Der Nonnenstein bei Weissig
Der Nonnenstein
bei
Weissig.
[98] Der Nonnenstein ist ein ganz vierseitig gestalteter Felsen, ähnlich einem aus mehrern Geschossen bestehenden Thurme, beim Dorfe Weissig im Amte Pirna. Zeit und etwaige historische Grundlage dieser Sage ist unbestimmbar.
Donner rollten, Blitze zackten
blendend durch die schwarze Nacht,
grausenvolle Stürme packten
Baum und Strauch mit wilder Macht.
auf die körnerschwere Saat,
spitzen Pfeilen gleich, die Schloßen,
und bedeckten jeden Pfad.
Da im Wald irrt eine Dirne,
Todesschweiß auf ihrer Stirne,
Todesangst in ihrer Brust;
und der Sturm zerwühlt ohn’ Ende
ihr das goldgelockte Haar,
jeder Hoffnung quitt und bar.
Denn es nagt an ihrem Herzen
sonder Rast ein gift’ger Wurm,
die Gewissensbisse schmerzen
Und sie ruft: „Ihr Elemente,
tödtet mich! Erbarmt euch mein!
Machet meiner Noth ein Ende,
und ein Ende meiner Pein!“
da ich einmal strafbar bin!“ –
Doch der Himmel hat Erbarmen
mit der reu’gen Sünderin.
Denn ein fernes Lichtchen blinket
und sie schleppt sich hin, und klinket
ängstlich harrend an der Thür.
Und ein Greis mit Silberlocken
öffnet ihr, und läßt sie ein,
bei des Lämpchens düsterm Schein.
„Ha, ihr seyd – um Gottes Willen!
eine Nonn’ im Ordenskleid! –
Weh euch, wehe, wenn im Stillen
Clara bebt, doch bald getroster
hebt sie an mit festem Ton:
„„Ja, das bin ich, meinem Kloster
seit fünf Tagen nun entflohn.
büßen schwer, so schwer ich kann,
seht mich hier, zu euern Füßen
fleh’ ich um den Tod euch an!““ –
„Gottes Rache wird nicht schlafen!“
wird er die Verirrte strafen,
strafen dich für deine That.
Doch was flohst du? O berichte
sonder Falsch und sonder Scheu
und was dir geschehen sey.
Clara trocknet sich die Zähren
vom verbleichten Angesicht,
und beginnt: „Ihr sollt es hören,
Eines frommen Mannes Leben
hab’ ich, selbst mir unbewußt,
um ein falsches Herz gegeben
und um trügerische Lust!“
Böhmen ist mein Heimathsland,
mancher Ritter warb sich müde
um mein Herz und meine Hand.
Doch schon in dem Kindesbette
eines Klosters heil’ge Stätte
nahm mich auf als Gottes Braut.“
„Und so lebte ich als Nonne
sonder Harm und sonder Arg,
plötzlich und auf immer barg.
Einst am Sanct Urbanustage
klopft ein kranker Pilgersmann
unter lauter Schmerzensklage
„Gütig ward er aufgenommen,
und die greise Aebtissin
ließ mich, als die Jüngste, kommen,
gab mich ihm zur Wärterin.
hab’ ich bei ihm zugebracht,
und an seiner Ruhestätte
betend manche Nacht durchwacht!“
„Er genaß. Das Roth der Wangen
brannt’ im feurigen Verlangen
nach der Liebe Lust und Glück.
Einen schönern kann’s nicht geben,
einen schönern nicht wie er!
mir gehaltlos, öd’ und leer.“
„Liebe trug ich still im Herzen,
Liebe für den fremden Mann,
reich an Wonnen und an Schmerzen,
Und er las in meinen Augen,
schmeichelte und sprach zu mir:
„Mägdlein, magst hier wenig taugen!
bist zu lieblich – geh’ mit mir!“ –
traute seinem glatten Wort,
doch wie war die Flucht uns möglich? –
Ha, erschreckt nicht! – nur durch Mord! –
Denn der wackre Pförtner wachte
diesem hab’ ich – wie ich dachte,
einen Schlaftrunk – beigebracht.“
„Saft aus silbernen Phiolen
gab der Pilger mir, und sprach:
tiefer Schlaf erfolgt danach!“
Und ich thats. Der Pförtner dankte,
als ich ihm den Becher bot,
trank ihn aus, und bebt’, und wankte,
„Jammernd stürzt’ ich auf die Leiche,
und der Pilger sprang herbei:
„Hat’s gewirkt? – Entweich, entweiche!
