Der Mann im Mond (Hauff)/Zweiter Teil
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Es war vierundvierzig Minuten auf Mitternacht, als aus des Präsidenten Haus ein paar dunkle Gestalten traten; die eine, größere, war in einen dicken Überrock geknöpft, den Hut tief ins Gesicht gedrückt; die andere, kleinere, hatte einen Shawl von dunkler Farbe um den Kopf geschlagen, war tief in einen Karbonaro eingewickelt, der aber zu lang schien, denn die Person, die ihn trug, mußte ihn alle Augenblicke aufnehmen. Die beiden Gestalten schlichen sich dicht an den Häusern hin, gingen mehrere Straßen entlang und verschwanden endlich im Portal der Münsterkirche.
Bald darauf kam ein Mann mit einer Laterne über den Münsterplatz; es war der Freilinger Küster; er schloß schweigend die große, garrende Kirchthüre auf und winkte den beiden Gestalten, einzutreten. Die kleinere schien zu zögern, als scheue sie sich, in den nachtrabenschwarzen Dom zu treten; als aber der Küster mit seiner Laterne voranleuchtete, schien sie mutiger zu werden und folgte, doch sah sie bei jedem Schritt unter dem Shawl hervor, als fürchte sie, irgend etwas Greuliches hinter den großen Säulen hervorgucken zu sehen.
Am Altar machten sie Halt. Der Küster zeigte auf einen breit vorspringenden Pfeiler, von wo aus man den Altar und einen großen Teil der Kirche übersehen konnte, und die beiden Verhüllten nahmen dort ihren Platz; die Laterne gab übrigens so wenig Licht, daß man, ohne näher zu treten, die an dem Pfeiler Sitzenden von dem übrigen Dunkel nicht unterscheiden konnte. Indem hörte man den Glockenhammer im Turme surren und zum Schlag [124] ausholen, der erste Glockenschlag von Mitternacht rollte dumpf über die Kirche hin, und zugleich hallten eilende Schritte den mittleren Säulengang herauf dem Altar zu. Es war Martiniz mit seinem Diener.
Blaß und verstört setzt sich jener, wie er alle Nacht zu thun pflegte, auf die Stufen des Altars.
Zuerst sah er still vor sich hin, er weinte und seufzte, und wie in jener Nacht, da ihn der Küster zum erstenmal gesehen hatte, rief er mit wehmütiger, bittender Stimme: „Bist du noch immer nicht versöhnt? Kannst du noch immer nicht vergeben, Antonio?“ Seine Stimme tönte voll und laut durch die Gewölbe der Kirche, aber kaum war der letzte Laut verhallt, da rief eine silberreine, glockenhelle Stimme wie die eines Engels vom Himmel: „Er hat vergeben!“ Freudiger Schrecken durchzuckte den Grafen, seine Wangen röteten sich, sein Auge glänzte, er streckte seine Rechte zum Himmel hinauf und rief: „Wer bist du, der du mir Vergebung bringst von den Toten?“ Da rauschte es an jenem vorspringenden Pfeiler, eine dunkle Gestalt trat hervor, der Graf trat bebend einen Schritt zurück, sein Haar schien sich emporzusträuben, sein Blick hing starr an jeder Bewegung des Nahenden; die Gestalt kam näher und näher, der milde Schein der Laterne empfing sie, noch einige Schritte und – der dunkle Mantel fiel, ein seraphähnliches Wesen, – Ida – mit der Taubenfrommheit eines himmlischen Engels schwebte auf den Grafen zu. Dieser war in ein willenloses Hinstarren versunken, noch immer glaubte er einen Bewohner höherer Räume zu sehen, bis ihn die süße, wohlbekannte Stimme aus der Betäubung weckte:
„Ich bin es“, flüsterte, als sie ganz nahe zu ihm getreten war, das mutige, engelschöne Mädchen, „ich bin es, die Ihnen die Vergebung eines Toten verkündigt. Ich bringe sie Ihnen im Namen des Gottes, der ein Gott der Liebe und nicht der Qual ist, der dem Sterblichen vergibt, was er aus Übereilung und Schwachheit gesündigt, wenn ernste Reue den Richter zu versöhnen strebt. Dies lehrt mich mein Glaube, es ist auch der Ihrige; ich weiß, Sie werden ihn nicht zu schanden machen. Du aber“, setzte sie mit feierlicher Stimme hinzu, indem sie sich gegen das Schiff der [125] Kirche wandte, „du, der du durch die Hand des Freundes fielst, wenn du noch diesseits Ansprüche hast an dieses reuevolle Herz, so erschein’ in dieser Stunde, zeige dich unseren Blicken oder gib ein Zeichen deiner Nähe!“ Tiefe Stille in dem Gotteshause, tiefe Stille draußen in der Nacht, kein Lüftchen regte sich, kein Blättchen bewegte sich. Mit seligem Lächeln, mit dem Sieg der Überzeugung in dem strahlenden Auge wandte sich Ida wieder zum Grafen: „Er schweigt“, sagt sie, „sein Schatten kehrt nicht wieder, – er ist versöhnt!“
„Er ist versöhnt“, jubelte der Graf, daß die Kirche dröhnte, „er ist versöhnt und kehrt nicht wieder! O Engel des Himmels, Sie, Sie haben ihn gebannt, Ihre treue Freundschaft für mich Unglücklichen, die ebenso hoch, ebenso rein ist als Antonios Treue und Großmut, sie hat den blutigen Schatten versöhnt, wie kann ich Ihnen danken –“
„Danken Sie dem, der stark war in mir Schwachen“, sagte Ida, indem sie ihm sanft die Hand entzog, die er gefaßt und mit glühenden Küssen bedeckt hatte, „wollen Sie aber mir etwas mehr gönnen als das Bewußtsein, dem Freunde genützt zu haben, so danken Sie mir dadurch, daß Sie sich wieder den Menschen schenken, daß Sie wieder heiter und froh sind, wie es Menschen gebührt, denen Gott die schöne Erde zu einem Ort der Freude geschenkt hat.“ Sprachlos faßte er das zarte Händchen wieder und drückte es an sein klopfendes Herz, sein freudiges Lächeln, ein seliger Blick sagten ihr, daß er erfüllen wolle, was sie ihm geheißen.
Der Hofrat war indes näher getreten und hatte mit freudiger, zuweilen etwas schalkhafter Miene die schöne Gruppe betrachtet. Man konnte aber auch nichts Schöneres sehen. Der hohe, schlanke, junge Mann mit dem zarten, sprechenden Gesicht, aus dem jetzt alle Wehmut, alle Trauer gewichen war, das jetzt nur Freude und Glück aussprach, an seiner Seite die feine Seraphgestalt mit dem lieblichen Engelsköpfchen, das aus den sinnigen, schmelzenden Augen so freudig, so schmachtend an jenem hinaufsah, – sie beide umstrahlt von dem ungewissen, milden Schein der Laterne, an den Seiten und im Hintergrund der Altar [126] und die wunderlich geformten Bogen und Säulen des majestätischen Tempels. „Nun“, dachte Berner, „sei es um ein paar Wochen, dann sind wir zu guter Tageszeit wieder hier am Altar, dort auf den Stufen steht dann der Herr Pastor primarius, und weiter unten müssen mir die beiden Leutchen dort knien; der Herr Pastor spricht dann den Segen, und sie sind kopu—[WS 1]“
Es zupfte ihn etwas am Rockschoß, er sah sich um. Der alte Brktzwisl stand hinter ihm und wischte sich einmal über das andere die alten Augen, die vor seliger Rührung übergingen. „Das ist Ihr Werk, Herr Hofrat“, schluchzte er, „möge es in Zeit und Ewigkeit –“ – „Sei still“, flüsterte Berner, „dein Werk ist es, denn hättest du nicht endlich geschwatzt, so spukte der Herr Antonio nach wie vor.“
Der alte, treue Diener nahm aber das Lob nicht an, „nun am Ende ist es doch der Himmelsengel dort“, schluchzte er weiter, „der es vollbracht hat, ohne sie hätten wir anzetteln können, was wir hätten wollen, wir hätten doch nichts zuwege gebracht. Morgenden Tages schreibe ich alles dem alten Herrn Onkel, und der kann nicht anders, er muß seinen Segen zu der holdseligen, zukünftigen Frau Gräf–“ Ein Wink seines Herrn unterbrach ihn, er eilte zu ihm hin, küßte die Hände des Grafen und den Saum von Idas Gewand und brachte dann, wie ihm der Graf befahl, Idas Mantel. Scherzend, als ging es von einem Ball nach Hause, hing Martiniz dem holden Mädchen den Mantel um und hüllte ihr das Köpfchen so tief in den Shawl, daß nur noch das feine Näschen hervorsah; der Hofrat führte sie, der stillselige Graf ging neben seiner Retterin her, und Berner wurde gar nicht eifersüchtig, daß diese das Gesichtchen immer nur dem Grafen und viel seltener ihm zuwandte.
