Der Pfingstlotter
Warum sie sich doch gar so feind waren, die zwei jungen Leute! Sie lebten nicht beisammen, sie waren nicht miteinander verwandt, sie hatten miteinander nichts zu thun, sie waren sich ganz fremd, ja miteinander nicht einmal verheirathet – und doch die große Feindseligkeit! Er war der Jungbauer des Zeiselhofes und ging sie nichts an; sie war Wiesendirn beim Teutbauer und ging ihn nichts an. – Daß beide jung, sauber und frisch, ist denn das eine Ursach, sich spinnefeind zu sein?
Der Zeiselhof und das Teutbauernhaus lagen weit voneinander ab, es zog sich zwischen beiden eine tiefe Schlucht, in welcher Dornsträucher wuchsen, gleichsam, als wollte die Natur selbst mit scharfen Ruthen winken: Jungleute! bleibt euch einander vom Leibe! Doch am Sonntage kamen die Leute zusammen auf dem Dorfplatze und in der Kirche – und da war der Teufel los.
Das einemal drängte der Gregel, der Zeiselsohn, sich wie zufällig an der Susi, der Teutbäuerischen, vorüber und trat ihr wie zufällig auf die Zehen. „Auweh!“ fühlte sie, „Auweh!“ dachte sie, aber „Auweh!“ schrie sie nicht. – Wart’ nur, mein lieber Gregel, es kommt der zahlende Tag! – Einstweilen hing sie ihm Spottnamen an, und das sei ein jämmerlicher Zwerg, der den armen Mädeln auf die Zehen steigen müsse, um in die Welt gucken zu können. Ein anderes Mal versetzte er ihr einen gelinden Ellbogenstoß, der zwar nicht wehthat und doch wieder wehthat, weil er höchstwahrscheinlich in der Absicht gegeben war, daß er wehethun sollte. Im Gedränge erwischte sie seinen Hut, that heimlich die Hahnenfeder herab und steckte dafür eine Brennessel hinauf. Der Gregel sah die Missethäterin nicht, ahnte sie aber, und bei einer nächsten Gelegenheit steckte er ihr eine handvoll Sägespäne am Nacken hinter das Kleid hinab.
„Zeiselbua! Zeiselbua!“ schrie sie ihm zornglühend ins Gesicht. – Zeiselbua! Zeiselbua! hallte es noch lange nach in ihrem bitteren Herzen. Und auf einmal wurde in der Gegend folgendes Liedchen gesungen:
„Zeiselbua! Zeiselbua!
Zeiselbua Gregel!
Er spannt drei Paar Ochsen zsamm’,
Fahrt um zwei Vögel!“
Und wie nach solchen Tücken und Torten ihre Blicke sich begegneten! Herrgotts Kreuz! War das ein Feuer in den Augen! Wenn das nicht gut bewacht wird, wenn es jählings losbricht …!
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[338] Einmal war im Sternstammhofe ein Brechelfest. Von der Nachbarschaft waren die jungen Leute zusammengeladen worden zum Flachsbrecheln und zu einem Tanz am Abende. Vor dem Tanz war eine Mahlzeit, bei welcher Weinbeersterz aufgetragen wurde. Die Wiesendirne Susi war auch anwesend und der Zeiselhofer Gregel war ebenfalls vorhanden, und der Gregel wußte, daß die Susel den Weinbeersterz so gern esse. Vor dem Essen entwendete er ihr den Blechlöffel, feilte ihn heimlich am Halse zum größten Theile durch, und als sie nachher ihren Löffel zur Hand nahm und harmlos mit demselben in die Weinbeersterzschüssel fuhr, hatte sie auf einmal nur den Stiel in der Hand und die Schaufel stak losgebrochen im Sterz. Das Gelächter war erschütternd, die Tischnachbarn wollten sie entschädigen und ihr mit den eigenen Löffeln Sterz in den Mund führen. Die Susi aber sagte trotzig, sie könnte sich schon selber ernähren, nahm einen andern Löffel, that, als kümmerte sie sich nicht um den Spott, der ihren Schaden begleitete, aß tapfer drauf los und dachte: „Weiß es recht gut, wer mir’s gethan hat. Wir wollen schon einmal abrechnen, falsches Bübel!“
Nicht lange hernach war Kirchweih. Der Gregel stand in Hemdärmeln, denn so einem Burschen ist immer warm, vor einer Bude und feilschte um eine Tabakspfeife; das Rauchen thut ihm zwar nicht gut, aber endlich wird es doch gelernt werden müssen, sonst glauben die Weibsbilder, er könne nichts vertragen. Das Gedränge war groß, und als der Bursche sich aus demselben hervorgewunden hatte, um ins Wirthshaus zu gehen, merkte er auf einmal, daß ihm sein Beinkleid niederwärts rutschte. Waren ihm unversehens die Hosenträger abgezwickt worden, und nun mußte er zum Gaudium der Leute das flüchtige Kleidungsstück mit den Händen halten, bis die Wirthin ihm mit frischen Banden zu Hilfe kam.
