Der Schmuck des Meeres
„Welch’ sonderbares Fahrzeug liegt denn dort?“ sagte einer meiner Freunde, mit dem wir einst in heiterer Gesellschaft über die reizende Bucht von Villafranca bei Nizza setzten, um dann in dem Schatten der hohen Oelbäume von St. Hospice den Sonntag zu verbummeln und eine Fischsuppe von selbstgeangelten Klippfischen, Langusten und Tintenfischen zu verzehren, „welch sonderbares Fahrzeug! Seht einmal das große lateinische, Hauptsegel und den kleinen Fock, die sie aufgezogen haben, obgleich sie vor Anker zu liegen scheinen, und das senkrechte Bugspriet, das wie ein Kamm hervorsteht und oben eine Weltkugel mit ein paar Heiligenfiguren darüber zu tragen scheint. Ich glaube gar, unten daran sind zwei große Augen gemalt! Wollen wir es nicht näher ansehen?“
„Es ist eine Koralline,“ antwortete der Abbé, nachdem er einen kurzen Blick darauf geworfen, „eine kleine Tartane, die zur Korallenfischerei gestern hier angekommen ist – arme Leute! Sie werden noch Zeit genug haben, sie zu sehen, denn sie bleiben ein paar Wochen hier, fischen gar nichts, verzehren das Bischen, was sie bei sich haben, und werden am Ende die Koralline versetzen oder verkaufen müssen, um Reisegeld nach Hause zu finden!“
„Sie wollen den großen Korallenbaum holen, Herr Abbé,“ sagte unser Fährmann“, „Sie wissen ja, der da unten in der tiefen Grotte am Mont Alban steckt!“
„Warum nicht gar, Gennajo,“ antwortete der Abbé „habt Ihr ihnen denn nicht gesagt, daß nichts da sei und daß noch kein Mensch eine Spur von dem verzauberten Korallenbaume gesehen hat? Stellt Euch vor, Ihr Herren, daß da unten in einer Tiefe von hundert Faden ein Korallenbaum in einer Grotte stecken soll, dick wie ein Eichbaum, der seine Aeste herausstreckt, wenn keine Gefahr droht und sie geschwind zurückzieht, wie ein Tintenfisch, wenn ein Netz in die Nähe kommt. So geht hier die Sage und man kann sie unseren Dickköpfen nicht ausreden,“ fügte er in gutem Französisch hinzu, damit ihn der Fährmann nicht verstehe, „und sie glauben ebenso fest daran, wie an die Madonna, weil sie sich eingeredet haben, das Korall[1] sei in dem Wasser weich und biegsam und werde erst vor Schreck hart, wenn es an die Oberfläche gezogen werde!“
„Wo kommen sie denn her, Gennajo?“
„Von Torre del Greco,“ antwortete dieser, „und der Patron hat sich zwei recht große Augen vorn an den Bug malen lassen, um anzuzeigen, daß er tiefer in’s Wasser sehen könne, als die Anderen. Er will nicht eher wieder fort, als bis er den Korallenbaum gefischt hat, der ihn reich machen soll.“
Der Abbé tauchte die Hand in’s Wasser und ließ die Tropfen durch die Finger laufen, als suche er kleine Meerthierchen abzusieben. „Sie wollen an Bord der Koralline, Professor,“ frug er, „Sie werden heute nicht viele Carmarine[2] finden. Ich sehe keine Courants in der Bucht!“
Die Gelegenheit durfte aber doch nicht versäumt werden. Ich suchte Bekanntschaft mit dem Patron der Tartane zu machen, einem älteren Manne mit wettergefurchtem Gesichte, der anfangs zwar mit äußerstem Mißtrauen jeder Frage auswich, später aber etwas mehr kirre wurde. Denn hier kam es ja nicht darauf an, den Ort zu verheimlichen, wo sie fischten, noch die Concurrenten zu täuschen, da keine vorhanden waren. An den Küsten von Algier, besonders in dem östlichen Theile der Regentschaft bei Bona, bei la Calle, wo mehrere hundert Korallinen aus Neapel, Toscana, Sardinien und Sicilien ihre Fischerei treiben, hängt Alles von der Geschicklichkeit des Patrons ab, sogenannte Korallenbänke, das heißt, unterseeische Felsen aufzufinden, auf welchen Korallen angesiedelt sind, und den Ort, wo er diese gefunden hat, seinen Concurrenten zu verbergen. Viele dieser Leute besitzen eine außerordentliche Geschicklichkeit, weit draußen im Meer, wo sie kaum die Küste noch erblicken können, ohne Compaß noch Fernrohr, einen beschränkten Raum wieder und immer wieder aufzufinden, wo in der Tiefe eine neue, noch nicht ausgefischte Bank liegt, welche starke Korallenstämme enthält, und die Kosten, welche von ihnen aufgewendet, die Lügen, welche aufgetischt, und das Schweigen, welches beharrlich den Fragen entgegengesetzt wird, sind nach dem Sprüchwort ebenso unergründlich, wie die Tiefe, in welche sie ihre Netze senken. Hier aber waren diese Vorsichtsmaßregeln, wie der Patron wohl einsah, vollkommen unnöthig. Jedes Kind in Villafranca kennt die Stelle an der Felswand des Mont Alban, wo der zauberische Korallenbaum in der Grotte sich befinden soll, und die Bucht selbst läßt sich so leicht übersehen, daß keine Möglichkeit der Verheimlichung ersichtlich war.
