Zum Inhalt springen

Der Spion (Die Gartenlaube 1886/49)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Heinrich Noé
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Spion
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 861–863
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[861]

Der Spion.

Eine Skizze aus dem österreichischen Küstenlande.
Von Heinrich Noé.

Ich übergebe in Nachstehendem der Oeffentlichkeit eine Skizze, welche nach den Aufzeichnungen meines Tagebuches bearbeitet worden ist. Ich führte dieses Tagebuch, wie immer, auch während einer mehrwöchigen Fahrt in jenen österreichischen Gewässern, deren nördlichste Inseln noch bis weit über die Hälfte dieses Jahrhunderts hinaus zum deutschen Bunde gehörten.

Die Reisegesellschaft näherte sich der istrischen Küste. Kein Baum, kein Strauch erhob sich auf den Abhängen der felsigen Bucht. In Ermangelung von Blumen waren die steilen Felswände, gegen welche das tiefblaue Meer schlug, so vielfarbig, wie es nur irgendwo Blumenkelche sein können. Roth, gelb, bläulich, weiß, senkten sie sich in die Fluth hinein, von deren Wellen sie mit Schaum benetzt wurden. Im Hintergrunde der Bucht waren zwischen mächtigen Felsblöcken einige Häuser zu sehen, vor welchen sich Leute herumtrieben.

Der Spion.
Nach einer Momentphotographie von Alois Beer.

Der Kapitän, welcher sich emsig nach allen Seiten hin umschaute, ohne daß Einer aus der Gesellschaft zu enträthseln vermochte, aus welchem Grunde, theilte uns mit, daß es räthlich sei, sich hier ein paar Stunden aufzuhalten, weil man möglicherweise etwas ganz Außerordentliches zu sehen bekommen werde. Auf weitere Fragen beschränkte er sich, lächelnd zu antworten, daß er die Ueberraschung nicht verderben wolle.

Niemand von uns hatte eine Ahnung, was das zu bedeuten habe. Die Maschine stoppte, und auf die Einladung des Kapitäns begab sich die Gesellschaft im Boote ans Land.

Während ein Theil derselben eine nahegelegene Schenke aufsuchte, schlenderten andere, darunter auch ich, am Strande umher und schauten sich die dort versammelten Leute an, von denen manche wahre Schreckensgestalten zu nennen waren. Indessen wußten die Reisenden bereits aus Erfahrnng, daß es mit den Sitten und dem Benehmen dieser Männer viel besser bestellt sei, als mit ihrem Aussehen. Es waren durchgängig zuvorkommende und höfliche Menschen. Gerne hätte man mit ihnen ein Gespräch angeknüpft, aber es befanden sich nur zwei oder drei in der Gesellschaft, welche der Landessprache mächtig waren. Zu diesen gehörte Oberst Reinhold, welcher seiner Zeit in Dalmatien stationirt war. An ihn trat Einer der Leute, welchen seine Genossen Luka nannten, heran und fragte ihn bescheiden, ob derselbe seiner Zeit nicht ein dalmatinisches Regiment kommandirt habe.

Als der Oberst bejahend nickte, sagte Luka, daß er unter dem Herrn Oberst gedient und von demselben niemals eine Strafe erhalten habe.

Der Oberst belobte ihn und fragte, was er dermalen treibe.

„Ich bin Spion,“ entgegnete Luka.

Allgemeines Gelächter der Gesellschaft begleitete diese Auskunft.

„Ein schönes Handwerk für einen ehemaligen Soldaten,“ bemerkte der Oberst gleichfalls lächelnd. „Indessen,“ fuhr er zu uns gewendet fort, „ist die Sache nicht so schlimm, wie sie ausschaut. Ich weiß, was er sagen will. Von wo lugst Du denn aus, Luka?“

[862] Luka deutete auf einen vorspringenden Punkt des jenseitigen Ufers. Nunmehr erblickten wir etwas, was uns bis dahin entgangen war, weil bei der Einfahrt in die Bucht sich Aller Augen auf die Häuser des Hintergrundes gerichtet hatten.

Man sah dort große Stangen, deren Fuß tief in den Boden eingerammt war, welche sich über das Wasser hinneigten, einem Baume gleich, der vom Sturm entwurzelt und in eine schiefe Richtung gebracht worden ist.

