Der Seeräuber
„Nein, nein, mein guter Herr Vormund! So haben wir nicht mit einander gewettet! Die Zeiten sind vorüber, wo die Vormünder ihre Mündel zu Heirathen zwingen durften, die im Interesse der Herren lagen; wenigstens bin ich die Person nicht dazu, die sich zu so etwas zwingen läßt. Wie kommen Sie mir vor? Ich einen Tabacksfabrikanten heirathen! Ich einen Tabacksfabrikanten! Es wäre empörend, wenn es nicht gar zu lächerlich wäre.“
Diese Worte wurden mit trotzigem Lachen von einem allerliebsten Mädchen von achtzehn Jahren einem ältlichen wohlhäbigen Herrn zugeschleudert, der im eleganten Zimmer vor ihr stand und sich über die Weigerung des kleinen Trotzkopfs sehr zu ereifern schien. Man sah es dem Kinde, wie dem Alten an, daß sie „bei guten Mitteln“ waren und sich Beide ärgerten.
„Aber ich bitte Sie, liebes Klärchen, nehmen Sie doch nur Vernunft an“, replicirte der grauköpfige Herr. „Wem in aller Welt ist denn nur eingefallen, Sie zu einer Heirath mit meinem Vetter Kaupert zwingen zu wollen? Ich habe mir weiter gar nichts erlaubt, als Ihnen denselben als eine sehr annehmbare Parthie vorzuschlagen, Fritz Kaupert ist ein junger, angenehmer Mann, ein tüchtiger Kaufmann, ein braver Mensch, hat gute Fonds und die von seinem Vater begründete Tabacksfabrik in Bremen, deren Erbe Fritz ist, zählt zu den rentabelsten Geschäften. Er ist kein Tabacksfabrikant, wie Sie ihn zu bezeichnen beliebten, sondern der Besitzer einer Tabacksfabrik, die einer großen Anzahl Fabrikanten Arbeit und Brot giebt.“
„Ich bitte Sie sehr dringend, sprechen Sie mir nicht so viel von Taback! Es wird mir übel und wehe, und ich fürchte Schlimmes für mich von dieser unangenehm duftenden Conversation. Der Herr Vetter ist und bleibt ein Tabacksfabrikant, man riecht ihn weiter, als man ihn sieht, und der bloße Gedanke mit einem stets nach Taback duftenden Manne zusammen und in einem von Tabacksdüften ganz eingeräucherten Hause leben zu müssen, bringt mich schon zur Verzweiflung.“
Und sie griff zur dunkelrothen, goldverzierten Krystallflasche mit dem Eau de mille fleurs und goß sich eine kleine Fluth auf Kleid und Hände.
„Sie benehmen sich sehr kindisch, Fräulein Klärchen“, sagte der Vormund etwas ärgerlich. „Ich habe weiter nichts von Ihnen gewollt, und bitte Sie auch jetzt um weiter nichts, als daß sie mir gestatten, Ihnen meinen jungen Vetter vorzustellen und seine persönliche Bekanntschaft zu machen. Er wird hierher kommen und – was sich doch ganz von selbst versteht – bei uns wohnen.“
„Ich will nicht! Ich will durchaus nicht! Ich will und kann und darf ihn nicht riechen. Ich würde krank davon werden. So wie er kommt, verreise ich zu meiner Cousine Dröge. Nur keinen Taback! Um Gotteswillen keinen Taback! Es ist zu prosaisch.“
„Ach, lassen Sie doch diese Überspanntheit! Sie scheinen ganz zu vergessen, daß Ihr seliger Vater und Großvater sehr ehrenwerthe Lederfabrikanten, d. h. eigentlich Gerber waren, deren Geschäft doch wahrlich auch nicht wie Rosenöl und Ambra duftet und gar nichts von dem an sich hat, was Sie poetisch zu nennen belieben; aber die guten Männer haben Ihnen ein Vermögen von hunderttausend Thalern hinterlassen, welches Sie mit der sehr übelduftenden Lederfabrikation erworben haben.“
Nachdem er dieses gesprochen, verließ der Herr Vormund in einiger Aufregung das Zimmer; Klärchen schlug ein Schnippchen hinter ihm her und griff wieder nach dem unsaubern Buche aus der Leihbibliothek, in dessen emsiger Lectüre sie durch den gutgemeinten Vorschlag des Mannes gestört worden war, und vor dessen übelriechendem Korpus sie sich keineswegs ekelte.