Es war eine kleine Koralline von höchstens fünf Tonnen. Größere, bis zu sechszehn Tonnen Gehalt, gehen an die afrikanische Küste, wo jetzt die schwunghafteste Fischerei getrieben wird und nach den letzten Nachrichten etwa vierhundert Fahrzeuge, meist aus Neapel, zum Betriebe ihres Gewerbes angekommen sind. Der Patron war selbst Besitzer seines Fahrzeuges; sein Junge, ein Bursche wie ein Affe gelenkig, war Schiffsjunge und drei Matrosen halfen zur Handhabung des Netzes und der Segel. So waren sie, gelockt von der Sage von dem wunderbaren Korallenbaume, aus dem Süden heraufgekommen, ohne Compaß noch Schiffsbuch, mit keinem anderen Proviant versehen, als der unvermeidlichen Galetta (weißes Biscuit) und Wasser, denn gekocht wird an Bord einer Koralline nie, und wenn ein paar Zwiebeln und einige Stockfische in einem besonderen, nur dem Patron zustehenden Verschlusse sich finden, so gilt dieser für einen Lebemann und Feinschmecker!
Harte und schwere Arbeit haben diese Fischer, ärgere, als die eines Galeerensclaven! Hinten an dem Schiffe hängt das Netz, an einem dicken Tau befestigt, welches über eine Winde läuft, die von den Matrosen gehandhabt wird. Der Patron sitzt am Steuer, die eine Hand hält das Tau, welches an seinem Schenkel herabläuft, häufig auch, wo es genauer Fühlung bedarf, auf das Bein selbst genommen wird, das eine Lederschürze gegen die Reibung schützt.
Das Netz selbst ist ein seltsames Ding. Ein Holzkreuz aus zwei dicken, je nach der Größe des Schiffes sechs, zwölf und mehr Fuß langen Stäben zusammengesetzt, an denen erst die eigentlichen Netze hängen. In der Mitte, wo die Stäbe sich kreuzen, ist in einem kleinen Beutel ein gewaltiger Stein, eine Kanonenkugel, ein Bleistück angebracht; jetzt wird dieses Gewicht meistens durch ein Eisenkreuz ersetzt, dessen gleichlange Arme aber hohl sind und die Holzstäbe aufnehmen können, so daß zugleich ihre Festigkeit vermehrt wird. Die Flatternetze, welche eigentlich den Fang besorgen und an dem Stabkreuze aufgehängt sind, bestehen theils aus großmaschigen Stücken, aus fingerdicken Fäden zusammengesetzt, theils aus alten Sardellennetzen, die zum gewöhnlichen Fischfang nicht mehr brauchbar sind; sie hängen oft zwanzig und mehr Fuß lang herab, und je verwickelter sie sind, je leichter sie sich im Wasser in eine Menge von Flocken und Netzstücken auflösen, desto besser entsprechen sie ihrem Zwecke. An den größeren Netzen werden zwischen den Armen des Holzkreuzes noch Taue gespannt, an welchen ebenfalls solche Flatternetze hängen, und in der Mitte, unter dem Steine oder dem Eisenkreuze, sind die längsten Flatternetze angebracht, welche von den Fischern scherzweise „der Fegfeuer-Schwanz“ genannt werden. So sieht denn die ganze Maschine einem gewaltigen Wallkopfe ähnlich, wie ihn die Matrosen zum Waschen des Deckes brauchen. Die Flatternetze zerreißen ziemlich leicht – haben sie nichts Anderes zu thun, so sind die Matrosen beständig beschäftigt, aus einem großen Vorrath von Hanf, alten Seilen und Netzen neue anzufertigen, wobei sie eine melancholische Barcarole singen oder Galetta kauen – fast glaube ich, sie kauen selbst im Schlafe. Unser Patron hatte noch ein anderes Instrument, eine Art einarmigen Löffels, aus einem langen Arme bestehend, der am Ende einen breiten Eisenring mit seitlichen Löchern trug, unter welchem Flatternetze aufgehängt waren; am anderen kürzeren Ende war eine Kanonenkugel befestigt, die den langen Arm wagerecht hielt. Damit wollte er in die Grotte dringen und den Korallenbaum von der Wurzel losreißen. Aber das Ding machte ihm viel Schwierigkeiten, denn die Strömungen drehten es trotz [41] der beiden Taue, an denen es hing, beständig herum, so daß der Löffel nach dem Meere hin sich stellte, und der geringste Wind verwirrte Seile und Löffel derart, daß das Aufwinden eine schwierige Sache wurde.
