Der Minenkrieg
Der Minenkrieg.
Die vor Kurzem erfolgte Demolirung der Festungswerke von Jülich hat der preußischen Artillerie Veranlassung gegeben, bei dieser Zerstörungsarbeit umfängliche Versuche im Minenkrieg anzustellen, eine um so nützlichere Uebung für den Soldaten, als sich dieser Zweig der Kriegführung nur selten in Friedenszeiten umfänglich anschaulich machen läßt. Gleichwohl bildet derselbe einen, wichtigen Theil des Belagerungskrieges, zu dessen Anwendung man immer schreiten muß, sobald Hindernisse etwelcher Art dazu nöthigen, die auf der Oberfläche und bei Tageslichte nicht zu erreichenden Zwecke auf unterirdischem Wege im Schooße der Finsterniß zu erstreben. Wer sollte nicht schon von den Schrecknissen des Minenkrieges gehört haben? Ist doch der moralische Eindruck desselben selbst auf das Gemüth des Soldaten, der sich einem furchtbaren, unheimlichen und ebenso geheimnißvollen als vernichtenden Zerstörungsmittel gegenüber weiß, von solch mächtiger Einwirkung, daß oft das bloße Gerücht vom Vorhandensein von Minen hinreichte, die Entschlossenheit und Todesverachtung des Kühnsten zu lähmen. Wir wollen, veranlaßt durch die in Jülich stattgefundenen Uebungen, versuchen, unsern Lesern in Kurzem einen Blick in das Wesen des Minenkrieges thun zu lassen.
Minen sind bekanntlich unterirdisch eingeschlossene Pulverbehältnisse, welche entweder den Zweck haben, das sie umgebende Erdreich durch die Kraft einer entzündeten schwachen Pulverladung nur in soweit zu erschüttern, daß die in der Umgebung der Mine gelegenen Höhlungen des Erdreichs zusammengequetscht werden (daher der Name Quetschminen), ohne daß die Erschütterung sich bis zur Oberfläche des Bodens fortpflanzt, oder mittelst großer Pulvermassen, die man nahe unter die Erdoberfläche legt, die darüber befindlichen Gegenstände in die Höhe zu schleudern (Demolirungs-Minen). Auf freiem Felde gegen Truppen, z. B. zum Schutz von Verschanzungen angelegt, um lediglich Schrecken und Verwirrung unter den stürmenden Feinden zu verbreiten, wozu gewöhnlich einige Pfund eingegrabenes Pulver hinreichen, nennt man diese Art Minen Flatterminen. Indeß hat man im Felde selten die nöthige Zeit zu solchen umständlichen Vorbereitungen, und so bleibt die Anwendung der Minen im Kriege meist auf den Festungskrieg beschränkt, wo sie vom Angreifer wie Vertheidiger benutzt werden, und zwar von jenem, um sich den Weg zu den Festungswerken zu bahnen und diese dann umzuwerfen, von diesem, um durch Anlage von Contreminen die Angriffsarbeiten zu zerstören und den Angreifer unterirdisch zu bekämpfen.
Fast alle neueren Festungen, so z. B. auch die seit den Befreiungskriegen neuerbauten deutschen Bundesfestungen, sind gleich von Haus aus mit Einrichtungen versehen worden, um vom Haupt-Graben der Festung aus das muthmaßliche Angriffsterrain des Feindes durch Anwendung von Minen diesem auch unterirdisch streitig machen zu können, und so wird voraussichtlich bei einer etwaigen Belagerung dieser Plätze der Minenkrieg eine bedeutende Rolle spielen, trotz oder vielleicht gerade wegen der Vervollkommnung unserer heutigen Fernwaffen, wie noch vor wenigen Jahren die Belagerung von Sebastopol zeigte.
