Der Siegsfeld-Parsevalsche Drachenballon
Wer in den letzten beiden Jahren häufiger das Tempelhofer Feld im Süden von Berlin, den Schauplatz der königl.-preußischen Luftschifferabteilung besuchte oder passierte, konnte dort hin und wieder einen Luftballon von kuriosem Aeußeren, halb Cigarren-, halb Schneckenform in der Luft oder unmittelbar über dem Sandboden
des Exerzierplatzes schwebend beobachten, ein sonderbares Ungeheuer, aus dem die wenigsten Passanten klug zu werden wußten. Es war der sogenannte Drachenballon, den wir, als eine der wichtigsten Neuerungen der Militärluftschiffahrt hiermit in Wort und Bild zur Kenntnis unserer Leser bringen, wobei wir vorweg bemerken, daß die Erfindung keineswegs, wie am häufigsten vermutet wurde, einen neuen Beitrag zur Frage der ‚lenkbaren Luftballons’ bildet. Vielmehr stellt sie nichts mehr oder weniger vor als eine nach langen Versuchen und vielen Abänderungen gewonnene Form des Fesselballons, der für die militärisch- aeronautischen Zwecke meist von größerer Wichtigkeit ist als der frei schwebende Ballon.
Die alte und gebräuchlichste kugelrunde Ballonform ist zwar für Freifahrten noch immer die zweckmäßigste, beim Gebrauch als Fesselballon dagegen haften ihr so viele Mängel an, daß eine besser geeignete Form längst erwünscht schien und derjenigen Armee, die sie zuerst einführte, einen großen Vorsprung im Rekognosticierungswesen versprach. Diesen Wunsch erfüllt vollständig der Drachenballon, den die bekannten bayrischen Flugtechniker v. Parseval und v. Siegsfeld im Anschluß an ihre in Augsburg unternommenen langjährigen Flugstudien und Versuchen erfunden haben. Die Hauptnachteile, welche der runde Ballon an der Fesselleine besitzt, sind folgende: er führt bei stillem Wetter oder schwachem Winde fortwährende, langsame Drehungen um seine eigene Achse aus und erschwert dadurch die schnelle Orientierung, die gerade bei einem Militärballon unbedingte Notwendigkeit ist; bei einigermaßen starkem Winde aber, d.h. sobald derselbe 10 bis 12 m Geschwindigkeit in der Sekunde übersteigt, ist schon die Füllung und das Auflassen des runden Fesselballons schwierig, dann aber wird derselbe oben vom Winde derartig gezaust, zerbeult und wieder zu Boden gedrückt, daß der Anstieg lebensgefährlich und jede Beobachtung unmöglich ist. Der Drachenballon wirkt nun diesen Uebelständen hauptsächlich durch seine schräge Lage entgegen, die er infolge der Befestigung der Gondel an der hinteren und des schweren Kabels an der vorderen Hälfte unter allen Umständen beibehält, so zwar, daß die höhere Stirnfläche dem Wind jederzeit entgegengekehrt ist. Seine volle Kraft kann der letztere nur gegen die obere, 6 m im Durchmesser haltende Stirnfläche entfalten, dem geneigten Rücken kann er überhaupt nicht beikommen und auf die Bauchseite des Ballons wirkt er weniger pressend als vielmehr, wie bei jeder ähnlich gestellten Drachenfläche auch, hebend. Damit sind an sich schon ganz erhebliche Fortschritte erreicht.
Der heftigste Wind, der einen Kugelballon sofort zu Boden schleudert, weil er bei der Schrägstellung desselben durch das haltende Kabel die Oberseite anstatt die Unterseite trifft, verstärkt beim Drachenballon noch die hebende Kraft, so daß hier bei heftigem Winde entweder eine größere Bemannung mitgenommen oder mehr Kabel getragen, d.h., eine größere Höhe erreicht werden kann. Das Seil stellt sich dazu in einem Winkel von 40° zur Erdoberfläche und ändert diese Stellung bei zu- oder abnehmendem Winde so wenig, daß der Ballon bei den heftigsten Stößen nur unmerklich steigt oder fällt. Der Drachenballon ist an jedem Tag und im heftigsten Sturm brauchbar, während runde Fesselballons nur an ⅔ der Tage im Jahre aufgelassen werden können. Bei Windstille am Boden hebt sich der Drachenballon so weit, daß das Kabel lotrecht steht, behält aber selbst seine Neigung und, da in Höhen von ein paar hundert Metern niemals völlige Luftstille herrscht, ebenso wie ein hochstehender Drachen auch, seine Richtung genau bei.
Eine besondere Erklärung bedarf der große schneckenförmige Wulst am unteren Ende des Drachenballons, der hauptsächlich als Steuer dient, um den Ballon ständig im Windstrich zu halten. Anfangs dienten dazu ein paar schrägstehende Segelflächen, dann aber erwies sich der jetzt beibehaltene schlauchartige Ansatz, der übrigens nicht mit Gas, sondern mit Luft gefüllt ist, praktischer aus folgenden Gründen. Der Ballon ist in heftigem Winde, besonders an seiner Stirnfläche, einem so starken Druck ausgesetzt, daß man schädliche Einbeulungen und Formveränderungen (wie sie die Kugelballons in der That immer zeigen), auch hier befürchten mußte, wenn nicht ein innerer Druck dem äußeren entgegenwirkt. Deshalb ist dem Winde durch ein offenes trichterförmiges Ventil, das ungefähr in der Mitte des Ballonbodens auf beiden Abbildungen deutlich zu sehen ist, der Eintritt ins Innere des Ballons gestattet, den er um so straffer aufbläht, je stärker der äußere Winddruck ihn einzupressen sucht. Nun darf aber die eintretende Luft sich nicht mit dem Gase vermischen, sondern letzteres soll im oberen, die Luft im unteren Teil des Ballons bleiben. Es wird daher das untere Viertel des Ballons durch das sogenannte Ballonet, eine leichte, dehnbare Hülle, vom oberen Teil getrennt, und damit ist gleichzeitig ein Mittel gefunden, dem Ballon beständig, ob nun das Gas darin sich in der Höhe ausdehnt oder an der Erde zusammenzieht, seine straffe Form zu erhalten. Das sich ausdehnende Gas preßt von innen gegen die Ballonetwand, treibt einen Teil der Luft aus und diese trifft nun wieder in den schneckenförmigen Steueransatz ein, der gewissermaßen
als Vorballon dient. Bei der Zusammenziehung des Ballongases dehnt sich dagegen der Luftgehalt des Ballonets, den die äußere Windpressung beständig zu vermehren sucht, aus und stellt das Gleichgewicht im Ballon her.
Im großen und ganzen haben die Erfinder ihr Ziel, einen jederzeit brauchbaren, ruhigen und sicheren Beobachtungsballon für militärische Zwecke zu Lande und namentlich auch zu Wasser bei Kriegsschiffen herzustellen, vollständig und zum erstenmal erreicht.