Der Orlabach
Wohin, mein Geist, auf rascher Sehnsucht Flug?
Zu welches Strom’s umdonnertem Gestade?
Zu welchem Quell, den aus dem Marmorkrug
Die Nymphe gießt zum keuschen Götterbade?
Durch Seen wandelt und durch Felsenhallen?
Die Traubenleserinn am Ufer ruht
Und dir, o Bacchus, Jubelhymnen schallen?
Wie? oder eilest du zur hohen Rom,
Umschweben dich am alten Tiberstrom
Der Siebenhügel Stadt glorreiche Ahnen?
Bekränzest du, wo Peneus Welle fleust
In Tempens Blüthenwelt die Nektarschale?
Zum Silberborn in seinem stillen Thale?
Nein! Nicht zu dir, du königlicher Rhein,
Und wenn auch deine Flut durch Eden wallte;
Nicht hin zur hohen Rom, zu Tempens Hain
[230]
Zu dir, zu dir, du stiller Orlabach!
Zu deinem Quell, zu deinen Blüthenbäumen!
Hier will ich bey der Frühlingssängrin Schlag
Der Vor- und Mitwelt Wunder gern verträumen.
Du Silberfluth, sey herzlich mir gesegnet,
Wo, mild wie Abenroth, der Genius
Der frohen Vorzeit lächelnd mir begegnet.
An deinen Ufern windet – ewig jung –
Mit Lächeln sinnend die Erinnerung
Den Blüthenkranz um meiner Freude Garben.
Hier ruh’ ich, wie im Auferstehungsthal
Der Geister meiner längst gestorbnen Freuden;
Scheint ins Gewand der Sylfen sie zu kleiden;
Und, „Ida! Ida!“ rauscht der frohe Bach,
Und „Ida!“ wandelts in der hohen Eiche,
Und „Ida!“ ruft das Echo liebend nach,
O, gute Götter! Laßt mich ewig hier
In der Erinnrung Rosenlauben wohnen;
Euch soll mein stilles Abendlied von ihr,
Von ihr mein frohes Morgenlied Euch lohnen.
Der Wellen ew’ge Harmonie belausche:
Du, meine Freudenthräne stürze drein,
Damit der Bach noch lauter Ida! rausche.
[231]
Der wache Frühlingshain soll nie von ihr,
Daß seine alten Tannen sich zu mir
Entzückt mit ihren Sängern niederbeugen.
Erzählt’s, ihr Schatten, wie ihr säuselnd sie
In goldnen Schlaf der Kindheit eingerauschet.
Am Mutterbusen schon ihr Herz gelauschet.
Hier wand sie um den leichten Sonnenhut,
Um Brust und Haar den Schmuck der Blumenhügel;
Sie sah gebeugt sich lächelnd in der Flut
Von ihr belauscht sang hier die Nachtigall
Dem längern Frühling sanftre Melodieen.
Vor ihrer Milde lernte selbst der Fall
Des Bachs harmonisch über Kiesel fliehen.
Im Morgenroth, in stiller Haine Hallen,
Im Sternenglanz, im Wehn der Aerndteflur
Sieht sie den Unsichtbaren sichtbar wallen.
Wie, sanft bewegt auf spiegelheller Flut,
Der Abendhimmel blau und heiter ruht,
Und hie und da ein Stern in Wellen schwanket;
So ruht im Wiederschein der Gottheit Bild
Auf ihrer Seele, nie vom Sturm umdunkelt,
Durch die der frohe Stern des Glaubens funkelt.
[232]
Ein schöner Lenztag, wie Tahitis Flur
Ihn unter stillen Palmen feyernd seegnet,
War Ida’s Leben, dem auf jeder Spur
Doch ah! den düstern Schleyer wirft der Schmerz
Auf ihrer Jugend lachende Gebilde!
Der Tag erlischt! – ihr stillverblutend Herz
Steigt mit der Mutter in die Nachtgefilde.
Mit Orpheus Tönen aus zerrißner Seele!
Dir, stille Nacht, goß sie ihr Leiden hin,
Du sangst in ihre Schmerzen Philomele!
Preiß dir, der du mit Thau die Fluren labst,
Preiß dir, daß du der Menschheit Thränen gabst,
Wenn Todesdürre ihren Geist umnachtet. –
Am trüben Himmel schwebt im matten Schein
Die Wehmuth sanft auf thauendem Gefieder –
Die Liebe mit der Tröstung Lispeln nieder.
Triumph! mein Lied! Triumph! Nein! sing’ es nicht,
Was schauernd mir durch jede Nerve bebet,
Mich unergreifbar, wie der Sonne Licht,
Ein stummer Priester dir, Erinnerung,
Wall’ ich in deinem stillen Heiligthume!
Da suchet ihren Freund Begeisterung,
An jeder von ihm aufgepflegten Blume.
[233]
Sie spielt um mich in leichten Epheuranken,
Gebiert in jenem Thal, an Veilchen reich,
Wie Blumen zahllos, wonnige Gedanken.
Von dir sinkt sie herab, o Abendstern,
An dir, o Bach, weilt sie vor allen gern,
Der unsrer Seele Wallung sanfter rauschte.
Dich hüb’ ich gern, von Laurens Geist umweht
Wie jüngst Petrarch, zum Nachruhm von Vauklüse!
Der Liebe Bund in deinem Paradiese.
Laß hier, o Schicksal, meinen leichten Kahn
Des Lebens Wellen sanft hinunter gleiten.
Zufriedenheit schwebt leichten Flugs voran,
In niegesungnen Melodieen lebt
Ihr hohes Lob in jedem meiner Lieder;
Und wenn mein Geist in ihren Himmeln schwebt,
Hallt meine Harfe, Ida! Ida! wieder.
Umkränzter Schäferinnen uns zum Mahle;
Die heut, wie Hebe schön, uns süßen Wein,
Und jene opfert uns aus goldner Schaale.
[234]
Wie Ida’s Schwestern mild, umwinden mir
Und leise singt die Lippe: „Duftet hier!
Der Freundschaft Kranz welkt ihrem Sänger nimmer!“
Und trunken von Begeistrung fordr’ ich dann
Mein Harfenspiel! Die goldnen Saiten beben!
Jetzt bleibt es säuselnd über Blumen schweben.
Sanft eingewiegt von leis’rer Melodie
Verlier’ ich mich! Es schwinden alle Sinnen!
Mein Leben scheint in Eine Harmonie
Da wehet mich ein Götterodem wach!
Emporgelüpft auf leichterem Gefieder –
Elysium! – find’ ich am schönern Bach
Unsterblich mich in Ida’s Armen wieder!