Brktzwisl und der Küster, der ganz traurig schien, daß seine Thalerquelle doch endlich versiegt war, schlossen den Zug. „So Gott will“, sagte zu ihm der alte Diener, als er die Thüre schloß, „sind wir zum letztenmal nachts da drinnen gewesen; dir soll es übrigens dennoch nichts schaden, alter Kauz; wenn deine durstige Seele nach einem Glas Wein verlangt, so komme nur zum alten Brktzwisl in den Mond, da setzen wir uns denn hinter den Tisch, [127] die Frau Wirtin muß Alten geben, und wir trinken dann aufs Wohlsein meines Herrn und des schönen Fräuleins.“
Der alte Brktzwisl kam am andern Morgen mit einem Gesicht, aus welchem man sich nicht recht vernehmen konnte, zum Hofrat; er wünschte mit freundlichem Grinsen guten Morgen und zischte doch dabei, wie wenn er Rhabarber zwischen den Zähnen hätte, ein „wenn nur das heilige Kreuzdonner–“ oder „wenn nur das Mohren–Kraut–Stern–Elementerchen“ um das andere heraus. Er rapportierte, daß er einen Brief von der alten Exzellenz, dem Oheim, habe, worin ihm dieser ankündige, daß er seine Briefe nach Fuselbronn, einer Badeanstalt zwischen Freilingen und der Residenz seitwärts gelegen, zu schicken habe. „Der Kuckuck!“ rasaunte der alte, treue Knecht, „hätte der alte Herr nicht die vierzehn Meilen weiter machen können; jetzt wäre er hier in Freilingen und schaute das Glück seines Herrn Brudersohnes mit leiblichen Augen, könnte nebenbei auch den Hochzeitvater vorstellen! Was hilft mich das, daß er wieder schreibt: ‚Brktzwisl, scheue keine Kosten, wir können es ja bezahlen, wenn der Himmel unserm Emil wieder gesunden Menschenverstand verleihen will.‘ Was hilft mich das? In allen Nestern von Italien, Frankreich, Schweden, Norwegen, England, Holland, wo wir herumfuhren, habe ich keine Kosten gescheut; ich mag gar nicht denken, was nur die Doktores kosteten, wenn ich allemal die Antwort bekam: ‚Reise weiter! Zerstreuung hilft! Glückliche Reise.‘ – Jetzt, wo wir hier Zerstreuung und Freude umsonst hatten, wo ein Engelchen meinen armen Herrn kuriert hat, jetzt soll ich keine Kosten scheuen? Was hilft da der verfluchte Mammon? Kann ich dem Fräulein sechs Louisdors[WS 2] geben wie einem Doktor oder Professor?“
So knurrte der alte Kauz bei dem Hofrat; die Worte pullerten ihm nur so hervor, es war ihm ganz ernstlicher Ernst mit der Sache, und er war auf sich und die ganze Welt ergrimmt, daß er jetzt nicht stande pede[WS 3] eine Hochzeit herhexen konnte. Der Hofrat sah ihn ganz erstaunt an und hielt sich den Bauch vor Lachen; [128] so komisch kam ihm des alten Gesellen Wüten vor: „Alter Narr!“ rief er endlich, „muß man dir denn die Nase draufstoßen und eine Brille aufsetzen, daß du findest, was du suchst? Kannst du dich denn nicht hinsetzen und die ganze Geschichte von den letzten vierzehn Tagen deinem alten Herrn schreiben und dabei einfließen lassen, daß dein Herr zum Sterben in das Mädchen verschammert sei? Und wenn der Herr Onkel das weiß, nun ja – das Fräulein ist von gutem Adel, ich sehe nicht ein, was für ein besonderes Hindernis –“
„Weiß Gott, so thu’ ich“, rief Brktzwisl und setzte vor Freuden den Respekt so ganz aus dem Auge, daß er einen Katzensprung in die Luft machte, „aber eines fehlt doch immer noch; mein Herr sollte nur erst mit dem Fräulein im reinen sein; aber geben Sie acht, geben Sie acht, der macht uns einen Streich! Er ist so blöde, so furchtsam –“
Wenn er es nur gewußt hätte, der alte Brktzwisl! Sein Herr saß, indem sein Diener von seiner Blödigkeit perorierte[WS 4], bei Ida auf dem Sofa, der Präsident, der nur so auf ein Viertelstündchen in seiner Tochter Boudoir eingesprochen hatte, neben ihm: Was es doch eine eigene freie Kunst um das Augenparlieren ist; da schwatzten jetzt die guten Leutchen ein langes und breites mit dem Herrn Papa von Bergen und liegenden Gründen, nebenher hielten sie sich die schönsten Reden durch verstohlene Blicke, mit einer Beredsamkeit, einem rednerischen Feuer, von dem selbst Cicero in seiner Rednerkunst keine Aufschlüsse gibt, und wovon auch kein Wörtchen weder in der Syntax der deutschen Sprachlehren noch in den verschiedenen Rhetoriken und ästhetischen Vorlesungen steht, die alljährlich von den Kathedern abgehaspelt werden. Der Präsident taute immer mehr auf, denn Martiniz sprach von einem bedeutenden Güterkauf, den er in hiesiger Gegend im Sinne habe, und der gute Präsident glaubte nicht anders, als seine Aufmunterungen haben den Grafen auf diesen vernünftigen Gedanken gebracht, und wenn er es vollends dazu bringen könnte, daß der Graf die Gräfin Aarstein – er gratulierte sich schon im voraus zu einem allergnädigsten Handschreiben, besah lächelnd seine Brust, wo nächstdem das Großkreuz des Zivil-Verdienstordens [129] paradieren werde, nannte Martiniz seinen neuen Landsmann und sein liebes Gräfchen und zog kichernd und schnalzend über seine vortrefflich gelungene Negoziation zum Zimmer hinaus.
