Zum Inhalt springen

Der Nonnenstein bei Weissig

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Widar Ziehnert
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der Nonnenstein bei Weissig
Untertitel:
aus: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. Band 2, S. 97–110
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1838
Verlag: Rudolph & Dieterici
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Annaberg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[97]
11.
Der Nonnenstein

bei
Weissig.

[98] Der Nonnenstein ist ein ganz vierseitig gestalteter Felsen, ähnlich einem aus mehrern Geschossen bestehenden Thurme, beim Dorfe Weissig im Amte Pirna. Zeit und etwaige historische Grundlage dieser Sage ist unbestimmbar.




[99]

Donner rollten, Blitze zackten
     blendend durch die schwarze Nacht,
grausenvolle Stürme packten
     Baum und Strauch mit wilder Macht.

5
Aus dem finstern Wolken schossen

     auf die körnerschwere Saat,
spitzen Pfeilen gleich, die Schloßen,
     und bedeckten jeden Pfad.

Da im Wald irrt eine Dirne,

10
     keines Zieles sich bewußt,

Todesschweiß auf ihrer Stirne,
     Todesangst in ihrer Brust;
und der Sturm zerwühlt ohn’ Ende
     ihr das goldgelockte Haar,

15
und sie schluchzt und ringt die Hände,

     jeder Hoffnung quitt und bar.

Denn es nagt an ihrem Herzen
     sonder Rast ein gift’ger Wurm,
die Gewissensbisse schmerzen

20
     herber als der Wettersturm.

Und sie ruft: „Ihr Elemente,
     tödtet mich! Erbarmt euch mein!
Machet meiner Noth ein Ende,
     und ein Ende meiner Pein!“

[100]
25
„Gebt den Tod, den Tod mir Armen,

     da ich einmal strafbar bin!“ –
Doch der Himmel hat Erbarmen
     mit der reu’gen Sünderin.
Denn ein fernes Lichtchen blinket

30
     aus dem Thal herauf zu ihr,

und sie schleppt sich hin, und klinket
     ängstlich harrend an der Thür.

Und ein Greis mit Silberlocken
     öffnet ihr, und läßt sie ein,

35
und betrachtet sie erschrocken

     bei des Lämpchens düsterm Schein.
„Ha, ihr seyd – um Gottes Willen!
     eine Nonn’ im Ordenskleid! –
Weh euch, wehe, wenn im Stillen

40
     ihr der Zell’ entflohen seyd!“


Clara bebt, doch bald getroster
     hebt sie an mit festem Ton:
„„Ja, das bin ich, meinem Kloster
     seit fünf Tagen nun entflohn.

45
Flucht mir nicht, ich will es büßen,

     büßen schwer, so schwer ich kann,
seht mich hier, zu euern Füßen
     fleh’ ich um den Tod euch an!““ –

„Gottes Rache wird nicht schlafen!“

50
     spricht der Greis, „früh oder spat

wird er die Verirrte strafen,
     strafen dich für deine That.

[101]

Doch was flohst du? O berichte
     sonder Falsch und sonder Scheu

55
mir die traurige Geschichte,

     und was dir geschehen sey.

Clara trocknet sich die Zähren
     vom verbleichten Angesicht,
und beginnt: „Ihr sollt es hören,

60
     und dann haltet streng Gericht.

Eines frommen Mannes Leben
     hab’ ich, selbst mir unbewußt,
um ein falsches Herz gegeben
     und um trügerische Lust!“

65
„Bin aus adligem Geblüte,

     Böhmen ist mein Heimathsland,
mancher Ritter warb sich müde
     um mein Herz und meine Hand.
Doch schon in dem Kindesbette

70
     war dem Himmel ich getraut,

eines Klosters heil’ge Stätte
     nahm mich auf als Gottes Braut.“

„Und so lebte ich als Nonne
     sonder Harm und sonder Arg,

75
bis sich meines Glückes Sonne

     plötzlich und auf immer barg.
Einst am Sanct Urbanustage
     klopft ein kranker Pilgersmann
unter lauter Schmerzensklage

80
     an die Klosterpforte an.“


[102]

„Gütig ward er aufgenommen,
     und die greise Aebtissin
ließ mich, als die Jüngste, kommen,
     gab mich ihm zur Wärterin.