Der Gregel ahnte den Feind sofort. Und zum Ueberfluß rief ein Kamerad: „Du, das schaut der Teutbauerndirn gleich! Willst Du Dir das gefallen lassen? Der wollen wir aber doch auch einmal etwas anthun, komm!“
„Was geht Dich die Teutbauerndirn an!“ brauste der Gregel auf. Mit funkelndem Auge und mit geballten Fäusten stand er vor dem unternehmungslustigen Kameraden, daß dieser schwieg und sich verzog.
Wenige Monate später war Nikolausabend. Als die Susi in ihre Kammer ging und sich ins Bett legte, that sie einen Schreckruf. Im Bette raschelte es, Knoten und Knollen rollten durcheinander, und bei Lichte zeigte sich’s, das Bett war voller Nüsse. Jetzt, das war eigentlich kein Unglück, Nüsse naschen, das that sie gerne, und den Nikolo, der ihr sie gebracht hatte, glaubte sie auch zu errathen. Sie untersuchte nur noch die Kammer, ob sich am Ende nicht auch etwas anderes vorfinde – gottlob, das war nicht. Auch vor ihrem Dachfenster keine Leiter. Sie verschloß sorgfältig die Thür, begann Nüsse zu knuspern und schmiedete Rachepläne gegen den muthwilligen Störer ihrer nächtlichen Ruhe.
Die Leser bangen wohl nicht mit Unrecht davor, daß aus solchem Verhältnisse sich allmählich eine förmliche Blutrache herausbilden werde. Und in der That, die Susi wie der Gregel hatten kaum mehr einen andern Gedanken als den, was sie einander zufügen könnten. Den Winter über war wenig Gelegenheit, nur daß bei dem Faschingball der Gregel die Susi auf der Bank sitzen ließ und mit einem alten Weibe tanzte. Dafür schickte sie ihm nachher ein schön rothgefärbtes Osterei, dessen Inhalt aber schlotterte, weil es vom vorigen Jahr war. Am ersten Mai schickte ihr der Gregel einen großen Maibuschen; aber anstatt Bänder und Blumen waren dürre Besen dran.
Nun kamen die Pfingsten. Und da giebt es im Lande einen wunderlichen Brauch. Wer an Pfingstmorgen den Sonnenaufgang verschläft, dem setzen die Dirndeln einen Strohkranz aufs Haupt und rufen ihn als „Pfingstkönig“ oder „Pfingstlucken“ oder „Pfingstnudel“ aus.
Die Susi, der keine Schwäche ihres Feindes entging, wußte auch, daß der Gregel an Sonn- und Feiertagen, wenn er sein eigener Herr war, gerne ein Stündchen über die Zeit im Bette duselte, um sich zu entschädigen für das Frühaufstehen an Werktagen. Also blieb die Susi in der Pfingstnacht wach und flocht einen schönen Strohkranz. Und als er fertig war, rief sie mehrere Genossinnen zusammen und ging mit ihnen im Morgengrauen hinüber zum Zeiselhof. Eine Dienstmagd dieses Hofes übte Hochverrath, und sie schlichen sich vorsichtig in das Gelaß, in welchem der Gregel thatsächlich noch süß schlief. Ganz sachte, sachte legte sie ihm den Strohkranz aufs Haupt und befestigte ihn noch mit einem Bändchen. Dann zog die Susi eine Schere hervor und schnitt dem schlummernden Burschen den Schnurrbart weg, aber nur auf der einen Seite, auf der andern ließ sie ihn stehen.