Sobald der Korallenfischer sich auf einer Bank glaubt, wird das Netz ausgeworfen. Bei ruhiger See breiten sich die Flatternetze nach allen Seiten aus und langsam sinkt die Maschine auf den Boden, oft in eine Tiefe von sechszig bis hundert Faden. Die Segel werden nach dem Winde gestellt, der Patron faßt das Tau, die Matrosen stehen an der Winde, an den Rudern oder den Zugseilen der Segel, um jeden Befehl augenblicklich ausführen zu können. Es gilt, die auf dem Boden festsitzenden Korallenstämme in die Flatternetze zu verwickeln, sie abzubrechen, auszureißen oder selbst mit den Felsstücken, an denen sie festsitzen, in die Höhe zu winden. Hat das Netz gefaßt und eingesackt, so wird das Steuer
entbehrlich, der Patron beschäftigt sich nur mit dem Tau. Das Schifflein, vom Winde oder den Rudern langsam, aber mit Anstrengung getrieben, springt vor- und rückwärts, je nachdem das Netz unten faßt oder losläßt. Der Patron fühlt am Tau jeden Widerstand, jede einzelne Bewegung, er commandirt in einem fort: „Laßt los!“ „Vorwärts!“ „Links!“ „Rechts!“ „Laßt nieder!“ Die Arbeit ist anstrengend, den Burschen läuft der Schweiß über den Rücken herunter. Zuweilen bleibt das Netz stecken in Klüften, so daß man von allen Seiten her den Zug versuchen muß, um es zu lüften; dann wieder sucht man in eine Schlucht, unter einen überhängenden Felsen hineinzukommen, denn da wachsen die schönsten und werthvollsten Stämme! So ist denn ein jeder solcher Zug – und man wiederholt ihn wohl zwanzig Mal im Tage – eine Reihe der lebhaftesten Scenen, der mannigfachsten Manöver und der wechselndsten Stellungen der Mannschaft, wohl werth, im Bilde vervielfältigt zu werden.
Endlich glaubt der Patron, daß das Netz hinlänglich gearbeitet habe; Die Matrosen, die beständig im Tacte durch die Zähne pfeifen, greifen zu den Speichen der Winde, mit einem letzten Ruck wird das Netz losgerissen und unter einem monotonen Gesange heraufgewunden. Alle Augen spannen sich nach dem Orte, wo es erscheinen soll, endlich sieht man, noch tief unten, einen Schein – es kommt! Spielen die Flatternetze weit auseinander, so ertönt ein leiser Fluch der Verwünschung von den Lippen des Patrons: „Dio grazia! Maladetto!“ Hängen sie schwer beladen herab, so malt sich immer größere Spannung in seinen Zügen. Nun glänzt es vielleicht roth herauf. „Santissima!“ seufzt halblaut der Patron, und die Männer arbeiten eifriger, denn der Patron sitzt in der Nähe der Winde, und wer sich lässig zeigt, bekommt zum Mindesten ein Scheltwort, wenn nicht einen Fußtritt oder einen Faustschlag auf den nackten Rücken. Endlich ist es heraus! Es wird mit Vorsicht an Bord gehißt und nun heißt es, die Korallenstücke aus den Fäden zu lösen! Eine Menge von andern unterseeischen Producten sind ebenfalls losgerissen worden. Da hängen andere, werthlose Hornkorallen, worunter eine Art, die sogenannte „schwarze Hand“ der Fischer, eine schwarze Hornkoralle, die bei ihnen deshalb so beliebt ist, weil sie an denselben Stellen wächst wie das Edelkorall und große Stücke dieser Hornkoralle mit Sicherheit anzeigen, daß die Bank seit langer Zeit nicht ausgefischt worden ist; da hängen Muscheln aller Art, Kammmuscheln, Löffel-Austern, Schlangenkopfmuscheln, Seescheiden und Schwämme von allen Farben, eine Welt organischer Formen, um die sich der Korallenfischer nur insofern kümmert, als er mit großer Geschicklichkeit, während er die Fäden entwirrt, zugleich die Muscheln aufbricht und ihren Inhalt hinabschluckt. Sonst aber wird alles Heraufgebrachte mit Verachtung in das Meer zurückgeschleudert, nur jedes, auch das kleinste Edelkorallstückchen mit äußerster Sorgfalt erlesen und sogleich in die Kiste gesteckt, deren Schlüssel der Patron neben dem Reliquientäschchen an einem Bande um den Hals trägt. Er jubelt heimlich, wenn er ein schönes Stück findet, denn der Werth der Korallen nimmt mit der Größe fast in geometrischer Proportion zu; vielleicht auch verspricht er seinen Matrosen einen Extralohn, denn sie erhalten, für eine ganze Campagne von sechs Monaten, höchstens dreihundert Francs, meist weniger, Lohn.
