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Der Roßtrapp und der Cretpfuhl

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Textdaten
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Autor: Brüder Grimm
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Titel: Der Roßtrapp und der Cretpfuhl
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aus: Deutsche Sagen, Band 1, S. 411 - 417
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1816
Verlag: Nicolai
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Erscheinungsort: Berlin
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[411]
318.
Der Roßtrapp und der Cretpfuhl.

Behrens Harzwald S. 121 und 130.
Seyfried in medulla p. 428.
Melissantes Orograph. h. v.
Otmar S. 181–186.
Quedlinburger Samml. S. 125–128. 147. 148.

Den Roßtrapp oder die Roßtrappe nennt man einen Felsen mit einer eirunden Vertiefung, welche einige Aehnlichkeit mit dem Eindruck eines riesenmäßigen Pferdehufs hat, in dem hohen Vorgebirge des Nordharzes, hinter Thale. Davon folgende abweichende Sagen:

1) Eines Hühnenkönigs Tochter stellte vor Zeiten die Wette an, mit ihrem Pferde über den tiefen Abgrund, Creful genannt, von einem Felsen zum andern zu springen. Zweimal hatte sie es glücklich verrichtet, beim drittenmale aber schlug das Roß rückwärts über und stürzte mit ihr in die Schlucht hinab. Darin befindet sie sich immer noch. Ein Taucher hatte sie einmal einigen zu Gefallen um ein Trinkgeld so weit außer Wasser gebracht, daß man etwas von der Krone sehen konnte, die sie auf dem Haupt getragen. Als er zum drittenmal dran sollte, wagte ers anfänglich nicht, entschloß sich zuletzt doch und vermeldete dabei: „wenn aus dem Wasser ein Blutstrahl steigt, so hat mich die Jungfrau umgebracht; dann eilet alle davon, daß ihr nicht auch in Gefahr gerathet.“ Wie er sagte, geschahs, ein Blutstrahl stieg auf.

[412] 2) Vor Alters wohnte ein König auf den herumgelegenen alten Schlössern, der eine sehr schöne Tochter hatte. Diese wollte ein Prinz, der sich in sie verliebte, entführen und verband sich dazu mit dem Teufel, durch dessen schwarze Kunst er ein Pferd aus der Hölle bekam. So entführte er sie und beim Uebersetzen von Fels zu Felsen schlug das Roß mit dem Hufeisen dieses Wahrzeichen ein.

3) Eine Königstochter wohnte am Harz und hatte wider den Willen ihres Vaters eine geheime Liebschaft. Um sich vor seinem Zorn zu retten, floh sie, nahm die Königskrone mit und wollte sich in den Felsen bergen. Auf dem Felsen jenseits, gegenüber dem Roßtrapp, sollen noch die Radenägel ihres Fuhrwerks eingedrückt seyn. Sie wurde verfolgt und umringt. Es war keine Rettung übrig als einen Sprung ans andre Ufer zu wagen. Die Jungfrau sah das, da tanzte sie noch einmal zu guter Letzt, als wäre es ihr Hochzeittag und davon bekam der Fels den Namen Tanzplatz. Dann that sie glücklich den großen Sprung; wo ihr Roß den ersten Fuß hinsetzte, drückte sich sein Huf ein, fortan hieß dieser Fels der Roßtrapp. In der Luft war ihr aber die unschätzbare Krone vom Haupt gefallen in einen tiefen Strudel der Bode, davon das Kronenloch benannt. Da liegt sie noch auf den heutigen Tag.

4) Vor tausend und mehr Jahren, ehe noch die Raubritter die Hoymburg, Leuenburg, Steckelnburg und Winzenburg erbauten, war das Land rings um [413] den Harz von Riesen bewohnt, die Heiden und Zauberer waren, Raub, Mord und Gewaltthat übten. Sechzigjährige Eichen rissen sie sammt den Wurzeln aus und fochten damit. Was sich entgegenstellte wurde mit Keulen medergeschlagen und die Weiber in Gefangenschaft fortgeschleppt, wo sie Tag und Nacht dienen mußten. In dem Boheimer Walde hauste dazumal ein Riese, Bodo genannt. Alles war ihm unterthan, nur Emma, die Königstochter vom Riesengebirge, die konnte er nicht zu seiner Liebe zwingen. Stärke noch List halfen ihm nichts, denn sie stand mit einem mächtigen Geiste im Bund. Einst aber ersah sie Bodo jagend auf der Schneekoppe und sattelte sogleich seinen Zelter, der meilenlange Fluren im Augenblick, übersprang, er schwur, Emma zu sahen oder zu sterben. Fast hätt er sie erreicht, als sie ihn aber zwei Meilen weit von sich erblickte und an den Thorflügeln eines zerstörten Städtleins, welche er im Schild führte, erkannte, da schwenkte sie schnell das Roß. Und von ihren Spornen getrieben flog es über Berge, Klippen und Wälder durch Thüringen in die Gebirge des Harzes. Oft hörte sie einige Meilen hinter sich das schnaubende Roß Bodos und jagte dann den nimmermüden Zelter zu neuen Sprüngen auf. Jetzt stand ihr Roß verschnaufend auf dem furchtbaren Fels, der Teufels Tanzplatz heißt. Angstvoll blickte Emma in die Tiefe, denn mehr als tausend Fuß ging senkrecht die Felsenmauer herab zum Abgrund. Tief rauschte der Strom unten und kreiste in furchtbaren Wirbeln. [414] Der entgegenstehende Fels schien noch entfernter und kaum Raum zu haben für einen Vorderfuß des Rosses. Von neuem hörte sie Bodos Roß schnauben, in der Angst rief sie die Geister ihrer Väter zu Hülfe und ohne Besinnung drückte sie ihrem Zelter die ellenlangen Spornen in die Seite. Und das Roß sprang über den Abgrund, glücklich auf die spitze Klippe und schlug seinen Huf vier Fuß tief in das harte Gestein, daß die Funken stoben. Das ist jener Roßtrapp. Die Zeit hat die Vertiefung kleiner gemacht, aber kein Regen kann sie ganz verwischen. Emma war gerettet, aber die centnerschwere goldne Königskrone fiel während des Sprungs von ihrem Haupt in die Tiefe. Bodo, in blinder Hitze nachsetzend, stürzte in den Strudel und gab dem Fluß den Namen. (Die Bode ergießt sich mit der Emme und Saale in die Elbe.) Hier als schwarzer Hund bewacht er die goldne Krone der Riesentochter, daß kein Gelddurstiger sie heraushohle. Ein Taucher wagte es einst unter großen Versprechungen. Er stieg in die Tiefe, fand die Krone und hob sie in die Höhe, daß das zahllos versammelte Volk schon die Spitzen golden schimmern sah. Aber zu schwer, entsank sie zweimal seinen Händen. Das Volk rief ihm zu, das drittemal hinabzusteigen. Er thats und ein Blutstrahl sprang hoch in die Höhe. Der Taucher kam nimmer wieder auf. Jetzo deckt tiefe Nacht und Stille den Ungrund, kein Vogel fliegt darüber. Nur um Mitternacht hört man oft in der Ferne das dumpfe Hundegeheul des Heiden. Der Strudel heißt: der [415] Kreetpfuhl [1] und der Fels, wo Emma die Hülfe der Höllengeister erflehte, des Teufels Tanzplatz.

