Der Thurm von Astura
An der Lateinischen Küste, halbwegs zwischen Porto d’Anzio und Terracina, steht ein mittelalterliches Castell im Meere: der Thurm von Astura. An einem Sommertage und im Sonnenschein zeigt sich hier ein Panorama von seltener Schönheit und Abgeschlossenheit.
Tief stahlblau glänzt und blinkt die Fläche des Tyrrhenischen Meeres; in weitem Kreise zieht sich ein schmaler Streifen Strand, umsäumt von dunklem Walde, hin; im Norden leuchten die Gebäude des sieben Miglien entfernten Rettuno und des dicht daran liegenden Porto d’Anzio herüber; landeinwärts spannen sich klargezeichnet die Rücken der Albaner- und Volskerberge in ferner Bläue, und im Süden thürmt sich als deren letzter Ausläufer das räthselhafte Cap der Circe in die See hinaus. Am Horizonte, kaum von der durchglühten Luft sich absetzend, erkennt man zwei oder drei Bergrücken, die Ponzischen Inseln. Feierliche Ruhe und tiefes Schweigen liegt über dem Ganzen; weit und breit ist kein lebendes Wesen, keine Behausung zu sehen. Nur Büffelheerden lagern hier und da träge am Strande. Im Urwalde, zwischen den mehr als manneshohen Farrenkräutern und blühenden Myrthensträuchern, tummelt sich der wilde Eber, und über ihm kreist der Raubvogel, welcher der Gegend den Namen gegeben, der Maremmenhabicht, astur. Bei düsterer Witterung trägt Alles den Stempel grauenhafter Einöde, würdig, den Eingang zur christlichen Unterwelt zu bilden, den Dante an das benachbarte Ostia verlegt. Und doch war zur Römerzeit das ganze Land ein Garten, und die ganze Küste von Ostia her über Antium bis Anxur (Terracina) mit Villen besäet. Aber heute beherrscht ein mächtigerer Gebieter, als die Doria und Borghese sind, das Land: wir sind im Campo morto, im Todtenfeld, im Reiche der Malaria, der tödtlichen Fieberluft – unfern hinter den Bäumen breiten sich die Pontinischen Sümpfe aus.
Noch im Mittelalter gab es einen Ort Astura, und Richard Löwenherz machte hier Halt, als er auf seinem Kreuzzuge von Corneto her die Küste entlang zog, um sich in Terracina einzuschiffen. – An einem Septembertage des Jahres 1268 erreichte ein kleiner Reitertrupp den Ort, warf sich nach kurzem Verhandeln in eines der vor Anker liegenden Schiffe und suchte die hohe See zu gewinnen. Johannes Frangipani, Herr des Castells, sandte den anscheinend Flüchtigen einen starkbemannten Schnellsegler nach: sie mußten umkehren und wurden in den Thurm gebracht. Es war Conradin von Schwaben mit Friedrich von Oesterreich und einigen Begleitern. Auf dem Schreckensfelde von Tagliacozzo in der Sabina waren die Schwabenbanner für immer gesunken, und der letzte Staufe hatte von Rom aus in athemlosem Ritte durch die Campagna das Meer zu erreichen gesucht und ein Schiff, das ihn nach dem treuen Pisa bringen sollte. Jetzt war er in der Gewalt eines römischen Barons, der dem Schwabenhause seinen Besitz und seine Größe verdankte. Es erschienen der Admiral Karl’s von Anjou und der Cardinal-Präfect der Maxitima, um seine Auslieferung zu verlangen. Nach einigem Verhandeln verkaufte Frangipani seinen kostbaren Fang an den blutbedeckten Bruder des heiligen Ludwig. Conradin ward auf die Burg von Palestrina gebracht und von dort auf das Blutgerüst in Neapel. So ist der einsame Thurm am Tyrrhenischen Meere mit dem größten Drama unserer mittelalterlichen Geschichte, mit dem Falle der Hohenstaufen verknüpft. Einige zwanzig Jahre später landete eine sicilianische Flotte, den Verrath zu rächen. Das Castell wurde erstürmt und der letzte Frangipani, der Sohn des Verräthers, erschlagen.
Schon im Alterthum schien ein Fluch auf der Besitzung zu liegen. Cicero hatte dort eine Villa und fand dort, einigen Angaben zufolge, seinen Tod; Augustus und Tiber erkrankten dort tödtlich, und Caligula erblickte daselbst das vorbedeutende Zeichen seines nahen Endes. Heute ist nichts mehr vorhanden als das nothdürftig im Stande erhaltene Castell und eine kleine Capelle am Strande. Jenes ist durch eine Brücke mit dem Festlande verbunden und steht mitten in den Resten der Römervilla, aus deren Material es theilweise erbaut ist. Die Grundmauern und die ganze Anlage der Villa sind in und über dem Wasser klar zu erkennen.
Das Castell hat mit der typischen Anlage mittelalterlicher Burgen und deren System von sich gegenseitig deckenden Thürmen und Mauern nichts zu thun, sondern besteht aus einem größeren quadratische Bau mit Wohnräumen für die Mannschaft und Stallungen, einem Hof und dem darin sich erhebenden dreistöckigen Thurm, welcher jedenfalls der Aufenthaltsort des Herrn war.
Der Hausmann und jetzt einzige Insasse legt in einem der kahlen Räume dem Fremden ein Buch vor, das dem Andenken des „giovane campione di Suevia“ (dem schwäbischen Heldenjüngling) gewidmet ist, und auf dessen erster Seite die jetzigen Besitzer, die Borghese, ihren Namen eingetragen haben.