So lange er da war, war es dem Grafen und Ida ziemlich leicht zu Mut; zwar prickelte es beiden ein wenig ängstlich im Herzen, denn das Wiedersehen nach einem so wichtigen Moment, wie die gestrige Mitternacht war, führt immer eine kleine unabweisbare Verlegenheit mit sich; man ist nicht sicher, den Ton gleich wiederzufinden, in welchem man sich verlassen hat. Denn das ist keinem Zweifel unterworfen, daß man wie in jedem Gespräch, so auch in dem Flüstern der angehenden Liebe abends wärmer ist und in einer Viertelstunde weiter kommt, als den Morgen nachher, wo schon der Verstand mehr mit der Phantasie über die Haushaltung rechnet. Daher war es Martiniz auf den ersten Augenblick des Alleinseins mit Ida bange; er war so traulich von ihr geschieden, er hätte ihr gestern abend alles, alles sagen können, wovon sein Herz so voll war – und jetzt, jetzt hatte er wieder allen Mut verloren. Er hatte mit den ersten Damen von vier großen Reichen gescherzt und gelacht, ohne sich von den imposantesten Schönen verblüffen zu lassen – wo war sein Mut, seine Gewandtheit diesem Mädchen gegenüber. Es war aber auch unmöglich, bei dem Engelskind die Fassung zu behalten; – erfreute der herrliche Tannenwuchs, das Ungezwungene, Graziöse der Haltung das Auge, war man beinahe geblendet von dem Lilienschnee der Haut, von der jungfräulichen Pracht des Alabasterbusens, war man entzückt von dem Rosensamt der blühenden Wangen, von den zum Kuß geöffneten Korallenlippen, war man wunderbar bewegt von dem lieblichen Kontrast, den ihre brand-brand-brand-raben-raben-kohlen-tinten-schwarzen Ringellöckchen und orientalisch geschweiften Brauen mit den Cyanenaugen machten, war man hingerissen von dem Zauberlächeln, das die Grübchen in den Wangen, die Perlen hinter dem schöngeformten Mund zeigte, hätte man hinfliegen mögen, die zarte Taille [130] mit dem einen Arm zu umfangen, mit dem andern das Amorettenköpfchen recht fest Mund auf Mund zu drücken – oh! so durfte sie ja nur das Auge aufschlagen, durfte nur jenen Blick voll jungfräulicher Hoheit auf den sündigen Menschen und seine Begierden herabblitzen lassen, so schlich man sich so duchs und geschmiegt hinter die Grenzbarrieren der Bescheidenheit zurück, als haben einen zehn Paßvisitatoren und zwanzig Gendarmen dahinter zurückgedonnerwettert. – Das ist der Zauber reiner Jungfräulichkeit. Man sage, was man will, von Verdorbenheit der Sitten und daß kein reputierliches Frauenzimmer mehr allein auch nur eine Meile weit reisen könne; an den Männern liegt es wahrhaftig nicht, sondern an jenen selbst, die ohne den Schutz- und Geleitsbrief jungfräulicher Reinheit in Blick und Mienen hinausgehen. Der Graf war kein solcher Geck wie viele unserer heutigen jungen Herren, welche glauben, jedes Herz, das sie lorgnettieren[WS 5], müsse auch unwillkürlich von ihrer interessanten Erscheinung hingerissen sein. Nein, seinem scharfen Auge war es nicht entgangen, wie Ida diese saubern Herren, als sie sich mit ihrer dreisten, handgreiflichen Unverschämtheit an sie drängten, hatte ablaufen lassen; wenn auch ihm keine solche Zurechtweisung bevorstand, wenn er sich auch schmeicheln durfte, von diesem Phönix von Mädchen vor allen ausgezeichnet worden zu sein, wenn er sich auch eines höhern Wertes bewußt war, wer stand ihm dafür, daß nicht dieses Mädchen, das gewiß auf ihre Freundschaft einen hohen Wert legte, sich tief beleidigt fühlen werde, wenn er zärtlichere Gefühle äußerte, wer stand ihm dafür – zwar der Hofrat hatte es ihm zu dutzend Malen mit den fürchterlichsten Eiden geschworen, daß es nicht so sei, aber was wußte der Hofrat von den Heimlichkeiten eines tiefen Mädchenherzens, wer stand ihm dafür, daß sie nicht schon einen anderen, würdigeren lie–
Nein! er konnte den Gedanken nicht ertragen, die ganze Nacht hatte es ihn gepeinigt; die guten Betten, über welche er jeden Morgen der Frau Mondwirtin viel Schönes gesagt hatte, waren hart und schneidend wie die Latten, auf welche er sonst seine ungezogensten Ulanen geschickt hatte; die Kopfkissen – Jakobs Stein[WS 6] muß ein Eiderdunpfühl dagegen gewesen sein, denn er konnte ja [131] darauf schlafen und sogar eine Himmelsleiter träumen, die ihn in den Himmel – es peinigte ihn den ganzen Morgen und Vormittag, bis er endlich den Riesenentschluß faßte, sich Gewißheit zu verschaffen.
Noch auf der Treppe hatte er Löwenmut, er stieg die Stufen hinan, als wären es die schiefen Seiten einer feindlichen Batterie; noch solange der Papa dabei saß, flüsterte er sich zu, daß er mehr Mut besitze, als er gedacht habe; ihr Blick schien ihm heute besonders glänzend, schien ihn selbst aufzumuntern. Aber nein, es war ja nur das gewöhnliche freundschaftliche Wohlwollen; er wünschte den Papa zum Henker oder in seine Kanzlei, und doch hätte er ihn, als er ging, beim Frackzipfel nehmen und festhalten mögen. Jetzt Mut! – aber es schnürte ihm die Kehle zusammen, er konnte nicht anfangen, alles schien ihm zu gemein, zu trivial für diese Stunde –
„Warum so still und trübe, Martiniz?“ fragte Ida, als der Graf immer noch keine Worte finden konnte. „Sie sind doch wohl nicht krank?“ Wie wohl that ihm diese Teilnahme! – Das Gespräch war eingeleitet, und dennoch konnte er nicht weiter. Da fiel ihm auf einmal ein Gedanke ein – er beschloß, ihn auszuführen; er nahm noch einmal das Thema von vorhin auf und ging die Landsitze, die ihm angeboten worden waren, einzeln durch. Auf allen war Idchen bekannt, und wie unendlich hübsch stand es dem Mädchen, wenn sie so von der Landökonomie so kunterbunter plapperte, wie ihr das Schnäbelchen gewachsen war. Es war ihm, als säße er schon mit ihr abends vor der Thüre seines Schlößchens, die Kinderchen alle um ihn her im Gras, wie es auf seines Vaters Schloß gehalten wurde, und neben ihm, neben ihm Ida als züchtiges, hübsches, allerliebstes Frauchen; und wie sie dann – nein, es war zu hübsch, wenn er es sich so vorstellte, – wenn sie dann sorglich die Kinder hineinschickte – und selbst aufstand – und ihn bei der Hand nahm – und die andere Hand ihm auf die Stirne legte, – und, ja – und dann sagte: „Männchen, es macht hier unten schon etwas kalt, wollen wir nicht zu Bet–“
„Da sitze ich schon ein gutes Halbviertelstündchen“, unterbrach [132] Ida mit fröhlichem Lachen sein Selbstgespräch, „und sehe Ihnen zu, wie Sie so gar nachdenklich sind, als wollten Sie die Quadratur des Zirkels ausklügeln; wo haben Sie nur Ihre Gedanken, gewiß saßen Sie schon auf irgend einem Landgut und sannen nach, wie lustig Sie sich dort die Tage vertreiben wollen?“
„Ach“, antwortete Emil, „so lustig wird es wohl dort nicht werden, wenn man so allein, so ganz allein auf der Erde ist.“
„Nun, das kömmt ja nur auf Sie an, Sie können sich die Einöde froh machen, können Freunde zu sich bitten –“
„Freunde?“ fragte Martiniz mit sonderbarem Ausdruck der Stimme; „es ist wohl etwas Gutes um Freunde, aber sie kommen und gehen, und das Herz verlangt nach etwas Bleibendem.“ – „Wer bedenkt“, antwortete Ida mit gerührtem Blick auf den jungen Mann, „wer bedenkt, wie viel Sie schon verloren haben, wird Sie um diese Ansicht nicht schelten; Sie haben recht, es ist nichts Bleibendes auf der Erde.“ So hatte aber der Graf auch wieder nicht gemeint. „Nein“, sagte er, „es hieße dem Leben seinen schönsten Reiz ablügen, wollte man dies so streng behaupten, etwas ist, was dem Mann in jedem Wechsel bleibt, Ihnen darf ich es sagen, was ich meine; Ihnen, die in dem ersten Augenblick dem Unglücklichen ihre zarte Teilnahme schenkte, die durch die zarten Bande der Gastfreundschaft mein Herz wieder für die edlen Freuden der Geselligkeit öffnete, die, wenn alle Menschen mich verkannten oder über mein Unglück spotteten, mir treue Teilnahme und reichen Trost gewährten, die mir aus gläubiger, frommer Freundschaft selbst in jene Schreckensstunde, die mich von den Menschen verbannte, nachfolgte, die den Fluch von mir nahm, der mich von Land zu Land rastlos fortscheuchte, dir, du reines, holdes, ewig heiteres Engelskind darf ich sagen, was mir fehlt, du hast mir ja immer geholfen, mir fehlt – sei du es mir – ein liebes Weib –“
Mit steigendem Erstaunen war Ida der Rede Emils gefolgt – ihr Auge hing an seinen Lippen, ihre Hand zitterte in der seinigen, denn sie meinte nicht anders, als ein neues, noch furchtbareres Geheimnis zu vernehmen. Mit einem Schrei der Überraschung, der Freude, der Verlegenheit, flog sie daher vom Stuhle [133] auf, als er endete. – „Herr Graf – Marti–“, stammelte sie in steigender Verlegenheit, ihr Gesicht brannte in den hohen Gluten bräutlicher Scham.
