Zum Inhalt springen

Der Proceß der Frau Jerome-Patterson

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Proceß der Frau Jerome-Patterson
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 111–112
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[111] Der Proceß der Frau Jerome-Patterson macht gegenwärtig in Paris großes Aufsehen. Fast alle Zeitschriften haben einiges darüber berichtet. Den Zeitungsredacteuren in Paris ist der Zutritt zum Civiltribunal, vor welchem der Proceß verhandelt wird, untersagt und wir haben deshalb keine Aussicht die volle Wahrheit desselben zu erfahren; ohnedies wäre den französischen Zeitschriften nicht gestattet, die ganze Wahrheit in dieser Angelegenheit aufzudecken.

Der Gegenstand dieses Processes ist eine bei dem Tribunale erster Instanz des Seinedepartements von Jerome Bonaparte Patterson und seiner Mutter eingereichte Klage auf Betheiligung bei der Hinterlassenschaft des gestorbenen Jerome, früheren Königs von Westphalen, gegen den Prinzen Napoleon, als den alleinigen Erben seines Vaters.

Jerome hatte 1803 in Amerika eine Heirath eingegangen mit Mary Elisabeth Patterson. Jerome Bonaparte Patterson ist der Sohn dieser Ehe. Diese Heirath wurde durch Napoleon unter dem 11. und 30. Ventose des Jahres XIII der französischen Republick annullirt und endlich wurde ihr auch durch zwei Sentenzen des kaiserlichen Familienrathes vom 4. Juli 1856 und 5. Juli 1860 jede rechtliche Wirkung bestritten und anerkannt, daß es bei den Verhältnissen dieser Angelegenheit selbst dem Vertheidiger dieser Ehe nicht gestattet sein könne, sich der in Art. 201 und 202 des Code Napoleon (der in Frankreich noch allgemeine und vollständige Gültigkeit hat) eingeräumten Vortheile zu bedienen, wonach den nichtigen Heirathen die bürgerliche Wirkung verbleibt, wenn sie in gutem Glauben eingegangen wurden.

Ob und wie weit Frau Jerome-Patterson und deren Sohn vor dem französischen Tribunal Recht bekommen werden, läßt sich nicht voraussagen; in wie weit ihr Recht begründet ist, läßt sich nur aus der Geschichte dieser Ehe abwägen. Nicht Allen dürfte sie in ihren Einzelheiten hekannt sein.

Nachdem Jerome in Paris kaum das Knabenalter zurückgelegt hatte, bestimmte er sich für den Seedienst. Daß er den Handel erlernt habe und von seinen Eltern dazu bestimmt sei, ist nicht der Fall, so allgemein es auch angenommen wird. Nach mehreren unbedeutenden Zügen im mittelländischen Meere ging er als Schiffslieutenant nach Amerika. Hier stieg er, wenn auch nicht durch sein Verdienst, zum Schiffscapitain. Er lebte abwechselnd in Boston, Washington und Baltimore. Er hielt sich länger in Amerika auf, als in der Absicht seines Bruders lag, der mehrere Male an den Generalconsul der französischen Republik in Amerika, Pichon (früher Advocat in Paris, später westphälischer Staatsrath), den Befehl sandte, daß die französischen Fregatten und Jerome zurückkehren sollten.

Jerome weigerte sich, und Pichon sandte die Schiffe ohne ihn zurück. Darüber zerfiel Jerome mit ihm, der mit einem schönen jungen Mädchen Mary Elisabeth Patterson, der Tochter eines reichen Kaufmanns und Banquiers in Baltimore, ein Liebesverhältniß angeknüpft und, um den Vater für sich zu gewinnen, selbst Kaufmann zu werden beschlossen hatte.

Elisabeth’s Vater war auch jetzt noch gegen eine Verbindung mit Jerome, da dieser weder körperlich noch geistig irgend eine ihn auszeichnende Eigenschaft besaß und ohne alle Existenzmittel war.