Wenn aber das Netz leer heraufkommt, wenn es gar hängen bleibt und trotz der verschiedenen Instrumente, die man zu diesem
Zwecke an Bord hat, sich nicht wieder loseisen läßt, was immerhin ein Schaden von mehreren hundert Francs ist, dann wehe den Armen, die doch nicht minder gearbeitet, nicht minder geschwitzt und gedarbt haben! Die Ungunst des Himmels und aller Heiligen haben sie allein verschuldet, sie müssen arbeiten, bis die erschöpfte Natur den Dienst versagt. Lacaze-Duthiers, der im Auftrage der französischen Regierung die Korallenfischerei an den Küsten Algiers untersuchte und während dreier heißer Jahre weit umfassende Untersuchungen angestellt hat, die den Gegenstand vollständig erschöpfen (ich entlehne seinem im vorigen Jahre erschienenen Buche manche Angabe und die Originale der Holzschnitte), erzählt ein haarsträubendes Beispiel von der Hartherzigkeit eines Patrons und seiner Frau.
„Ein armer junger Matrose berieth mich als Arzt. Er kam von der Fischerei zurück mit heftigem Fieber; seine Füße waren geschwollen und mit Wunden bedeckt; er wollte lieber sein Verdienst aufgeben, als wieder an Bord gehen. ‚Ich bin noch zu jung, um so elend zu sterben,‘ sagte er mit dem wehmüthigen Accent und der ausdrucksvollen Geberde des Italieners. Ich bat die Frau des Patrons, den armen Kerl in’s Spital zu schicken. ‚Wie soll denn mein Mann fischen, wenn er keine Matrosen hat?‘ war die Antwort dieser hübschen, achtzehnjährigen Frau, die dabei ihr Kind herzte, das sie auf den Armen trug. Man mag daraus entnehmen, bis zu welchem Grade die Gier nach Gewinn bei manchen Korallenfischern jedes menschliche Gefühl abstumpft und wie sehr der Ruf ihrer Grausamkeit verdient ist. Bei so entsetzlich harter Behandlung weiß man jedoch nur von wenigen an Bord verübten Verbrechen; der Gebrauch des Messers ist, wie es scheint, verboten. Doch wurde im Jahre 1862 in Folge einer Verschwörung ein Patron von seiner Mannschaft gebunden, in den Raum geworfen und das Schiff nach Italien zurückgesteuert; bei Bonifacio wurde aber die Koralline aufgebracht und zur Fischerei zurückgeführt.“ … So viel Elend, Jammer und Mißhandlung, um Hals und Arme der Schönen zu schmücken!
Die Korallenfischerei ist kein geringer Erwerbszweig. Frankreich hat, zufolge eines Vertrages mit dem Bei von Tunis, die [42] Aufsicht über das ganze Gebiet von Tripolis bis zu der Grenze von Marokko. Man hat natürlich, wie die große Nation es nicht anders kann, Reglements über Reglements erlassen, System nach System abgenützt, und das Resultat ist jetzt, daß trotz der französischen Herrschaft der ganze Erwerbszweig, Fischerei, Handel und Bearbeitung, in den Händen der Italiener ist. Die Korallinen kommen mit den Frühlingstagen von Torre del Greco bei Neapel, von Sicilien, Sardinien und Genua, stellen sich an verschiedenen Küstenplätzen ein, bezahlen die Abgaben und Kosten, die sich für eine große Koralline auf etwa vierhundertfünfzig Francs belaufen, und fischen bis zum Eintritt der Herbststürme. Die kleinen Schifflein liefern täglich, die großen alle vierzehn Tage oder monatlich ihren Ertrag an den Rheder ab, der ebenfalls ein Italiener ist, oft mit seinem eigenen Boote nur für die Saison kommt, oft aber auch in Algerien, namentlich in Bona und la Calle ansässig ist. Bei diesem wird das Korall sortirt, in Kisten verpackt und nach Neapel, Livorno oder Genua spedirt, wo es bearbeitet und in den Handel gebracht wird. Nach den Berechnungen von Lacaze-Duthiers kostet die erste Ausrüstung einer großen Koralline mit zwölf Mann Besatzung etwa viertausendfünfhundert Francs, während die jährlich wiederkehrenden Kosten für Bezahlung und Ernährung der Mannschaft, Ersatz der Geräthschaften, Abgaben etc. etwa eilftausend Francs betragen mögen. Man rechnet, daß eine große Koralline mit fünf Centnern Korall etwa auf ihre Kosten kommt, mit sechs Centnern oder dreihundert Kilos aber, je nach der Qualität des Koralls, zwei- bis dreitausend Francs Gewinn abwirft. Nach den Zeitungsnotizen sind vorm Jahre vierhundert Korallinen von den italienischen Küsten abgegangen; rechnen wir, daß diese dreihundert großen Schiffen entsprechen, so müssen also eintausendfünfhundert Centner Korall im Jahre 1865 gefischt worden sein, wenn die Rheder nur auf ihre Kosten kommen sollen, und eintausendachthundert Centner, wenn einiger Gewinnst bleiben soll. Unserer Berechnung zufolge würden also fast viertausend Korallenfischer alljährlich von Italien nach Algerien segeln, um dort den Grund des Meeres auszubeuten. Der mittlere Verdienst eines Mannes, den er fast vollständig zurückbringt – denn für den Trunk am Lande und sonstige kleine Ausgaben sorgt er meistens durch einige Korallenstücke, die er dem Patron wegstipitzt – beträgt dreihundertachtzig Francs für die Saison von sechs Monaten. Der Arbeitslohn dieser Mannschaft beläuft sich also etwa auf anderthalb Millionen Francs, die der Bevölkerung der italienischen Küstenstrecken zu Gute kommen.
