Der Schatz des Bauern Smarta
Der Schatz des Bauern Smarta. – Der Wenzel Priszak und der Bogumil Sicherski waren fraglos die größten Halunken in dem böhmischen Dorfe Lehnstein und dessen weiterer Umgebung, soweit diese zu dem Landstrich nach der sächsischen Grenze hin gehörte. Die beiden Genossen hatten von Tugend an so ziemlich alles durchprobiert, was sie mit den Strafgesetzen in Konflikt bringen konnte. Eigentlich waren sie bei diesem Treiben geradezu unverschämt vom Glück begünstigt worden. Denn die paar Monate, die sie in dem nahen Bezirksgefängnis wegen Wilddieberei, Schmuggelns und gelegentlicher kleiner Eigentumsvergehen abgesessen hatten, waren kaum zu rechnen. Der größere Teil ihres Schuldkontos blieb unbeglichen, was sie lediglich ihrer seltenen Gerissenheit verdankten.
In letzter Zeit hatten nun der Priszak und der Sicherski sich so merkwürdig still verhalten und so gesittet gelebt, daß es den Lehnsteiner Bauern, die diese unbequemen Dorfangehörigen nur zu gern für immer auf den Schub nach auswärts gebracht hätten, ganz unheimlich wurde. Über dem friedlichen Orte lag es wie Gewitterschwüle. Aber die Entladung wollte und wollte nicht kommen. Im Gegenteil, die beiden edlen Genossen, die neuerdings mit einem kleinen Eselkarren die Umgebung bereisten und billigen Tand feilhielten, wurden immer solider und mieden schließlich sogar die Wirtsstuben, zu deren regelmäßigsten Gästen sie bisher gehört hatten.
Endlich sickerten doch so allerlei Gerüchte durch, weshalb der Priszak und der Sicherski als solide Handelsleute so fleißig die Lande durchzogen. Diesem und jenem ihrer besten Freunde hatten sie das Geheimnis unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit [213] anvertraut – natürlich aus kluger Berechnung. So wußte denn bald ganz Lehnstein, daß die beiden Burschen in einer alten Bibel, die von ihnen auf ihren Hausiererfahrten eingehandelt worden war, eine geheimnisvolle Zeichnung gefunden hatten, in deren Mitte sich ein rotes Sternchen befand. Und das sei der Ort, wo der im Jahre 1895 plötzlich verstorbene reiche Gutsbesitzer Kulark sein bares Geld vergraben habe, wie auf der Rückseite des vergilbten Papierstückes zu lesen wäre.
Allmählich wob sich um die Personen der der Ehrlichkeit wiedergegebenen Hausierer, die unermüdlich von Ort zu Ort zogen, um das Gelände zu finden, auf das ihre Zeichnung paßte, ein geheimnisvoller Nimbus. Kein Mensch hatte einen Grund, an den Angaben des gebesserten Gaunerpaares zu zweifeln. Tatsächlich war ja im August 1895 der Gutsbesitzer Kulark, ein als reich verschrieener Junggeselle, einsam auf seinem zwei Meilen von Lehnstein entfernten Gehöft gestorben, und weil man damals in dessen Hause fast gar kein Geld aufgefunden hatte, war sofort die Mär entstanden, der Tote müsse seine Schätze vorher irgendwo verscharrt haben.
So standen die Dinge, als eines Abends im Oktober 1912 Priszak und Sicherski sich ganz unerwartet bei Johann Smarta, dem reichsten Bauern von Lehndorf, einfanden. In der guten Stube fand dann bei verschlossenen Türen eine lange Unterredung statt. Die beiden Freunde eröffneten dem begierig lauschenden Bauern, daß sie endlich den Ort entdeckt hätten, wo das Geld des alten Kulark verborgen liege. Bevor sie jedoch nähere Angaben darüber machen würden, müsse Smarta ein Schriftstück unterzeichnen, das sie fertig aufgesetzt mitgebracht hätten.
Smarta las den merkwürdigen Vertrag, durch den er ohne jedes Risiko einen hübschen Batzen Geld verdienen sollte, erst sehr genau durch, bevor er ihn unterzeichnete. Darin stand nämlich, daß er sich verpflichte, mit Priszak und Sicherski den Schatz zu teilen, der auf seinem Grund und Boden an einer Stelle vergraben sei, die die Entdecker ihm nach Vollziehung seiner Namensunterschrift zeigen würden.
Als die kleine Formalität erledigt war, und die beiden [214] Freunde das unterzeichnete Schriftstück in der Tasche hatten, holten sie nun auch die recht vergilbt aussehende Zeichnung hervor, mit deren Hilfe sie nach so langem Suchen den darauf angegebenen Platz entdeckt haben wollten. Smarta ließ sich die Zeichnung erklären und konnte sich gar nicht genug wundern, daß es den beiden geglückt war, sich in all den Strichen und Linien zurechtzufinden. Immerhin ersah er aber aus dem Plan, daß mit dem roten Sternchen auf der Zeichnung tatsächlich nur eine kleine Steinhütte, die seit Jahren von seinem Schäfer und dessen Frau bewohnt wurde, gemeint sein könne. Seine letzten, schon recht schwachen Zweifel an der Aufrichtigkeit der einst so übel beleumundeten Freunde schwanden, als sie ihm mit schöner Aufrichtigkeit versicherten, sie hatten natürlich nie daran gedacht, mit ihm zu teilen, wenn es ihnen möglich gewesen wäre, den Schatz ohne seine Hilfe zu heben. Dies sei aber ausgeschlossen, da die Frau des Schäfers die Hütte nie verlasse, und sie ja auch noch nicht genau wüßten, in welcher der beiden Stuben das Geld versteckt sei. Man würde also vielleicht den ganzen Boden durchwühlen müssen, was immerhin viel Zeit erfordern könnte.