„Das ist ein Gestell, um nach Thunfischen auszuspähen,“ sagte der Oberst, indem er sein Fernglas Einem aus der Gesellschaft überreichte. Derselbe schaute eine Weile hinein und sagte:

„Es sind zwei Stangen, welche in der Entfernung von vielleicht einem Fuß parallel neben einander in dem nämlichen Winkel aufgestellt sind. Sie sind mit einander durch Querhölzer verbunden, bilden also eine Leiter, welche sich bis zu einer Höhe von fünfzig Fuß über das Wasser hinausneigt. Die Spitze der Leiter ist mit einem langen Tau an einem erhöhten Punkte der Küste befestigt.“

„Am oberen Ende ist ein Sitz angebracht,“ fügte der Oberst hinzu, „dieser Sitz dient dem Spion zum Aufenthalt. Freilich darf er keinen Schwindel haben. Sobald er einen Fehltritt macht, stürzt er ins Meer hinunter.“

„Dafür ist es aber ein wahrer Ruheposten,“ bemerkte der Doktor, der dem Oberst sein Glas zurückgab. „Zu rühren braucht sich der Mann nicht viel, denn wenn er es thut, so zittert die Leiter.“

„Hören wir doch einmal den Luka selbst,“ entgegnete der Oberst. „Luka, warum bist Du aus Deinem Korbe herabgestiegen und gehst mit uns herum?“

„Weil es keiner länger als zehn oder zwölf Stunden aushält,“ entgegnete der Mann. „Ich hatte fast nicht mehr die Kraft, herunter zu steigen. Der Herr des Fischfanges rief mir zu, ich solle auf ein paar Stunden herabkommen und herumlaufen, damit sich mir wieder das Blut in den Beinen rühre. Dies hab’ ich gethan, jetzt aber darf ich nicht mehr zögern, meinen Sitz wieder zu besteigen.“

Die Gesellschaft erfuhr noch, daß man das Eintreffen eines Thunfischzuges mit jeder Stunde erwartete. Schon waren unten sämmtliche Boote bereit, auf den ersten Wink gegen den Eingang der Bucht hin zu fahren und die Netze einzuziehen, welche durch Kork- und Holzstücke, die auf dem Wasser schwammen, markirt waren. Diese Zeichen waren auf der Wasserfläche als lange schwarzpunktirte Linie sichtbar.

Man wollte bereits einige große Fische vom Boote aus im letzten der Netze, der sogenannten Todtenkammer, wahrgenommen haben.

Der Oberst erinnerte sich nunmehr an die Neugierde, mit welcher der Kapitän bei der Einfahrt in die Bucht um sich geblickt hatte. Offenbar waren die Vorbereitungen zum Schauspiel des Thunfischfanges von ihm bemerkt, ja vielleicht schon während der Fahrt der letzten Tage vorher gesehen worden. Letzteres war dem kundigen Seefahrer wohl zuzutrauen, und dann ließ es sich leicht erklären, daß der gefällige Lenker des Schiffes seine Reisenden mit einem solchen Schaustück hatte überraschen wollen.

Luka verabschiedete sich von der Gesellschaft, nachdem er als alter Soldat vom Oberst reichlich beschenkt worden war. Kaum eine halbe Stunde später sahen ihn die Reisenden, welche mittlerweile die Schenke aufgesucht hatten, langsam die Sprossen der überhängenden Leiter hinaufklettern.

Während wir den Malvasier kosteten, hatten wir Gelegenheit, die Aufregung zu beobachten, welche durch die eine oder andere der einlaufenden Nachrichten entstand.

Bald hieß es, es seien Leute von einer benachbarten Insel angekommen, welche offenbar nichts Anderes beabsichtigten, als bei dem gehofften großen Fange sich das Gedränge und Getümmel zu Nutzen zu machen, um Fische zu stehlen. Ein Anderer brachte die Nachricht, daß in eines der äußeren Netze oder Kammern ein Delphin, welcher vermuthlich einen Fisch verfolgte, ein Loch gebissen und dadurch einen nicht geringen Schaden angerichtet habe. Das Netz mit allen seinen Kammern stellte einen Werth von mehr als zweitausend Gulden dar. Der Delphin war von den Leuten in einem Boote mit Flintenschüssen getödtet worden.

Es wurde geschrieen und gebrüllt, gelärmt und gestritten wegen der verschiedenartigsten Dinge. Bald handelte es sich um Fässer mit Salz, welches zum Einsalzen der gefangenen Fische dient, bald um das Herbeischaffen von Oel, in welches die besseren Fleischstücke eingelegt werden, bald geriethen die von Triest angekommenen Händler an einander.