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Die Perlen und Cameen, welche unsere Schönen tragen, sind nur das verarbeitete Skelet eines Meerthieres, welches in seiner ursprünglichen Gestalt von demjenigen, der nur das verarbeitete Korall gesehen hat, kaum zu erkennen ist. Die abenteuerlichsten Meinungen waren früher darüber verbreitet und haben sich, wie aus der Sage von dem Zauberbaume bei Nizza hervorgeht, unter den Fischern erhalten.
Das Edelkorall war früher in Aller Augen eine Pflanze oder eine Art Stein und erst im Anfange des vorigen Jahrhunderts entdeckte ein junger Arzt aus Marseille, Peyssonnel, der von der französischen Akademie zum Studium der Meerespflanzen an die Küsten der Berberei geschickt worden war, daß die vermeintlichen Blüthen des Koralls Thiere seien, die sich ausdehnten, zurückzögen und ihre Arme bewegten. Es ging ihm Anfangs schlecht mit seiner Entdeckung. Réaumur, der berühmte Beobachter der Insecten und des Thermometers, Jussieu, der Vater des natürlichen Pflanzensystems und Nebenbuhler Linné’s, wollten nicht daran glauben, bis sie sich endlich durch eigene Beobachtungen überzeugten. Für den Entdecker freilich zu spät. Nachdem die Akademie von Marseille einen Preis zurückgewiesen hatte, den er für ewige Zeiten für Denjenigen stiften wollte, der die beste Abhandlung oder die bedeutendste Entdeckung über einen Gegenstand, welcher die Naturgeschichte des Meeres beträfe, gemacht habe, ging er aus dem Lande und man kennt heut zu Tage weder Ort noch Zeit seines Todes.
Aber es hält nicht leicht, lebende Korallenstücke zu erhalten. Die Fischer wollen nicht, daß man ihnen folge. Gieb man ihnen Gefäße, um die Korallen gleich beim Fange frisch in Seewasser zu thun, so erfüllen sie den Wunsch meist gar nicht, oder nur unvollkommen. Geht man ihnen zu Schiffe nach, so segeln sie in’s Weite. Auf das eigene Schiff nehmen sie den Forscher nur mit Widerstreben, weil sie fürchten, er verrathe Anderen die guten Bänke. Wer einmal am Meere sich mit naturwissenschaftlichen Studien beschäftigt hat, kennt alle diese Schwierigkeiten. Man muß Jahre lang mit den Fischern umgegangen sein, sie täglich in Verdienst gesetzt haben, bis sie begreifen, daß es ihnen vortheilhafter sei, für fünf oder zehn Francs Quallen und ähnliches, sonst von ihnen verachtetes Zeug zu fangen, als Fische, die ihnen kaum zwei Francs im Tag abwerfen. Aber mit Geduld, Belehrung und Geld überwindet man endlich alle Schwierigkeiten. Sobald die Korallenfischer einmal eingesehen haben, daß es dem Naturforscher nicht um schöne Stücke, sondern weit mehr um lebende, kleine Aestchen zu thun ist, welche für sie keinen Werth haben; sobald sie einmal gesehen, daß der Mann, der ihnen nachgeht, weder die Geheimnisse ihres Handwerks ausbeuten, noch die Bank verrathen will, auf der sie vielleicht reichen Fang machen: so nehmen sie selbst Interesse an den Untersuchungen und machen häufig auf Dinge aufmerksam, die man leicht übersehen könnte.
Endlich hat man es dazu gebracht, einige lebende Endspitzchen, einige kleine, an Steine oder Muscheln befestigte Stämmchen in dem Augenblicke zu erhalten, wo das Netz sie heraufbringt. Man hat ein mit Seewasser gefülltes Gefäß bereit; man taucht die Stückchen hinein, womöglich ohne sie nur mit der Luft in Berührung zu bringen; man schlingt einen Faden oder einen Draht um das gebrochene Ende, das Steinchen oder die Muschel und hängt so das Stämmchen mitten im Glase auf, das man an einen kühlen Ort bringt, denn Hitze und helle Sonnenstrahlen scheut das Gewächs der Tiefe. Und nun heißt es: Warten! Ruhe ist jetzt die erste Bürgerpflicht. Wie man die Schnecke ruhig lassen muß, damit sie endlich ihre Hörner herausstrecke, so auch die meisten jener wunderbaren thierischen Organismen des Meeres, die sich in unglaublichem Grade zusammenziehen und ausdehnen können. Oft dauert es stundenlang, oft wird die Neugierde nach kurzen Minuten befriedigt. Athemlos starrt man auf das keulenförmige, schmutzig-rothe Endchen des Zweiges. Schwillt es nicht an, wird es nicht zusehends dicker? Wahrhaftig! Hier und dort scheint sich auch ein Punkt der Oberfläche warzenartig zu erheben. Die Warze wird auf ihrer Spitze weiß. Die acht feinen, sternförmig gestellten Ritzchen, die man mit der Lupe auf der Warze sehen konnte, dehnen sich aus, stechen durch ihre helle Farbe gegen das Roth der Umgebung ab. Die Sternläppchen der Warze weichen auseinander; ein helles Ding drängt sich dazwischen hervor, wie ein durchsichtiges, mit Wasser gefülltes Bläschen, das zusehends wächst und anschwillt, bis es sich an der Spitze entfaltet, und acht helle, am Grunde breitere, gegen das Ende zugespitzte, blätterartige Arme ausstreckt, die an ihren Rändern mit feinen Fransen umgeben sind. Nun gleicht das ganze Gebilde einer achtblätterigen Glockenblume oder Gentiane und man begreift, daß Marsigli, der diese Wesen zum ersten Male sah, sie für wirkliche Blumen hielt, obgleich er ihre Zusammenziehungen und Ausdehnungen sehr wohl beobachtete.