Dieses Buch erklärte eigentlich Alles. Klara Commler hatte in den Jahren der Entwicklung die Aeltern durch den Tod verloren und war bei einer Tante erzogen worden. Als auch diese aus dem Leben geschieden, war die reiche Waise in das Haus ihres Vormunds, des Kauf- und Handelsherrn Peter Schöppach, gekommen. Die selige Tante hatte das hübsche und talentvolle Kind gründlich verzogen und zur Romanleserin gebildet. Aus der Leihbibliothek hatte sich Klärchen ihre Begriffe von Poesie und von einem reizenden romantischen Leben geholt, und sie hatte nicht nur die Ueberzeugung gewonnen, sie hatte sich auch den festen Entschluß in ihrem kleinen reizenden Lockenkopfe zurechtgestellt, sie könne und werde sich mittelst ihrer Schönheit – Spiegel und Eitelkeit hatten ihr davon eine hohe Meinung beigebracht – und mittelst ihres Geldes, dessen Werth sie sehr wohl kannte, ein Lebensglück gewinnen, wie es in ihren Lieblingsromanen schönstens beschrieben stand. In dieses farbenglühende und blumenduftende Phantasiebild paßte freilich ein Mensch durchaus nicht, welcher eigentlich auf der Welt nichts weiter that, als Tabacke fabriciren zu lassen und zu verkaufen. Sie hätte natürlich eben so wenig einen Lederfabrikanten geheirathet. Ein unbestimmtes Ideal schwebte ihrer aufgeregten Phantasie vor, ein kühner, göttlicher Jüngling, zum Theil Adonis, zum Theil Apoll, zum Theil Herkules, Perseus oder anderer Halbgott, ein Dichter, Maler, Künstler anderer Art, Kriegsheld oder dergleichen.
Es war ganz so in der Ordnung, daß ein so romantisches Gemüth, wie das Klärchen’s, eine Vertraute hatte, und daß diese bei den obwaltenden Umständen Niemand anderes sein konnte, als [406] Hannchen, ihre Zofe. Bei ihr machte sich denn die kleine Schwärmerin weidlich über den Tabacksfabrikanten lustig und wurde von dem dienstbaren Geiste in allen ausgesprochenen Ansichten und Meinungen gehörig bestärkt.
Der Tag verging, wie alle Tage vergehen; es vergingen auch Wochen, und vom Tabacksfabrikanten war im Hause nie mehr die Rede. Der Vormund besorgte seine Geschäfte, die Haushälterin das Haus, Klärchen die neuesten Romane, Hannchen die Stadtneuigkeiten; Alles wie sonst auch. So hoch die Romantik in den Büchern aufgeschichtet lag, in der Wirklichkeit dieses Lebens war auch nicht der leiseste Hauch davon zu verspüren. Da ging es vielmehr sehr nüchtern und sehr prosaisch zu, und das ärgerte und langweilte die kleine hübsche Romanleserin.
Dieses abscheuliche Einerlei wurde durch einen Ball der Resource-Gesellschaft unterbrochen. Klärchen fuhr in einem Stadtwagen dahin, reizend, duftend, graciös wie eine Sylphe. Noch hatte sie nicht alle Freundinnen begrüßt, als ihr ein junger, sehr schöner Mann auffiel, den sie noch nie gesehen halte. Er war hoch und stark, hatte eine breite Brust, einen kühnen, herrlichen Kopf, große, feurige Augen, eine majestätische Adlernase, einen prächtigen Bart und eine Haltung, keck und stolz wie ein König.
Seine Kleidung war sehr nobel, aber etwas phantastisch. Er wandelte in dem hell erleuchteten großen Saale auf und ab, als sei er allein hier Herr und Gebieter und alle Anderen seine Untergebenen oder wenigstens in Rang und Ansehen ihm weit Nachstehenden.