Als solches vollbracht war, schlichen sie kichernd wieder davon. Und als sie vor dem Hause standen und die Sonne emporstieg über den waldzackigen Bergen, huben sie an zu rufen: „Pfingstlucken! Pfingstlucken!“ Und um die Wette mit ihnen schrieen, sangen die Vögel in den blühenden Kirschbäumen und auf den Giebeln des Hofes.
Jetzt erwachte der Gregel. Er richtete sich auf, da gewahrte er den Strohkranz; den riß er rasch vom Haupte, und sein erster Gedanke war: „Das hat sie mir gethan!“ Wollte trotzig den Schnurrbart spitzen und fand nur mehr die eine Hälfte. – „Susi, Susi, diese Ernte wird Dir theuer zu stehen kommen!“ – Er schnitt sich die andere Hälfte seiner Manneszier weg, zog sein Feiertagsgewand an, ging in die Kirche und that, als ob nichts geschehen wäre.
Unter solchen und ähnlichen Begebenheiten verging die Zeit. Der Zeiselhofersohn aber hegte unheimliche Pläne. Was geschieht, wenn am Pfingstsonntage der Knab zu lange schläft, das haben wir gesehen. Wie aber, wenn das Dirndl den Sonnenaufgang verduselt in seinen Kissen? Giebt es dafür kein Gericht? O ja, ein noch viel strengeres. Uralter Brauch in der Gegend ist folgender: wenn am Pfingstsonntage das Dirndel den Sonnenaufgang verschläft, so kommen die Nachbarsburschen mit einer aus Stroh und Lappen hergestellten Puppe, die einem zerfetzten Vagabunden ähnlich sieht und lebensgroß ist. Diese Gestalt, der „Pfingstlotter“ genannt (Lotter bedeutet auch so viel als wilder Liebhaber), hängen sie vor dem Fenster der Langschläferin an einen Baumast zum ewigen Spotte. Denn heilig ist die Morgenstunde der Pfingsten, sie ist voller Herrlichkeit und voller himmlischer Gnaden – kein Sterblicher sollte sie verschlafen! Und wer sie verschläft, für den hat das Volk Hohn und Spott, und der Gregel ergreift freudig diese Sitte, um an seiner so bösartigen Gegnerin die Schmach des Strohkranzes zu rächen.
Als wieder Pfingsten kam, trug sich folgendes zu: in der Nacht ging der Gregel gegen das Teutbauernhaus, lehnte eine Leiter an das Dachfenster, hinter welchem die Susi schlief, und verhüllte das Fenster behutsam mit einem alten Lappen. Dann lud er mehrere Kameraden ein, ihm den „Pfingstlotter“ herstellen zu helfen. Fleisch und Blut und Knochen aus Holzstangen und Stroh, Kleidung aus alten Lumpen, so erschufen sie den Lotter und hingen ihn an den Lindenbaum, der vor dem Fenster Susis stand. Den Nachbarsburschen und -dirnen blieb das Unternehmen nicht unbekannt, sie standen früh auf und versammelten sich um den Teutbauernhof.
Die Susi war zeitig erwacht und wunderte sich, daß noch nicht der Tag hereinleuchtete zum Fenster. Sie legte sich auf die andere Seite und dachte, so könne man ja noch ein Schläfchen machen im süßen Frieden. Aber aus diesem Schläfchen im süßen Frieden ward sie grausam geweckt. Plötzlich erhob sich vor ihrem Fenster ein ohrenzerreißendes Johlen: „Pfingstlucken! Pfingstlucken!“ Sie sprang aus dem Bette. Da wurde vom Fenster auch schon mittels einer Stange der Lappen weggerissen und blendender Pfingstsonnenglanz schlug in ihr zuckendes Auge. Und jetzt bemerkte sie auch schon an dem Lindenast den Popanz baumeln, schauderhaft zu sehen. Der Pfingstlotter! – Das arme Dirndel brach am Bettstufen zusammen und hub an, herzzerreißend zu schluchzen.