5) In Böhmen lebte vorzeiten eine Königstochter, um die ein gewaltiger Riese warb. Der König, aus Furcht seiner Macht und Stärke, sagte sie ihm zu. Weil sie aber schon einen andern Liebhaber hatte, der aus dem Stamm der Menschen war, so widersetzte sie sich dem Bräutigam und dem Befehl ihres Vaters. Aufgebracht wollte der König Gewalt brauchen und setzte die Hochzeit gleich auf den nächsten Tag. Mit weinenden Augen klagte sie das ihrem Geliebten, der zu schneller Flucht rieth und sich in der finstern Nacht einstellte, die getroffene Verabredung ins Werk zu setzen. Es hielt aber schwer zu entfliehen, die Marställe des Königs waren verschlossen und alle Stallmeister ihm treu und ergeben. Zwar stand des Riesen ungeheurer Rappe in einem für ihn eigends erbauten Stalle, wie sollte aber eine schwache Frauenhand das mehr denn zehn Ellen hohe Unthier leiten und lenken? und wie war ihm beizukommen, da es an einer gewaltig dicken Kette lag, die ihm statt Halfters diente und dazu mit einem großen Schlosse verwahrt war, dessen Schlüssel der Riese bei sich trug? Der Geliebte half aber aus, er stellte eine Leiter ans Pferd und hieß die Königstochter hinaufsteigen; dann that er einen mächtigen Schwerteshieb auf die Kette, daß sie [416] von einander sprang, schwang sich selbst hinten auf und in einem Flug gings auf und davon. Die kluge Jungfrau hatte ihre Kleinode mitgenommen, dazu ihres Vaters goldne Krone aufs Haupt gesetzt. Während sie nun auf Gerathewohl forteilten, fiels dem Riesen ein, in dieser Nacht auszureiten. Der Mond schien hell und er stand auf, sein Roß zu satteln. Erstaunt sah er den Stall leer, es gab Lärm im ganzen Schlosse und als man die Königstochter aufwecken wollte, war sie auch verschwunden. Ohne sich lange zu besinnen, bestieg der Bräutigam das erste beste Pferd und jagte über Stock und Block. Ein großer Spürhund witterte den Weg, den die Verliebten genommen hatten; nahe am Harzwalde kam der Riese hinter sie. Da hatte aber auch die Jungfrau den Verfolger erblickt, wandte den Rappen flugs und sprengte waldein, bis der Abgrund, in welchem die Bode fließt, ihren Weg durchschneidet. Der Rappe stutzt einen Augeyblick und die Liebenden sind in großer Gefahr. Sie blickt hinterwärts und in strengem Gallop nahet der Riese, da stößt sie muthig dem Rappen in die Rippen. Mit einem gewaltigen Sprung, der den Eindruck eines Hinterhufes im Felsen läßt, setzt er über und die Liebenden sind gerettet. Denn die Mähre des nacheilenden Riesen springt seiner Schwere wegen zu kurz und beide mit gräßlichem Geprassel fallen in den Abgrund. Auf dem jenseitigen Rand stehet die Königstochter und tanzt vor Freuden. Davon heißt die Stätte noch jetzt Tanzplatz. Doch hat sie im Taumel des Sprungs [417] die Krone verloren, die in den Kessel der Bode gefallen ist. Da liegt sie noch heut zu Tag, von einem großen Hunde mit glühenden Augen bewacht. Schwimmer, die der Gewinn geblendet, haben sie mit eigner Lebensgefahr aus der Tiefe zu hohlen gesucht, aber beim Wiederkommen ausgesagt: daß es vergebens sey, der große Hund sinke immer tiefer, so wie sie ihm nahe kämen und die goldne Krone stehe nicht mehr zu erlangen.



  1. d. h. Teufelspfuhl, wie die nördlichen Harzbewohner Kreetkind ein Teufelskind nennen.