Es giebt nichts Zarteres in den Farben, nichts Feineres in den Formen, als die mannigfachen, zur Classe der Polypen gehörigen Meerthiere im höchsten Grade der Ausdehnung. So auch das Edelkorall. Es kann kein prachtvolleres, leuchtenderes Roth geben, als die feinen Zacken, welche die Basis des glockenförmigen Polypenleibes umgeben; kein durchsichtigeres Krystallmilchglas als den Leib und die Arme selbst. Ist aber einmal einer der Polypen entfaltet, so folgen alle übrigen rasch nach und bald erscheint ein solches Stämmchen über und über mit Blüthen bedeckt (Fig. 1), so dicht, daß sie sich wechselseitig in ihrer Entfaltung zu hindern scheinen. Blumen sind starr, bewegungslos – hier aber herrscht überall Leben und Bewegung, wenn auch langsam und maßvoll. Ich kann nichts Besseres thun, als die Worte von Lacaze-Duthiers wiedergeben: „Bald scheinen die Arme schmächtig und in die Länge gezogen, sie heben und senken sich, indem sie sich krümmen; bald scheinen sie gerade, ungebogen, kurz und dick. Nicht minder wechselt die Gestalt der kleinen Blumenkrone, denn dieser Name gebührt ihr der Aehnlichkeit wegen; bald gleicht sie einer halbgeöffneten Glocke, deren weiße, zierlich geformte Blumenblättchen einem prachtvoll rothen Kelche entsteigen, bald einer eleganten, verschwimmend gezeichneten Urne, bald einem Rade, dessen acht Speichen mit der größten Regelmäßigkeit ausgestreckt sind. Häufig krümmen sich auch, bei größter Ausdehnung, die Enden der Arme nach außen zurück, so daß der Polyp der Blumenkrone jener Lilie gleicht, die man den Türkenbund nennt.“
Du beobachtest dies Alles, die vielfachen Stellungen, Kürzungen und Biegungen der Arme, mit der höchsten Aufmerksamkeit mit der Lupe, mit dem wagerecht gestellten Mikroskope. Da stößt dein Knie an das Tischlein, die Erschütterung läßt das Glas erzittern – im Nu ziehen sich die feinen Fransen der Arme zusammen, diese krümmen sich gegen die Mitte, neben den dort angebrachten, offenstehenden Mund hinein, die Glocke zieht sich zurück, die rothen Randlappen klappen sich zu und in kürzester Frist hast du nur noch das keulenförmige Aestchen mit den unebenen Warzen vor Augen, welche vor dem Beginn der Ausdehnung sich zeigten. Die Ausdehnung mußt du erwarten, das Zusammenziehen kannst du jeden Augenblick hervorrufen – ja, mit einem feinen Nädelchen oder einer Borste brauchst du diesen oder jenen Polypen nur leise zu berühren, um ihn augenblicklich in seine Zelle zurücktreten zu sehen, während sein Nachbar ungestört bleibt. Offenbar sind es feinfühlende Wesen, und zwar nicht nur gegen Berührung, sondern auch gegen grelles Sonnenlicht und einigermaßen gesteigerte Wärme. Und doch hat unser Scalpell und Mikroskop noch keine Nervenfaser in dem Gewebe ihres Körpers nachweisen können!
So lehrt schon die einfachste Beobachtung die kleinen, blumenähnlichen Thierchen kennen, welche aus dem scheinbar unbelebten Gewebe des Koralls sich entwickeln. Zugleich aber sieht man schon bei diesen kleinen Wesen einestheils das Individuum, anderntheils die Gesammtheit in Thätigkeit. Bei Erschütterung ziehen sich sämtliche Polypen, wie auf ein Commando, in ihre Zellen zurück; wird nur der einzelne Polyp berührt, so crepirt auch nur der einzelne, indem er sich der Unbill zu entziehen sucht.