85
Manchen Tag am Krankenbette

     hab’ ich bei ihm zugebracht,
und an seiner Ruhestätte
     betend manche Nacht durchwacht!“

„Er genaß. Das Roth der Wangen

90
     kehrte wieder, und sein Blick

brannt’ im feurigen Verlangen
     nach der Liebe Lust und Glück.
Einen schönern kann’s nicht geben,
     einen schönern nicht wie er!

95
Ohne ihn erschien das Leben

     mir gehaltlos, öd’ und leer.“

„Liebe trug ich still im Herzen,
     Liebe für den fremden Mann,
reich an Wonnen und an Schmerzen,

100
     wie ein Herz nur lieben kann.

Und er las in meinen Augen,
     schmeichelte und sprach zu mir:
„Mägdlein, magst hier wenig taugen!
     bist zu lieblich – geh’ mit mir!“ –

105
Leicht war ich zur Flucht beweglich,

     traute seinem glatten Wort,
doch wie war die Flucht uns möglich? –
     Ha, erschreckt nicht! – nur durch Mord! –

[103]

Denn der wackre Pförtner wachte

110
     an der Pforte Tag und Nacht;

diesem hab’ ich – wie ich dachte,
     einen Schlaftrunk – beigebracht.“

„Saft aus silbernen Phiolen
     gab der Pilger mir, und sprach:

115
„Gieb ihm das im Wein verstohlen;

     tiefer Schlaf erfolgt danach!“
Und ich thats. Der Pförtner dankte,
     als ich ihm den Becher bot,
trank ihn aus, und bebt’, und wankte,

120
     sank zu Boden, und – war todt!“ –


„Jammernd stürzt’ ich auf die Leiche,
     und der Pilger sprang herbei:
„Hat’s gewirkt? – Entweich, entweiche!
     Liebste, bist nun vogelfrei;

125
hast gemordet! Mir zu eigen

     gabst du dich durch diesen Mord;
mußt nun, mußt mit mit entweichen,
     rasch, Herzliebste, auf und fort!““

„Und ich stand, wie ohne Leben,

130
     stierte auf die Leiche hin:

„Gift, Gift hast du mir gegeben?
     machtest mich zur Mörderin?
Unthier, fleuch aus diesen Wänden,
     fleuch aus diesem heil’gen Haus!“

135
Und er zog mich bei den Händen

     zu der Pforte mit hinaus.“

[104]

„Morgenwärts nach dieser Gegend
     flohen wir den ganzen Tag,
bis ich matt und unvermögend

140
     neben ihm zusammenbrach.

Lüstern hielt er mich umfangen,
     widerstehen konnt’ ich nicht;
seinem sündigen Verlangen
     und der Liebe wich die Pflicht.“

145
„O, er wußte mein Gewissen,

     und mein letztes Widerstehn
mit betrügerischen Küssen
     teuflisch zu beschwichtigen.
Mörd’rin war ich schon geworden

150
     durch die sünd’ge Gluth für ihn;

nicht genug, ich wurde dorten
     auch zur Ehebrecherin!“ –

„An jedwedem Sinn durchdrungen
     von der Angst und bösen Lust,

155
hatte mich der Schlaf bezwungen,

     ohne daß ich’s mir bewußt;
und, o Gott, als ich erwachte,
     hatte mir der böse Mann,
der mich zur Verbrechrin machte,

160
     noch das Aergste angethan.“


„Ein Gehäng von Karniolen
     und ein Kreuz von Chalcedon,
hatt’ er mir im Schlaf gestohlen,
     ach, und war damit entflohn.