Die erste Anwendung der Pulverminen schreibt man Peter Navarro, einem Spanier in venetianischen Diensten zu, welcher sie 1500 bei der Belagerung von Cephalonia, ebenso gegen die Hafenschlösser von Neapel mir Erfolg versuchte. Von da an kamen die Minen allenthalben zur Einführung und fanden insbesondere bei den Türken großen Beifall. Ihre Minenarbeiten bei den Belagerungen Wiens 1529 und 1683, obgleich rein empirisch betrieben, sind erstaunenswerth und setzten die alte Kaiserstadt in harte Bedrängniß. Die heimtückischen Störungen, welche der Gang einer Belagerung durch den Minenkrieg erlitt, bildeten endlich im Laufe des 17. Jahrhunderts ein vollständiges Kriegssystem [696] in dieser Gattung aus, das noch heute in seinen Grundzügen besteht, wenn es auch jetzt auf wissenschaftlichen Grundsätzen ruht. Insbesondere war der Nutzen des Zeitgewinns, dieses Hauptaugenmerk des Vertheidigers, der Grund, daß die alten Kriegsbaumeister ihre festen Plätze vielfach mit Minensystemen unter dem gedeckten Weg und dem Glacis, d. h. auf dem Begrenzungsterrain der Festung nach außen, versahen. Man erbaute in dem Hauptgraben, vorausgesetzt, daß er nicht zu bewässern war, am Fuße der dem Feinde zugewendeten Grabenböschung, der sogenannten Contreescarpe, einen rings um die Festung laufenden hallenartigen Gang, die sogenannte Haupt- oder Enveloppengallerie, von welcher bereits fertige ausgemauerte unterirdische Gänge (Zweige, Rameaux) sich aller 40–50 Schritt in das Vorterrain erstreckten. Von diesen Zweigen aus gingen wieder niedrige und kürzere Nebenzweige (Horchgänge) seitwärts aus, die, mit den benachbarten zusammen betrachtet, ein vollständiges Gewebe unter dem Boden bildeten. Da man von den Spitzen der Horchgänge aus auf ungefähr 40 Fuß Entfernung unterirdische Arbeiten des Gegners hören kann, so sind die Horchposten im Stande, die Annäherung des Feindes schon von Weitem zu erfahren, denn der Angreifer kann keinen Schritt thun, ohne in die Wirkungssphäre eines der Horchgänge zu gerathen. Der Mineur des Vertheidigers hat hierdurch einen großen Vorsprung. Er baut vom Ende des Horchganges oder des nächstgelegenen Zweiges seinen unterirdischen Gang dem Feinde weiter entgegen, natürlich nur in Holzverkleidung, bis er dem gleichfalls arbeitenden Feinde so nahe gekommen ist, daß er die Mine glaubt wirken lassen zu können. Diese Wirkung wird immer darauf hinausgehen, entweder durch Anlage einer Quetschmine den Minengang des Angreifers zusammenzudrücken und den Mineur zu verschütten, oder, falls es sich darum handelt, ein Angriffsobject des Gegners, z. B. eine Batterie, in die Luft zu sprengen, eine Demolirungsmine anzulegen.
In beiden Fällen wird nun der Minengang an seinem Ende mit der entsprechenden Pulvermenge geladen (entweder mit Kästen oder Beuteln voll Pulver) und hierauf die Leitung zum Entzünden angebracht; schließlich erfolgt das Verdämmen und Verriegeln der Pulverkammer mittelst einer Wand von Holz, Sandsäcken und Rasen, die so stark sein muß, daß sie von der Wirkung des Pulvers nicht zerstört wird, damit sich diese lediglich gegen das in’s Auge gefaßte Object richtet. Zuletzt erfolgt das Zünden der Mine, wozu man die verschiedensten Vorrichtungen besitzt. Das Einfachste ist die sogenannte Zündwurst, eine mit Pulver ausgestopfte Wurst von Leinen oder Baumwolle, welche ihr eines Ende im Minen-Ofen, ihr anderes in den rückwärtigen Minengängen hat. Der sogenannte englische Patentzünder, ein dünnes Tau, welches im Innern wie das Mark in einem Knochen einen feinen Pulverkern hat, ist eine neuerfundene Abart der Zündwurst und wird, da sie hermetisch und wasserdicht hergestellt werden kann, besonders zum Zünden von schwimmenden und unterseeischen Minen angewendet, wie solche die Russen bei der Vertheidigung von Kronstadt etc. unter der Oberfläche des Wassers angebracht hatten. Außer dieser Zündmethode existiren noch eine Menge anderer mechanischer Zündmittel, z. B. die sogenannte Mausefalle, ferner eine Art Gewehrschloß, dessen Drücker mit einer Schnur abgezogen wird. Doch scheinen alle diese Arten in Zukunft durch die Anwendung der Elektricität und des Galvanismus in Wegfall kommen zu sollen, wie der erste gelungene Versuch dieser Art im Großen von den Oesterreichern 1853 im Lager zu Olmütz und neuerdings wieder in Jülich dargethan hat. Man bedient sich dazu gewöhnlicher Volta’scher Batterien, deren Draht durch den Minenofen geführt wird und durch Einwirkung des elektrischen Stromes mit seinem feinen Platin-Ende in Glühen versetzt wird. Die Entzündung erfolgt sicher und fast augenblicklich, ohne den Mineur einer Gefahr auszusetzen, in die er bei andern Zündmethoden leicht gerathen kann.