Jerome suchte den Vater seiner Geliebten durch die Vorspiegelungen der Macht, welche sein Bruder in Frankreich besaß, zu gewinnen. Er versöhnte sich durch Le Camus (nachheriger westphälischer Minister-Staatssecretair, Graf von Fürstenstein) Vermittlung mit Pichon, redete diesem vor, er habe jede Verbindung mit Elisabeth Patterson abgebrochen und sei entschlossen, nach Frankreich zurückzukehren. Er bat ihn um einen Vorschuß von 30,000 Franken, und Pichon war gutmüthig genug, sie zu geben. Jerome drang nun mit aller Ueberredung in Elisabeth’s Vater, seine Einwilligung zu geben. Er erhielt sie, und schon drei Tage nachher, am 27. December 1803 feierte er seine Verbindung mit der schönen, unschuldigen und mit dem vollsten Vertrauen an ihn glaubenden Elisabeth. –

Napoleon hatte sich zum französischen Kaiser proclamirt und hatte, um seine Macht zu verstärken und auf die Dauer zu sichern, den Plan gefaßt, seine Brüder zu französischen Prinzen zu erheben und mit Prinzessinnen zu vermählen. Er schrieb diesen Plan auch an Hieronymus und fügte den Befehl hinzu, seine rechtmäßige Gattin zu verlassen und nach Frankreich zurückzukehren.

Jerome theilte seiner Frau und deren Eltern mit, daß er nach Frankreich zurückkehren müsse und welche hohe Stellung ihn dort erwarte. Elisabeth’s Eltern erschraken.

Sie sahen das Geschick ihrer Tochter im Geiste voraus. Bekannte theilten ihre Besorgniß. Jerome hatte schon damals den Entschluß gefaßt, seine Gattin zu verlassen, dennoch suchte er bei ihr und ihren Eltern jede Besorgniß zu verscheuchen. Er schwor, daß er sie ewig lieben und nie verlassen werde, und es wurde ihm nicht schwer, Elisabeth, die ihm vertraute, zu überreden, ihm zu folgen. Ihre Eltern waren untröstlich – sie wollte ihr Geschick an das ihres Mannes knüpfen und folgte ihm, auf das Reichste von ihren Eltern ausgestattet.

Das Schiff landete nach glücklicher Fahrt im Hafen von Lissabon. Nach einem kurzen Aufenthalte dort sagte Jerome, den bezahlte Lügner bei seiner Grabrede „den edlen“ nannten, daß er nach Paris vorauseilen wolle, um alle Vorbereitungen für ihren Empfang zu treffen. Sie suchte ihn zurückzuhalten, sie sah ihrer Niederkunft entgegen und bedurfte seines Schutzes in dem fremden Lande doppelt.

Mit Lügen suchte er sie zu überzeugen, daß er zuerst allein nach Paris reisen müsse, er gab ihr die heiligsten Schwüre, daß er in kurzer Zeit wiederkehren werde, um sie zu holen. Er reiste ab – sie hatte ihn zum letzten Male gesehen. Nur mit einigen Dienerinnen blieb sie allein, ohne Schutz zurück. Keine Nachricht, selbst nicht einmal einen Brief erhielt sie von dem „edlen“ Jerome.

Endlich, durch Schmerz und Angst zur Verzweiflung getrieben, faßte sie den Entschluß, um die Gewißheit ihres Geschickes zu erfahren, mit ihren Dienerinnen nach Frankreich überzuschiffen. So kam sie auf dem Texel an, froh ihrem Ziele so nahe zu sein. In größter Eile wollte sie Paris zu erreichen suchen – da wurde dem amerikanischen Schiffe, welches sie trug, die Landung verboten. Auf Napoleon’s oder Jerome’s Willen waren durch den Polizeiminister die französischen, holländischen und spanischen Häfen für Elisabeth verschlossen. Ihr „edler“ Gatte ließ ihr sagen, daß sie nicht landen dürfe, daß sie nach Amerika zurückkehren möge.