„Mein Mädchen, meine Ida“, flüsterte Martiniz und zog sie zu sich herab in seine Arme, er nannte sie mit den süßesten Schmeichelnamen, „o laß mir noch einen Glauben, noch eine Hoffnung, laß mir noch einen Trost, den deiner Liebe.“ – „Mein Emil!“ hauchte sie aus den süßen Lippen hervor – und der Graf preßte sie in stürmischem Entzücken an die Brust, wollte eben den ersten, heiligen Kuß reiner Lie–
Da schmetterten Posthörner die Straße herab, ein schwerer Reisewagen rasselte dröhnend über das Pflaster und hielt vor des Präsidenten Haus, aufgeschreckt wie ein Reh flog Ida aus des Grafen Armen und riß das Fenster auf – aber erbleichend trat sie zurück – „Mein Gott im Himmel!“ rief sie, „es ist die Gräfin Aarstein.“ – Die Saat des Bösen reift schnelle.
Die höllischen Latwerge[WS 7] und Rhabarbermüschen aus der Leumundsiederei Schulderoff und Komp. thaten ihre Wirkung vollkommen. Kaum hatte Onkel Sorben, eine jener Hofseelen, die durch Intrigen geboren, mit Intrigen großgezogen werden und sicher einmal in einer Intrige sterben, die sie gegen den Tod oder den Meister Urian anzetteln – Onkel Sorben hatte kaum den Brief seiner liebenswürdigen Posaunen-Seraphs-Nichte zu Gesicht bekommen, als er wie wütend nach seinem Stadtwagen schrie. War doch die Geschichte so geschickt, so fein eingefädelt gewesen, und Geschenke – vom Herrn eine Dose, vom Staatssekretär ein Staatssouper, von der Gräfin ein Paar Pferde und sonst noch was, was ein alter Kauz wie er nie verschmäht, und dies alles sollte ihm so ein naseweises Ding, die kaum hinter den Ohren trocken, wegliebäugeln.
Die Röte des Zornes lag noch auf seinem Gesicht, als er bei der Gräfin vorgelassen wurde; er traf sie allein, nur der Rittmeister Sporeneck, ihr täglicher Gesellschafter, war dort. Der letztere [134] hatte einen Brief in der Hand, aus welchem er soeben etwas Unangenehmes vorgelesen haben mochte, denn die Gräfin schien mit Mühe sehr heiter zu sein, ihr kolossaler Busen wogte ungestüm auf und ab.
„Exzellenz“, krächzte Sorben aus seiner angegriffenen Brust hervor, „Exzellenz! da bekomme ich soeben ganz sonderbare Nachrichten von Ihrem Zukünftigen aus Freilingen.“ – Die Gräfin und der Rittmeister warfen sich bedeutende Blicke zu, aber der graue Hofmann ließ sich nicht merken, daß er es gemerkt habe – „ja, aus Freilingen; er soll dort en passant ein galantes Verhältnis mit einer jungen Dame, des Präsidenten von Sanden Tochter, angeknüpft haben; solches wäre nun unter andern Umständen ziemlich gleichgültig, Exzellenz werden sich aber vielleicht noch aus dem Brief aus Warschau erinnern, daß der Herr Graf ein Schwärmer genannt wurde, und einem solchen, wissen Sie wohl, ist nicht zu tr–“
„Nicht zu trauen, da haben Sie recht, lieber Sorben, da haben Sie recht, und ich danke Ihnen für Ihren Eifer. Die Sache ist übrigens einmal so weit eingeleitet, daß das Gräfchen daran muß, es mag wollen oder nicht; – was schreibt sein Onkel?“
Diese Querfrage brachte den Geheimerat beinahe ganz außer Fassung, denn sein Gewissen sagte ihm, daß er in dieser Hinsicht ein gewagtes Spiel spiele. Als nämlich Graf Martiniz ins Land kam, als man überall von seinem Reichtum sprach, der Staatssekretär ihn für eine gute Prise erklärte und alle Segel aufspannte, um ihn für die Gräfin zu kapern, da wollte es Sorbens Glückstern, daß ihm eine bedeutende Rolle zufiel.
Er hatte in Karlsbad den alten Onkel Martiniz kennen gelernt und stand jetzt noch in einiger Korrespondenz mit ihm. Sein Geschäft war es daher, den alten Polen für die Heirat seines Neffen mit der Gräfin Aarstein zu gewinnen; er hatte sich auch nicht anders gedacht, als er werde leichtes Spiel haben, der alte Graf wußte ja nichts von den fatalen Verhältnissen der Aarstein, und – ja, es mußte gehen, er schrieb dem alten Martiniz und trug ihm gleichsam die Hand der Gräfin für den Neffen an. Mittlerweile hatte er, um sich bei der Gräfin, die dem regierenden [135] Hause so nahe verwandt war, wichtig und unentbehrlich zu machen, viel von seinem großen Einfluß peroriert, den er auf seinen Intimus[WS 8], den alten Martiniz, habe, und jedesmal, so oft auf die Heirat die Rede kam, ganz zuversichtlich gesagt: „Es fehlt sich gar nicht, der alte Pole muß wollen, was ich will, und damit holla!“
Das Ding hatte aber doch einen Haken; der Graf hatte seinem Karlsbader Freund wieder geantwortet, „daß diese Verbindung mit einer so erlauchten Dame seinem Neffen wie dem ganzen Hause Martiniz nicht anders als zur größten Ehre gereichen könne, und daß er sich unendlich freue, die schöne Gräfin einmal als seine Schwiegernièce[WS 9] zu umarmen“. Bis hieher war es nun ganz gut, jetzt aber kam der Haken. „Was übrigens sein Votum in der Sache betreffe“, schrieb er weiter, „so müsse er sich mit Wünschen begnügen, denn er habe den Grundsatz, in solche Affairen sich auch nicht im geringsten einzumischen; sein Neffe kenne ihn auch von dieser Seite vollkommen und wisse, daß er ihm zu keiner Verbindung weder zu- noch abraten werde. Er solle einmal nach Liebe heiraten; natürlich nicht unter seinem Stand, wenn er aber diese Grenze nicht überschreite – gebe er seinen Segen zu jeder Wahl.“
Das war nun ein verzweifelter Haken; Sorben hatte sich vorgestellt, der Alte werde bei einer Gräfin Aarstein sogleich mit beiden Händen zugreifen und sie dem Herrn Neveu als Frau Gemahlin präsentieren ohne weitere Sperranzien; wahrhaftig, man mußte im Norden noch weit, sehr weit in der Kultur zurück sein, daß man von einer Heirat nach Liebe sprechen konnte; doch der Karren war schon einmal verfahren und konnte auf dieser Seite nicht mehr herausgehaudert werden, der alte Herr von Sorben dachte also: „vogue la galère[1], der alte Narr muß wollen!“ machte gute Miene zum bösen Spiel und sagte dem Staatssekretär und der Gräfin, der alte Martiniz seie vollkommen damit einverstanden. Ein böses Gewissen behielt er aber bei der Sache noch immer; wenn ja das Gräfchen Goldfischchen doch [136] nicht anbeißen mochte – nein! er konnte den Gedanken nicht ausdenken, er wäre ja um Ehre und Reputation gekommen – denn auf seine Nachricht von dem alten Grafen hin hatte man sich nicht mehr geniert und von der Verbindung als von etwas, das sich von selbst verstünde, überall gesprochen.
Wie jetzt die Sachen standen, ging ihm das Wasser bis an die Kehle, und die fatale Querfrage der Gräfin, was schreibt sein Onkel, hätte ihn beinahe außer aller Kontenance gebracht. Doch er faßte sich und antwortete mit der heitersten Miene von der Welt:
„Der ist, wie ich schon oft gesagt habe, durchaus damit einverstanden, und diese Verbindung liegt ganz in seinen Wünsch–“
„Wie? ganz in seinen Wünschen, damit einverstanden – das sind nicht die Ausdrücke, die Sie mir früher sagten, erinnern Sie sich, Sie sagten mir, er schreibe, er seie von selbst auf den Gedanken gekommen, daß sein Neffe mich –“
Höllenangst, Höllenpein nagte in Sorbens Brust; nein! wenn er kompromittiert würde, doch da galt kein Besinnen mehr: „Vollkommen damit einverstanden, meine Gnädige, so vollkommen, sage ich, daß er selbst zuerst auf den glücklichen Gedanken kam.“
„Nun, was wollen wir weiter“, fuhr die Gräfin ruhig fort, „mein Gräfchen wird nicht ungehorsames Söhnchen spielen wollen, denn die drei Milliönchen, die er von dem Onkel erben soll, und die, wie Sie mir sagen, wegfallen, wenn er mich nicht –“
Sorben schnitt greuliche Gesichter; es war ihm, als sollten ihm die hellen Thränen hervorstürzen, daß er sich so dumm verplaudert hatte, und dennoch sollte er lächeln und freundlich sein; er grinste daher furchtbar wie einer, der Asa foetida[2] oder recht bitteres Salzkonfekt im Mund hat, und doch zuckerhonigsüß dabei aussehen will.