Doch ist es nicht allein die Mühseligkeit der Arbeit und die Gefahr beim Zünden, welche den Mineur bedroht. Wir erwähnten, daß es vor Allem auf den richtigen Moment des Zündens ankomme; aber selbst wenn es dem Mineur gelungen ist, dem Gegner hierin zuvorzukommen, erwachsen ihm aus seinem eigenen unheimlichen Siege neue Gefahren. Wenn er die Verdämmung weggeräumt hat, um weiterzuarbeiten, oder auch sonst in die Wirkungssphäre einer früher gesprengten Mine geräth, so strömen ihm die in der Erde zurückgehaltenen schädlichen Pulver-Gase entgegen, die ihn minenkrank machen. Hier kann ihn nur schneller Rückzug retten, denn die mit Erbrechen und Uebelkeit beginnende Krankheit endet oft mit dem Tode. Derartige Gasanhäufungen oder schlechte Wetter verhalten sich oft Jahre hindurch. In Festungen, wo vollständige Minensysteme erbaut sind, hat man deshalb auch besondere Ventilatoren in Vorrath, Apparate, welche mittelst lederner Schläuche frische Luft von außen in die Minengänge treiben und die verpestete Luft zum Austritt nöthigen.
Das gefährliche und dunkle Treiben des Mineurs ist nicht mit Unrecht mit der Thätigkeit des Maulwurfs verglichen worden. Auf den Knieen ruhend arbeitet der vorderste Mann der kleinen Arbeiter-Abtheilung mit einer kleinen Schaufel und gräbt sich ein schmales Loch vorwärts, um die daraus gewonnene Erde in einen Sack zu schütten und diesen seinem Hintermanne zu reichen, der ihn nach rückwärts zum Minengange hinaus befördert. Andere sind beschäftigt, das erzielte Loch sogleich mit Holz auszusetzen, wozu man sich einer Art Thürgerüste bedient, um den Minengang vor dem Einsturz zu sichern. Dies Alles geschieht beim Schein einer Laterne, in beengtester Körperstellung und oft bei Luftmangel, denn ist der Gang über 150 Fuß vom Eintritt der freien Luft entfernt, so ist das Athmen oft ganz unmöglich. Weiß sich der Mineur in der Nähe des Gegners, so tritt noch das Bewußtsein der Todesgefahr hinzu. Aus den dumpf zu ihm dringenden Arbeitsschlägen seines Feindes muß sein geübtes Ohr zu errathen wissen, ob derselbe noch vorwärts gräbt, oder bereits ladet oder gar schon verdämmt. Dann wird mit fieberhafter Hast gearbeitet, um dem Todfeind mit der Herstellung der eigenen Mine zuvorzukommen. Auch kommt es vor, daß die Mineure, wenn sie sich sehr nahe sind, gegen einander weiter arbeiten, um sich im persönlichen Kampfe zu begegnen. Dann gilt es meistens der Erste zu sein, ein Loch in den gegnerischen Bau zu machen, nicht größer, als um eine angezündete Stankkugel in den Gang des Feindes werfen zu können, deren aus Pech, Harz, Federn etc. entquillender Dunst diesen erstickt oder so betäubt, daß er seine Arbeit einstellen muß. Bricht der Angreifer unversehens mit seinen Gängen in das Minensystem des Vertheidigers ein, ein allerdings seltener Fall, so kommt es darauf an, so weit als möglich in den Contregallerien vorzudringen und diese an einer Stelle möglichst nahe an den Eingängen einzuwerfen und dadurch dem Vertheidiger die Benutzung dieser Gänge unmöglich zu machen. Unter Umständen kann es dann zu Kämpfen Mann gegen Mann in den Minen kommen, weshalb in einigen Armeen die Mineure mit Windbüchsen bewaffnet wurden. Nicht selten aber sind die Fälle, daß der glückliche Sieger nicht allein die drohende Gefahr von sich abwendete, und den Gang des Feindes auslud oder zerstörte, sondern sich desselben sogar zu seinem eigenen Vortheil bediente, sich in den Localitäten des Gegners einnistete und die eroberte Mine zuletzt gegen den Feind selbst vorrichtete.
