Der Rabe Noahs
Aengstig blickte der Vater Noah aus seinem schwimmenden Kasten hinaus und wartete, bis die Wasser der Sündfluth fielen. Kaum sahen der Berge Spitzen hervor, als er alles Gefieder um sich rief, aus ihnen einen Kundschafter der Welt zu wählen. „Wer, sprach er, unter euch will mir Bote seyn, ob unsre Rettung nah ist?“ Und siehe, da drängte sich vor allen der Rabe hervor mit seinem Geschrei; nicht aus Treue zu Noah, noch aus Dienstbegier für seine eingeschlossenen Brüder: er witterte nur nach seiner scheußlichen Lieblingsspeise. Kaum war das Fenster geöfnet: so flog er hin und kehrte nicht wieder, der Undankbare vergaß seines Retters und seines Geschäfts; er hing am verwesenden Aase –
Aber die Rache blieb nicht aus. Noch war die Luft von giftigen Dämpfen voll und schwere [236] Dünste hingen über den Leichen; die benebelten ihm sein Gesicht und schwärzten noch dunkler seine dunkeln Federn. Zur Strafe seiner Vergessenheit ward ihm, wie sein Auge, so auch sein Gedächtniß düster; selbst seine neugebohrnen Jungen erkennet er nicht und genießt an ihnen keine Vaterfreude. Erschrocken über ihre Häßlichkeit flieht er hinweg und verlässet sie. Der Undankbare zeugt ein undankbar Geschlecht und muß des schönsten Lohnes entbehren, des Danks seiner Kinder.