Klärchen fragte die nächste Freundin: wer dieser Herr sei, und erhielt zur Antwort: man habe sie eben um ihn befragen wollen. Keine von den jungen Damen wußte wer er war, und die bekannten und befreundeten jungen Herren und respectabeln Tänzer wurden herbeigezogen, um Auskunft zu geben. Keiner konnte etwas Genaues und Bestimmtes angeben, und das ganze Resultat der sorgfältigsten Nachforschung war, daß der Fremde seit einigen Tagen im Rheinischen Hof (das erste Hotel der Stadt) die vornehmsten Zimmer bewohne, viel Geld verzehre und ein strenges Incognito beobachte, daß er aber dem Ansehen und den Manieren nach ein Mann von Distinction sein müsse; man vermuthete sogar, daß er ein Prinz sei. Es konnte natürlich nicht anders kommen, als daß der schöne Fremde der Gegenstand der Neugierde und der lebhaftesten Unterhaltung des gesammten schönen Geschlechts im Ballsaale wurde und den ganzen Abend über verblieb. Um so schmeichelhafter war es für Klärchen, daß der interessante junge Mann sie zuerst zum Tanz engagirte und die Bitte so oft wiederholte, daß sein besonderes Interesse an ihrer Person ihr und Andern klar wurde. Sie bezeigte sich für diese Auszeichnung sehr dankbar, indem sie sich der Unterhaltung mit dem schönen Tänzer sehr lebhaft und fast feurig hingab. Aber die Gegenstände der Unterhaltung waren auch ganz dazu angethan, sie zu begeistern und zu entzücken. Eh’ sie sich’s nämlich recht versah, war sie mit ihm auf ihr Lieblingsthema, die moderne Novellistik, gekommen, und der geheimnißvolle Fremde sprach über Eugen Sue, Alexander Dumas, Charles Dickens und andere Heroen des heutigen poetischen Schriftthums mit einem so richtigen Urtheil und so genauer Kenntniß; er lobte ihren Geschmack in der Wahl ihrer Lectüre mit so zarten, sinnigen Worten, und seine Ansichten über die einzelnen Werke und Charaktere trafen so überraschend mit den ihrigen überein, daß Klärchen schon nach dem dritten Tanze ihr unbewachtes Herzchen ganz und gar an den unvergleichlichen Fremden verloren hatte, und ihre Nachbarinnen aus dem Enthusiasmus, womit sie von ihm sprach und seine Vorzüge schilderte, auf ihren Zustand den rechten Schluß machen mußten. Klärchen’s Rausch stieg; nach jedem Tanze mit dem theuern Fremden glühte sie höher, und als er sie an den Wagen begleitete und ihre Hand küssend ihr süße Ruhe wünschte und die Hoffnung aussprach, sie recht bald wieder begrüßen zu dürfen, war ihre Seele eigentlich schon sein Eigenthum, und sie kam in einer Aufregung nach Hause, welche nicht nur ihr, sondern auch dem guten Hannchen den Schlaf der ganzen Nacht raubte; denn die Zofe mußte in einem Feuerstrom von Beredtsamkeit, wie er noch niemals von der kleinen Herrin ausgegangen war, Alles erfahren: wie der herrliche Jüngling ausgesehen, was er für eine Nase, für Augen, Mund, Haare gehabt, wie stolz er sich gehalten, was er angehabt, wie gewählt und was er Alles gesprochen, wie viel er mit ihr und nur ihr getanzt, und alle die tausend Kleinigkeiten, die nur ein sterblich verliebtes Mädchen wahrnehmen und wiedergeben kann. Sie wiederholte sich wie oft und war ihrer Meinung nach noch nicht fertig, als der Morgen und mit ihm der Herr Vormund aus dem Bette kam und die lebhafte Relation für eine kurze Zeit unterbrach.