Gewöhnlich wird die Aufgabe des Horchdienstes, den man den unterirdischen Sicherheitsdienst nennen kann, besonders dazu bestimmten Mineuren übertragen, die in den Horchgängen, kurzen, niedrigen Seitenschachten von nur einer Elle Höhe und Breite, auf dem Leibe liegend beim Scheine einer Sicherheitslampe eine kleine auf den Boden aufgestellte Trommel beobachten, auf deren Fell Erbsen gelegt werden, die durch ihre mehr oder minder hüpfende Bewegung vermöge der Erschütterung durch die feindlichen Schläge die Entfernung des Gegners andeuten. Ein anderes sinnreiches Mittel bietet die Beobachtung der schwingenden Bewegung leichter an einem eisernen Häkchen aufgehangener Metallglöckchen. – Doch trügt die verschiedene Festigkeit des Bodens, je nachdem derselbe sandig, thonig oder steinig ist, außerordentlich, und da ein genauer Horchmesser noch nicht erfunden ist, so bleibt die Combination der Meldungen verschiedener Horchposten in benachbarten Gallerien noch immer das sicherste Mittel, um den Schluß zu ziehen, wo und womit sich der feindliche Mineur gerade beschäftigt, sicher ist, daß der Dienst des Mineurs der beschwerlichste, aufregendste und ruhmloseste ist, da die Glorie der Bedeutung seines Wirkens im Dunkel der Nacht und ungesehen von der Mitwelt ihm leider nur zu oft verloren geht. Und wie wichtig doch oft dieses Wirken ist, mag das einzige Beispiel zeigen, daß bei der Belagerung von Sebastopol die russischen Mineure die angreifenden Franzosen während dreier Monate vor der Mastbastion auf einer Stelle festhielten, so daß dieselben es zuletzt aufgaben, dieser Bastion näher zu kommen. Mehrere Belagerungen wurden durch die Anwendung [697] des Minenkrieges um die doppelte Zeit ihrer gewöhnlichen Dauer verzögert.
Man ist bei den einfachen Minensystemen in der Vertheidigung indessen nicht stehen geblieben. In der Absicht, die Anlage der feindlichen Minengänge noch weiter zu erschweren, hat man in manchen Festungen Etagenminen erbaut. Hier sind mehrere Stockwerke von Minen übereinander, die untereinander durch Schächte und Treppen in Verbindung stehen. Man wird dadurch in den Stand gesetzt, ein und denselben Punkt des Glacis mehrere Male hintereinander zu erschüttern oder in die Luft zu sprengen, wenn die untern Etagen nur hinreichend tief liegen und stärker als die obern geladen werden. Doch sind solche Anlagen ungeheuer kostspielig, schwer zu bewachen und können dem Feinde in ihrer Gesammtheit durch Zufall leicht in die Hände fallen; auch kann bei der engen Verbindung aller Theile des Minensystems dasselbe durch einen einzigen Schuft vollständig mit Pulverdampf erfüllt werden. Das großartigste Beispiel eines solchen gigantischen Dachsbaues bietet die Festung Peterwardein, deren einziger Angriffspunkt, eine schmale in die Ebene vorspringende 150 Fuß hohe Landzunge, durch ein Hornwerk vertheidigt ist, unter welchem vier Etagen mit Ziegeln ausgemauerter Minengänge untereinander liegen. Der Verfasser dieses ist zwei Stunden in denselben umhergewandert, ohne sie sämmtlich gesehen zu haben.
