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Der Neubau der obern Pyramide des Stephansthurmes zu Wien

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Titel: Der Neubau der obern Pyramide des Stephansthurmes zu Wien
Untertitel:
aus: Illustrirte Zeitung, Nr. 4 vom 22. Juli 1843, S. 57–58
Herausgeber: Johann Jacob Weber
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Entstehungsdatum: 1843
Erscheinungsdatum: 1843
Verlag: J. J. Weber
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: MDZ München, Commons
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Der Neubau der obern Pyramide des Stephansthurmes zu Wien.

Wenigen ward es gegeben, einen Babelgedanken in der Seele zu erzeugen, ganz groß und bis in den kleinsten Theil nothwendig schön, wie Bäume Gottes; Wenigern, auf tausend bietende Hände zu treffen, Felsengrund zu graben, steile Höhen darauf zu zaubern und dann sterbend ihren Söhnen zu sagen: „Ich bleibe bei Euch in den Werken meines Geistes; vollendet das Begonnene in die Wolken.“

Wem dringen sich nicht diese Worte Goethe’s, wie ihm bei dem Anblick des Straßburger Münsters, bei der Beschauung dieses, bei dem Anstaunen des Freiburger Domes, bei dem Bewundern der Thürme zu Cöln, Antwerpen und Wien auf! – Tief hat dies die heutige Zeit erfaßt. Man rettet die Werke der alten Kunst nicht nur vor dem Verfall, man stellt davon im alten Geiste wieder her, was noch herstellbar ist. Während man vor Jahren mit großer Thätigkeit und glücklichem Erfolg darauf bedacht war, die Schäden, die Vernachlässigung und Zerstörungen der Revolutionen am Straßburger Münster herbeigeführt, auszubessern, während die Wünsche der Kunst- und Vaterlandsfreunde auf die Herstellung und Vollendung des Cölner Domes – allerdings des gelungensten und in der Schönheit vollendetsten Bauwerks – gerichtet sind, ist es erfreulich zu hören, was in dieser Hinsicht in Wien für den Stephansthurm geschehen, dessen obere Pyramide den Einsturz drohte.

Die Metropolitankirche St. Stephan, gewiß das schönste Erbstück von Oestreichs ältesten Fürsten, gegründet von dem ersten Herzog Heinrich, 1156, erhalten und vergrößert von seinen Nachfolgern bis zum Erlöschen ihres Stammes, erneuert und verschönert von der ganzen Habsburgischen Linie, blieb stets ein Gegenstand der Sorgfalt und Fürsorge der Fürsten des Landes bis auf die jetzige Zeit. Durch die bedeutenden Brände Wiens 1258 und 1275 theilweise zerstört und beschädigt, soll sie unter den beiden ersten Habsburgischen Fürsten, Albrecht und Friedrich, wiederhergestellt worden sein, unter Albrecht II. das Chor St. Stephan erhalten haben, erst seit Rudolph aber, dessen ehrbegierigem Streben nicht leicht ein Plan groß und prachtvoll genug war, zu der Größe gediehen sein, die wir jetzt noch an ihr bewundern. Rudolph legte den Grund zu dem hohen Chor und zu dem hohen Thurme 1359.

Leider ist der Name des erfahrenen Baumeisters, von dem der untere Theil bis zum obern Drittheil herrührt, uns nicht erhalten.

Von 1400, dem Todesjahre jenes Baumeisters, bis 1407 führten in der Kunst nur unerfahrene Meister den Bau fort, bis, der Sage nach, Anton Pilgram von Brünn auftrat, der Alles, was jene Meister seit 1400 aufgeführt, bis auf die Grundlage des ersten Baumeisters niederreißen ließ, und nun den obern Theil, allen Anzeichen nach, von da an, wo jetzt die Uhr steht, so kühn, so sinnreich aus dem ersten würdigen Unterbau durch immer zierlichere Abtheilungen bis in das obere pflanzen- und netzartige Gestein, emporführte. Nach Michaelis 1433 unter Herzog Albert V. setzte man den Knopf auf den Thurm und vollendete somit den Bau des Thurmes innerhalb 74 Jahren, eine wahrhaft kurze Frist gegen die 162 Jahre – in welchen der Straßburger Thurm vollendet wurde. – Das Bild Anton Pilgram’s befindet sich noch jetzt, in Stein gehauen, am Fuß des Petri- und Paulialtars. Der hohe Chor Rudolphs mit den Abseiten wurde erst nach 90 Jahren unter Kaiser Friedrich IV. und König Matthias vollendet. – Im Jahre 1450 legte man den Grund zu dem zweiten nördlichen Thurm, dessen Bau jedoch zur Zeit Gregor Hauser’s 1516 stehen blieb. Nachdem dieser Thurm Jahre lang unbedeckt, ein Horst der Raben gewesen, wurde er endlich mit einem Nothdache, und 1579 mit einem kleinen Thürmchen und einer kupfernen Bedeckung versehen.