Vergebens bat sie, nur in einem kleinen Dorfe Hollands ihre Niederkunft abwarten zu dürfen; vergebens verwandten sich in Amsterdam anwesende Amerikaner für die unglückliche, verlassene Frau, das roheste Herz wurde durch Jerome’s Verfahren empört, nur sein eigenes nicht.

Elisabeth wandte sich nach England, wo sie gastfreundlich aufgenommen wurde. Nach ihrer Niederkunft kehrte sie zu ihren Eltern zurück – arm, denn ihr Eigenthum hatte Hieronymus mit sich genommen.

Um die Trennung dieser Ehe herbeizuführen, nöthigte der „edle“ Mann seine Mutter zu der Erklärung, daß die Verbindung ohne ihre Einwilligung Statt gefunden habe. Sodann verordnete er durch einen kaiserlichen Erlaß, daß die Verbindung nicht in das officielle Verzeichniß eingetragen werde. Ferner ersuchte er das Oberhaupt der von ihm in Frankreich wieder eingeführten katholischen Kirche, die Ehe zu annulliren. Doch der Papst gehorchte ihm nicht. Glücklicher war Napoleon Bonaparte im folgenden Jahre, 1806, wo der Erzbischof von Paris sich bewegen ließ, die Ehe und das derselben entsprossene Kind (Jerome) für ungesetzlich zu erklären. Hierauf heirathete der „edle“ Jerome die Prinzessin Mathilde von Würtemberg und zeugte mit ihr den Prinzen Napoleon und die Prinzessin Mathilde. Nichtsdestoweniger sah er seine erste Frau und deren Sohn noch später als zur bonapartischen Familie gehörend an. Denn, als er König von Westphalen geworden war, verlangte er von seiner ersten Frau den Sohn, um ihn seinem Range und seiner Geburt gemäß zu placiren, konnte ihn aber nicht erhalten. Die amerikanische Madame Bonaparte war zwar von der Legislatur Maryland’s von ihrem Manne, der sie böswillig verlassen hatte, getrennt, doch geschah dies vorbehaltlich ihrer und ihres Sohnes Rechte. Als Madame darauf von 1809 bis 1829 in Europa zubrachte, wurde sie nicht nur von allen Mitgliedern der durch den Sturz des Tyrannen inzwischen etwas bescheidener gewordenen Bonaparte-Familie als Verwandte aufgenommen, ihr Sohn sollte auf verabredetermaßen nach einem nicht zur Ausführung gekommenen Plane die Tochter Joseph Bonaparte’s, weiland Königs von Spanien, ehelichen. Der jüngere Jerome heirathete hernach eine Amerikanerin und erhielt sodann von seiner Großmutter, der Madame Letizia, ein Beglückwünschungsschreiben, worin er „Mein lieber Sohn“ angeredet war. Andere Mitglieder der Bonaparte-Familie beglückwünschten ihn auf ähnliche Weise. Ingleichen erhielt er entsprechende Beglückwünschungsschreiben bei der Geburt eines Sohnes. Bei der Vermählung der Prinzessin Mathilde mit dem Fürsten Demidoff im Jahre 1840 zeigten ihm Prinz Jerome, Fürst Demidoff und die Prinzessin [112] Mathilde und andere bonapartische Verwandte dieses frohe Ereignis in den herzlichsten Ausdrücken, begleitet von innigen Grüßen an die Frau Gemahlin und das Kind, an. 1837 wurde ihm sogar die Freude zu Theil, daß er einen jetzt hoch über Recht und Gesetz erhabenen Retter als Gast bei sich bewillkommnen durfte. Louis Napoleon Bonaparte hatte nämlich damals in Straßburg den verunglückten Versuch gemacht, durch die Gnade Gottes und den Willen des Volkes Kaiser der Franzosen zu werden, und wurde von Louis Philipp auf dem französischen Staatsschiffe Andromeda nach Newyork in die Verbannung geschickt. Da er nicht viele Geldmittel besaß, nahm er es mit der Verwandtschaft nicht sehr genau und suchte in der Erwartung, eine vetterliche Aufnahme zu finden, den Sohn der Miß Patterson auf. Dieser gewährte ihm den gehofften freundschaftlichen Empfang und lud ihn ein, in seinem Hause zu wohnen, was Louis Napoleon auch mit der größten Bereitwilligkeit annahm. Als darauf nach dem Scheitern des Boulogner Streiches (1840) der Staatsstreich vom 2. December 1851 gelungen war, stattete der amerikanische Jerome einen Gegenbesuch in Paris ab. Es schien auch, als ob Louis Napoleon seiner Verpflichtung, die er sich im amerikanischen Exil zugezogen habe, eingedenk wäre. Denn sowie Jerome angekommen war, empfing er eine Einladung als „Prinz Jerome“, und beim Eintritt in den Palast des Herrschers erhielt er von diesem eine geschriebene Erklärung, daß er ein gesetzliches Kind sei. Diese Erklärung gab jedoch Anlaß zu bedauerlichen Auftritten, Ränken und Händeln in der kaiserlichen Familie, weil jetzt der Sohn der Prinzessin Mathilde sich durch den Sohn der Miß Patterson den Rang abgelaufen sah. War der Amerikaner ein gesetzliches Kind, so mußte der Prinz Napoleon ein ungesetzliches Kind sein und später, wie auch die Prinzessin Mathilde, um seine Erbschaft gebracht werden. Ruhe und Frieden könnten nimmer wieder in das olympische Leben der Kaiserfamilie einziehen, wenn nicht der amerikanischer Störenfried zurück in die Urwälder geschickt wurde.