Lange Zeit hindurch bewegte sich die Theorie des Minenkrieges auf empirischem Gebiete, bis zu Anfang des 18. Jahrhunderts der spätere General Belidor – damals Lehrer in der Artillerieschule zu la Fère – mit Scharfsinn eine neue Minentheorie aufstellte, die in ihren Haupttheilen noch gegenwärtig gültig ist. Man wußte allerdings aus Erfahrung, daß eine in der Erde eingegrabene und entzündete Mine nach allen Seiten einen gleichen Druck auf das Erdreich ausübe, und nannte den Bereich dieser Wirkung die Trennungssphäre. Geht nun diese Trennungssphäre über die Erddecke hinaus, so zeigt sich die Wirkung der Mine zu Tage, d. h. es wird dann die Erddecke innerhalb dieser Sphäre in Gestalt einer Garbe in die Luft geschleudert und eine Grube gebildet, die bis unter die eingegrabene Pulverladung reicht. Diese gebildeten Aushöhlungen nennt man die Minentrichter, und eine gedachte gerade Linie von der Pulverladung bis zum Erdboden in der Axe des Trichters die kürzeste Widerstandslinie, den Durchmesser der in die Luft geschleuderten Erddecke den Trichterdurchmesser. (Natürlich ist hier nicht von Quetschminen die Rede, die gar keine oberirdische Wirkung haben.) Nun glaubten die alten Ingenieure, daß, wenn man eine Mine noch so stark lade, der Trichterhalbmesser niemals größer als die kürzeste Widerstandslinie ausfallen könne, bis Belidor dieses Vorurtheil durch seine Theorie umwarf und nachwies, daß die Größe der von Minen ausgehobenen Trichter mit den Ladungen zunehme und deshalb ihr Durchmesser weit über das Doppelte der kürzesten Widerstandslinie steigen könne, wobei gleichzeitig auch die Erde ringsum kreisförmig so erschüttert werde, daß alle in derselben befindlichen hohlen Räume, wie z. B. feindliche Minengänge, in diesem Bereich zusammengedrückt würden. Er nannte diese Minen überladene Minen oder Druckkugeln. Ein 1753 zu Bisy angestellter Versuch mit einer nur 12 Fuß tief liegenden, mit 3000 Pfund Pulver geladenen Mine gab einen 66 Fuß weiten und 17 Fuß tiefen Trichter, wodurch die Belidor’sche Theorie die erste Bestätigung im Großen erhielt. Friedrich der Große ließ 1762 bei Schweidnitz durch Lefevre mit bestem Erfolg diesen Versuch wiederholen, und seitdem sind in mehreren der wichtigsten Belagerungen durch Anwendung überladener Minen die Wälle belagerter Festungen eingeworfen und eine zum Sturm gangbare Breschöffnung in denselben erzielt worden, so bei Choczim, Bender (1769), Valenciennes (1793), Bhurtpore im Birmanenstaate (1825). Auch bei dem jüngsten Festungsmanöver in Jülich wurde am 25. Septbr. durch Anwendung einer überladenen Mine von 30 Centner Pulver eine Wallöffnung hervorgebracht, die dann in einem Scheinangriff zur Einnahme der Festung führte. Die beistehende Abbildung mag dem Leser die furchtbare Wirkung einer solchen Explosion anschaulich machen.
