Der Tiger von Plessis-les-Tours
Der Tiger von Plessis-les-Tours.
(Mit dem Bilde S. 121.)
Leise öffnet er die Thür, der alte König Ludwig XI., und tritt
mit schleichendem Schritt in das Genach ein, in das man auf
seinen Befehl den seit zwölf Jahren in seinem Käfig schmachtenden
Verräter La Balue gebracht hat. Die hagere Gestalt des kranken
Königs hebt sich kaum von der dunklen Pforte ab. Der Tyrann
hat die Pelzmütze, die mit dem abgeschabten Rock die übliche
Kleidung dieses geizigsten aller französischen Herrscher bildete, halb ins
Gesicht gedrückt und sieht mit lauerndem und zugleich gierigem
Blick seiner kalten, tückischen Augen auf den Gefangenen im Käfig.
Aber in seinem Auge liegt zugleich eine Art von Scheu und fast
eine Spur grauenvollen Mitleids, soweit der greise Einsiedler von
Plessis-les-Tours dessen fähig ist; denn der abgezehrte Mann im
Käfig hat einst einen starken Einfluß auf ihn geübt, und er stand
sogar seinem Herzen nahe. Schwer gebeugt und niedergedrückt
von der Last der Kette, mit der er an das Gitter des Käfigs
geschmiedet ist, zugleich körperlich herabgekommen und elend durch
seine langjährige Kerkerhaft, blickt der ehemalige Minister und
Günstling auf seinen Herrn, mit dem er einst gemeinsame Pläne
geschmiedet zur Stillung von dessen Herrschbegier und Rachsucht.
Aber trotz der erlittenen Gefängnisqualen hat sein Antlitz und
seine Haltung einen Zug von Selbständigkeit und Trotz bewahrt,
als dächte er daran, daß er im heiligen Rom an dem Papst Paul II.
einen Rückhalt hat, der ihm immer noch Aussicht auf eine
Erlösung von seinem Schicksal gestattet. …
Cynisch und in brutaler Haltung steht der berüchtigte Generalprofoß des Königs, Tristan, der furchtbare Henker und Präsident aller exekutiven Justizakte seines grausamen Herrn, an der Seite des Käfigs, hinter dem Rücken die Schlüssel wie im Spiele hin- und herschwenkend. Mitleid aber, teils gemischt mit Neugierde, teils auch vollkommen ehrlich und teilnahmsvoll, zeigen die anderen Anwesenden, namentlich aber der am weitesten Zurückstehende, der gleichzeitig mit überlegenem Blicke den König mustert und in welchem gewiß der Maler unseres dramatisch belebten Bildes den edlen Comines, den milderen Ratgeber des blutdürstigen Königs, dargestellt hat.
[122] Es ist ein kleiner schweinslederner Band mit allerhand zierlichen Pressungen, der vor mir liegt. Er ist zu Paris im Jahre 1576 erschienen und enthält die Memoiren eben dieses Philippe de Comines, in welchem er das Zeitalter des elften Ludwigs schlicht und besonnen schildert. Dieses Buch ist die ausgiebigste Quelle für die Geschichte jener Zeit geworden; freilich schrieb um die Mitte des 18. Jahrhunderts Herr Duclos, ein stolzes Mitglied von Akademien und gelehrten Gesellschaften, gleichfalls eine Biographie des elften Ludwigs, die dessen Charakter weit günstiger schildert; aber er handelte dabei im Auftrage des Ministers Maurepas, der im Interesse des Königtums in Frankreich diesen Rettungsversuch für gut hielt.
Der keineswegs unbedeutende Monarch bethätigte den grausamen Grundzug seines Charakters schon, bevor er den Thron bestieg. Denn bereits als Dauphin eröffnete er die Reihe seiner Thaten damit, daß er die vertraute Freundin und Geliebte seines Vaters, die schöne und kluge Agnes Sorel, an welcher der König mit schwärmerischer Neigung hing, beiseite bringen ließ, nicht aus sittlicher Entrüstung, sondern um einen ihm unbequemen Einfluß zu beseitigen. Seinem willensschwachen Vater gegenüber zeigte er sich auch sonst als ein vollkommen herzloser, seinen egoistischen Zielen mit brutaler Rücksichtslosigkeit nachjagender Sohn, der zu verschiedenen Malen den Versuch machte, ihn vom Thron zu stürzen. Indessen, das kommt in den Annalen der Geschichte öfter vor. Seltener ist damit ein Charakter von so erstaunlicher Grausamkeit und Tücke verbunden wie der dieses elften Ludwigs. Er hat nicht in so großem Stile gelebt und gewürgt wie die römischen Cäsaren, aber auch er ist als einer der großen Verbrecher auf Königsthronen anzusehen wie die Nero und Tiberius, wie der ihm wahlverwandte Richard III. und so mancher andere, der die ihm gegebene Herrschermacht mißbrauchte, um die „Wollust der Grausamkeit“ in immer neuen Formen auszukosten.