Der Rittmeister hatte bis jetzt noch kein Wort gesprochen; aber die Miene des alten Fuchses mochte ihm doch nicht so ganz [137] spaßhaft vorkommen, als sie aussehen sollte; „mir scheint es, als dürfe man die Sache nicht nur so gehen lassen, wie sie geht, und am Ende warten, ob der Graf gehorsam sein will oder nicht, denn hole mich der –, verzeihen Sie, gnädige Gräfin – wenn ich selbst drei Millionen hätte wie der Goldfisch, der jetzt in Freilingen vor Anker liegt, so thäte ich nach meinem Sinn, und nicht wie mein alter Oheim wollte.“
„Das heißt also“, rief die Gräfin pikiert, „Sie würden Ihrem Kopf folgen, auch zu den Füßen des Fräulein Ida liegen und die Gräfin Aarstein refüsieren?“
„Wie Sie nur so reden mögen“, antwortete der Rittmeister empfindlich, „Sie wissen ja selbst, wie ich mit Ida stehe; aber ich wollte damit sagen, daß der Graf Sie sehen muß; und hat er Sie nur erst einmal gesehen, nun, so stehe ich davor, daß er keine weitere Vergleichung anstellt, sondern zu Ihren Füßen liegt.“
Die Geschmeichelte schlug ihn mit der Eventaille[3]auf die Hand und meinte selbst, indem sie einen Blick in den deckenhohen Spiegel warf, daß dieser Rat vielleicht so übel nicht wäre, auch Sorben schien er das einzige Rettungsmittel in seiner peinlichen Lage; kommt die nur erst einmal hinter den Polen, dann sei ihm Gott gnädig; denn wenn die einen lieben und von einem geliebt sein will, dann kostet es vierundzwanzig Stunden, und er ist im Netz.
Sie hielten jetzt großen Kriegsrat. Die Nachrichten, die der Rittmeister von seinem Kameraden Schulderoff aus Freilingen erhalten und kaum zuvor der Gräfin mitgeteilt hatte, stimmten auf ein Haar mit dem überein, was Fräulein Sorben ihrem Onkel geschrieben hatte. Über den Thatbestand war also nicht der geringste Zweifel mehr. Aber wie dem Grafen beikommen? –
„Ist sie denn wirklich so hübsch?“ fragte Sorben, um die feindliche Stellung recht genau zu rekognoszieren.
„Hübsch?“ lachte die Gräfin bitter; „hübsch? nun, das müssen Sie ihren primo amoroso[WS 10], den Rittmeister, fragen; wenn durcheinander gefitztes Rabenhaar, ein Maul voll gesunder Zähne, ein [138] Paar rote Bäckchen, eine gedrechselte Hopfenstange von Körper, die mir die Nerven angreift, weil man sie nicht berühren darf, ohne fürchten zu müssen, daß man eines der zarten Gliederchen abknicke“ – bei der kolossalen Riesenkürassierfigur der Gräfin war dies nicht zu befürchten – „wenn dies alles für hübsch gelten soll, so ist sie wunderschön. Ha, ha, ha! wunderschön! Nun, und das – muß man ihr lassen, viel Welt und bon ton[WS 11] hat sie auch. Denken Sie sich, ich lasse mich herab, sie mir letzten Winter präsentieren zu lassen, lade sie zu meinen Soirees und Hausbällen ein, aber siehe da, Mamsell Zümpferlich setzte mir keinen Schritt wieder ins Haus; ob dies nicht eine Sottise ohnegleichen ist? Und als ich mich einmal bei ihrer Frau Pate, die einen Affen an ihr gefressen haben mußte, als ich mich bei der Fürstin Romanow beklagte, warum die junge Dame sich so impertinent gegen mich betrage, was meinen Sie, daß ich zur Antwort erhielt? Denken Sie sich, das gute Kind sei zu unverdorben und keusch, als daß sie sich in meinen Cercles gefallen könnte! Dergleichen kann man von der Fürstin sich sagen lassen und es ohne Replik[WS 12] einstecken, aber, ma fois, sonst von niemand. Also zu unverdorben und keusch! Nun, der Herr Rittmeister da wird von ihrer Keuschheit zu sprechen wissen; wie ist es damit? Gestehen Sie!“
Der Rittmeister versicherte zwar auf das heiligste, daß er Ida immer nur als ein reines Kind der Natur gefunden habe, aber sein höhnisches Teufelslächeln bei diesen Schwüren, die Art, mit welcher er den Stutzbart bis an die Ohren zurückriß und die Augen einkniff, ließ fast erraten, daß er mehr wisse und erfahren habe, als er sagen wolle.
„Nun“, sagte Sorben, „wenn die Aktien so stehen, so ist es nicht schwer zu agieren. Sie, Exzellenz, heben den Grafen durch Ihre Reize aus dem Sattel, der Rittmeister aber Ida, und zwar dadurch, daß er den Grafen eifersüchtig macht; er darf nur dem süßen Schwärmer schwören, daß er die Gunst des Fräuleins Engelrein noch nie ganz genossen habe, und dazu ein Gesicht machen, wie wir es eben gesehen haben, so muß der gute Mann abgekühlt sein, als sei er nie entbrannt gewesen.“
„Aber wie soll dies alles geschehen? Wir können doch die [139] Mamsell Zümpferlich nicht mit Extrapost kommen lassen, da sie erst vor vierzehn Tagen die Residenz verlassen hat, und der Graf ist auch nicht so schnell zu meinen Füßen citiert, als Sie sich wohl vorstellen.“
„Ist gar nicht nötig“, replizierte Sorben, indem er seine Karte immer hübscher mischte, „nicht nötig; wie wäre es, ja, das wäre am Ende das beste, wenn Sie selbst nach Freilingen gingen und dort dem ganzen Spaß auf einmal ein Ende machten?“
Der Gedanke schien der Gräfin nicht übel zu gefallen. „Wahrhaftig, es wäre so übel nicht“, antwortete sie sinnend, „der alte Präsident, wahrhaftig, ich quartiere mich selbst bei ihm ein; erst vor einem Jahr hat er mich eingeladen, wenn ich einmal auf der Durchreise auf meine Güter durch Freilingen komme, bei ihm abzusteigen. Das wäre ein zu hübscher Spaß, Fräulein Ida in ihrem eigenen Hause den Galan abzuspannen; nein, der Einfall ist göttlich, und ich bin fast entschlossen, ihn auszuführen.“ Sorben atmete wieder freier, als er die Gräfin auf so gutem Wege sah; jetzt konnte, jetzt mußte ja noch alles gut werden, und sein Ansehen, seine Ehre war gerettet; er that sich nicht wenig auf seinen Witz zu gut, mit welchem er so hübsch die Volte geschlagen und sein zweifelhaftes Spiel korrigiert hatte; noch einmal riet er dringend zur Reise und empfahl sich.
Als er fort war, gestand die Gräfin ihrem Cicisbeo[4], daß sie nach Freilingen reisen werde, und zwar gleich morgen, aber nur unter einer Bedingung, nämlich er müsse sie eskortieren; einmal würde ihr die Reise zu langweilig ohne ihn, und dann habe sie ihn auch höchst nötig, um Ida bei dem Grafen aus dem Felde zu schlagen. Der Rittmeister sagte freudig zu; eine Reise mit einer solchen Frau war eine herrliche Aussicht; daß er als Reisestallmeister den Wein nicht zu schonen habe, wußte er wohl; nach Freilingen war es drei Tagreisen, wie angenehm ließ es sich bei der Gräfin im Wagen sitzen, wie interessant ließen sich die Verhältnisse weiter spielen, wenn man abends ins Nachtquartier einrückte; – und dann, er kützelte sich schon mit dem Gedanken, sich [140] an Ida zu rächen, in die er, er mußte es sich zu seiner Schande gestehen, bis zum Tollwerden verliebt war, und die ihm nicht einmal ein Küßchen – nein, es war zu unverschämt; bei andern hatte er nach den ersten Präliminarien beinahe ohne Schwertstreich gesiegt, und dieses Landpomeränzchen hatte ihm so imponiert, daß er es nicht wagte, nachdem sie ihn einmal mit Verachtung abgewiesen hatte, noch einmal einen Versuch zu machen; und diese Blame[WS 13] war ausgekommen, man wußte es sogar in dem kleinen Nest Freilingen, zwanzig Meilen von der Residenz; sein Kamerad Schulderoff, die ehrliche Haut, hatte ihn beschworen, sich zu räch–. Es mußte sein; Rache wollte er nehmen an der stolzen Jungfrau, daß ihr die Haut schaudern sollte.