Des befriedigten Rachegefühles voll, guckte der Zeiselhofersohn schon zur Kammerthür herein. Doch als er sah, wie sie im Winkel kauerte und weinte, da kehrte er zurück zu den anwesenden Burschen und sagte, des Uebermuths wäre nun genug, sie sollten nach Hause gehen.
„Aha!“ spotteten sie, „jetzt will er sie versöhnen. Dabei sind wir überflüssig. Der Pfingstlotter ist halt doch auch zu etwas gut!“ Sie begriffen die Wendung früher als er selbst und verloren sich.
Der Gregel hatte sich schier artig wieder zur Susi geschlichen, doch das erste, was er nun erfuhr, war ein herber Ellbogenstoß, und dabei hub die Susi an, nach kläglicher zu weinen. Er stand eine Weile neben ihr und wußte weder, was er sagen, noch was er thun sollte.
„Bist harb auf mich?“ war endlich das Wort, welches er an sie richtete.
Sie antwortete nicht, sondern weinte.
Ein echter Mann kann alles, nur ein Weib kann er nicht weinen sehen, das heißt, wenn er glaubt, daß es wirklich und herzlich weint, und wenn er es – lieb hat.
Und in beinahe schrecklicher Klarheit stand es plötzlich vor dem Burschen, daß er die Susi liebhatte. Aller Haß, den er bisher gegen sie gefühlt, war eigentlich Liebe, alle Neckerei nur eine andere Art von Zärtlichkeit gewesen. Nun aber hatte es sich herausgestellt, daß er mit seiner Zärtlichkeit ein wenig zu dick aufgetragen hatte.
„Das hast Du mir angethan!“ stieß das Dirndel endlich unter Schluchzen hervor.
Er legte seine Hand auf ihre Achsel, sie stieß ihn nicht zurück.
„Susanna,“ sagte er, und seine Stimme war nicht so klingend wie sonst. „Susanna, so schlimm war es nicht gemeint. Es ist ja nur ein Scherz, den auch andere erleben – ein Pfingstlotter.“
„Mir liegt ja nichts an dem Pfingstlotter,“ antwortete sie; „aber daß Du, gerade Du …“
„Ja – liegt Dir denn an mir was?“ fragte er.
Ihr Weinen wurde noch heftiger. „So weh! So weh thut es mir,“ stammelte sie nachher, „daß gerade Du mir alles Schlechte anthust!“
„Und Du?“ fragte er, „treibst es Du anders mit mir?“
„Weil ich Dich gern hab’!“ stieß sie hervor.
„Du hast es arg mit mir getrieben,“ sagte der Gregel, „es ist Dir alles verziehen. Der Pfingstlotter wäre nicht gekommen, wenn Du mir nicht den Schnurrbart hättest abgeschnitten!“
„Aber der ist Dir ja längst wieder gewachsen!“ rief sie. „Die Schande, die Du mir heut’ hast angethan, wird nimmer aus.“
„Wär’ nit übel!“ lachte der Bursche. „Die Schande ist morgen schon aus, wenn wir zwei zum Pfarrer gehen und uns miteinander versprechen. Ja, Dirndel, ja, es ist mein Ernst! Immer hab’ ich an Dich müssen denken und nie hab’ ich gewußt, wie ich mit Dir dran bin. Aber jetzt, wie ich Dich weinen sehe, jetzt weiß ich’s, jetzt spüre ich’s, wie lieb ich Dich hab’ – Dirndel, lieber als alle Leut’ auf der ganzen Welt …“
Im Augenblick waren ihre Lippen beisammen. Eine geraume Zeit währte es, bis sie sich wieder voneinander lösten.
Und am nächsten Tage waren sie richtig beim Pfarrer. Zwei Wochen später zog die Susanna mit Ehren ein in den Zeiselhof.
Ob sie sich auch in der Ehe gegenseitig so viel geneckt haben wie vor derselben, wollt ihr wissen? Mein Gott, nein! Jetzt hatten sie andere Mittel, um einander ihre Liebe anzuzeigen. Doch das eine muß der Gregel sich gefallen lassen – der Pfingstlotter wird er genannt in der ganzen Gegend, und auch sein Weib nennt ihn so in ihren zärtlichsten Stunden. Nur daß er nicht auf dem Lindenast hängt vor ihrem Fenster, sondern einen wesentlich besseren Platz innehat.