Hannchen wurde nun auf Kundschaft ausgeschickt und versicherte der Oberkellner im Rheinischen Hof sei ein alter Bekannter, das Stubenmädchen eine intime Freundin von ihr. Was sie nach einigen Stunden heimbrachte, überstieg alle Erwartung Klärchen’s. Der Fremde war in allem was er sprach und that, durchaus ein Halbgott; er las den ganzen Tag Romane und hatte bereits große Zufuhr aus den ersten Leihbibliotheken der Stadt erhalten. Und unvergleichlich nobel war er und freigebig wie ein Prinz. Wo Andere mit dem Groschen knausern, gab er den Thaler. Der ganze Rheinische Hof betete ihn an. Hannchen hatte auch schon die Bekanntschaft seines Jägers gemacht, eines „charmanten Menschen,“ und von ihm erfahren, daß der Herr seit er vom Ball heimgekehrt nur von einer Göttin rede, die er kennen gelernt und mit der er nur getanzt habe. Sie sehen und sie lieben sei Eins gewesen. Wer aber der „Herr Müller“ eigentlich sei (denn so einfach ließ sich der interessante Fremde nennen), das hatte Hannchen doch nicht erfahren können. Sie gab aber die Hoffnung durchaus nicht auf. Und wirklich wurde sie nicht von dieser Hoffnung betrogen. Am dritten Abend trat die geschäftige Iris mit leuchtenden Augen zu der in süßer Erwartung harrenden Klara und flüsterte: „Ach, Fräulein! Was hab’ ich erfahren! O du meine Güte! Der Schreck ist mir in alle Glieder gefahren. Adolf, der Jäger, hat es mir endlich unterm Siegel der größten Verschwiegenheit gestanden. Ich hab’s ihm schwören müssen bei unserer Liebe, keiner Seele ein Wörtchen davon zu verrathen.“
„Um Gottes Willen? Was denn? Was ist’s? Bring’ mich nicht um’s Leben, grausames Mädchen!“
„Ich weiß jetzt wer dieser Herr Müller ist, den Sie so sehr lieben, und der Sie wieder zum Sterben liebt. Adolf konnte meinen Bitten nicht länger widerstehen. Er hat mir das Geheimniß verrathen. O mich schaudert’s!“
„So sag’s doch nur! Du siehst ja, daß ich sterbe. Was ist er? Was ist er?“
„Ein Seeräuber!“
„Ein Seeräuber!“ jauchzte Klärchen und schnellte empor wie von der Hand eines Gottes berührt. „Ein Seeräuber!“ jubelte sie und umarmte Hannchen. „Das ist ja göttlich! Weit, weit über meiner Erwartung. Ich hielt ihn für einen Prinzen. Aber was ist ein Prinz gegen einen Seeräuber! Es giebt nichts Herrlicheres auf der Welt, als einen Seeräuber. Die ganze Männerwelt muß vor ihm erblassen. O Schicksal, du bist groß und gerecht! Ich erkenne, daß ich dein Liebling bin. Mein Vormund bestimmte mir einen Tabacksfabrikanten und ich habe einen Seeräuber erobert!“
„Aber ein Seeräuber wird ja gehangen oder geköpft. Er ist doch ein großer Uebelthäter.“
„O wie dumm Du bist! Ein Seeräuber ist ein großer Held, der kühnste aller Sterblichen und seine Thaten, sein Leben sind Alles eitel Poesie.“
„Ach! und seine eigentliche Kleidung soll ganz erschrecklich aussehen. Eine rothe Binde um den Leib und Pistolen und Dolch darin. Auch einen langen Säbel trägt er und eine kurze Flinte und eine Feder auf dem Hut.“
„Himmlisch! Wie muß er erst so ausstaffirt sich ausnehmen der unvergleichliche Mann!“
„Ueber all’ dem Graus hab’ ich ganz vergessen, Ihnen zu sagen, daß er Sie um eine geheime Zusammenkunft bitten läßt. Ach Gott! wenn er Ihnen nur kein Leid anthut, Fräulein! Solch ein entsetzlicher Mensch!“
„Schweig doch, Thörin! Hast Du selbst mit ihm gesprochen?“
„Freilich! Und er hat mir einen blanken Louisd’or geschenkt. Aber das ist ja Blutgeld, gestohlenes Geld!“
„Zeig’ her! Ich wechsle Dir das Goldstück aus; ich trag’ es auf meiner Brust als einen heiligen Talisman der Liebe.“
„Er hat mir diesen Brief an Sie gegeben.“
„Und den giebst Du mir jetzt erst, Abscheuliche!“ Sie riß das Siegel auf und las:„Nur eine Stunde schenken Sie mir unter vier Augen. Ich könnte sie mit meinem Leben erkaufen. Nie liebte ein Herz [407] stürmischer und zärtlicher zugleich. Nur eine Stunde! Dann will ich sterben.“
„Nein, leben sollst Du und glücklich sein und mich beglücken, göttlicher Seeräuber! – Der Vormund geht diesen Abend in die Resource. Du kannst den geliebten Mann sehr leicht in’s Haus bringen. Aber eine Bedingung muß ich ihm stellen.“
„Welche?“
„Er muß sich mir in seiner wahren Gestalt zeigen. Wie Semele ihren geliebten Zeus muß ich ihn in seiner vollen Majestät sehen, und sollte ich das Leben darüber lassen, wie sie. Er muß kommen im vollen Waffenschmuck. Und ich – o herrlicher Einfall! Und ich – ja das will ich! Das hat mir ein Gott eingegeben!“
„Was denn, Fräulein?“
„Ich will seiner würdig entgegentreten als – Seeräuberin.“
„Herr Jesus Christus! Sind Sie denn bei Verstand, Fräulein?“
„Gieb mir den Mantel um! Ich will ausgehen und mir Pistolen, Dolch und Säbel kaufen. Eine rothe Schärpe hab’ ich noch von der Maskerade.“
Sie eilte fort und die Dienstbare rieb sich vergnügt die Hände.
