Der Tod. Ein Gespräch an Lessings Grabe
Der Tod.
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Ein Gespräch an Lessings Grabe.
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Himmlischer Knabe, was stehest du hier? die verglimmende Fackel
nieder zur Erde gesenkt; aber die andere flammt
Dir auf deiner ambrosischen Schulter an Lichte so herrlich!
Schöneren Purpurglanz sah ja mein Auge nie!
Bist du Amor? –
„Ich bins! doch unter dieser Umhüllung
ob ich gleich Amor bin, heiß’ ich den Sterblichen Tod.
Unter allen Genien sahn die gütigen Götter
keinen, der sanft wie ich löse das menschliche Herz.
Und sie tauchten die Pfeile, womit ich die Armen erlöse,
ihnen ein bitter Geschoß, selbst in den Becher der Lust.
Dann geleit’ ich im lieblichen Kuß die scheidende Seele
auf zum wahren Genuß bräutlicher Freuden hinauf.“
„Aber wo ist dein Bogen und Pfeil?“ Dein tapferen Weisen,
Der sich selber den Geist längst von der Hülle getrennt,
Brauch’ ich keiner Pfeile. Ich lösche die glänzende Fackel
sanft ihm aus; da erglimmt eilig vom purpurnen Licht
Diese andre. Des Schlafes Bruder, gieß’ ich ihm Schlummer
um den ruhigen Blick, bis er dort oben erwacht.
„Und wer ist der Weise, dem du die Fackel der Erde
hier gelöschet und dem jetzo die Schönere flammt?“
Der ists, dem Minerva, wie dort dem tapfren Tydides
selber schärfte den Blick, daß er die Götter ersah. *)[1]
Mich erkannte Lessing an meiner sinkenden Fackel,
und da zündet’ ich ihm glänzend die andere an.
- ↑ *) Anspielung auf die Schrift: Wie die Alten den Tod gebildet.