[105]
165
Eins nur war mir noch geblieben,

     gräßliche Erinnerung,
und für all mein treues Lieben
     Reue und Verzweifelung.“

„Aufgescheucht von meiner Sünde

170
     irrt’ ich sonder Ruh und Rast

durch die Wälder, durch die Gründe,
     und das Leben ist mir Last.
So geschah es mit mir Armen,
     seit ich meiner Zell’ entwich.

175
Nun – ich fordre kein Erbarmen –

     richte streng und tödte mich!“

Sprach’s. Der Alte bebt zusammen:
     „Ha, dir folgt dreifacher Fluch
auf den Fersen; dich verdammen

180
     Meineid, Mord und Ehebruch! –

Doch wie du dich auch vergangen,
     Gott wird dich dereinst dafür
vor den Richterstuhl belangen,
     aber ich – verzeihe dir!“

185
„Will dich nicht von hinnen treiben,

     meine Hütte ist zwar klein,
doch du magst schon bei mir bleiben,
     und es wird zum Heil dir seyn.“
So der fromme Greis. Stillweinend

190
     nickt den Dank ihm Clara zu,

und er führt sie drauf gutmeinend
     auf die Blätterstreu zur Ruh. –

[106]

Hoch im Mittag stand die Sonne,
     längst schon war der Alte wach,

195
da erwachte auch die Nonne

     auf den Binsen allgemach:
„Süßer Traum! Die Leiden wälzen
     sich von meiner Brust hinweg!
Sprecht, Greis! Kennt ihr einen Felsen

200
     himmelhoch und ohne Steg?“ –


Und verwundert spricht der Alte:
     „Solchen Felsen kenn’ ich wohl,
sieh, dort ragt er aus dem Walde!
     Aber sage, was das soll? –

205
Ließ der Traum dir Gnade hoffen

     o so gieb der Hoffnung Raum,
doch erzähle mir jetzt offen
     und aufrichtig deinen Traum.“

Clara drauf: „Voll Angst und Reue

210
     irrt’ ich durch den Wald, und schrie:

Gott im Himmel du, befreie
     mich von meiner Last und Müh!
Nimm mir ab mein schweres Leiden,
     nimm mir ab die Angst und Pein!

215
Schluchzend rief ich’s, und von weiten

     nahte mir ein lichter Schein.

Näher kam’s heran gezogen
     über Haide, Sumpf und Moor,
viele tausend Engel flogen

220
     aus dem Lichtgewölk hervor.

Einer drauf im weißen Kleide
     nahte mir, und fragte mich:
Wes durchirrst du Wald und Haide?
     Und was weinst du, Clara? Sprich! –

[107]
225
Seine Stimme klang so milde,

     und ich faßte mir Vertraun,
ließ im ungeschminkten Bilde
     meine Schuld ihn offen schaun.
Und er sprach: „Für deine Sünden

230
     trägst du die gerechte Pein;

doch du wirst Vergebung finden,
     und dein Gott wird dir verzeihn!

Folge mir, du Ungetreue,
     will dich führen einen Pfad,

235
dorten bete, dort bereue

     rastlos deine Missethat!
Und er nimmt mich bei den Händen,
     führt mich einen langen Steg
zwischen grausen Felsenwänden

240
     über kahle Wacken weg.


Zitternd folg’ ich. Wir erreichen
     endlich einen freien Raum,
dort mit weitgespreitzten Zweigen
     stand ein alter Tannenbaum.

245
Dran, am Halse mein Geschmeide,

     mit verzerrtem Angesicht,
hing, dem Rabenschwarm zur Beute,
     der verruchte Bösewicht.

Und der Engel sprach: So richtet

250
     Gott den Frevler. Schaue hin!

Ha, da stand ich wie vernichtet,
     wie zermalmt an jedem Sinn.
Zittre nicht! Dein harrt die Gnade!
     fuhr der Engel sanfter fort.

255
Siehst du abendwärts vom Pfade

     jenen Felsenkegel dort? –

[108]

Auf des Felsen Scheitel führte
     nie ein Weg; kein Sterblicher,
seit die Erde ist, berührte

260
     diesen heil’gen Raum bisher.