„Sie verkaufen den Pelz, ehe sie ihn haben,“ sagte scherzend der Oberst.

Die Leute mußten doch ihrer Sache ziemlich sicher sein, denn es wurden bereits alle Vorkehrungen zum Niedermetzeln der Gefangenen getroffen. Man schleppte dicke Knüppel, Haken, Beile und Eisenstangen ans Ufer. Der Herr des Fischfanges, welcher unermüdlich hin und her rannte, lief alle Augenblicke hinaus, um nach der Leiter zu sehen, auf welcher Luka saß.

Plötzlich entstand ein Geschrei, wie es nicht furchtbarer hätte sein können, wenn die Versammelten gesehen hätten, daß die ganze Küste vor ihren Augen ins Meer versänke.

Luka hatte das Signal gegeben; die Thunfische drängten sich heran.

Es entstand nunmehr ein wahres Ringen um die Boote. Der Lärm wurde so groß, daß Keiner mehr das Wort des Anderen verstand.

Die Reisegesellschaft wollte bei dieser Gelegenheit nicht zurück bleiben. Hier war es leichter, hinaus zu kommen, weil das Boot der „Sibylle“, von zwei tüchtigen Matrosen geführt, für sie bereit lag und Niemand es gewagt hätte, ihr dasselbe streitig zu machen.

Für die Fischer handelte es sich darum, immer näher mit Leinen die Ränder der Netze heran zu ziehen, in deren verschiedene Abtheilungen sich die Thune verirren. Denn diese machen es nicht anders, als fast jeder Fisch. Sie trachten, wenn sie, um zu laichen, in großen Zügen die Küste aufsuchen, immer nach vorwärts. Wie die Forelle, wenn sie laicht, wochenlang vor dem Wehr ansteht, welches sie nicht überspringen kann, so fällt es dem Thun nicht ein, daß er, wenn er mit seinem Kopf an einem Flechtwerk angestoßen ist, zurückschwimmt. Auf diese Weise geräth er immer tiefer in die verschiedenen Abtheilungen des künstlichen Netzbaues hinein, bis er die hinterste Abtheilung des selben, die sogenannte Todtenkammer, erreicht. Aus dieser giebt es kein Entweichen mehr, weil sie mit ihrem ganzen Inhalt, von allen Seiten her angepackt, in die Höhe gehoben wird.

Das Wasser war nicht nur durch die Ruderschläge der Fischer beunruhigt, sondern man nahm bald auch von unten her ein Aufwallen desselben wahr, wie wenn es kochte.

Luka schrie von seiner Leiter herab und machte die Leute bald auf diese, bald auf jene Stelle im Wasser aufmerksam. Man kümmerte sich aber nicht um ihn, sondern die Boote trachteten nur, mit ihren Haken, Eisen und Knütteln so nahe wie möglich an das allmählich herauf rückende Netz zu kommen.

Andere Boote schleiften dasselbe dem seichten Wasser unterhalb der Leiter zu.

Jetzt sah man die gelblichen Flossen und die schwarzblauen Rücken der obersten Fische. Fast alle hatten Manneslänge, einige derselben fast die doppelte. Es waren Ungethüme darunter, welche ihre vier- oder fünfhundert Kilogramm wiegen mochten. Sie glichen an Umfang den größten Menschenhaien. Auf ihre grimmigsten Todfeinde hätten die Fischer nicht mit solchem Gebrüll und solcher Wuth losstürzen können, wie auf diese Thiere. Wie sinnlos, vor Aufregung schäumend, hieben und stachen sie unter diese hinein.

Indessen ließen die Fische ihr Schicksal, welches sie zu erkennen schienen, nicht ohne Weiteres über sich ergehen. Sie schlugen mit ihren mächtigen Körpern um sich, daß der Oberst, welcher seine Genossen nicht in Gefahr bringen wollte, eiligst befahl, das Boot nach rückwärts zu rudern. Der Kapitän, welcher sich das Schaustück, dessen Zeuge er schon mehrmals gewesen sein mochte, in aller Behäbigkeit vom Lande aus ansah, rief der Gesellschaft zwar zu, sie solle sich nicht fürchten, die Fische seien ungefährlich. Aber seine Worte verhallten im Lärm des Schlachtens.

