Der Rabe (Übersetzung Mautner)
Von
Edgar Poë.
In Versmaß und Reimfolge des Originals aus dem Englischen von
Eduard Mautner.[1]
Mitternacht war’s, öd’ und schaurig,
Müde saß ich da und traurig,
Grübelnd ob vergilbten Blättern, tauchend in der Sagen Meer:
Schon begann ich einzunicken, plötzlich hörte ich ein Picken,
„Ein verspäteter Besucher!“ lallte meine Zunge schwer,
Das allein ist’s und nichts mehr.
O, ich hab’ es wohl behalten:
Im Dezember war’s, im kalten,
Sehnlichst hofft ich von dem Morgen die Erlösung von den Sorgen,
Von dem Kummer, tief geborgen, um das Mädchen rein und hehr;
Die Verklärte, die Lenore, grüßt der Engel sel’ges Heer,
Hier nennt sie kein Name mehr.
Meines seid’nen Vorhangs Rauschen
Es erfüllte mich mit Schauern, ahnungs- und entsetzensschwer;
Zu beschwichtigen dies Bangen, sprach ich scheinbar unbefangen:
„Einlaß will von mir verlangen in mein Zimmer irgend wer,
Das allein ist’s und nichts mehr!“
Endlich konnt’ ich mich ermannen,
Und, um diesen Spuck zu bannen,
Rief ich: „O verzeiht mein Zaudern, schöne Dame oder Herr!
So bescheiden war das Ticken von der Zimmerthüre her,
Daß ich’s kaum vernahm“; hier zog ich rasch zurück den Riegel schwer:
Draußen Nacht und sonst nichts mehr!
In die öde Leere starrend,
Träume träumend so entsetzlich, wie kein Mensch geträumt vorher:
Und das Schweigen ward gebrochen nur durch meines Herzens Pochen,
Wie von Geistermund gesprochen, weht ein Hauch, ein Name her,
Und das Echo gab ihn wieder, diesen Namen rein und hehr,
Wieder rafft’ ich mich zusammen,
All’ mein Wesen stand in Flammen,
In mein Zimmer tretend, hört’ ich pochen lauter als vorher;
„Ruhig“ sprach ich, „will ich bleiben; poch nur an die Fensterscheiben,
Ruhe! Ruhe! zu ergründen dies Geheimniß ist nicht schwer:
’s ist der Wind und ’s ist nichts mehr.“
Siehe da! mit Flattern, Sträuben,
Keinen Augenblick verzog er, seine schwarzen Flügel bog er,
Ueber meine Thüre flog er, nahm den Platz ein, der dort leer,
Auf der Büste der Minerva über meiner Thüre quer,
Flog und saß und that nichts mehr.
Wußt’ mir Lächeln zu entlocken,
Seine Würde war so drollig, daß der Ernst mir ward zu schwer;
Und so rief ich: „Alter Knabe, grimmer, unheimlicher Rabe!
Sage mir, nach welcher Labe trieb die Sehnsucht dich hieher
Krächzt der Rabe: „Nimmermehr“.
Dieses Vogels tolle Launen
Setzten wirklich mich in Staunen,
Denn, ob auch die kurze Antwort nicht besonders inhaltsschwer,
Solchen Vogels Federn wehen, dort, wo noch ein Plätzchen leer,
Auf der Büste der Minerva, über einer Thüre quer,
Mit dem Namen: „Nimmermehr“.
Doch des Raben dunkler Schemen
Gleich als ob sein finstres Wesen ganz an sonst’gem Inhalt leer.
Schweigend starrte er im Kreise, keine Feder regt er leise,
Und ich sprach in trüber Weise: „And’re Freunde floh’n vorher;
Morgen wirst du mich verlassen, wie mein Hoffen floh vorher!“
Wort ist, scheint es, all’ das Deine,
Sonst ist deine rauhe Kehle wohl an Worten gänzlich leer,
Der dich einst besaß, den fingen sicherlich des Unglücks Schlingen,
Bis die Losung der Verzweiflung galt, der Sorgen schwarzem Herr:
Ach! die Losung: Nimmermehr.“
Doch so ernsthaft blieb der Rabe,
Daß ich fast gelächelt habe,
Mich in seinen Sammet senkend, meine Phantasien lenkend,
Blieb ich sitzen, überdenkend: daß es zu errathen schwer,
Was er meint der Todtenvogel, über meiner Thüre quer
Mit dem ew’gen: „Nimmermehr“.
Doch kein Wort kam mir vom Munde,
In mein Herz der Rabe sandte seines Blickes glüh’nden Speer
Und mein Haupt sank wie zerrissen, von dem Ahnen, Träumen, Wissen,
In des Lehnstuhl’s Purpurkissen, Lampenlicht floß d’rüber her;
Wird sie lehnen nimmermehr!
Plötzlich wallt es in den Lüften
Wie von schweren Weihrauchdüften,
Gleich als ob das Rauchfaß schwänge sel’ger Geister lichtes Heer,
Um den ich so brünstig flehte, sendest du Vergessen, Herr?
Soll Lenoren ich vergessen, schlürf’ ich diesen Becher leer?
Krächzt der Rabe: „Nimmermehr“.
Bist Prophet du, bist Versucher, wirbelt dich der Nachtwind her?
Sprich! und ich will mich ermannen, die Verzweiflung will ich bannen,
Die mich grimmig reißt von dannen in des Wahnsinns nächt’ges Meer,
Sage: ist mir Trost beschieden jenseits über’m Sternenheer?“
„Ob du Vogel oder Teufel,
Bist Prophet doch ohne Zweifel,
Nun so sag’ mir bei dem Ew’gen: ist sein weiter Himmel leer?
Oder fühlet Gott Erbarmen, kann, die kalt und todt, erwarmen,
Die Verklärte, die Lenore, grüßt der Engel sel’ges Heer?“
Krächzt der Rabe: „Nimmermehr“.
Schnell empor riß Zorn und Haß mich:
„Vogel, Teufel! jetzt verlaß mich,
Keine Feder lasse liegen, Einsamkeit soll mich umschmiegen,
Und dein Lügenwort verfliegen; laß der Thüre Balken leer,
Nimm die Kralle mir vom Herzen, laß der Thüre Balken leer!“
Krächzt der Rabe: „Nimmermehr“.
Sitzt noch immer, immer, immer
Auf der Büste der Minerva über meiner Thüre quer;
Seine starren Augen funkeln wild dämonisch gleich Karfunkeln,
Auf den Teppich seinen dunkeln Schatten wirft die Lampe her;
Sich erheben nimmer mehr.
- ↑ Nachdruck nicht gestattet.