Am andern Morgen fuhr ein Reisewagen mit den gräflich Aarsteinischen Wappen zum Thor hinaus; bald nachher jagte der Rittmeister von Sporeneck mit seinem Jockei hintendrein, eine Stunde vor der Stadt gab er das Pferd dem Jockei und setzte sich in den gräflichen Reisewagen, und fort ging es über Stock und Stein, bis man den Münsterturm von Freilingen sah. Dort stieg er aus, küßte noch einmal eine schöne Hand, die ihm aus dem Wagen geboten wurde, saß auf und ritt auf einem Umweg in die Stadt, wo er sich im Gasthof zum Goldenen Mond einquartierte.
Ida fühlte einen tiefen Stich im Herzen, als sie die Gräfin aus dem Wagen steigen sah. „Nun adieu, Liebes- und Lebensglück“, seufzte sie, indem sie einen trüben Blick über Martiniz hinfliegen ließ und zur Treppe eilte, um den erlauchten Gast zu empfangen, „nun adieu, Liebesglück, wenn dieses Weib in mein Leben greift!“
Sie zerdrückte eine Thräne des Unmuts über ihr Geschick und ging weiter. So ungefähr muß es jenen unschuldigen Tierchen zu Mut sein, wenn sie die Riesenschlange erblicken und, von ihrem greulichen Anblick übertäubt, nicht auf ihre Flucht denken, sondern in geduldiger Resignation dem Verderben entgegengehen.
Mit jener Leichtigkeit und Grazie, die man in höheren Verhältnissen von Kindheit an studiert, wußte die Gräfin schnell über [141] das Unangenehme der ersten Augenblicke hinüberzukommen. Sie war die Freundlichkeit, die Herzlichkeit selbst. So weit hatte es freilich Ida in der Bildung nicht gebracht, daß sie denen, die sie nicht lieben konnte, wie ihren wärmsten Freunden begegnete. Auch war sie die Überraschte und die Gräfin die Überraschende, daher war Ida etwas befangen und zeremoniös beim Empfang der hohen Dame, aber ihr natürlicher Takt sagte ihr, daß sie jede andere Rücksicht beiseite setzen müsse, um nur die im Auge zu haben, die Gräfin, die nun einmal ihr Gast war, anständig und würdig zu behandeln.
Um wieviel edler waren die Motive, welche Ida bei ihrem Betragen leiteten, als die der Gräfin! so verschieden als Natur und Kunst. Die Aarstein wußte gegen jeden, auch wenn sie ihn bitter haßte und ihm hätte den Dolch in den Leib rennen mögen, freundlich und leutselig zu sein. Sie konnte ihm etwas Verbindliches sagen, wenn sie das bitterste Wort auf der Zunge hatte. Aber so sind jene Gesellschaftsmenschen, die nichts Höheres kennen, als sich zu produzieren. Wenn man in ihre Cercles tritt, glaubt man in die alten Zeiten zu kommen, wo noch alles so brüderlich und freundlich war; da ist alles übertüncht, alles hat den schönen Anstrich der Geselligkeit, aber man soll nur einmal hinhorchen, wie es da über die ehrlichen Leute hergeht, wie medisant[WS 14] da alles bekrittelt wird, wie da der Bruder, der Freund gewiß sein darf, von dem, der ihm gerade noch so schön gethan, ohne Schonung bitter bespöttelt zu werden.
Aber ist es nicht überhaupt in der Welt so? Sucht nicht immer einer dem andern soviel als möglich Abbruch zu thun? Wohl dem, der es dahin gebracht hat, daß er ruhig in dieses böse Treiben hineinsieht und dazu lächelt. Mit Ruhe und dem Bewußtsein, Gutes gewollt zu haben, in der zufriedenen Brust lache ich über den Spott meiner Neider, über die hämischen Bemühungen jener Falschmünzer, die mit schnöder Schadenfreude aus allem, was man je gesagt und gedacht, nicht gesagt und nicht gedacht hat, Gift saugen und in ihrer frechen Leumundsiederei ein Gebräu zusammenkochen, das sie gerne mir unterschieben möchten!
Sie sind zu bedauern, solche schlechte Menschen, die, von Neid [142] und Scheelsucht gestachelt, so ganz den wahren Lebenszweck aus dem Auge verlieren, glücklich und brüderlich untereinander zu wohnen! So denke ich und viele Tausende mit mir über jene bösen Menschen in den gesellschaftlichen Zirkeln und in der Welt überhaupt, so denken wir und lachen, denn: „das Spiel des Lebens sieht sich heiter an, wenn man ein sicheres Glück im Herzen trägt, und froher kehr’ ich, wenn ich es gemustert, zu meinem schönern Eigentum zurück“[5].
So dachte auch Ida, als sie an der Hand der Gräfin die Treppe hinanstieg; ein tröstender Gedanke lag recht hell in ihrer Seele, sie verglich ihren innern Wert mit dem ihres Gastes und dachte, wenn Martiniz mich liebte, wie ich ihn liebe, so wird er diese Frau verachten, und wenn – ach, sie durfte den Gedanken nicht recht ausdenken, ohne daß ihr das Wasser in die Augen trat – nun, wenn er an sie verloren geht, so habe ich wenig verloren.
Es gab einen sonderbaren, aber schönen Anblick, wenn man die beiden Damen so nebeneinander hingehen sah. Gräfin Aarstein, eine kolossale Figur – sie hätte ohne Anstand in jedem Garderegiment dienen können – voll, üppig gebaut, in ihren Bewegungen lag etwas Imposantes, Majestätisches, Gebietendes, in ihren Mienen eine Hoheit, die an Übermut grenzte. Ihre dunklen Augen hatten das holde, mädchenhafte Niederschlagen schon lange verlernt und rollten mit einem unsteten Feuer umher, als suchten sie lüstern einen Gegenstand der Begierde, oder als musterten sie alles umher, ob auch die gehörige Ehrfurcht gegen einen Sprößling eines so hohen Hauses bewiesen werde. Ihr Gang war etwas schwerfällig, weil die korpulente Figur für die in die feinsten Pariser Atlasschuhe eingepreßten Füße etwas zu schwer war.
Neben ihr die leichte, schlanke, sylphidenähnliche[WS 15] Gestalt Idas; nein dieser Kontrast! Sie hielt sich zwar kerzengerade wie eine Tanne, aber doch war das holde Lockenköpfchen ein wenig vorwärts gesenkt, das sanfte Auge, oft niedergeschlagen in Demut, zeigte dennoch, wenn sie es aufschlug, so glänzenden Mut, so feurige Lust und Liebe, so gebietenden Ernst, daß es durch die sanfte Beredsamkeit überzeugender gebot als das Rollauge der gebietenden [143] Gräfin. Und um wieviel anziehender war das Schelmengrübchen-Lächeln des süßen Mädchens als das schrankenlose Lachen und Gurren der Gräfin, die durch ihre rauhe, tiefe Stimme jedes Ohr verletzte. So schwebte Ida neben der Gräfin hin, so wie Juno und Hebe traten sie in das Zimmer.
