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Der Maskenscherz im Nonnenkloster

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Textdaten
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Titel: Der Maskenscherz im Nonnenkloster
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 566–567
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Maskenscherz im Nonnenkloster.

Ein Geschichtlein aus dem wirklichen Leben.

Es ist wunderbar, wie der Scherz sich oft die ernstesten Stätten aussucht, um sich Gehör zu verschaffen, wie er die würdigsten Matronen zu seinen Opfern wählt! So erinnere ich mich einer Begebenheit, die in meiner Heimath seiner Zeit viel von sich reden machte und allgemeine Heiterkeit erregte.

In meiner Vaterstadt kennt Jeder das landesfürstliche Palais mit der Hauptwache zu seiner Seite, doch nicht Alle werden die kleine Pforte beachtet haben, welche dicht daneben liegt und in die für sich bestehende kleine Welt des Klosterheiligthums führt, das, rings von hohen Mauern umgeben, mitten in dem lebhaftesten Theile der Stadt liegt. Dieses Kloster ist nicht gerade ein Aufenthalt für fromme, der Welt entsagende Nonnen, die dort über die Enttäuschungen des Lebens trauern und nachdenken wollen, sondern vielmehr eine Versorgungsanstalt für ältere unverheiratete Jungfrauen; denn nur solchen wird der Eintritt dort gestattet; acht bürgerlichen und einem adligen Fräulein bietet es ein freundliches Heim.

Vor undenklich langen Zeiten war eine schwedische Prinzessin auf hoher See von Sturm und Unwetter überfallen worden, sodaß ihr Schiff in größter Gefahr war zu kentern, da that sie in ihrer Herzensangst das Gelübde, bei glücklicher Landung und Rettung aus Todesgefahr an dem ersten Orte, wohin sie gelangen würde, aus Dankbarkeit ein Kloster zu stiften mit reicher Dotation zur Versorgung armer Jungfrauen. Der Sturm legte sich, und dankerfüllt landete die Prinzessin, hielt aber auch ihr Versprechen; sie ließ eine Kirche und daneben eine Anzahl gesunder schöner Wohnungen erbauen, von Gärten und Wiesen umgeben. So entstand unser Kloster.

Die Wohlthat dieser Anstalt bewährt sich bis auf den heutigen Tag, und wie eine besondere Bevorzugung sieht es jedes Mädchen an, wenn die Eltern ihr schon in zarter Jugend die Berechtigung zur Aufnahme erkauft haben. Ein alleinstehendes Mädchen kann sich keinen besseren Zufluchtsort wünschen als dieses Kloster. Sie ist nicht einmal verpflichtet, immer dort zu wohnen, sondern kann, wenn ihre pecuniären Mittel es ihr erlauben, Monate lang auswärts leben.

Nun soll man aber nicht denken, daß dieses Asyl, das nach äußerem Beschauen so recht eine Stätte des Friedens ist, auch in Wirklichkeit so viel Frieden in sich schließt. O weh – neun unverheirathete alte Damen unter einem Dache, wie könnte da wohl immer Eintracht herrschen! Da ist Neid und Abgunst, beleidigtes Selbstgefühl ohne Ende, und geredet wird von Einer zur Andern, um die Zeit auszufüllen, sodaß oft die Zwietracht aus allen Ecken heraus schauet.

Zu der Zeit nun, wo unsere kleine Geschichte spielt, war gerade der Kampf lichterloh entbrannt und hätte sich vielleicht noch immer weiter entwickelt, wenn nicht ein ganz unerhörtes Ereigniß, das die Aufmerksamkeit der alten Damen in Anspruch nahm, sie von sich selbst abgelenkt hätte. Es begab sich nämlich, daß die adlige Stelle durch den Tod des Fräulein von D. vacant wurde; ihre Nachfolgerin sollte ein kaum erblühtes, ganz junges Mädchen, die Tochter eines hohen Officiers, sein. Die alten Damen setzten voraus, daß die jugendliche Conventualin beim Landesfürsten um die Erlaubniß nachsuchen werde, ihre Wohnung bei den Eltern zu behalten und bis zu einem vorgerückteren Alter die Klosterräume leer stehen zu lassen. Sie hatten sich jedoch getäuscht: dem schönen Fräulein erschien es vielmehr höchst amüsant, von jetzt ab als Klosterfräulein aufzutreten, und da sie nicht allein dort wohnen konnte, so brachte sie ihre noch jüngere Schwester, die eben eingesegnet war, als Gesellschafterin mit und Beide versprachen sich das köstlichste Vergnügen von ihrem Aufenthalt im Kloster.

