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Der Tod und das Begräbniß eines Freiheitskämpfers

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Textdaten
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Titel: Der Tod und das Begräbniß eines Freiheitskämpfers
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 15–16
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[15] Der Tod und das Begräbniß eines Freiheitskämpfers. Einer der herrlichsten Freiheitskämpfer, der im blutigen Kampfe für das Vaterland freudig sein Leben opferte, war Karl Friedrich Friesen, von dem der alte Arndt gesungen hat:

Wohl Viele sind gepriesen
Im großen deutschen Land,
Doch dich, mein frommer Friesen,
Hat Gott allein gekannt.

5
Was blühend im reichen Herzen,

Die Jugend so lieblich verschloß,
Ist jeglichem Laut der Schmerzen,
Ist jeglichem Lob zu groß.

War je ein Ritter edel,

10
Du warst es tausendmal,

Vom Fuße bis zum Schädel
Ein lichter Schönheitsstrahl –
Mit kühnem und stolzem Sinne
Hast du nach der Freiheit geschaut,

15
Das Vaterland war deine Minne,

Es war dir Geliebte und Braut. –

Friesen war in Magdeburg geboren und hatte von Jugend auf eine ausgezeichnete Erziehung genossen. Im Jahre 1812 war er als Lehrer an der Anstalt des Dr. Plamann in Berlin beschäftigt und zugleich einer der eifrigsten Freunde und Förderer des damals neu aufblühenden Turnwesens. Der ihm befreundete Turnvater Jahn giebt folgende poetische und doch nach dem einstimmigen Zeugnisse seiner Zeitgenossen durchaus wahre Schilderung von dem jungen Helden: „Friesen war ein aufblühender Mann in Jugendfülle und Jugendschöne, an Leib und Seele ohne Fehl, voll Unschuld und Weisheit, beredt wie ein Seher: eine Siegfriedsgestalt von großen Gaben und Gnaden, den Jung und Alt gleich lieb hatten; ein Meister des Schwertes auf Hieb und Stoß, kurz, rasch, fest, fein, gewaltig und nicht zu ermüden, wenn seine Hand erst das Eisen faßte: ein kühner Schwimmer, dem kein deutscher Strom zu breit und reißend; ein reisiger Reiter, in allen Sätteln gerecht, ein Sinner in der Turnkunst, die ihm viel verdankt. Ihm war es nicht beschieden, in’s freie Vaterland heimzukehren, an dem seine Seele hielt. Von wälscher Tücke fiel er durch Meuchelschuß in den Ardennen. Ihn hätte auch im Kampfe keines Sterblichen Klinge gefällt. – Keinem zu Liebe und Keinem zu Leide; aber wie Scharnhorst unter den Alten, ist Friesen von der Jugend der Größeste aller Gebliebenen.“

Gleich im Beginn des heiligen Kampfen eilte der tapfere Friesen nach Breslau, wo er in die bekannte Freischaar den Majors von Lützow mit Theodor Körner, Graf Dohna, Karl Müller, Dorow, Beerenhorst, Friedrich Förster u. s. w. eintrat. Ein Freundschaftsband umschlang die edlen Jünglinge und Männer, doch zu Keinem fühlte sich Friesen selbst so hingezogen, als zu dem treuen August von Vietinghof. Beide gelobten sich einst in heilig ernster Stunde, daß, wenn der [16] Eine von ihnen auf fremder, feindlicher Erde fiele, der Andere die Leiche des Freundes in’s Vaterland zurückführen sollte. Glücklich hatte Friesen in den unsterblichen Schlachten der Befreiungskriege mitgekämpft und sich durch Muth und Tapferkeit vor Allen ausgezeichnet, als ihn in Frankreich selbst bei einem Streifzuge durch die Ardennen eine mörderische Kugel traf. Eingedenk seines Gelübdes suchte der treue Freund lange vergebens die Leiche des Gefallenen, bis ihn ein günstiger Zufall sie entdecken ließ. Sechsundzwanzig Jahre führte Vietinghof die Gebeine des todten Freundes mit sich herum; von Garnison zu Garnison, von Stadt zu Stadt, den Sarg wie einen theuren Schatz behütend, bis er endlich die Erlaubniß erhielt, die sterblichen Ueberreste des unsterblichen Helden auf dem Berliner Invalidenkirchhofe zu bestatten.

