hand“.
7. 500 Armenier von Schabin-Karahissar besetzen den Burgfelsen.

Dies sind die Tatsachen der Communiqués.17) Für die Beschuldigung einer geplanten armenischen Revolution reichen diese Beweise nicht aus. Die Tatsachen, soweit sie nicht zur Kategorie der zwischen kriegführenden Mächten üblichen Spionageakte gehören, haben wir bereits in unserer Darstellung der Geschichte der Deportation klargestellt, so besonders die Vorgänge in Zeitun (Seite 4 ff.), Schabin-Karahissar (Seite 63) und im Wangebiet (Seite 81 ff.).

Durch unsre obige Darstellung haben wir festgestellt, daß weder das Patriarchat noch die Daschnakzutiun sich irgendwelcher vaterlandsfeindlicher Akte schuldig gemacht haben, noch auch daran gedacht haben, solche vorzubereiten. Im Gegenteil kann bewiesen werden, daß beide Organisationen ihr Äußerstes getan haben, um jede Handlung, die von der Regierung mißdeutet werden konnte, zu vermeiden, und mit aller Gewissenhaftigkeit ihre nationalen Pflichten erfüllt haben. Die Daschnakzagan insbesondere, als langjährige politische Freunde und Gesinnungsgenossen der Führer des Komitees für Einheit und Fortschritt, waren aufs Äußerste betroffen und überrascht, daß ihre bis zuletzt festgehaltene loyale Gesinnung und Kameradschaftlichkeit von ihren politischen und persönlichen Freunden mit schnödem Undank belohnt wurde, und daß ihr Leben von eben den Männern, denen sie während der Reaktion das Leben gerettet hatten, jetzt bedroht wurde. Die Beteiligung von vier auswärtigen Hintschakisten an dem Komplott, das von den Führern der türkischen Opposition angezettelt war, hatte ebenfalls nichts mit dem armenischen Volke oder einer angeblichen Erhebung desselben zu tun, ganz abgesehen davon, daß dieses Komplott in die Zeit vor dem Kriege fällt und bereits im Mai 1914 aufgedeckt war. Die Versuche, dieses türkische Komplott als Beweisstück für eine geplante armenische Revolution zu verwerten, beweisen nur, daß andere Beweisstücke nicht vorhanden waren.

Da die großen politischen und kirchlichen Organisationen des armenischen Volkes sich völlig loyal verhielten, ja in ihrer Loyalität bitter enttäuscht worden sind, und sonstige Organisationen, die in der Lage gewesen wären, das armenische Volk zu revolutionieren weder vorhanden waren, noch auch von türkischer Seite namhaft gemacht worden sind, müssen tiefer liegende Gründe ausfindig gemacht werden, die imstande sind, den ganzen Verlauf der Ereignisse zu erklären.


4. Nachträge.


1) Die letzte Phase der Verfolgungsgeschichte spielte sich im Kaukasus ab, als nach dem Frieden von Brest-Litowsk die russische Armee sich zurückzog und den Kaukasus der Invasion der türkischen Truppen preisgab. Über die Vorgänge im Kaukasus vgl. „Deutschland und Armenien 1914–1918“. Sammlung diplomatischer Aktenstücke, hersg. und eingel. von Dr. Johannes Lepsius. Der Tempelverlag in Potsdam 1919. Einl. S. XLV und die Aktenstücke d. Js. 1918, S. 365 ff.

2) Über Nazareth Tschauch und die Entstehung der Unruhen in Zeitun vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. IX ff. und die Berichte von Konsul Roeßler, Aleppo, Aktenstücke Nr. 11 und 25.

3) Die Gesamtzahl der Deserteure, die, aus Christen und Muhammedanern bestehend, schon vor dem Kriege seit 1913 sich in die Berge geflüchtet hatten, betrug zu der Zeit nach Mitteilung von Herrn Konsul Roeßler etwa 150. Der Verlust der Toten und Verwundeten bei dem Angriff auf das Kloster wird von ihm auf „eine Anzahl Toter und Verwundeter“ angegeben.

4) Die Zahl von 20 000 Seelen umfaßt auch die Dörfer in der Umgegend von Zeitun.

5) Über die Vorgänge in Dörtjol sind nähere Berichte in dem deutschen Konsularbericht aus Adana vom 13. März 1915 gegeben. Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 19.