Aber von den großen politischen Verbrechern scheidet ihn schon der Umstand, daß sie meist auch den Feinden im Felde gegenüber gestanden und Schlachten geschlagen haben, während Ludwig, eine durchaus unkriegerisch veranlagte Natur, seine Erfolge in höherem Maße durch Worte erzielte, durch Gesandtschaften und Verträge, durch Briefe und Unterredungen und, wenn es darauf ankam, durch Gewaltakte, die aber einen kleinlichen heimtückischen Charakter haben und von privaterer, intimerer Art sind als die der großen Usurpatoren.
Es ist bezeichnend, daß Ludwig in seinem ganzen Leben rundweg zwei Schlachten geliefert hat, und daß er dabei doch das Land, über welches er herrschte, in so außerordentlichem Maße vergrößerte. Seine politischen Verdienste – das sei hier rasch abgethan – bestehen darin, daß er in einem vielfach hinausgezögerten Kriege mit den großen Vasallen seiner Krone ihre Macht brach und ihre Lehen seinem unmittelbaren Besitz einverleibte; daß er den verwegenen Herrscher von Burgund, Karl den Kühnen, zu Fall brachte und so ein Herzogtum gewann; endlich daß er durch eine schlaue Heirat, zu welcher er seinen Sohn zwang, auch die Bretagne dem Länderbestande, über den die französischen Könige geboten, einverleibte. Kurzum: er hat sein Königreich groß gemacht, und die Franzosen haben nach dieser Richtung in der That allen Grund, ihm dankbar zu sein.
Uns aber reizt natürlich mehr, den Menschen in ihm zu betrachten als den Politiker. Denn wenn er als Staatsmann an Bedeutung immerhin viele seinesgleichen hat, so steht er, rein psychologisch angesehen, ziemlich isoliert da.
Der bezeichnendste Zug an ihm ist eine höchst eigenartige Verbindung der grausamsten Tücke mit Frömmigkeit und religiöser Devotion. Auf seinem Hute und an seinen Gewändern pflegte er kleine bleierne Heiligenbilder zu tragen. Und es scheint, daß seine Frömmigkeit nicht bloße Heuchelei gewesen ist. Er hatte die bestimmte Empfindung, daß er alle Ursache habe, bei seinem Lebenswandel den Himmel fleißig um Vergebung zu bitten. Aber das tigerhafte Element in ihm war zu stark, um diesen Wandel selbst zu ändern. Dabei hatte er immer zwei Eidesformeln zu seiner Verfügung, eine gültige und eine ungültige. Zwei Aussprüche sind es besonders, die den Mann kennzeichnen: „Wer nicht zu heucheln versteht, versteht nicht zu herrschen“ und „Wenn meine Mütze meine Geheimnisse wüßte – ich würde sie verbrennen.“
Ein Menschenleben sah er ungefähr wie eine Mütze an. In seiner nächsten Umgebung hatte er stets die nötigen Hilfskräfte bei der Hand, um einen Unbequemen rasch ins Jenseits zu befördern. War es Haß gegen die Großen, die ihn bekämpft hatten, war es lediglich Freude am Niedrigen: er wählte zu seinen vertrautesten Dienern, die fast die Stelle von Freunden einnahmen, mit Vorliebe Leute aus der Hefe des Volkes.
Besonders nahe steht ihm im Leben ein ehemaliger Barbier, welcher die Dienste des Bartscherens beim Könige gewohnheitsmäßig noch täglich verrichtet, Herr Olivier, dem das Volk den freundlichen Beinamen „der Teufel“ verleiht. Er gehört zu den Wenigen, denen sich der König anvertraut. Ludwig verwendet ihn sogar zu diplomatischen Sendungen, und es ist ergötzlich zu lesen, wie der Barbier einst vor der Prinzessin von Burgund und dem Herzog von Cleve in Gent als Gesandter erscheint, und wie der Gesandte von ihnen verlacht wird, da man weiß, daß er ja bloß ein kleiner Bartkratzer aus einem Dorfe ist. Aber Herr Olivier war eine unheimliche Gestalt und nicht immer zum Spaßen aufgelegt. Wenn er seinem Herrn den Rat erteilte, den oder jenen zu „entfernen“, weil er das oder dies begangen habe oder doch begehen könne, so war der also Bezeichnete sicher, demnächst um eines Hauptes Länge verkürzt zu werden.