Abends empfing Klärchen den Mann ihres Herzens im vollständigen Habit der Barbaresken, und er trat zu ihr ein im idealen Kostüm den berühmten Chaireddin Barbarossa, des berühmtesten Seeräubers, der je die Gewässer zwischen Afrika und Europa unsicher gemacht.
Es ist unnöthig zu berichten, was die beiden jungen, in einander verliebten Leute zusammen sprachen; es genügt zu versichern, daß es durchaus nichts Ungewöhnliches und von der Unterhaltung in solchen Fällen Verschiedenes, mit einem Worte, nichts Korsarisches war. Sie tauschten die köstlichsten Liebesschwüre, bewunderten die außerordentlichen Wege und Veranstaltungen der Vorsehung, die gerade sie, die sie ja offenbar beide allein und ganz ausschließlich für einander geschaffen seien, zusammengeführt habe und verabredeten zu Klärchen’s unaussprechlichem Entzücken eine Flucht mit einander. Tag und Stunde dieser Flucht wurden festgesetzt; in Bremen wollten sie sich einschiffen, aber erst ihren Herzensbund kirchlich einsegnen lassen. Der junge Held berichtete: in Bremen sei ein Korsarenhaus, das stehe ihm ganz zur Verfügung. Dort wollten sie ihre heimliche Hochzeit halten.
Und dann hinaus auf das ewige Meer zu Deinen Flibustiern!“ ruf Klärchen in Extase, und er verschloß ihr den Mund mit einem Räuberkusse. Der Abend war ungemein romantisch, und Klärchen vollkommen davon befriedigt.
Die Vorbereitungen zur Flucht wurden getroffen und durch nichts gestört. Der Abend kam und die Nacht. Klärchen war voll Angst und Bangen, daß ihr kühnes Vorhaben entdeckt werden möchte. Aber kein Hinderniß trat ihr entgegen. Sie verließ das Haus ihres Vormunds und stieg in den ihrer harrenden Wagen des schönen Seeräubers, und der Glückliche entführte sie nach Bremen. Sie kamen da Abends an und nahmen ihre Wohnung in dem geheimen Korsarenhause. Nach einigen Stunden erschien ein Pastor im Amtsornat und copulirte sie in aller Form. Dann speisten sie ungemein fröhlich zusammen und Klärchen erging sich in bunten phantastischen Plänen für die nächste Zukunft. Dem schönen Abend folgte eine noch schönere Nacht. Die Korsaren hatten trefflich für ihren Capitain gesorgt.
Als die junge Frau am folgenden Morgen aus dem bräutlichen Gemach in reizender Morgentoilette trat, war sie nicht wenig erstaunt, ihren Herrn Vormund und ihre Zofe Hannchen vor sich zu sehen, die ihr beide lächelnd schönstens gratulirten. Auch der furchtbare Seeräuber trat hinzu fein bürgerlich bremisch angethan, drückte sie an sein Herz und sagte zu der ganz verdutzt drein Blickenden: „Merkst Du denn nicht, liebes Weibchen, daß unser Raubschiff bereits in den Hafen der Ruhe eingelaufen ist und zwar mit Genehmigung und schriftlichem Consens Deines lieben Vormunds, meines Herrn Vettern?“
„Was?“ rief Klara, aus ihrem romantischen Himmel fallend, „Du bist –“
„Fritz Kaupert, der Besitzer dieser guten Tabacksfabrik, in welche Du gestern als Herrin eingezogen bist. Du hast Dich nun überzeugt, holdes Klärchen, daß Tabacksfabrikanten auch erträgliche Leute sind, und daß man in Tabacksfabriken nicht an bösen Gerüchen stirbt. Du wirst eine glückliche Frau sein und mich zu einem glücklichen Manne machen, wenn Du das Glück in Deiner und in meiner Seele und nicht in romantischen Aeußerlichkeiten suchst. Du hast gesehen, wie leicht man auf dem letztern Wege getäuscht werden kann.“
Beschämt verbarg die schöne junge Frau ihr hocherröthendes Köpfchen an der Brust ihres geliebten Mannes, und der vergnügte Vormund segnete das glückliche Paar.