Martiniz sah finster durch die Scheiben auf den Wagen hinab, der ihn so unbarmherzig aus dem süßesten Moment seines Lebens herausgerasselt hatte. Er verwünschte den Gast, der gerade jetzt kommen mußte, wo er endlich seinem Herzen Luft gemacht, wo er dem Mädchen, das er liebte, das er anbetete, seine Gefühle gestanden hatte, wo er Gegenliebe, süße, verschämte Gegenliebe in ihren sanften Augen las, wo, wie von Engeln des Himmels gesungene, „mein Emil“ von ihren Lippen tönte, wo er, das Engelskind im Arm, die Seligkeit erwiderter Liebe in der Brust, Himmel und Erde vergaß und auf diese würzigen Purpurlippen, auf die bräutlich errötenden Wangen den ersten, seligen Ku–
Die Flügelthüren flogen auf, und Ida, hocherrötend beim Anblick des Geliebten, führte die Gräfin herein. Sie zitterte, von so vielen gegeneinander kämpfenden Empfindungen bestürmt, die Stimme wollte ihr beinahe versagen, als sie den Grafen Martiniz der Gräfin Aarstein vorstellte. Sie sah die Erz-General-Kokette erröten, sie sah, wie sie den bildschönen Mann mit ihren Feuerrädchen beinahe zu versengen drohte; es zuckte ihr ganz eisig in das liebende, ängstliche Herzchen hinein, als die Gräfin sich in einer nachlässigen Stellung auf den Sofa warf, ihr zurief, sie möchte sich doch gar nicht genieren und ihre Arrangements treffen, die ein so plötzlicher Überfall wie der ihrige immer notwendig macht, sie möchte sich doch durchaus nicht genieren, der Graf werde schon die Gnade haben, sie zu unterhalten.
„Da sei Gott gnädig“, flüsterte Ida in sich hinein, indem es ihr fröstelnd und doch wieder siedheiß durch alle Glieder ging, „wenn die so fortmacht, so müssen wir ja alle samt und sonders, den Grafen mit eingeschlossen, zu ihren Füßen knien.“
[144] Sie nahm ihre Schlüssel und ging; aber noch in der Thüre warf sie einen Blick auf Martiniz zurück, so voll Liebe und Besorgnis, als müsse sie ihn bei einem reißenden Tier allein lassen.
„Ein liebes Kind, die Ida“, wandte sich die Gräfin an Martiniz, der schweigend und gedankenvoll neben ihr Platz genommen hatte, „ein liebes Kind, schade nur, daß man sie so bald aus der Pension genommen hat, ehe sie noch die letzte Vollendung, das freiere Sichbewegen angenommen hat. Nun, das macht sich noch gerade immer noch, wenn auch hier nicht gerade der Ort ist, wo sie anständige Vorbilder dazu haben mag, in größeren Städten findet sich dies eher.“
Sie hielt inne, als erwartete sie eine Antwort von dem Grafen, diesem aber schien sein Kopf mit dem Herzen Ida nachgesprungen zu sein, und jetzt erst, als die Gräfin nicht mehr sprach, nahm er sich zusammen und beantwortete ihre Frage durch ein leises Kopfnicken.
„Warte, ich will dich schon aufmerken lehren“, dachte die Aarstein, der die Zerstreuung des jungen Mannes nicht entgangen war; „in einer Hinsicht ist es gut, daß das Fräulein aus der Residenz wegkam, Sie können sich gar nicht denken, unsere Herren waren ganz rabiat, als sie so lieblich aufblühte, die Straße vor dem Haus der Madame la Truiaire wurde nicht leer von den Anbetern, und natürlich, ein solches Mädchen hat denn doch auch ein Herzchen und fühlt sich durch diese Aufmerksamkeit geschmeichelt. Übrigens, das muß man ihr lassen, mit dem größten Anstand wußte sie den Herren zu imponieren und sie sogar zu verscheuchen, daß sie nun freilich bei dem Rittmeister von … es nicht ebenso machte, kann man ihr nicht verdenken.“
„So–o?“ fragte der Graf, indem ein dunkles Rot seine Wangen überzog, „der Rittm–“ – „Nun ja“, lachte die Gräfin, „da ist es auch kein Wunder, daß sie ihn liebte und vielleicht noch liebt; wo ist denn in der Residenz ein Damenherz, das er zu überwinden sich vorsetzte und das er nicht überwunden hätte. Er hat zwar etwas leichte Grundsätze, ist aber sonst ein artiger Mensch, au fond[WS 16] ist es übrigens dennoch gut, daß man das Mädchen schnell aus der Pension nahm, denn sehen Sie – doch da kommt [145] sie ja selbst“, lachte sie Ida entgegen, die mit liebenswürdiger, wirtlicher Geschäftigkeit Thee für ihren Gast brachte; beinahe hätte sie das ganze zierliche Dejeuner auf den Boden fallen lassen, denn der Graf – was mußte ihm nur begegnet sein, er saß da, bleich wie der Tod, den starren Blick auf sie geheftet –
„Nun, da erzähle ich“, fuhr die Gräfin Satanas, die mit teuflischer Freude das zarte Band, das diese liebenden Herzen kaum erst umschlungen hatte, zu zerreißen strebte, „da erzähle ich gerade dem Herrn Grafen Ihre Affaire mit dem Rittmeister und wie ich die arme Ida bedaure, daß man sie so grausam herausriß aus der Wonne der ersten Lie–“
„Gnädige Frau!“ rief Ida mit den Tönen des Schreckens und setzte die Tasse nieder, die in ihrer zitternden Hand zu klirren begann –
„Nun, so erschrecken Sie doch nicht so, daß ich aus der Schule schwatze; das nimmt man bei uns nicht so genau; wahrhaftig, der Papa hätte auch keine ungeschicktere Zeit zu Ihrer Zurückberufung wählen können –“
„Ich muß Sie bitten, gnädige Frau –“
„Ei, so lassen Sie doch die gnädige Frau“, fiel ihr die Aarstein ins Wort, „ich kann das Wort Frau nicht ausstehen. Es ist mir gar nicht, als ob ich Frau wäre, und wahrhaftig, ich bin es ja eigentlich gar nicht“, setzte sie naiv und mit einem schalkhaften Lächeln gegen Martiniz hinzu, „ich lebte nur ein paar Wochen mit meinem Herrn Gemahl, Gott hat uns kein Kind beschert, und da bin ich ja eigentlich so gut als Mädchen.“
Ida schlugen die Flammen ins Gesicht; solche frivole Äußerungen mußten ihre unentweihten jungfräulichen Ohren hören, ohne daß sie diese wegwerfende Gemeinheit bestrafen konnte; und dann das dumme Aufziehen mit dem Rittmeister, es war ja kein wahres Wort an der Sache; sie konnte gar nicht begreifen, was nur die Gräfin damit wollte; hatte sie ihn denn nicht so gut abgetrumpft wie jeden andern? Was mußte nur Martiniz von ihr denken! Sie nahm sich vor, bei der nächsten Gelegenheit ihn zu überzeugen, daß gewiß an der Geschichte mit dem Rittmeister kein wahres W–. Aber nein, wie sah der Graf aus! Er hatte die Lippen [146] zusammengekneipt, daß sie ganz weiß wurden, sein Auge rollte unstet umher, schien sie zu suchen, zu fassen, und doch schlug er es nieder, so oft er ihrem Blick begegnete; es war ihr ganz bange ums Herzchen, als ahne sie irgend ein Unglück; sie klügelte hin und her, was ihm sein könnte, und fand immer nichts.
Die Gräfin zog sich jetzt in ihre Zimmer zurück, um sich umzukleiden. Ida sah ihr mit leichterem Herzen nach, denn sie hoffte – sie gestand es sich nur so halb und halb, daß sie es hoffte, aber sie hoffte, der Graf werde vielleicht an dem Gespräch von vorhin fortmachen, aber sie täuschte sich bitter; er sagte kaum ja oder nein, wenn sie ihn etwas fragte, finster sah er immer vor sich hin, und nach ein paar Minuten sprang er auf und ging. Was hatte man ihm doch gethan? Es war und blieb ihr unbegreiflich. Endlich aber fiel ihr ein, der Rittm–, ja, das war es, eifersüchtig war der gute Graf. Sie mußte lachen, als ihr der Gedanke kam. Sie fühlte sich so rein und unschuldig, daß es ihr ein leichtes schien, den Grafen zu überzeugen; aber Strafe soll er leiden, der Unartige, nahm sie sich vor; wenn er mir die Aarstein zu viel ansieht, so will ich immer von dem Rittmeister sprechen und ihn recht bös machen.
Das gute, fröhliche Kind; wie wenig dachte sie daran, was Eifersucht Böses anrichten könne, wie wenig ahnte sie, was ihrer wartete.