Schon zu jener Zeit, als man den zweiten Thurm begann, soll der Hauptthurm durch den Blitz so gelitten haben, daß der obere Gipfel im Anfange des 16. Jahrhunderts den Einsturz drohte. Das von allen Bauverständigen jener Zeit als ein Wagestück abgelehnte Werk, die Spitze herunterzunehmen und wieder herzustellen, unternahmen endlich Leonard und Gregor Hauser. Sie zerschnitten die Steine der gekrümmten Thurmspitze, stellten die Spitze wieder in ihrer früheren Schönheit her und gaben der durch den Blitz gekrümmten 63 Fuß langen starken Eisenstange, welchen den Gipfel trug, mittelst Feuer auf dem Thurme selbst, ihre gerade Richtung wieder, eine Arbeit, an der allein 12 Jahre zugebracht worden sein soll. Bald bog sich die Spitze wieder, da der Knopf von Stein, und dessen Schwankungen nach Außen weder die Stange, noch die übrige Steinverbindung gewachsen war. Man entschloß sich deshalb 1591, unter Friedrich IV., anstatt des steinernen Knopfes einen kupfernen Knopf mit Stern und Halbmond aufzuführen, den später, nach dem glorreichen Entsatze Wiens 1683, Leopold I. mit einem spanischen Kreuz vertauschte. – Auch dies wurde schon nach 3 Monaten herabgeworfen und 1687 deshalb der Doppeladler mit dem 7’ 1’’ hohen kupfernen Kreuze aufgeführt. Im Jahre 1809 sah man sich von Neuem genöthigt, den Thurm einer Reparatur zu unterwerfen. Theils die Erdbeben des Jahres 1590, theils die bedeutenden Schwankungen der großen 63 Fuß langen eisernen Helmstange, die bei ihrer im Verhältniß zu ihrer Dicke – unten 4 Zoll, oben 3 Zoll stark – übermäßigen Länge nicht in einer vertikalen Linie bleiben konnte, zuletzt das Beschießen der Stadt Wien am 11. Mai 1809, wobei selbst dieses erhabene Gebäude nicht geschont wurde, ingleichen die Sprengung einer Bastion, Alles dies hatte bemerkbare Beschädigungen am Thurme verursacht. Der damalige Hofarchitect Aman wurde mit der Wiederherstellung beauftragt.

Obschon man nun den Thurm durch eingesetzte Steinstücke reparirt, die Sprünge durch Cement verstrichen und selbst der Pyramide durch 4 eiserne Stangen, die außen bis zum Knauf sich erstrecken, durch eiserne Reife umschlungen und mit diesen verschraubt waren, wohl an sich eine gewisse Dauerhaftigkeit gegeben hatte, so war doch eigentlich den Schwingungen der äußersten Spitze, deren Neigung gegen die vertikale Thurmachse schon bei obiger Reparatur 1809 um 3 Fuß 11/4 Zoll abwich, kein Ziel gesetzt.

Wir führen zu besserer Verdeutlichung dem Leser die dargestellte Zeichnung des Vertikalschnittes der 1519 gebauten, jetzt abgetragenen alten Thurmspitze vor die Augen. Wie man hieraus ersieht, war gerade die oberste Spitze des Thurmes in einer Höhe von 38 Fuß nicht hohl, wie der untere Thurm, sondern ganz massiv, also nicht mit einer immer steigenden Verringerung [58] des Gewichts nach oben ausgeführt, wie es erforderlich gewesen. Diese große Belastung mußte bei Bewegungen des Thurmes nach der Seite, so bei dem Läuten der Glocken, nachtheilig gegen die Standfestigkeit wirken. Die Helmstange, schon gekrümmt, mußte als sehr biegsame Achse diese nachtheilige Einwirkung nur vermehren, und die oberen Bewegungen mußten gerade diejenige der oben angeführten 4 eisernen Stangen – mit denen man die obere Pyramide umgeben –, welche der Neigung der obersten Spitze entgegengesetzt liegt, am meisten anspannen; hier fanden sich deshalb auch die größten Zertrümmerungen der Bausteine vor.