Liebste, bist nun vogelfrei;
gabst du dich durch diesen Mord;
mußt nun, mußt mit mit entweichen,
rasch, Herzliebste, auf und fort!““
„Und ich stand, wie ohne Leben,
„Gift, Gift hast du mir gegeben?
machtest mich zur Mörderin?
Unthier, fleuch aus diesen Wänden,
fleuch aus diesem heil’gen Haus!“
zu der Pforte mit hinaus.“
„Morgenwärts nach dieser Gegend
flohen wir den ganzen Tag,
bis ich matt und unvermögend
Lüstern hielt er mich umfangen,
widerstehen konnt’ ich nicht;
seinem sündigen Verlangen
und der Liebe wich die Pflicht.“
und mein letztes Widerstehn
mit betrügerischen Küssen
teuflisch zu beschwichtigen.
Mörd’rin war ich schon geworden
nicht genug, ich wurde dorten
auch zur Ehebrecherin!“ –
„An jedwedem Sinn durchdrungen
von der Angst und bösen Lust,
ohne daß ich’s mir bewußt;
und, o Gott, als ich erwachte,
hatte mir der böse Mann,
der mich zur Verbrechrin machte,
„Ein Gehäng von Karniolen
und ein Kreuz von Chalcedon,
hatt’ er mir im Schlaf gestohlen,
ach, und war damit entflohn.
gräßliche Erinnerung,
und für all mein treues Lieben
Reue und Verzweifelung.“
„Aufgescheucht von meiner Sünde
durch die Wälder, durch die Gründe,
und das Leben ist mir Last.
So geschah es mit mir Armen,
seit ich meiner Zell’ entwich.
richte streng und tödte mich!“
Sprach’s. Der Alte bebt zusammen:
„Ha, dir folgt dreifacher Fluch
auf den Fersen; dich verdammen
Doch wie du dich auch vergangen,
Gott wird dich dereinst dafür
vor den Richterstuhl belangen,
aber ich – verzeihe dir!“
meine Hütte ist zwar klein,
doch du magst schon bei mir bleiben,
und es wird zum Heil dir seyn.“
So der fromme Greis. Stillweinend
und er führt sie drauf gutmeinend
auf die Blätterstreu zur Ruh. –
Hoch im Mittag stand die Sonne,
längst schon war der Alte wach,
auf den Binsen allgemach:
„Süßer Traum! Die Leiden wälzen
sich von meiner Brust hinweg!
Sprecht, Greis! Kennt ihr einen Felsen
Und verwundert spricht der Alte:
„Solchen Felsen kenn’ ich wohl,
sieh, dort ragt er aus dem Walde!
Aber sage, was das soll? –
o so gieb der Hoffnung Raum,
doch erzähle mir jetzt offen
und aufrichtig deinen Traum.“
Clara drauf: „Voll Angst und Reue
Gott im Himmel du, befreie
mich von meiner Last und Müh!
Nimm mir ab mein schweres Leiden,
nimm mir ab die Angst und Pein!
nahte mir ein lichter Schein.
Näher kam’s heran gezogen
über Haide, Sumpf und Moor,
viele tausend Engel flogen
Einer drauf im weißen Kleide
nahte mir, und fragte mich:
Wes durchirrst du Wald und Haide?
Und was weinst du, Clara? Sprich! –
und ich faßte mir Vertraun,
ließ im ungeschminkten Bilde
meine Schuld ihn offen schaun.