Anfangs machte das frische fröhliche Leben der beiden Schwestern auch keinen unangenehmen Eindruck auf die alten Damen, wenigstens wollten sie es nicht eingestehen, daß die fröhlichen lachenden Stimmen ihnen ungelegen kämen. Bald aber fingen die würdigen Conventualinnen, eine nach der andern, an, das Singen, das Haschen, das Laufen während der sonst so lautlosen Nachmittagsruhe unerträglich zu finden, und manche Klage erscholl erst leise und dann immer lauter. Die guten Alten ahnten noch nicht, daß dies nur der Anfang eines noch viel größeren Entsetzens sein sollte; denn der Uebermuth der jungen Klosterbewohnerinnen wurde von Tag zu Tag ärger: jugendliche Freundinnen kamen zu den beiden lustigen Schwestern, um neugierig das ganze Kloster zu durchspähen; sie wurden durch alle Gänge, auch auf den Boden geführt, wo noch viele alte Särge stehen, die theils Schrecken, theils Interesse bei der Jugend erregten, dann in die Gärten, wo man entzückt über die großen Rasenplätze tanzte, alle möglichen Pläne zur Belustigung entwarf. Schließlich wurde für den nächsten Nachmittag eine Crockett-Partie verabredet und unter Kichern und Lachen über die Einzuladenden hin und her gestritten. O ihr ausgelassenen Mädchen, wenn ihr bedacht hättet, was ihr damit anrichtetet! Wenn ihr gesehen hättet, wie die würdigen Kopfgebäude der alten Klosterdamen wackelten, wie mancher drohende Finger sich gegen euch erhob, ob solchen Unfugs! Die beiden jungen Klosterschwestern trafen am anderen Tage geschäftig die Vorbereitungen zum Kaffee, und ungeduldig wurden die Gäste erwartet. Da verlautete aber in den ernsten Klostermauern etwas Entsetzliches: nicht nur die Freundinnen, nein auch der Bruder der beiden jungen Damen, ein Officier, wollte mit seinen Cameraden erscheinen und an dem Crockettspiel theilnehmen. Fürchterliche Kunde! Wo war da die Ruhe des Klosters geblieben, wo der Respect vor der Frau Domina, deren Erlaubniß einzuholen das adlige Fräulein für überflüssig erachtet, wie sie überhaupt in ihrer Sonderstellung glaubte, außer dem Bereiche der Domina zu stehen.

Der Nachmittag rückte heran; einzeln waren die Gäste in die [567] Wohnung der Schwestern geschlüpft, und nur das brausende Lachen und Scherzen drang zuweilen in die stillen Gänge hinaus; dann ging es in den Garten, wo der herrliche Sonnenschein sich schier zu freuen schien über eine Gesellschaft, wie sie so lustig an diesem Orte noch nicht gesehen worden.

Die gute, alte Domina, der geschäftig jedes neue Gerücht zugetragen worden war, hatte ungläubig den Kopf geschüttelt, weil sie es gar nicht für möglich gehalten, daß man einen solchen Frevel vor ihren Augen ausführen werde. Sie forderte aber doch die Klostergenossinnen auf, in ihr Zimmer zu kommen und von dort die Vorgänge im Garten zu beobachten; die alten Damen strengten auch schon lange ihre Gehörnerven an, um das Sporenklingen heranrücken zu hören. Wie lang wurden aber ihre Gesichter, als die Gesellschaft im Garten sichtbar wurde und keine Uniformen, sondern nur junge Mädchen erschienen! Wo waren die Schrecklichen, die Herren Officiere?

Wären die Augen der guten Alten nicht durch die Jahre geschwächt gewesen, so würde es ihnen aufgefallen sein, daß ein Theil der Jungfrauengestalten da vor ihnen im Garten sehr plump und ungeschickt aussah und immer von Neuem die Lachlust der Anderen erregte; die ehrwürdigen Matronen saßen ganz betroffen da und wagten kaum, den Blick zur Frau Domina zu erheben. Sollte die Kunde von dem Unerhörten, das sie so geschäftig von Ohr zu Ohr getragen hatten, sich nicht erfüllen? Keine Officiere?