Friedrich Adami, der gewissenhafte und fleißige vaterländische Geschichtsschreiber, theilt in seinem, neuesten Werke, das unter dem Titel „Vor fünfzig Jahren“ vor Kurzem erschienen ist, die betreffende höchst interessante Eingabe an den König Friedrich Wilhelm IV. mit, worin Vietinghof die näheren Umstände über den Tod des Freundes und die Auffindung seiner Leiche erzählt. „Friedrich Friesen,“ so lautet der Bericht, „geboren 1785 zu Magdeburg, evangelischer Religion, von 1808 ab Oberlehrer in der Plamann’schen Lehr- und Erziehungs-Anstalt in Berlin, 1813 Freiwilliger und nachher Lieutenant der Cavallerie und Adjutant beim Chef des Königl. Preuß. Frei-Corps, Oberstlieutenant von Lützow, befand sich im März 1814 nach dem Verlust von Rheims, in dem Augenblick im Auftrage bei der Arrieregarde, als dieselbe bei Rethel in den Ardennen von allen Seiten angegrifien, geworfen und auseinander gesprengt wurde, zu Folge dessen er am 15. März 1814, Nachmittags in der vierten Stunde, von Hunger, Durst und Anstrengung ganz erschöpft, sein ermüdetes Pferd am Zügel hinter sich herleitend, in dem Walde von Huillens, unweit des Dorfen la Lobbe, eine Meile von Launoy und drei Meilen von Mezières, von zwei Holzhauern und einer kleinen Abtheilung französischer Nationalgarde gefangen und bald darauf durch Kolbenstöße, Axtschläge und eine Flintenkugel durch die Brust meuchelmörderisch getödtet worden ist. Einer der Mörder, und namentlich der, welcher den tödtlichen Schuß vollführte, war der Schäfer Brodie von der Ferme Puesieux in Grandchamp und der Anführer der Nationalgarde, der Maire Coche von Launoy, 1816 Notaire daselbst.

Den gänzlich entkleideten Leichnam ließ der Maire Deslyou von la Lobbe, als er davon Anzeige erhalten, noch am Abend des 15. März 1814 in das Dorf bringen und am folgenden Tage auf dem dortigen Kirchhofe feierlich begraben. Das Benehmen des Maire Deslyou erklärt sich nur daraus, daß derselbe Royalist war und, nach seiner mir gemachten Angabe, bei der Besichtigung des so ausgezeichnet schönen Leichnams unwillkürlich hätte annehmen müssen, daß der ermordete preußische Militair hohen Standes sei, weshalb er sich auch veranlaßt gesehen, über den Hergang der Todesart ein procès verbal Aufzunehmen.

All diese näheren Thatsachen wurden mir jedoch erst später im Verfolg des Umstandes bekannt, daß ich im December 1816 durch einen glücklichen Zufall zu Lützow’s Corpssiegel, welches Friesen an jenem verhängnißvollen Tage bei sich getragen und welches nach seiner Ermordung von einem der französischen Nationalgardisten genommen, mir aber an einem von ihm im Holzgriff desselben angebrachten Kreuzschnitt besonders kenntlich war, gekommen bin. Denn als ich am 7. April 1814 in Nouvion unweit Compiègne vom Lieutenant Wilhelm von Lützow den Tod des Lieutenant Friedrich Friesen erfahren, ward mir nur die Gegend zwischen Rethel und Mezières, wo er gefallen, angedeutet und einige Tage nachher der erste Pariser Friedensschluß bekannt, und sofort der Rückmarsch nach dem Rhein angetreten; dadurch mir aber leider die Gelegenheit benommen, die Begräbnißstätte meines Freundes Friesen schon damals genauer zu ermitteln und dem Angelöbniß, welches wir am Ende 1813 vor dem Abmarsch aus Holstein nach Frankreich uns gegenseitig gegeben, pflichtgetreu nachzukommen, wenn Einer von uns Beiden für König und Vaterland in Frankreich fallen sollte, seine Gebeine dem wälschen Boden zu entreißen. – Um jedoch mein gegebenes Wort in dieser Beziehung zu lösen, waren selbst durch den Wiederausbruch des Krieges von 1815 mir die Umstände nicht günstig; indem ich, von einer am 16. Juni in der Schlacht von Liany erhaltenen Schußwunde noch nicht vollständig geheilt, kaum bei einem Truppentheil, dem Füsilierbataillon des königl. 25. Infanterieregiments in Landercy wieder eingetroffen war, trat gedachtes Regiment in Folge des zweiten Pariser Friedens den Rückmarsch in die Heimath an und rückte im December 1815 als Garnison in Erfurt ein. Das Geschick wollte es jedoch anders, denn schon im Februar 1816 wurde ich mittelst Allerhöchster Cabinetsordre zum Füsilierbataillon des königl. 14. Infanterieregiments, welches bei dem Occupationscorps des Generallieutenants Grafen von Zieten in Frankreich stand, versetzt und ich dadurch im Stande, meine diesfälligen Nachforschungen zu erneuern; zufolge derselben mir Anfangs December 1816, in, der Cantonnirung zu Launoy, durch den Unterofficier Danner meines Compagnie Lützow’s Corpssiegel überreicht wurde, welches er von seinem Quartierwirth mit dem Bemerken erhalten, daß dasselbe bei einem im März 1814 im Walde von Huillens erschossenen und in la Lobbe begrabenen preußischen Officier gefunden worden sei. Hierauf begab ich mich am 5. Decbr. 1816, in Begleitung des damaligen Lieutenants Meisner, nach la Lobbe und erhielt von dem Maire Deslyou den genauesten Aufschluß über Alles, wonach ich forschte, und fand den eingesargten Leichnam zwar schon verwest, indeß den Kopf meines Freundes Friedrich Friesen an einer mir bekannten Stirnnarbe, die ihm als achtjährigem Knaben durch einen Steinwurf von einem seiner Gespielen oberhalb des rechten Augen einige Linien tief im Schädel zugefügt, und an einem schadhaften Vorderzahn der unteren Reihe, welcher ihm 1810 hier auf dem Fechtboden, durch das Zerspringen der Hieberklinge seinen Gegners, beschädigt worden war, außer allem Zweifel unverkennbar vor; nahm die Gebeine mit mir und habe sie seitdem auf allen meinen Hin- und Herzügen als mein heiligstes Besitzthum in der Hoffnung mit mir geführt, für sie dereinst möglichst hier in vaterländischer Erde, in welcher seine im Jahre 1813 hochbejahrt gestorbene Mutter bereits ruht, eine passende Ruhestätte nach vorher erfolgter Anzeige und Genehmigung zu erhalten.“