Der Vollstrecker des Urteils aber, das meist ein durchaus „inoffizielles“ war, stand in der Person des rohen Tristan l’Hermite zur Verfügung; er war ein brutaler Patron, mehr Henkersknecht als Gerichtsbeamter, von dem selbst der höfliche Duclos gesteht, daß er sich nicht daran genug sein ließ, die „Aufträge“ Ludwigs zu vollführen sondern gern aus freien Stücken ein Uebriges that und mit „barbarischer Lust“ seines düsteren Amtes waltete. Er liebte es, mit seinen Opfern zu spielen wie die Katze mit der Maus. Mit der Schar seiner Menschenjäger streifte er in der Umgebung der königlichen Schlösser umher und ließ, was ihm verdächtig schien, an den nächstgelegenen Bäumen aufknüpfen. Im Privatleben von finsterer Verschlossenheit und starrem Ernst, trieb er sein Handwerk mit cynischem Humor und schrecklichen Späßen.
Der König war mit diesem Entmenschten innig befreundet.
Wenn der Barbier seine rechte Hand war, war der Henker seine linke. Ludwig brauchte einen solchen Mann nicht nur zu seinem Schutze, sondern auch für die Ausführung kleiner privater Befehle, für einen heimlichen Dolchstoß, der einem Herrn vom Hofe oder dem Agenten eines „befreundeten“ Fürsten auf nächtlichem Wege versetzt werden sollte, oder für ein sicheres Geschoß, das irgend einen Lästigen aus unbekanntem Hinterhalt erreichte. Tristan war sehr zuverlässig, um so mehr als er seinen Beruf als „Liebhaber“ ausübte, und Ludwig wußte diese Kraft zu schätzen; er nannte ihn im persönlichen Umgang „Gevatter“ (compère) und hatte eine cynische, tiefinnerliche Freude am Thun und Treiben des „Wackeren“. Casimir Delavigne, der bekannte französische Dramatiker, hat in einer unheimlichen, packenden Scene eines jener grausigen Zwiegespräche vorgeführt, wie sie Ludwig mit seinem Generalprofoß wohl in verschwiegener Stunde geführt haben mag. Der König will einem abreisenden Gesandten ein Schriftstück entreißen, das ihm sonst Schaden bringen kann. Tristan bemerkt dem Herrn, daß jener ja noch in seiner Macht sei. „Nein, nein! Nichts gegen das Völkerrecht! So nicht!“ erwidert der heuchlerische Fürst, und als Tristan fragt, wie sonst das Schriststück entwendet werden solle, antwortet er leise lächelnd. „Wenn er abreist, geleite ihn ein glänzendes Gefolge!“ … Tristan begreift – das glänzende Gefolge soll der fremden Macht, die der Gesandte vertritt, beweisen, daß der König keinen Teil hat an dem Mord, der auf der Reise meuchlings erfolgen soll. „Um ihn zu ehren?“ sagt er mit schrecklichem Hohn, und der König schließt die Unterredung mit den Worten: „Du lächelst, – adieu, Gevatter, Du hast mich verstanden.“ In dieser einen, wertvollsten Szene des sonst schwachen, an allerlei politischen Anspielungen überreichen Stückes sind die beiden Männer und ihr Verhältnis schlagend gekennzeichnet.
Ludwig, der nicht wenig auf dem Gewissen hatte, wurde in eigentümlicher Weise von einer Art Vergeltung ereilt. Furchtbare Phantasiegebilde folterten sein Hirn, schreckende Visionen quälten ihn, und er, der sein ganzes Leben lang ein grausam tückischer Feind der Menschen gewesen war, begann am Ausgang seines Lebens in den Menschen furchtbare Feinde zu wittern. Er, der gegen seinen [123] Vater sich einst verschworen, begann vor Verschwörungen seines Sohnes und seiner nächsten Angehörigen zu zittern, selbst vor der Tochter machte sein Argwohn keinen Halt, und der treffliche Comines erzählt, daß er bald auch Verdacht gegen seinen Schwiegersohn faßte, so daß er sich gegen seine Familie förmlich verschanzte und abschloß.
Er zog sich, gealtert und kränkelnd, aber mit ungebrochener Herrschsucht und Raubgier in sein Schloß Plessis-les-Tours zurück, wo er seine sieche Person hinter furchtbaren Mauern und Befestigungen vor unberufenen Eindringlingen zu schützen suchte. Nicht weniger als drei Mauern von verschiedener Höhe, die durch Türme und Brücken mit einander verbunden waren, umgaben das in der Nähe von Tours gelegene Nest, in dem der alte Gewalthaber hauste.