Der Prinz Napoleon und die Prinzessin Mathilde, die beiden bedrohten Kinder des alten Jerome, baten daher den Kaiser und den Familienrath, daß dem Plebejer untersagt werde, inskünftige den Namen Bonaparte zu führen, und Louis Napoleon, der jetzt nicht wieder in’s Exil nach Newyork zu kommen hofft, schickte das räudige Schaf der Familie in’s Land des Kolumbus zurück. Man glaubte, hierdurch sei der widrige Streit am besten und schnellsten beigelegt. Obendrein bot man mehrmals dem Amerikaner, um nicht in Zukunft von ihm belästigt zu werden, einen Herzogstitel an; aber derselbe schlug in einer Sache, wo es sich um eine Kaiseranwartschaft handelte, die ihm zugedachte Ehre immer großmüthig aus.

Der Tod des alten Jerome hat den bedauerlichen Zwist aufgefrischt. Miß Patterson und ihr Sohn Jerome haben eine Erbschaftsklage anhängig gemacht, verlangen die Aufnahme eines Inventars und beantragen die gesetzliche Theilung des Jeromistischen Erbes. Gewinnt der Amerikaner den Proceß, so werden der Prinz Napoleon und die Prinzessin Mathilde zu ungesetzlichen Kindern gemacht, denn sie sind in den Jahren 1806 bis 1812 geboren, in einer Zeit also, wo der Prinz Jerome noch nicht auf gerichtliche Weise von seiner ersten Frau geschieden war. Wie wird das unter dem Kaiser stehende Gericht in dieser kitzligen Angelegenheit entscheiden? Was wird die Mehrheit der Bonaparte-Familie und der Familienrath für räthlich finden?

Der „Moniteur“ hat schon gesprochen. Es giebt nur den einen gesetzmäßigen Erben, den Prinzen Napoleon, und der amerikanische Plebejer hat Unrecht. Unrecht hat er allerdings, wenn ein Kaiser, mächtiger als der Allmächtige, Recht in Unrecht verwandeln, Geschehenes ungeschehen machen und die Mitglieder des obersten Gerichtshofs in seine Lakaien verwandeln kann.

Die Hinterlassenschaft Jerome’s ist beiläufig sehr bedeutend. Wo sie und wie sie erworben ist, wissen alle die, welche die Geschichte seines westphälischen Königthums kennen.