Der Ritter-Keller
„Ein armer, aber guter und immer lustiger Mann aus Tilleda richtete einst eine Kindtaufe aus; es war schon die achte. Den Gevattern muste er, nach Sitte, einen Schmaus geben. Der Landwein, den er seinen Gästen vorsetzte, war bald ausgetrunken, und sie forderten mehr. Geh, sagte der lustige Kindtaufsvater zu seiner ältesten Tochter, einem hübschen sechszehnjährigen Mädchen, geh’ und hole uns noch bessern Wein aus dem Keller. – „Aus welchem Keller denn?“ – Je, sagt im Scherz der Vater, aus dem großen Weinkeller der alten Ritter auf dem Kyffhäuser!
Das Mädchen geht, unbefangen in seiner Einfalt, mit einem kleinen Eimer in der Hand, den Berg hinan. – In der Mitte des Berges findet sie, am verfallnen Eingang eines großen Kellers, sitzen eine bejahrte Schaffnerin, in ganz ungewöhnlicher Tracht, mit einem großen Schlüsselbunde an der Seite. Das Mädchen verstummt vor Erstaunen. Doch freundlich fragte die Alte: Gewiß willst du Wein holen aus dem Ritterkeller? Ja, sagte schüchtern das Mädchen, aber, Geld habe ich nicht. „Komm mit mir, sprach die Schaffnerin; du sollst umsonst Wein haben, und bessern Wein, als dein Vater je gekostet hat.“
Sie gingen nun beide durch einen halbverschütteten Gang, und das Mädchen muste erzählen, wie es jetzt in Tilleda aussähe. „Einst, sagte die Alt’ hierauf, einst war auch ich so jung und schmuck, wie du, als mich die Ritter, des Nachts, durch einem Gang unter der Erde, aus dem Hause in Tilleda wegholten, das jetzt deinem Vater gehört. Kurz vorher hatten sie, am hellen Mittag, die vier schönen Jungfern, die hier noch zuweilen auf den prächtig aufgeschirrten Pferden herumreiten, und dann wieder verschwinden, mit Gewalt aus Kelbra entführt, da sie eben aus der Kirche kamen. Mich machten sie, als ich alt wurde, zur Aufseherin des Weinkellers; und das bin ich noch.“
Jetzt standen sie vor der Kellerthür; und die Schaffnerin schloß auf. Es war ein grosser geräumiger Keller, und auf beiden Seiten lagen die Stückfässer. Die Schaffnerin klopft’ an die Fässer. Die meisten waren halb oder ganz voll. Sie nimmt den kleinen Eimer, zapft ihn voll trefflichen Weins, und sagt: „Da, das bring deinem Vater! Und so oft ein Fest in eurem Hause ist, kannst du wieder kommen; aber keinem, als deinem Vater, sage, woher du den Wein hast. Auch dürft ihr keinen Wein verkaufen, umsonst bekommt ihr ihn; umsonst sollt ihr ihn geben! Kommt einmal einer her, der Wein holen will, um damit zu wuchern, dessen letztes Brod ist gebacken!“
Das Mädchen brachte seinem Vater den Wein, der den Gästen trefflich schmeckte, ohne daß sie errathen konnten, woher er kam. – So oft nachmals in dem Hause ein kleines Fest war, holte Ilsabe Wein vom Kyffhäuser, in dem kleinen Eimer. Aber lange dauerte die Freude nicht. Die Nachbaren wunderten sich, woher der arme Mann den herrlichen Wein bekam, der in dem ganzen Lande so gut nicht war. Der Vater sagte es keinem, Ilsabe auch nicht.
Aber gegenüber wohnte der Schenkwirth, der mit verfälschtem Wein handelte. Dieser hatte den Ritterwein auch einmal gekostet, und dachte: den Wein könntest du mit zehnfachen Wasser verdünnen, und doch theuer verkaufen. Er schlich dem Mädchen nach, als es zum viertenmal mit dem kleinen Eimer nach dem Kyffhäuser ging, versteckte sich unter dem Gebüsch, als es stehen blieb, und sah es nach einiger Zeit aus dem Gange, der zu dem Keller führte, mit dem gefüllten Eimer heraus kommen.
Den nächsten Abend ging er selbst den Berg hinauf, und schob, auf einer Karre, die größte leere Tonne, die er hatte auffinden können, vor sich her. Diese dachte er mit dem trefflichen Ritterwein zu füllen, sie des Nachts den Berg herunter zu rollen, und dann alle Tage wieder zu kommen, so lange noch Wein im Keller wäre.
Als er an den Ort kam, wo er den Tag zuvor den Eingang zum Keller gesehen hatte, wurde mit einemmal alles dunkel um ihn her. Der Wind fing an fürchterlich zu heulen, und das Ungethüm warf ihn und seine Karre und seine leere Tonne von einer Felsenmauer zur andern. Er fiel immer tiefer und tiefer, und kam endlich in eine – Todtengruft.
Da sieht er vor sich hertragen einen schwarz behangenen Sarg; und seine Frau, und vier Nachbarinnen, die er an ihrer Kleidung und ihrem Wuchs deutlich erkannte, folgen der Bahre nach. Vor Schrecken fällt er in Ohnmacht.
Nach einigen Stunden erwacht er wieder, sieht sich, zu seinem Entsetzen, noch in der schwachbeleuchteten Todtengruft, und hört, gerade über seinem Kopf, die ihm wohlbekannte Thurmglocke in Tilleda zwölf schlagen. Nun wuste er, daß es Mitternacht war, und daß er sich unter der Kirche und dem Begräbnißplatz seines Dorfes befand. Er war mehr todt als lebend, und wagte es kaum zu athmen.
Siehe! da kommt ein Mönch, und trägt ihn eine lange, lange Treppe hinan, schließt eine Thür auf, druckt ihm schweigend etwas Geld in die Hand, und legt ihn am Fuß des Berges nieder. – Es war eine kalte eisigte Nacht.
Allmählig erholt sich der Schenkwirth, und kriecht, ohne Tonne und Wein, seinem Hause zu. Es schlug Eins, als er es erreichte. Er muste sich sogleich ins Bette legen; und – nach drei Tagen war er todt. Das Geld, das ihm der verzauberte Mönch gegeben hatte, reichte gerade zu seiner Beerdigung hin.“
- ↑ Der Kyffhäuser, oder Kipphäuser-Berg, der Brocken der goldnen Aue, der auf Atern, Sangerhausen, Wallhausen, Rosla, Stollberg u. s. w. herabsieht, hat seinen Namen von der alten Burg, die noch in ihren Trümmern Bewunderung erregt, und Kyff-Haus hieß, welches Wort ohnstreitig: Streitburg bezeichnete, von dem veralteten: kiff maken, d. h. streiten, zanken, das sich noch in „keifen“ erhalten hat. – Am Fuß dieses großen Berges liegen das Städtlein Kelbra, und die Dörfer: Tilleda, Sittendorf, die in diesen Sagen genannt werden.