Zur besonderen Bedeckung hatte er sich eine schottische Leibwache eingerichtet, die von versteckten Orten aus mit sicherem Schuß jeden zu Boden streckte, der sich der Zugbrücke oder einem Teile der Mauer in verdächtiger Weise näherte. Fallgruben, Fußsicheln, Schlingen und andere versteckte Vorrichtungen sorgten dafür, daß die Herankommenden gefangen oder verstümmelt wurden. Und wenn schon hierdurch der Aufenthaltsort Ludwigs einen unheimlichen Charakter hatte, wurde er unerhört grauenhaft durch die schauerliche Art, in welcher der menschenfeindliche Einsiedler durch Tristan Justiz üben ließ.
Er ließ zum Zwecke der Abschreckung überall in der Umgebung seines Wohnsitzes die Leichen derer an den Bäumen befestigen, welche dem Annäherungsverbot zuwidergehandelt oder sonst sich vergangen hatten und deshalb von dem ambulanten Hinrichtungsbureau des „Gevatters“ exekutiert worden waren. Hoch oben in den grünen Aesten schwankten, vom Winde bewegt, die Leichen der Gerichteten, und nicht nur Scott hat im Quentin Durward diese unheimliche äußere Eigentümlichkeit von Plessis-les-Tours in seine Schilderungen verwebt, sondern auch Banville, der lyrische Parodist und Dramatiker, weist in erschütternder Art auf sie hin, indem er die rührende Gestalt seines Straßensängers Gringoire das „Lied von den Gehenkten“ singen läßt, das unter den geängstigten Bewohnern der Umgegend im Schwange ist.
Der argwöhnische Tyrann fand an der Thätigkeit seines getreuen Tristan nicht volles Genügen. Er nahm sich persönlich die Mühe, Marterwerkzeuge zu erfinden, da er in der reinen Ausübung der Grausamkeit, ohne Rücksicht auf die Person der Opfer, eine wollüstige Wonne empfand. Duclos berichtet, daß, wenn der „Gevatter“ Angeklagte foltern ließ, Ludwig hinter einem Vorhang lauschte. Mit welcher Behaglichkeit mag daher der König den Vorschlag eines Herrn seiner Umgebung entgegengenommen haben, der ihm empfahl, niedrige Käfige von acht Fuß Länge bauen zu lassen, in denen nachher die Gefangenen mittels einer besondern Art von Ketten mit schwer wuchtenden Kugeln, die man „Königstöchterlein“ (les fillettes du roi) nannte, qualvoll gefesselt wurden. Der Herr, der den Vorschlag machte, war der Bischof von Verdun. Der erste, der die Verwendbarkeit der neu konstruierten sinnreichen Behälter praktisch zu erproben hatte, war er selbst, und mit ihm – sein Genosse la Balue, wie Comines und Duclos übereinstimmend berichten.
Die Persönlichkeit des Kardinals la Balue ist in mehr als einer Hinsicht interessant. Er war der Sohn eines Schneiders. Früh hatte er den geistlichen Stand erwählt, und, unterstützt von den allgemeinen Zuständen, benutzte er denselben nur zur Befriedigung seiner auf die weltlichsten Genüsse und Ehren gerichteten Begierden. Vermöge seiner großen Geriebenheit gelang es ihm auf irgend eine Art, in intime Beziehungen zu dem Bischof von Poitiers zu gelangen, nach dessen Tode er einen Teil seines Nachlasses in die Tasche steckte. Dann schmuggelte er sich in die Umgebung des Bischofs Beauveau hinein und trieb in den Kanonikaten, die er von ihm erhielt, schmachvollen Schacher. Als er endlich an den Hof Ludwigs gelangt war, wurde die Gewandtheit des talentvollen Ränkeschmiedes rasch bemerkt, und um ihretwillen übersah der König selbst die freche Liederlichkeit, mit welcher der lüsterne Patron die gemeinsten Ausschweifungen unbefangen beging. Er wurde sogar von Ludwig zum Parlamentsrat ermannt, vergalt rasch seinem Wohlthäter Beauveau die Vergangenheit, indem er ihm eine einträgliche Pfründe abjagte, und wurde nach kurzer Zeit Bischof von Evreux.