So hatte der treue Freund sein Wort gehalten, und König Friedrich Wilhelm IV. ertheilte ihm gern die erbetene Erlaubniß zur späten Beerdigung der theueren Gebeine. En war ein wunderbares Begräbniß, das nach 26 Jahren, am 15. März 1843, in Berlin stattfand. In einer Halle den dortigen Invalidenhauses war der offene Sarg aufgestellt, in welchem sich, durch die kunstgeübte Hand eines Anatomen, des Stabsarztes Dr. Schotte, das Skelet vollständig geordnet und verbunden fand. Mehrere Damen, darunter die Gräfin Ahlefeldt, die Gattin des berühmten Lützow und einst die zärtliche Freundin des Todten, hatten den Scheitel mit dem wohlverdienten Lorbeer geschmückt und die übrigen Gebeine mit Kränzen und Blumen bedeckt. Eine große Anzahl alter Cameraden und Freunde hatten sich eingefunden, die Friesen noch gekannt, als er Lehrer an der Plamann’schen Anstalt gewesen, so der Director August, Professor Bellermann, Geheimrath Beuth, General von Petersdorf, Turnmeister Eiselen etc. Sie Alle blickten jetzt mit tiefer Rührung auf die sterblichen Ueberreste des jungen Helden, den sie einst in frischer Jugendblüthe, vor Allen herrlich und strahlend gesehn. Mit militärischen Ehren wurde der Sarg zur Erde bestattet, sämmtliche Officiere des Invalidencorps waren in Paradeuniform gegenwärtig, und eine Abtheilung der Veteranen stand im Hofe aufmarschirt. Am Grabe sprach Professor Zeune, ein vertrauter Freund Friesen’s, einige erschütternde Worte, indem er im Gegensatz zu der damals stattgefundenen Ueberführung der Leiche Napoleon’s von St. Helena nach dem Dom der Invaliden hervorhob, daß diese Bestattung nicht eitle Ruhmsucht, sondern deutsche Liebe und Treue veranlaßt hätten.

Selbst das romantische Mittelalter hat keinen Poetischeren Beweis von Ergebenheit und Freundschaft aufzuweisen, und dreist darf sich der wackere Vietinghof mit dem treuen Knappen messen, der das Herz seines im Morgenlande gefallenen Herrn unter tausend Beschwerden nach der Heimath brachte. Auch die Dichtkunst hat sich der rührenden That bemächtigt, und der berühmte Immermann dieselbe in einer interessanten Episode gefeiert. Auf dem Invalidenkirchhof zu Berlin, wo auch Scharnhorst, Lützow und so mancher Held der Befreiungskriege ruhn, liegt das Grab Friesen’s mit dem eisernen Kreuz geschmückt, zu dem die immer höher wachsenden Lebensbäume ihre grünen Zweige neigen.