6) Über die Vorgänge in Urfa siehe die Berichte des deutschen Konsuls Herrn Roeßler von Aleppo, Lepsius, Dtschl. und. Arm. Nr. 193, 202 und 226 Anl. 1. Am 19. und 20. August fanden Massakers statt, bei denen etwa 200 Armenier getötet wurden. Am 29. September setzten sich die Armenier, um der drohenden Deportation zu entgehen, in Verteidigungszustand in ihrem Stadtviertel. Vom 4. bis zum 15. Oktober währte die Belagerung des Viertels durch türkische Truppen, wobei diese 50 Tote und 120 bis 130 Verwundete hatten. Die männliche armenische Bevölkerung der Stadt wurde, nachdem der Widerstand gebrochen war, zum größten Teil getötet, die Frauen und Kinder deportiert. Die Stadt zählte vor der Deportation etwa 20 000 Armenier.

7) Dazu schrieb Prediger J. Spörri, Leiter der Station Wan des deutschen Hilfsbundes für Christliches Liebeswerk im Orient, am 7. 10. 1916 aus Zürich an den Verfassen

„Als am 20. 4. 15 die Feindseligkeiten vor meinen Augen ausgebrochen waren und in schauerlicher Weise auf uns geschossen wurde, war ich gedrungen, an den Wali zu schreiben. Ich erzählte den Anfang der Feindseligkeiten, teilte mit, daß wir dem Kugelregen ausgesetzt seien, ersuchte, da ich annehmen mußte, daß solches unmöglich nach dem Wollen des Walis sein könne, um weitere Vermeidung solcher Handlungen und bat, die Streitigkeiten friedlich zu ordnen. Mit meinem Schreiben ging ich zu Dr. Usher (es war das ein gefährlicher Weg, da unaufhörlich geschossen wurde), las ihm den Inhalt vor und veranlaßte ihn, von seiner Seite ein Gleiches zu tun. Der Brief vom 23. 4. von Djevdet Bey war die Antwort auf unser Schreiben. Übrigens hatte ich die Verteidiger gebeten, sie möchten sich von der Front unserer Station zurückziehen, da sie das Feuer auf uns zögen. Ich hatte die Genugtuung, daß mein Wunsch erfüllt wurde. Freilich war auch so von einem Aufhören des Feuers gegen uns nicht die Rede.“

8) Auch der Wali Rachmi Bei wurde schließlich, wenn auch erst ein Jahr nach der allgemeinen Deportation, durch den Befehl der Regierung von Konstantinopel gezwungen, den Befehl zur Deportation zu geben. Lediglich dem Einschreiten des Oberbefehlshabers General Liman von Sanders, der mit militärischem Widerstand drohte, ist es zu danken, daß die Deportation der Armenier von Smyrna nicht zur Ausführung kam. Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LIX und die Aktenstücke Nr. 306, 307, 308.


9) Vgl. den fesselnden Bericht über die Flucht der Armenier von Suedije von Pastor Digran Andreasjan, der im Anhang von Lepsius, Dtschl. und Arm. abgedruckt, auch im Tempelverlag in Potsdam separat erschienen ist, „Suedije, eine Episode aus den Armenierverfolgungen des Jahres 1915.“ M. 0,50.

10) Durch Gesetz vom 1. August 1916 wurde ein Jahr darauf die alte Kirchenverfassung der gregorianischen Kirche zerstört und das Patriarchat von Konstantinopel in das Kloster Mar Jakub in Jerusalem verlegt. Erst nach dem Sturz der jungtürkischen Regierung und dem Zusammenbruch der Türkei wurde das Gesetz wieder aufgehoben.

11) Nach dem Zusammenbruch der Türkei ist das ursprüngliche Programm der Daschnagzagan natürlich gegenstandslos geworden. Auf den Glücksfall, daß die beiden Feinde der Armenier, die Türkei und Russland, gleichzeitig zusammenbrechen würden, so daß für ein völlig unabhängiges Groß-Armenien Raum wurde, konnte kein politisches Programm im voraus rechnen.

12) Wartkes wurde zusammen mit Sohrab auf dem Wege von Urfa nach Diarbekir durch die begleitenden Gendarmen auf Befehl der Regierung ermordet. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. 109.

13) Die Polizei in Konstantinopel hat nachträglich zwei Bilderbücher mit Haufen von Gewehren, Bomben, Fahnen und dergl. veröffentlicht, die nur Unkundige über den Wert solcher Machwerke täuschen können. Eine Charakteristik dieser Publikation hat die Deutsch-Armenische Gesellschaft veröffentlicht.

14) Vgl. den Bericht des deutschen Botschafters Freiherrn von Wangenheim in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 38. „Die Behauptung, es lägen Beweise vor, daß für den Tag des Thronbesteigungsfestes ein Putsch beabsichtigt gewesen sei, erklärte Talaat Bey für unzutreffend.“ Die Pforte selbst erklärte offiziell die Verschickung der Konstantinopler Intellektuellen nur für eine Vorbeugungsmaßregel.