Nichts vermochte Smarta mehr von den ehrlichen Absichten seiner Bundesgenossen zu überzeugen als dieses Zugeständnis, daß sie ihn durchaus nicht etwa aus selbstlosen Gründen ins Vertrauen gezogen hätten. Die drei verabredeten darauf genau alles weitere. Smarta sollte an den folgenden Tagen das Schäferpaar für einige Zeit auf seinem Bauernhofe beschäftigen, und im übrigen sagten sich die drei strengstes Stillschweigen über ihr Vorhaben zu. Man konnte ja nicht wissen, ob es nicht noch irgendwo erbberechtigte Nachkommen des verstorbenen Kulark gab, die vielleicht Ansprüche an den Schatz erheben würden.
Alles ging nach Wunsch. Am nächsten Abend konnten sich die drei Schatzsucher nach Eintritt der Dunkelheit ungestört ans Werk machen. Ihre Vorbereitungen hatten sie in aller Heimlichkeit getroffen, um ja nicht die Aufmerksamkeit der anderen Dorfbewohner zu erregen. Nach vierstündigem Graben stießen sie dann wirklich in der hinteren Kammer der Hütte [215] in einer Ecke auf einen schweren Ledersack, den die Gauner in einem unbewachten Augenblick dort versteckt hatten. Mit fiebernden Händen half Smarta ihn aus dem Loche herausziehen. Man öffnete ihn sofort und fand darin vier weitere kleinere Lederbeutel, die sämtlich, wie die oberflächliche Besichtigung zeigte, österreichische Fünfkronenstücke enthielten. Zur Prüfung reichte der vorsichtige Sicherski dem vor Freude halb verstörten Bauern aus jedem Sacke ein paar der Silbermünzen hin. Dann ging es ans Durchzählen und Teilen, wobei Smarta die qualmende Petroleumlaterne zu halten hatte. Im ganzen waren es genau eintausendundvierzig Fünfkronenstücke, eine Summe, die den Erwartungen der drei Schatzsucher freilich nicht ganz zu entsprechen schien.
Priszak und Sicherski baten den Bauern nun, auch ihren Anteil vorläufig in Verwahrung zu nehmen, wozu dieser sich gern bereit erklärte. Darauf wurde der auf drei Beutel verteilte Fund auf Umwegen nach Smartas Wohnung geschleppt.
Dort angekommen spielte Priszak plötzlich den Ängstlichen. Er möchte doch lieber das ihm und seinem Freunde gehörige Geld mitnehmen, da man nicht wissen könne, ob es bei Smarta auch sicher genug aufgehoben sei, worauf Sicherski seiner Rolle entsprechend äußerte, ihm würde es überhaupt am liebsten sein, wenn sie gleich am nächsten Morgen die Reise nach Hamburg antreten könnten, um von dort nach Amerika weiterzufahren, was sie ja schon längst geplant hätten. – Nur könnten sie sich dabei nicht mit den beiden schweren Beuteln schleppen. Ob Smarta ihnen denn nicht das Silbergeld in Papier einwechseln wolle. Das wäre doch am einfachsten.
Ahnungslos ging der Bauer in die Falle. Da er gerade zwei Tage vorher seine Ernte an einen Händler verkauft hatte, besaß er genug Banknoten, um den Wunsch seiner guten Freunde erfüllen zu können. – Nach herzlichem Abschied verschwanden die beiden Spitzbuben, und Smarta war froh, sie auf immer los zu sein.
Als der Bauer sich nun aber am anderen Morgen beim hellen Tageslicht seinen Schatz nochmals ansah, bemerkte er [216] sofort, daß er schmählich betrogen worden war. Die Kronenstücke waren sämtlich falsch.
Sofort alarmierte Smarta das ganze Dorf und ließ eine Streife nach den beiden Betrügern veranstalten. Die waren aber längst über alle Berge, hatten auch allen Anzeichen nach ihre Flucht vorher gut vorbereitet gehabt. Nun wurde das Bezirksgericht in Graslitz von dem Vorgefallenen verständigt, das sofort den ganzen Polizeiapparat in Bewegung setzte, um des Gaunerpaares habhaft zu werden, was aber erst zwei Wochen später in Wien gelang, wo die beiden in einem Tingeltangel einem Polizeikommissar durch ihre leichtsinnigen Ausgaben auffielen.
Priszak und Sicherski wurden wegen Falschmünzerei und Betrug jeder zu sechs Jahren Kerker verurteilt.