Trotz der mannigfaltigen Lebensäußerungen, welche diese Polypen kundgeben, ist dennoch ihr Bau höchst einfach. In der [327] Mitte zwischen den Armen steht der kreisförmige, von einer rundlichen Umwallung umgebene Mund, der in einen Sack führt, welcher Alles in Allem, Speiseröhre, Schlund, Magen und Darm ist. Dieser Verdauungssack öffnet sich nach unten in eine weite Höhle, die allgemeine Leibeshöhle, hat aber hier einen Wulst, durch dessen Zusammenziehung die Oeffnung geschlossen werden kann. Er würde frei in dieser Höhle hängen, wenn er nicht durch acht häutige, strahlenförmig gestellte Scheidewände gehalten würde, die einerseits sich an die äußere Haut der Glocke, andererseits an den Verdauungssack festsetzen und erst unter diesen hinab in den Grund der Höhle sich erstrecken. Schneidet man einen Polypen unterhalb des Verdauungssackes quer durch, wie dies in der beistehenden Figur (Fig. 2) dem Polypen 1 geschehen ist, so sieht man die acht strahlenförmig gestellten Scheidewände wie die Speichen eines Rades um eine mittlere Nabe, welche hier dem Platze entspricht, den der Verdauungssack in dem weggeschnittenen Theile einnimmt. Mittels dieser Scheidewände, die man bei den andern längsdurchschnittenen Polypen derselben Figur am Grunde des Verdauungssackes angeheftet sieht, sind in der Höhlung des glockenförmigen Körpers acht Kammern von einander getrennt, in deren vorderen Theil sich die Arme zurückziehen können, die also, wenn der Polyp zurückgeschlupft ist, acht rundliche, im Umkreise des Magensackes in eigenen Behältern liegende Pakete darstellen. So sieht man in dem Längsschnitte des Polypen 2 zu beiden Seiten die zurückgezogenen, durch den Schnitt getroffenen Arme und zwischen denselben die Knopflöchern ähnlichen Oeffnungen, durch welche sie bei der Entwickelung hervortreten.
Die Scheidewände, herbergen die Fortpflanzungsorgane. In ihrem untern Theile entwickeln sich die Eier und die männlichen Organe, die anfangs nicht zu unterscheiden sind. Ihre obere, mehr häutige Hälfte dient zur Befestigung des Verdauungssackes, ihre untere erscheint mehr drüsig, und hier bilden sich die Fortpflanzungsproducte aus. Aber es giebt keine vollkommen strenge Scheidung – meist trägt zwar ein Bäumchen nur männliche, ein anderes nur weibliche Polypen – aber die Fälle kommen auch nicht selten vor, wo ein Ast desselben Bäumchens männliche, ein anderer weibliche Polypen trägt, oder wo auf demselben Aestchen männliche und weibliche Thiere bunt durcheinander stehen, oder endlich, wo derselbe Polyp männliche und weibliche Organe zugleich trägt, also ein vollkommener Zwitter ist. Die Trennung der Geschlechter auf verschiedene Bäumchen ist die Regel, die Zwitterbildung desselben Thieres die seltenste Ausnahme. Die Geschlechtsverschiedenheit ist aber bei diesen niederen Thieren überhaupt nur eine sehr geringe; sie drückt dem Organismus keinen besonderen Stempel auf; der männliche Polyp gleicht dem weiblichen bis in die kleinsten Einzelheiten; nur das Mikroskop kann entscheiden, welchem Geschlechte das Thier zugehört. Wo die Fortpflanzung auch noch auf andere Weise vor sich gehen kann, wird in dem Thierreiche wenigstens die Ausbildung der Fortpflanzungsorgane wohl niemals einen bestimmenden Einfluß auf die Bildung des Gesammt-Organismus ausüben.
Somit hätten wir den einzelnen Polypen in seiner ganzen Einfachheit construirt. Er sitzt fest in der rothen fleischigen Masse, in welcher seine Zelle ausgehöhlt ist; seine Bewegungsorgane, die zurückziehbaren Arme, dienen zugleich zum Erfassen der Nahrung, die in den Mund geführt, im Magen verdaut wird; Fortpflanzungsorgane sind vorhanden, mittelst deren die Art weiter erhalten werden kann, wenn das Individuum dem Gesetze alles organischen Lebens entsprechend abstirbt. Auf diese Weise, mit Empfindung und Bewegung, Ernährung und Fortpflanzung begabt, könnte das Einzelwesen für sich fortbestehen und in der That besteht es, wie wir zeigen werden, im Anfange seiner Entwicklung als Solches, in ähnlicher Art, wie die See-Anemonen oder Actinien, welche jetzt Jedermann kennt, seit sie in den Aquarien der zoologischen Gärten mit so schönem Erfolge gezüchtet werden.