So viele Besorgnisse jene Neigung der obern Pyramide bisher erregt, um so größer wurden diese, als 1838 die Ablösung einzelner Steine der Behörde durch das Kirchenmeisteramt bekannt gemacht wurde. Man beschloß daher die völlige Abtragung der obern Spitze und Erneuerung derselben.

Noch in demselben Jahre wurde Berüstung der ganzen obern Thurmpyramide, die bei einer Höhe von 2561/2 Fuß über dem Pflaster der Kirche beginnt, und selbst eine Höhe von 175 Fuß 8 Zoll hatte, angegriffen und bis zum Mai 1839 durch die beiden Wiener Zimmermeister Jacob Fellner und Anton Rueff, mit beiläufig einem Kostenaufwande von 15,000 Fl. CM. beendet.

Dies Gerüst bestand – wie aus der Zeichnung ersichtlich – aus 21 Etagen (a–v), von denen nur das unterste Gerüst einen festen Aufstand auf der steinernen Gallerie hat, welche um die eigentliche Pyramide herumläuft und wo noch jetzt die steinerne Bank gezeigt wird, von welcher aus Graf Starhemberg, Wiens heldenmüthiger Vertheidiger gegen die Türken im Jahre 1683, das feindliche Lager zu übersehen pflegte. – Bei den 11 folgenden wurden die mannigfaltigen ornamentalen Oeffnungen der achtseitigen Pyramide so benutzt, daß sie die horizontalen Streckhölzer oder Schoßriegel der Gerüste aufnahmen, welche nun im Innern des Thurmes theils unter einander, theils durch Zimmerverbandstücke und Eisenklammern in der Art mit einander verbunden waren, daß sie den außen befindlichen Theilen des Gerüstes und den hierauf kommenden Lasten als Gegengewicht dienten, ohne jedoch, theils wegen der schwachen Gliederungen, theils wegen der etwa nöthig werdenden Reparaturen, auf dem Thurm selbst aufzuliegen. Die übrigen nun auf einander folgenden 9 Etagen bestanden aus einzelnen für sich abgebundenen Gerüsten, die den Thurm nicht berührten, und deren Säulen theils durch Bänder, theils durch Schrauben und Klammern so fest mit einander verbunden waren, daß eine Bewegung und Schwankung nicht leicht möglich ward. Die 14. bis 20. Etage wurde deshalb gegen die 13. weiter ausladend und mehr vorragend gemacht, um bei dem Wiederaufbau mehr Raum zu gewinnen und also dem Bau selbst leichter und bequemer beikommen zu können.

Auf der obersten Etage endlich stehen zwei durch Streben und mit einem Querbalken verbundene Säulen, welche Vorrichtung zur Aufstellung des Adlers mit dem Kreuze diente.

Bemerkenswerth hierbei ist, daß die einzelnen Gerüstetagen keineswegs vor dem Bau des ganzen Gerüstes entworfen werden konnten, sondern jede einzelne und ihre Dimensionen durch die zufälligen Oeffnungen und Ornamente bedingt waren, so daß die Maße zu den verschiedenen Theilen jeder Etage an Ort und Stelle genommen und hier ausgeführt werden mußten.

So heftigen Stürmen dies wahrhaft ausgezeichnete Zimmergerüst ausgesetzt war, so hat es sich doch 5 Jahre hindurch bis zur Vollendung des Baues in jener schwindelnden Höhe bewährt und nicht der geringste Unfall sich ereignet.

Zur Aufwindung der Baumaterialien war an der äußern Seite des Gerüstes von der 3. bis zur 17. Etage eine fast vertikale Holzbahn angebracht, auf welcher mittelst eines eisernen Kurbelwerkes und Seiles die Baumaterialien, die zuvor im Innern des Thurmes bis zur Höhe der Uhr, von hier aber wieder außerhalb, senkrecht bis zur Holzbahn gefördert, aufgezogen wurden.

Während die Abtragung der obern Thurmspitze im August 1839 mit der größten Vorsicht begonnen wurde, unternahm man zugleich eine genaue Aufzeichnung derselben, da natürlich die äußere Form der der abgetragenen ganz gleich sein mußte, und berieth die für den Wiederaufbau der Thurmspitze zu wählende Construction.