Seit der Kenntniß überladener Minen ist der Minenangriff unbedingt in Ueberlegenheit gegen die Minenvertheidigung gekommen. Der Angriff braucht sich nämlich durchaus nicht zu scheuen, sehr große Ladungen anzuwenden, welche Trichter geben; denn die entstandenen Oeffnungen auf der Erdoberfläche dienen dem Angreifer dazu, statt der mühsam auszugrabenden Laufgräben ihm sofort eine Deckung zu verschaffen, die nur zum weitern Gebrauch hergerichtet zu werden braucht, weshalb man gewöhnlich eine ganze Reihe von Trichtern nebeneinander auswerfen läßt, die man dann zu einem Laufgraben miteinander verbindet. Diese Methode ward auch, wo es die Weichheit des Erdbodens zuließ, mit Erfolg von den Franzosen vor Sebastopol angewendet. So nähert sich der Angreifer allmählich der Festung, wirft dann die Contreescarpe durch eine überladene Mine in den Graben, erzeugt sich dadurch einen Niedergang in denselben und kann ebenso den Wall einwerfen, um eine Bresche zu erzielen. Gleichzeitig mit der oberirdischen[WS 1] Wirkung vermehrt sich aber auch die unterirdische, und folglich wird, da dem Angreifer große Ladungen gestattet sind, derselbe auch gleichzeitig einen Theil der feindlichen Contreminen mit eindrücken, also doppelten Vortheil haben. Weil die oberirdische Wirkung dem Angreifer vortheilhaft ist, darum muß sie der Vertheidiger seinerseits vermeiden. Er darf sie nur in Ausnahmsfällen anwenden, z. B. um fertige armirte Breschebatterien in die Luft zu sprengen oder ein nicht mehr zu haltendes Werk für den Feind unbenutzbar und sich durch Wegsprengen unschädlich zu machen. Im Wesentlichen ist also der Vertheidiger auf die Anwendung von Quetschminen reducirt, die er möglichst tief anzulegen suchen muß, um bei der Anwendung von starken Ladungen nicht eine oberirdische Wirkung mitzuerzielen, die nur dem Angreifer zu gute kommen würde. Immer haben aber starkgeladene Quetschminen den Nachtheil, daß sie gar zu leicht die eigenen Minengänge mit zerstören, und der Vortheil des Angreifers beim Gebrauch überladener Minen bleibt also immer bestehen.
Indessen ist trotz der Initiative die Aufgabe des Angreifers eine schwer zu lösende. Einmal muß er einem fertig und tief angelegten Minensystem vom freien Felde aus mit Zeit- und Müheaufwand entgegengehen, und hat er dann auch mit Glück eine Reihe Trichter nebeneinander ausgeworfen, in welchen sich seine Truppen einnisten (logiren) können, so bereitet ihm das weitere Vorgehen mit neuen Gallerien aus dem von ihm gesprengten Trichter neue Schwierigkeiten, da der Boden ringsum durch Pulvergas verpestet ist. – Sehr oft kommt aber der Angreifer eben gar nicht bis zum Sprengen der Mine, oder muß seine Arbeit mehrmals von vorn beginnen, wenn der Vertheidiger ein gut organisirtes Horchsystem besitzt, sich in seinen bei dem Anfang der Belagerung schon fertigen Minengängen ganz ruhig verhält, und die Mine des Angreifers durch eine Quetschmine zusammendrückt, wenn diese ihrer Vollendung entgegengeht. Eine andere Chicane des Vertheidigers besteht darin, daß er durch seine Horcher erforschen läßt, wenn der Feind seinen Galleriebau einstellt und zu laden anfängt. Der Angriffsmineur bedient sich großer Pulverladungen, deren Laden und Verdämmen viel Zeit erfordert. Während nun der Angreifer verdämmt, kann der Vertheidiger aus seinen nächsten Minenspitzen schnell mit einem kleinen Gang vorbrechen, und hat er Glück, so stößt er gerade auf den Pulverkasten des Feindes und leert diesen aus, was man das Ausblasen der Mine nennt, und was jedenfalls zu einer sehr unangenehmen Enttäuschung für den Angreifer führen muß.