Aber der Korallen-Polyp ist nicht nur ein geselliges Thier, sondern auch Socialist und Communist in der verwegensten Bedeutung des Wortes; nur durch gemeinsame Arbeit vieler, engverbundener Thiere kann der werthvolle Korallenstock aufgebaut werden, den der Mensch aus der Tiefe des Meeres fischt, und diese gemeinsame Arbeit ist nur unter der Bedingung möglich, daß jedes Einzelwesen allen Gewinnst seiner ernährenden Thätigkeit an die Allgemeinheit abgiebt. Jeder Polyp sucht so viele kleine Thierchen als nur möglich zu fangen und zu verdauen, auf den Nahrungssaft, den er aus denselben zieht, hat er das erste unbestreitbare Recht, allein dieser Nahrungssaft gehört nicht ihm allein. Während die unverdaulichen Reste durch den Mund ausgeworfen werden (es existirt hierfür keine besondere Oeffnung), tritt der Nahrungssaft aus der allgemeinen Höhlung des Polypenleibes in mannigfache Canäle über, mittelst deren er sich in der lebendigen Rindensubstanz des Korallenstockes vertheilt und zu allen übrigen Theilen gelangt. Aber – und das bemerke man wohl bei diesem thierischen Communismus – auch hier gilt das Gesetz, daß, wer zuerst kömmt, auch zuerst mahlt – daß, wer Etwas fängt, erst selbst verdaut und zu seinem Nutzen verwendet und nur den Ueberschuß den Anderen zukommen läßt. Ich weiß nicht, ob Schneider Weitling selig dieses Gesetz der Thierwelt auch bei seinen weltverbessernden Plänen hinlänglich berücksichtigte, möchte aber fast daran zweifeln.
Die Gemeinsamkeit liegt in der rothen, dicken, fleischigen Rinde, in welcher die Zellen für die Polypen ausgehöhlt sind. Diese Rinde ist keineswegs nur eine verbindende Haut, welche die Glockenthiere decken und schirmen soll, sie ist ihre wahre Ernährerin und Erzeugerin, das Band, welches das Ganze zusammenhält, und die Geburtsstätte des inneren festen Kernes, der dem ganzen Baume als Stütze dient. Diese Rinde, die um so dicker im Verhältniß zu dem Kerne ist, je intensiver das Leben in dem ganzen Baume waltet, die deshalb an den wachsenden Spitzen der Zweige keulenförmige Anschwellungen bildet, in welchen nur ein feines, festes Zweiglein das innere Skelet darstellt, diese Rinde knirscht unter dem Messer, wenn man sie einschneidet, denn sie enthält eine Menge in verschiedenster Weise zusammengruppirter rother Kalknadeln, die nach und nach zusammenwachsen, um die innere Achse zu bilden. Ihre Substanz selbst scheint aus Fasern zu bestehen, die sich lebhaft zusammenziehen können, und aus einem schleimigen Urgewebe, das dem Rinde- oder Zellgewebe der höheren Thiere entspricht und sich bei allen niederen Seethieren in großer Menge findet. In diesem Gewebe sind nun eine Menge von Höhlen und Canälen ausgegraben, die sich in allen Richtungen kreuzen und mit einander zusammenhängen, so daß jeder Schnitt durch die Rinde, in welcher Richtung er auch geführt werden mag, eine [328] Menge von Hohlräumen sehen läßt, die seltsame Gestalten zeigen. So sehen wir es auf der Figur, wo ein Stückchen lebenden Koralls zuerst durch einen Querschnitt abgetrennt und dann die Rinde durch einen Längsschnitt bis auf den festen Kern gespalten und die beiden Lippen zurückgeschlagen wurden, so daß das Verhältniß der Rinde zum Kern deutlich wird. Diese Netzgefäße der Rinde, welche ihre ganze Dicke durchziehen, und durch Abspülen der faulenden Rinde leicht als selbstständiges Gefäßnetz dargestellt werden können, hängen einerseits überall mit den Höhlungen der Polypen zusammen (siehe in der Figur die Polypen 2 und 3), andrerseits aber mit einer Lage dicker Längsgefäße, welche unmittelbar auf dem rothen Kalkkerne aufliegen, durch Zwischengefäße mit einander verbunden sind und den Kalkkern von allen Seiten umgeben, wie ein Bündel von Drainröhren, die man um einen Baumstamm gelegt hätte. Die Zwischenräume zwischen diesen dicken, tiefen Längsgefäßen sind sehr eng, sie liegen auf dem Kalkkerne auf und drücken sich sogar in denselben ab, so daß alles unpolirte Korall der Länge nach geriefelt erscheint. Alle diese Gefäße sind inwendig mit einer feinen Zellenhaut ausgekleidet, auf welcher mikroskopische Wimpern stehen, welche die in den Gefäßen enthaltene milchige Ernährungsflüssigkeit in stetem Strome umtreiben. Verwundet man die Rinde an irgend einer Stelle, so fließt diese milchige Flüssigkeit aus, der die Fischer unter dem Namen „Korallenmilch“ die merkwürdigsten Beziehungen, namentlich auch zur Fortpflanzung des Koralls, zuschreiben.
So sind denn durch diese von Gefäßen durchzogene Rinde die allgemeinen Beziehungen der Gesammtheit zu den Einzelwesen und zu dem inneren Kerne, dem Korallenstocke, hergestellt. Die Polypen bringen, durch ihre Verdauungsthätigkeit, die Ernährungsflüssigkeit hervor; diese circulirt, durch die Wimpern umgetrieben, in dem complicirten Maschennetze der Gefäße und gelangt zuletzt in die Längsgefäße, welche dem Korallenstocke unmittelbar sich anschmiegen.