Das Tieferlegen des Schwerpunktes dieses Theiles gegen früher bedingte eine solidere und leichtere Construction der obern Spitze gegen die abgetragene, und mußte bei den geringen Dimensionen des innern Durchmessers – unten 7 Fuß, oben 2 Fuß – zur Construction aus Schmiedeeisen führen.

Diese Construction besteht nun eigentlich aus 2 Theilen, nämlich, dem untern Theil, von der Stelle aus, wo früher die eiserne 63 Fuß lange Helmstange begann, – soweit also die Spitze abgetragen war, – bis zum Knauf, und dem obern Theil, vom Knauf bis zum Doppeladler.

Der erstere besteht aus 8 Rippen, ungefähr 38 Fuß lang, jede aus 3 in aufsteigender Richtung neben einander fortlaufenden und durch Niete zu einem Ganzen fest verbundenen Schienen gefertigt, welche unten auf einem gußeisernen Kranz befestigt und oben beim Knaufe ebenfalls an einen solchen verschraubt, in ihrer Höhe aber noch durch horizontale Reife, – ebenfalls aus gewalztem Winkeleisen gefertigt – in verschiedenen Abständen auf der innern Seite untereinander verbunden sind. Die vorstehenden Ränder dieser Reifen bilden zugleich das Auflager für die Böden im Innern. Zwischen diesen 8 Rippen ist nun die achtseitige Pyramide bis zum Knauf aufgemauert und zwar so, daß jede Schicht Steine aus 8 großen Steinen besteht, also jede Seite in den je auf einander stehenden Schichten nur von einem Stein gebildet wird, die oben natürlich immer kleiner werden, übrigens durch eiserne Reifen noch unter sich verbunden und mit römischem Cement vergossen sind.

Der zweite Theil, vom Knauf bis zum Doppeladler, besteht aus einem ähnlichen Eisengerippe, ebenfalls auf einen gußeisernen Kranz befestigt, welchen man mit dem obern Kranze des untern Gerippes festschraubte. Dies Gerippe wurde mit Kupfer überdeckt, und eben so die vorspringenden Ornamente des Thurmendes, nämlich der Knauf und die Rose (beide ebenfalls aus Eisenskeletten hergestellt), mit einem Ueberzug von getriebenem Kupfer umgeben.

Die ganze Thurmspitze ist auf diese Weise bis in ihr oberstes Ende zugänglich gemacht, und über dem Knauf mit einer Aussteigeöffnung und Thürchen versehen, um den äußern Zustand des Thurmes leicht in Augenschein nehmen zu können.

Zunächst mußte man nun auf eine Verbindung dieses neuen Thurmbaues, der von der untern Gußeisenplatte des untern Gerippes beginnt und hier blos auf den alten Thurm aufgesetzt war, mit dem untern alten Thurme bedacht sein; diese wurde aus 16 eisernen Verankerungsschließen, nämlich 8 in der äußern, und 8 in der innern Peripherie des Thurmes hergestellt, welche, wegen der äußern Ornamente der Pyramide von oben herab wie eine Gabel gestaltet, oben in dem gußeisernen Kranz, unten aber mit der Mauer verschraubt wurden. – Durch diese Construction ist nicht allein eine Verringerung des Gewichtes der obern Thurmspitze herbeigeführt, sondern auch jeder störenden Seitenbewegung begegnet worden.

Der auf der äußersten Spitze der Pyramide schwebende Doppeladler mit Kreuz, beide aus getriebenem Kupfer hergestellt und vergoldet, wurde am 20. October 1842 mit großen Festlichkeiten aufgesetzt.

Die ganze Höhe des Stephansthurmes beträgt nun 4351/2 Fuß, mithin ist er um 3’ 4’’ höher gegen früher, da Adler und Kreuz gegenwärtig 10’ 5’’ hoch sind.

Sämmtliche Baukosten betragen 130,000 Gulden, die des ersten Gerüstes 15,500 Gulden, dagegen die Abtragung der obersten Thurmspitze und neue Aufrichtung des obersten Gerüsttheiles 8500 Gulden. Das ganze Eisengerippe hat ein Gewicht von 123 Centnern. Den Plan zu diesem großartigen Wiederaufbau und der sinnreichen Eisenconstruction entwarf der Hofbaurath und Professor der Bauakademie Paul Sprenger, und die Zusammensetzung des Eisengerippes geschah in den Werkstätten des Mechanikers Böllinger.
C. K.