Und er sprach: „Für deine Sünden
doch du wirst Vergebung finden,
und dein Gott wird dir verzeihn!
Folge mir, du Ungetreue,
will dich führen einen Pfad,
rastlos deine Missethat!
Und er nimmt mich bei den Händen,
führt mich einen langen Steg
zwischen grausen Felsenwänden
Zitternd folg’ ich. Wir erreichen
endlich einen freien Raum,
dort mit weitgespreitzten Zweigen
stand ein alter Tannenbaum.
mit verzerrtem Angesicht,
hing, dem Rabenschwarm zur Beute,
der verruchte Bösewicht.
Und der Engel sprach: So richtet
Ha, da stand ich wie vernichtet,
wie zermalmt an jedem Sinn.
Zittre nicht! Dein harrt die Gnade!
fuhr der Engel sanfter fort.
jenen Felsenkegel dort? –
Auf des Felsen Scheitel führte
nie ein Weg; kein Sterblicher,
seit die Erde ist, berührte
Heilig ist er, unbetreten
von der argen Menschheit Tritt.
Bete dort, die Engel beten
alle brünstig für dich mit.
jeden Abend steig’ hinan,
Gott, der auch dein Herz verstehet,
bricht zur Gnade dir die Bahn!
Drauf verschwand er. Ich erwachte.
doch wen Kummer müde machte,
dem ist Labsal solch ein Traum.“
Da, von heilger Scheu erfüllet,
blickt der Alte himmelan:
ihr der Himmel seinen Plan! –
Wie der Engel dir geheißen,
thue eifrig. Laß uns gehn;
will dir jenen Felsen weisen,
Eng umzäunt von den Gehölzen
stand unendlich hoch und steil
der verhängnißvolle Felsen.
Hierher führt er sie in Eil’.
just so, wie ich ihn gesehn;
laßt mich zu dem heil’gen Raume,
laßt mich, Vater, beten gehn!“
„Gott, du hast mein Herz verstanden,
nahmst aus Angst und Sünd’ und Schanden
gnädiglich mich wieder an.
Denn dein Sturmwind warf die Eiche
also an die Felsenhöh’,
Gott, zu dir zu beten geh’!“
Eine Eiche lag am Felsen,
reichte völlig bis hinan,
und, o Wunder, den Gehölzen
„Sieh, mein Kind – sprach drob der Alte –
siehe Gottes Vorsehung;
diesen Einen Baum im Walde
brach der Sturm – er war genung!“ –
in die Berge niedergeht, ·
steigt im Ordenskleid die Nonne
auf den Felsen zum Gebet,
wirft sich vor dem Höchsten nieder:
Gott, mein Gott!“ und kehret wieder
ruh’ger und getrösteter.
Und des Alten Auge thauet
freudvoll, wenn sie wiederkehrt,
keine Klagen fürder hört.
So vergingen zween Jahre,
und mit jedem Abendroth,
betete dort oben Clare
„Bleib’ ich heute euch zu lange,
guter Alter, sorgt euch nicht,
denn mir ahnt es, als verlange
mich der Himmel vor Gericht;
So die Nonne, und begehrt
knieend drauf des Greises Segen,
und empfängt ihn, geht, und kehrt –
Nie zurück! – Die Nacht sank nieder,
Clara kehrte noch nicht wieder,
und der Alte harrte noch,
und die Sorge läßt ihm nimmer
und die Ahnung nimmer Ruh,
eilet er dem Felsen zu.
Und da sieht er an der Eiche
ihren Schleier aufgehängt,
und im Grase ihre Leiche,
„Ha, ihr Ahnen ward erfüllet!
seufzt der Greis im stillen Schmerz.
Ihre Leiden sind gestillet,
und geheilt ihr wundes Herz!“
gräbt ein Grab beim Mondenschein
in süßduft’ger Linden Mitte,
betet still und scharrt sie ein. –
Bald die Kunde davon schallte
und der Felsen in dem Walde
ward der Nonnenstein genannt.