Heilig ist er, unbetreten
     von der argen Menschheit Tritt.
Bete dort, die Engel beten
     alle brünstig für dich mit.

265
Wenn die Sonne niedergehet,

     jeden Abend steig’ hinan,
Gott, der auch dein Herz verstehet,
     bricht zur Gnade dir die Bahn!
Drauf verschwand er. Ich erwachte.

270
     Träume sind zwar eitler Schaum,

doch wen Kummer müde machte,
     dem ist Labsal solch ein Traum.“

Da, von heilger Scheu erfüllet,
     blickt der Alte himmelan:

275
„Ha, im Traumgebild enthüllet

     ihr der Himmel seinen Plan! –
Wie der Engel dir geheißen,
     thue eifrig. Laß uns gehn;
will dir jenen Felsen weisen,

280
     den im Traume du gesehn!“


Eng umzäunt von den Gehölzen
     stand unendlich hoch und steil
der verhängnißvolle Felsen.
     Hierher führt er sie in Eil’.

285
„Ja, er ist’s, den ich im Traume,

     just so, wie ich ihn gesehn;
laßt mich zu dem heil’gen Raume,
     laßt mich, Vater, beten gehn!“

[109]

„Gott, du hast mein Herz verstanden,

290
     brachst zur Gnade mir die Bahn,

nahmst aus Angst und Sünd’ und Schanden
     gnädiglich mich wieder an.
Denn dein Sturmwind warf die Eiche
     also an die Felsenhöh’,

295
daß ich nun durch ihre Zweige,

     Gott, zu dir zu beten geh’!“

Eine Eiche lag am Felsen,
     reichte völlig bis hinan,
und, o Wunder, den Gehölzen

300
     hat der Sturm sonst nichts gethan.

„Sieh, mein Kind – sprach drob der Alte –
     siehe Gottes Vorsehung;
diesen Einen Baum im Walde
     brach der Sturm – er war genung!“ –

305
Jeden Abend, wenn die Sonne

     in die Berge niedergeht, ·
steigt im Ordenskleid die Nonne
     auf den Felsen zum Gebet,
wirft sich vor dem Höchsten nieder:

310
     „Gott, wie drückt die Schuld mich schwer!

Gott, mein Gott!“ und kehret wieder
     ruh’ger und getrösteter.

Und des Alten Auge thauet
     freudvoll, wenn sie wiederkehrt,

315
wenn er keine Thränen schauet,

     keine Klagen fürder hört.
So vergingen zween Jahre,
     und mit jedem Abendroth,
betete dort oben Clare

320
     reuevoll zum lieben Gott. –


[110]

„Bleib’ ich heute euch zu lange,
     guter Alter, sorgt euch nicht,
denn mir ahnt es, als verlange
     mich der Himmel vor Gericht;

325
doch ich geh’ auf guten Wegen!“

     So die Nonne, und begehrt
knieend drauf des Greises Segen,
     und empfängt ihn, geht, und kehrt –

Nie zurück! – Die Nacht sank nieder,

330
     und der Mond ward hell und hoch,

Clara kehrte noch nicht wieder,
     und der Alte harrte noch,
und die Sorge läßt ihm nimmer
     und die Ahnung nimmer Ruh,

335
in des Mondes bleichem Schimmer

     eilet er dem Felsen zu.

Und da sieht er an der Eiche
     ihren Schleier aufgehängt,
und im Grase ihre Leiche,

340
     roth mit Blute übersprengt.

„Ha, ihr Ahnen ward erfüllet!
     seufzt der Greis im stillen Schmerz.
Ihre Leiden sind gestillet,
     und geheilt ihr wundes Herz!“

345
Drauf trägt er sie heim zur Hütte,

     gräbt ein Grab beim Mondenschein
in süßduft’ger Linden Mitte,
     betet still und scharrt sie ein. –
Bald die Kunde davon schallte

350
     flüchtig durch das Sachsenland,

und der Felsen in dem Walde
     ward der Nonnenstein genannt.