15) Die letzte türkische Lesung lautete, daß alle 180 000 Muselmanen von den Armeniern massakriert worden seien. Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LXXIII f.

16) Vgl. dazu die Berichte des deutschen Konsuls Herrn Anders in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 5, 6 und 10.

17) Das später erschienene Communiqué der türkischen Regierung über die Vorgänge in Urfa wird von dem deutschen Konsul Herrn Roeßler in Aleppo in seinem Bericht vom 16. November 1915 einer Kritik unterzogen. Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 202.

18) Vgl. Lepsius, Dtschl. und Arm. Einl Kap. V, 5: Die offizielle Motivierung. S. LXVI ff.

19) Vgl. die Urteile der deutschen Botschafter und Konsuln ebenda S. LXXVI ff.

20) Vgl. das Urteil des deutschen Botschafters Graf Wolff-Metternich in Lepsius, Dtschl. und. Arm. Nr. 287.

21) Vgl. die Urteile deutscher Konsuln in Lepsius, Dtschl. und Arm. S. LXXVI ff.

22) Wäre die Türkei siegreich aus dem Krieg hervorgegangen, so wäre allerdings nicht daran zu denken gewesen, daß der Raub des gesamten Nationalgutes des armenischen Volkes wieder rückgängig gemacht worden wäre. Auch jetzt wird es schwer sein, auch nur einen beträchtlichen Teil der beweglichen Habe den Dieben und Räubern, die daß Gut schon längst verschleudert haben werden, zu entreißen.

23) Vgl. den Bericht über die Verhandlungen im türkischen Senat vom Oktober und November 1915 in Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 223.

24) Vgl. zu diesem Kapitel den Abschnitt: Zwangsbekehrungen zum Islam, in der Einleitung von Lepsius, Dtschl. und Arm. und ebenda die Konsularberichte laut Sachregister unter Zwangsbekehrungen.

25) Vgl. den Bericht des deutschen Vizekonsuls Herrn Kuckhoff vom 4. Juli 1915 aus Samsun, Lepsius, Dtschl. und Arm. Nr. 116 Anlage.

26) Nur unter den syrischen Nestorianern gab es eine kleine hochkirchliche Mission, die am Sitz des nestorianischen Patriarchen in Kodschannes bei Djulamerg im oberen Zabtal und in Urmia auf persischem Gebiet eine Vertretung hatte und eine Art Nuntiatur des Erzbischofs von Canterbury bei dem nestorianischen Patriarchat bildete. Diese hochkirchlichen Herren haben niemals mit Armenien oder der armenischen Frage zu tun gehabt und sich ausschließlich auf die syrischen Nestorianer beschränkt.

27) Dies war Anfang 1916 geschrieben. Nach der Vernichtung ihres Volkstums in der Türkei würden es jetzt natürlich alle noch Überlebenden Armenier ablehnen, unter türkische Herrschaft zurückzukehren.

28) Vielleicht wird Herr Bratter nach der Veröffentlichung der diplomatischen Aktenstücke über den Vernichtungskampf der Türken gegen die christlichen Armenier durch die Urteile der deutschen Botschafter und Konsuln jetzt eines Besseren belehrt werden.

29) Den genannten Städten ist noch Aleppo hinzuzufügen, wo dank der rastlosen Bemühungen des deutschen Konsuls wenigstens die ortsansässige Bevölkerung von der Deportation verschont blieb. Die Armenier von Bagdad waren zunächst nach Mossul deportiert worden und sollten von dort weitergeschafft werden. Der Einspruch des Feldmarschalls Freiherrn von der Goltz, der den Weitertransport untersagte, wurde von der Regierung in Konstantinopel erst respektiert, als der Feldmarschall wegen dieser Sache telegraphisch um seine sofortige Abberufung bat. S. Lepsius, Dtschl. und Arm. Einl. S. LIX und Aktenstück Nr. 224.


30) Über den Gesamtverlust an Ermordeten und Verhungerten, der auf eine Million geschätzt wird, vgl. Lepsius Dtschl. und Arm. Einleitung V, 4, S. LXIII, das Kapitel: Opfer.




Anmerkungen

  1. Die Photographie stellt die Fahnenweihe eines russisch-armenischen Freikorps dar, bei der Garo Pasdermadschian zugegen war. Er selbst hat überhaupt nicht mit der Waffe gekämpft. sondern das Hilfswerk für die armenischen Flüchtlinge organisiert. Ebensowenig ist er verwundet worden. Vergl. Seite 180f.