Weithin hatte sich nun das stahlblaue Wasser der Bucht roth gefärbt vom Blute der erschlagenen Ungethüme. Das Morden nahm seinen Fortgang.

Plötzlich aber ereignete sich etwas, was in des Wortes eigentlichster Bedeutung ein Zwischenfall zu nennen war.

Luka, welcher jetzt auf seinem Horste nichts mehr zu thun hatte, verließ denselben, um sich an den Sprossen der Leiter herab zu lassen. War es die Nachwirkung der Ermüdung oder irgend ein Ungefähr, er stürzte herab, mitten in das von den Fischen aufgepeitschte Wasser hinein.

[863] Sämmtliche Leute auf den Booten sahen ihn, wie er zwischen die Ungethüme hineinfiel und wieder unter ihnen auftauchte. Er schrie jämmerlich um Hilfe, aber keiner von seinen Genossen dachte daran, ihm eine Stange oder ein Ruder hinzuhalten. Keiner hatte jetzt für etwas Anderes Sinn, als für das Erschlagen der Fische. Er hätte mitten in dem Gewirre verschwinden können, für den Augenblick hätte sich Keiner einen Gedanken darüber gemacht.

Unter diesen Umständen war es für den armen Luka ein wahres Glück, daß der Zufall seinen alten Oberst an diesem Tage herbeigeführt hatte. Denn sofort flog das Boot der „Sibylle“, unbekümmert um den Strudel und all die Fischleiber, zwischen den Haken hindurch, welche die Thune auf die Fahrzeuge zerren sollten, wobei es an Droh- und Schimpfworten nicht fehlte, dem Luka entgegen, welcher sich mühsam über Wasser hielt und sich außerdem vor den Fischen ängstigte. Mit leichter Mühe wurde derselbe in das Boot herein gehoben. Der Oberst sagte: „Nun, Luka, das hätte ich wohl nicht gedacht, welchen Fisch ich bei dem heutigen Fang herausziehen würde.“

Luka wußte kein Ende zu finden für den Ausdruck seines Dankes. Alle Mitglieder der Gesellschaft bemitleideten den armen Teufel wegen des kläglichen Unfalles. Dieser aber erklärte, daß ihm Aehnliches noch nicht ein einziges Mal zugestoßen sei. Er schob die Schuld auf die ganz außergewöhnliche Aufregung, in welche er durch den Besuch des Herrn Oberst versetzt worden.

Während von dem armen Luka im Boote das Wasser herunter floß, verloren wir gleichwohl die Vorgänge außerhalb des Bootes nicht aus den Augen.

Nachdem alle die Thune getödtet worden waren, welche sich in dem emporgehobenen Theile des Netzes befanden, wurden die Kammern wieder um ein weiteres Stück gegen das Land hin geschleift und die Metzelei begann aufs Neue. Wir hatten genug von diesem Schauspiel. Das Boot kehrte ans Land und von dort zur „Sibylle“ zurück.

Nach diesem ereignißreichen Tage ankerte die „Sibylle“ beim nächsten Vorgebirge der Küste, im Schutze einer kleinen Bucht, inmitten der krystallinischen Kalkwände, welche einer großen Badewanne aus Marmor glich. Am Hauptmast war die ganze Nacht über eine rothe Laterne aufgezogen. In der Morgendämmerung meldete die Wache einen Dampfer, der, vom offenen Meere kommend, seinen Kurs in die Bucht hinein hielt.

Wenige Stunden später sah man ihn wieder zurückkommen. Man erkannte mit freiem Auge auf seinem Deck viele Reihen von Thunfischen, welche, an einem Strick befestigt, in der Luft hingen.

„Es sind auch viele eingesalzene Fische an Bord,“ sagte der Kapitän. „Eine nicht viel geringere Anzahl aber haben die Burschen wieder ins Wasser geworfen, weil es ihnen an Salz mangelte. Es ist die alte Geschichte, die sich jedes Jahr wiederholt.“

„Es ist ein Glück,“ entgegnete der Oberst, „daß das Meer noch verschwenderischer ist, als diese Menschen. Für hundert Wesen, welche vernichtet werden, erzeugt es Tausende. Wäre das nicht, so würden auch diese unermeßlichen Reiche des Lebendigen verheert sein, gleich der bewohnten Oberfläche. Hier aber bleibt die Thorheit der Menschen erfolglos.“