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Der Philanthrop

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Textdaten
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Autor: Heinrich Heine
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Titel: Der Philanthrop
Untertitel:
aus: Vermischte Schriften.
Erster Band
.
S. 173–177
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Hoffmann und Campe
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Erscheinungsort: Hamburg
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Quelle: Heinrich-Heine-Portal und Scans auf Commons
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[173]
XII.
Der Philanthrop.


     Das waren zwei liebe Geschwister,
Die Schwester war arm, der Bruder war reich.
Zum Reichen sprach die Arme:
Gieb mir ein Stückchen Brod.

5
     Zur Armen sprach der Reiche:

„Laß mich nur heut in Ruh.
Heut geb’ ich mein jährliches Gastmahl
Den Herren vom großen Rath.

     Der Eine liebt Schildkrötensuppe,

10
Der Andre Ananas,

Der Dritte ißt gern Fasanen
Mit Trüffeln von Perigord.

[174]

     Der Vierte speist nur Seefisch,
Der Fünfte verzehrt auch Lachs,

15
Der Sechste, der frißt Alles,

Und trinkt noch mehr dazu.“

     Die arme, arme Schwester
Ging hungrig wieder nach Haus;
Sie warf sich auf den Strohsack

20
Und seufzte tief und starb.


     Wir müssen alle sterben!
Des Todes Sense trifft
Am End’ den reichen Bruder,
Wie er die Schwester traf.

25
     Und als der reiche Bruder

Sein Stündlein kommen sah,
Da schickt’ er zum Notare
Und macht sein Testament.

     Beträchtliche Legate

30
Bekam die Geistlichkeit,

Die Schulanstalten, das große
Museum für Zoologie.

[175]

     Mit edlen Summen bedachte
Der große Testator zumal

35
Die Judenbekehrungsgesellschaft

Und das Taubstummen-Institut.

     Er schenkte eine Glocke
Dem neuen Sanct-Stephansthurm;
Die wiegt fünfhundert Centner

40
Und ist vom besten Metall.


     Das ist eine große Glocke
Und läutet spat und früh;
Sie läutet zum Lob und Ruhme
Des unvergeßlichen Manns.

45
     Sie meldet mit eherner Zunge,

Wie viel er Gutes gethan
Der Stadt und seinen Mitbürgern
Von jeglicher Confession.

     Du großer Wohlthäter der Menschheit

50
Wie im Leben, soll auch im Tod

Jedwede deiner Wohlthaten
Verkünden die große Glock’!

[176]

     Das Leichenbegängniß wurde
Gefeiert mit Prunk und Pracht;

55
Es strömte herbei die Menge,

Und staunte ehrfurchtsvoll.

     Auf einem schwarzen Wagen,
Der gleich einem Baldachin
Mit schwarzen Straußfederbüscheln

60
Gezieret, ruhte der Sarg.


     Der strotzte von Silberblechen
Und Silberstickerein;
Es machte auf schwarzem Grunde
Das Silber den schönsten Effect.

65
     Den Wagen zogen sechs Rosse,

In schwarzen Decken vermummt;
Die fielen gleich Trauermänteln
Bis zu den Hufen hinab.

     Dicht hinter dem Sarge gingen

70
Bediente in schwarzer Livree,

Schneeweiße Schnupftücher haltend
Vor dem kummerrothen Gesicht.

[177]

     Sämmtliche Honoratioren
Der Stadt, ein langer Zug

75
Von schwarzen Paradekutschen,

Wackelte hinten nach.

     In diesem Leichenzuge,
Versteht sich, befanden sich auch
Die Herren vom hohen Rathe,

80
Doch waren sie nicht complet.


     Es fehlte Jener, der gerne
Fasanen mit Trüffeln aß;
War kurz vorher gestorben
An einer Indigestion.