Frau Domina wollte gerade anheben, eine Strafpredigt an ihre Gefährtinnen zu richten, die so böswillig die Jugend verleumdet, als die Aufmerksamkeit der würdigen Damen von Neuem auf die Gruppe im Garten gelenkt wurde; denn – was war das? Jenseits der hohen Mauer des Klostergartens, im daran grenzenden Park des Landesfürsten erscholl plötzlich rauschende Musik, welche ohne Frage nur die Herren Officiere in Scene gesetzt haben konnten, und in demselben Augenblicke schwebte auch schon Paar auf Paar über den Rasen dahin. O weh! jetzt war es vorbei mit aller Mummerei; selbst den blöden Augen der alten Damen entging es nicht, daß sämmtliche Zusammentanzende ganz wunderbar zu einander paßten – gar nicht, als ob das Paar aus zwei Mädchen bestände, und daß ferner hier und da unter den langen, ungeschickt umherschlagenden Röcken merkwürdig große Stiefel und bei der einen der tanzenden Gestalten sogar ein Paar Sporen hervorlugten; ja auch die zarten Mädchenstimmen hatten sich zum Theil sogar in tiefe Baßstimmen verwandelt, sodaß ein Irrthum nicht mehr möglich war: es waren wirklich Officiere im Nonnenkloster.

Mit einem Schrei des Entsetzens fiel die gute Domina in ihren Sessel zurück; die Prise, die sie zwischen den Fingern hielt, war denselben auf dem Wege zur Nase entfallen, und „Männer – Männer!“ tönte es von ihren Lippen. Dieser Frevel war doch zu groß – wie sollte er gesühnt werden?

Alle Schwestern bemühten sich, gleich entsetzt zu erscheinen wie die Frau Domina; verschiedene mehr oder weniger gut gespielte Ohnmachten ereigneten sich, und durch die dabei üblichen Aufschreie wurde die flotte junge Gesellschaft nicht wenig erschreckt und hielt sofort im Tanzen inne; eilig ergriffen Tänzer und Tänzerinnen die Flucht.

So endete das übermüthige Treiben der jungen Klosterschwestern; denn unmöglich konnten sie nach diesem Attentat noch länger im Kloster bleiben; sie flüchteten sich zu ihren Eltern und baten um Schutz und Beistand in dieser heiklen Sache.

Die Domina, die in ihrem tiefen Gekränktsein kaum wußte, wie sie dem Vater der jungen Sünderinnen ihre Entrüstung darthun sollte, wurde indessen aller Mühe überhoben: denn schon am nächsten Morgen erschien der Herr Oberst selbst bei ihr und verstand in so herzgewinnender und doch ehrfurchtsvoller Weise für seine beiden Mädel um Verzeihung zu bitten, daß die gutmüthige Frau Domina bald besänftigt wurde und vollends Alles gern verzieh, als der Vater ihr die gestern Abend stattgefundene Verlobung seiner ältesten Tochter, des „Klosterfräuleins“, mit einem der jungen tanzlustigen Officiere mittheilte. Ein „Gott sei Dank!“ entfloh den Lippen aller alten Damen, wie sie das letztere Ereigniß vernahmen, und mit großer Uebereinstimmung thaten sie den Ausspruch, daß die nunmehrige glückliche Braut für’s Kloster doch nie tauglich gewesen wäre.

Der alte Klostergarten hat seitdem nie wieder so fröhliches Leben geschaut; tiefe Grabesstille liegt nach wie vor über ihm ausgegossen, und nichts stört mehr die friedliche Nachmittagsruhe der alten Damen; es müßte denn sein, daß der Sonnenschein, der durch die dichtberankten Fenster dringt, ihnen auf der Nase spielt oder daß eine Nachtigall den Flug über die Mauer genommen und nun vor dem Fenster der einen oder der andern ihr klagendes Liebeslied singt und dadurch die Träume der Alten stört; sonst aber ist Alles beim Alten geblieben in dem stillen Jungfrauenheim. Es wird schwerlich zum zweiten Male ein junges heißblütiges Kind Wellenschlag in die Eintönigkeit hinübertragen und den Staub aus den Ecken aufwirbeln; denn wenn sich auch Alles im Leben wiederholt – ein Maskenscherz im Nonnenkloster? Nein, der ist zu unerhört, der kann nur einmal existiren in den Jahrbüchern der Weltgeschichte.