Bei einem galanten Abenteuer wurde dieser unheimliche Usurpator kirchlicher Gewalten angegriffen und verwundet; seitdem widmete er sich ausschließlich Staatsgeschäften. Ludwig, der nicht nur an der Schlauheit des Mannes, sondern auch an seiner niedrigen Gesinnung Gefallen gefunden haben muß, kettete ihn eng an sich, er überschüttete ihn mit Gunstbezeigungen, und was bei ihm noch mehr sagen wollte, er vertraute ihm.
Dem Abenteurer, der zum Minister geworden war, behagte die Stellung, die er einnahm, nicht übel. Aber er hatte die Schwäche, allerhand Eitelkeiten an den Tag zu legen, die den Emporkömmling kennzeichnen. Natürlich protzte er am stärksten, wie das zu gehen pflegt, mit Eigenschaften, die er nicht hatte. Er liebte es, den Ritterlichen herauszukehren, und strahlte gefallsüchtig wie ein Affe vor Glück, so oft es ihm vergönnt war, sich an der Spitze eines Truppenteils zu zeigen. Ein General sagte deshalb zum König, wie Duclos berichtet: „Majestät, lassen Sie mich über Priester kommandieren, da der Bischof die Parade abnimmt.“ Bei der allgemeinen Lächerlichkeit, der sich la Balue durch diese Schwäche in Hofkreisen aussetzte, würde er bald eine komische Figur geworden sein, wenn er nicht zugleich ein so stark umneideter und gefürchteter Mann gewesen wäre.
Der dreiste Streber schien sich in Wahrheit alles erlauben zu dürfen, wonach seine Laune stand: er hatte den mächtigsten Mann von Frankreich hinter sich und wußte das. So glaubte er einen unerhörten Gewaltstreich wagen zu können, bei dem für ihn nicht nur eine neue Würde abfiel, sondern auch reichlicher Geldgewinn einzuheimsen war. Er beschloß nichts mehr und nichts weniger, als seinen Wohlthäter Beauveau zu stürzen und sich selbst an seine Stelle zu setzen. Gedacht, gethan: Beauveau, der Bischof von Angers, wird verleumdet, vom Papst in Rom daraufhin exkommuniziert, abgesetzt, und der brutale Intriguant la Balue erhält die Stelle des Mannes, bei dem er früher Lakai gewesen und dem er so vieles zu verdanken hatte. La Balue ist nun Bischof von Angers, und der ihm am letzten Ende auch diese neue Macht verschafft hat, ist niemand anders als sein allergnädigster Herr und König, der in Briefen an den Papst sich eifrigst für seinen Liebling und dessen Pläne verwendet hat.
Der finstere und kalte Monarch hatte lange Jahre für diesen geschmeidigen Emporkömmling eine unbegrenzte Vorliebe. Er schenkt ihm ein halbes Dutzend Abteien, er empfiehlt ihn an alle möglichen Persönlichkeiten, er drängt sogar die Kurie um die Kardinalswürde für ihn, die er auch schließlich erhält. Ludwig verwendet ihn fortdauernd zu den wichtigsten Geschäften, er läßt sich von ihm lange Zeit uneingeschränkt und widerstandslos lenken, und schon hat es den Anschein, als sei der Eigenwille, die zähe, leidenschaftliche Herrschbegier des Königs für immer gelähmt – da begeht la Balue Verrat.
Es mußte so kommen. Es war ja eine seiner Eigenheiten, die infamsten Haudlungen gegen die zu begehen, die ihm Gutes erwiesen hatten.
Er schrieb also einen ausführlichen Brief an Ludwigs gefürchtetsten Gegner, den Burgunderherzog, und gab ihm entsprechende Anweisungen, gegen die Interessen des Königs zu handeln. Ihn trieb dabei der Wunsch, sich bei diesem im voraus unentbehrlich zu machen. Als der plumpe Schwindel entdeckt wurde, erwachte in Ludwig die Tigernatur. Er machte kurzen Prozeß; die Käfige, die la Balues Mitschuldiger erfunden hatte, traten in Funktion …
Trotzdem hat la Balue den König überlebt.
Ludwig starb, von furchtbarer Todesangst gepeinigt, als der Sommer des Jahres 1483 zu Ende ging. Er war sechzig Jahre alt geworden. Den Kardinal hatte er ein paar Jahre zuvor freigelassen, weil die Kurie drängte, der Papst selbst wollte den Kardinal in Rom bestrafen. Aber kaum war la Balue in der ewigen Stadt, so gelang es ihm, sich zu rechtfertigen. Er erholte sich dort gründlich von den Strapazen seines zwölfjährigen Käfigdaseins. Und als dann das dreiste Gaunergenie vergnügt und frisch wieder nach Frankreich zurückkehrte, moderten die Gebeine seines Gegners und Königs in der Erde.