Alle diese Schwierigkeiten bringen den Gedanken sehr nahe, daß dem Angreifer der ganze langwierige Minenkrieg erspart würde, wenn es ihm gelänge, dem Vertheidigungsmineur die Eingänge zu seinen Minen abzusperren. Daher ist es schon bei manchen Belagerungen vorgekommen, daß der Angreifer einen Sturm auf den Rand des Festungsgrabens (den sogen. bedeckten Weg) von seinem letzten Laufgraben aus versucht hat, um während der Verwirrung des Gefechts, das gewöhnlich bei Nacht erfolgt, durch mitgenommene Mineurs die Eingänge zu den Contreminen aufsuchen und einwerfen zu lassen, d. h. den Vertheidiger von der Benutzung seiner Minen abzuschneiden. Konnte man sich während 4–5 Stunden der Nacht in dieser Lage behaupten, so senkte wohl auch der Angreifer gleich eine Anzahl nebeneinanderliegender Schachtminen, ähnlich den Brunnen, schnell ab, lud sie mit Pulver und verdämmte die Oeffnung des Schachtes nur durch hineingeworfene, mit Sand gefüllte Säcke. Kommen diese Schachte an die richtige Stelle, was eine genaue Kenntniß des feindlichen Minengewebes voraussetzt, so sind sie allerdings iM Stande, unfehlbar die Enveloppengallerie mit ihren Aesten und Horchgängen einzudrücken und so den Minenkrieg bis zum Grabenrande mit einem Male zu beendigen.
[698] Damit ist aber der Minenkrieg noch nicht zu Ende. Ist der Angreifende bis zum Grabenrande gekommen, hat derselbe vielleicht sogar durch Hülfe der Minen die äußere Grabenseite eingestürzt, so kann er sich auch noch der Minen zur Eroberung der Festungswerke selbst bedienen, indem er, statt durch Brescheschießen, durch Wirkung einer Breschemine einen Wallbruch und Zugang in’s Innere der Festung hervorzubringen sucht. Dann muß der Mineur am jenseitigen Fuße der Mauer, durch eine Bedachung geschützt, in diese hineinbrechen. Bei nassen Gräben läßt man durch die Breschebatterien ein Loch in die Mauer schießen, dann den Mineur auf einem Flosse dahin übersetzen und durch die vorbereitete Oeffnung die Minenladung hinter der Festungsmauer ansetzen, wie dies die Franzosen bei der letzten Belagerung der Citadelle von Antwerpen 1832 ausführten. Man tritt dann in das letzte Stadium, für welchen Zeitpunkt es doppelt nothwendig ist, daß der Vertheidiger bereits vorbereitete Minengallerien zu seiner Verfügung hat, weshalb bei Erbauung der Festungen auf deren Anlage gleich Rücksicht genommen wird. Es liegen Beispiele in der Kriegsgeschichte vor, daß selbst nach erzielter Bresche der Angreifer nicht im Stande war, auf derselben stürmend in das Innere der Festung zu dringen, daß er sich entschließen mußte, auf der Bresche mit Laufgräben Schritt vor Schritt in die Höhe zu gehen, und daß der Vertheidigungsmineur bis zum letzten Augenblicke seine Schuldigkeit that, indem er diese Laufgräben auf der Bresche und auf den Wallgängen in die Luft sprengte oder den stürmenden Truppen Flatterminen auf der Bresche selbst legte. Ein letztes Mittel, sich von verlorenen Werken mit einem Schlage zu befreien, besteht endlich für den Vertheidiger darin, sie mittelst einer bereits vorbereiteten Demolitionsmine in die Luft zu sprengen und hierdurch für sich wie für den Feind zu vernichten, eine heroische That, zu der es indessen gewöhnlich nicht mehr kommt, da Verluste, Mangel an Lebensmitteln und Pulver, wie die Erschöpfung der am Ende bis auf’s Aeußerste angestrengten Besatzung die Belagerung schon früher zu Ende gebracht haben.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: oberirdidischen