Das Gift, das die Gräfin Natterzunge ausgesprützt hatte, wirkte viel tödlicher auf Martiniz, als man hätte denken sollen. Ein anderer hätte entweder der Gräfin keinen Glauben beigemessen, hätte gedacht, nun das ist so das gewöhnliche Sekkieren[6] und wieder Sekkieren unter den Damen, und damit holla; aber auf sein Gemüt, das kaum erst von seinem Trübsinn, von seinem Mißmut, seinem Unglauben an die Welt geheilt war, auf ihn machte es einen viel tieferen Eindruck; dieses Mädchen, das so hoch stand in seiner Meinung, auch dieses sollte so leicht wägen wie alle? Auch sie sollte [147] so zwanzig, dreißig Liebschäftchen und am Ende noch eine rechte tüchtige Amour mit einem leichten Rittmeister gehabt haben?
Aber wie? wenn er sich recht fragte, was ging es denn ihn an, ob ein Mädchen in der Residenz sich verliebt oder nicht, ob sie einem Rittmeister viel oder wenig Gehör gibt? was ging es denn ihn an? Das flüsterte ihm sein tief zerrissenes Herz zu, das, daß sie die Maske der hohen, reinen Jungfrau so künstlich vorhielt, daß sie ihn begünstigte, ja er durfte sagen, an sich zog, während sie noch einen andern, wie es schien, Unwürdigen im Herzen trug; aber vielleicht, es war ja doch möglich, vielleicht war es doch nicht wahr, vielleicht hatte jener nur sich eingebildet, von ihr geliebt zu werden, und er, er war vielleicht doch ihre erste Lie–
„Bitte unterthänigst um Vergebung, wenn ich störe“, schnatterte ein Jockey, der während des Grafen Selbstgespräch ins Zimmer gekommen war, „der Herr Rittmeister von Sporeneck –“
„Was Teufel! hatte nicht die Aarstein jenen Sporeneck genannt? Sollte er hier sein?“
„Lassen sich Exzellenz zu Gnaden empfehlen“, fuhr jener fort, „und ob der Herr Graf dem Herrn Rittmeister nicht eines Ihrer Zimmer vornheraus abtreten wollten?“
Da hatte er es ja; ein Zimmer sollte er abtreten, weil gerade gegenüber Idas Boudoir, Besuch- und Schlafzim– nein, er konnte es nicht thun, diese Forderung war zu unverschämt – gedankenlos starrte er den Bedienten an, der ihm die Unglücksbotschaft hinterbracht hatte. Dieser glaubte, der Graf wolle noch weitere Aufträge von seinem Herrn, und schnatterte weiter:
„Die Zimmer im oberen Stock sind zwar auch nicht zu verachten, aber mein Herr hat gesagt, es seie ihm nur um die schöne Aussicht, und da hat er gemeint, Exzellenz könnten vielleicht eines von den drei –“
„Nein! –“ rief der Graf mit einem so schrecklichen Ton und rollte so finster die Augen dazu, daß dem armen Jockey ganz wind und weh dabei wurde und sich das Abschiedswinken des Grafen nicht zweimal vormachen ließ.
Da hat er es ja sonnenhell, daß ihm das Licht in den Augen weh that, da hat er es; der Rittmeister, nichts Gewisseres, war [148] bestellt worden und hatte jetzt noch die Unverschämtheit, ihm ein Zimmer abzufordern, daß er besser hinüber zu seiner Dulcinea[WS 17] – Nein, in diesem Tone konnte es nicht fortgehen; die Wehmut war stärker als die Bitterkeit und wurde Herr über sie; er warf sich in sein Sofa und weinte bitterlich. So war gewiß noch kein Mensch getäuscht worden wie er; der Zufall, der blinde Zufall läßt ihn ein Mädchen finden, so hold, so schön, so ganz Unschuld und reine Jungfräulichkeit; er muß sie lieben, und wie glücklich ist er in dieser Liebe; Trost, Freudigkeit, Ruhe, Dinge, die er seit langer, langer Zeit nicht gekannt, ziehen wieder ein in sein Herz, er fühlt sich glücklich, wie er selbst damals, als noch sein Haus in Fülle des Glücks und der Freude prangte, nie gefühlt hatte, er sah, ja er durfte es sich gestehen, er sah das Morgenrot der ersten, zarten, jungfräulichen Liebe auf ihren Wangen aufgehen, und diese Liebe galt ihm; mit einem Zauberschlag schuf sie aus ihm, dem Unglücklichsten der Sterblichen – den Glücklichsten. Jetzt hatte er ja alles, was die kühnsten Wünsche nur verlangen mögen: Gesundheit, Jugend, hohe Geburt, Ehre und Ansehen, Geld, daß er den Markt von Freilingen mit Thalern hätte belegen lassen können, ohne daß er es sonderlich gefühlt hätte, es fehlte ihm nichts mehr als das eine, ein holdes, tugendsames Weib, und auch dieser hohe Wurf war ihm gelungen, er hielt im seligsten Moment seines Lebens ein Mädchen im Arm, ein Mädchen, für dessen Tugend er sein Leben gegeben hätte; da sendet in dem Augenblick, wo er sein Herz hingeben will, der Himmel eine Dame, die unwillkürlich den Schleier ein wenig lüftet und ihn das Mädchen ein wenig näher kennen lehrt, die ihn merken läßt, daß dieses Auge nicht zum erstenmal von Liebe leuchte, dieser keusche Mund nicht zum erstenmal geküßt werde, die, wenn man es gleich in der großen Welt nicht so genau nimmt, doch selbst eingestand, daß es gut sei, daß man das Mädchen aus einem unschicklichen Verhältnis herausgerissen – abscheulich! ein Teufel in Engelsgestalt – an eine Schlange, an eine Kokette hat er sein Herz verloren, da, wo er schüchtern mit der verschämten Zartheit erster Liebe um ein einziges Küßchen gebeten hatte, da hatten andere geschwelgt! Er schämte sich wie ein Primaner, der die Rute [149] bekommen hatte, so betrogen, so schnöde angeführt worden zu sein; er gönnte ihr, obgleich sein Herz dabei blutete, er gönnte ihr den Rittmeister, es reute ihn beinahe, daß er ihm sein Logis versagt hatte, alle Zimmer hätte er ihm geben sollen, er wollte morgen in alle Weite fortziehen. – Und dennoch drängte es ihn, noch da zu bleiben; wenigstens rächen wollte er sich an ihr, er wollte hinüber zu ihr, wollte sehen, wie sie sich jetzt gegen ihn betragen würde, wollte sehen, ob sie jetzt, da der rechte Liebhaber gekommen, ob sie jetzt noch die Stirne habe, ihn wie bisher an der Nase herumzuziehen; tausenderlei nahm er sich vor, ihr zu sagen, aber das eine war ihm zu spitzig und schneidend, er wollte ihr nicht so arg wehthun, das andere war ihm zu weich, zu gefühlvoll, er wollte ihr nicht zeigen, wie tief sie sein Herz verletzt habe – das beste schien ihm, er wollte ganz und gar nichts mit ihr reden, wollte thun, als ob gar keine Ida in der Welt seie, oder als seie sie ihm wenigstens sehr gleichgültig, wollte ihr zeigen, daß er sie verachte.
Die Stunde, zu der man gewöhnlich beim Präsidenten Thee trank, hatte schon geschlagen; er wischte sich daher schnell die letzte Thräne, die er der Dirne geweint haben wollte, hinweg, besorgte eilends seine Toilette, warf sich in die Kleider, preßte das weich gewordene Herz mit beiden Händen zusammen und ging dann den schweren Gang hinüber in jene Zimmer, wo er einst so unendlich glücklich gewesen war.
Es war, als seie ein feindlicher Dämon mit der Gräfin in Präsidents Haus eingezogen. In wenigen Stunden war alles, das ganze ruhige, stille Leben des Hauses verändert. Alles rannte und flog, um den hohen Gast zu bedienen; es war ein Jagen und Treiben, ein Rennen und Laufen, daß man glaubte, der Feind sei vor den Thoren. Der ärgste war der Präsident selbst; ganz still verklärt schlüpfte er in allen Ecken des Hauses umher, zankte und hantierte, daß die Konfusion nur noch ärger wurde, und ihn sein Mädchen, das vor Haushaltungsgeschäften und Herzensangelegenheiten [150] nicht wußte, wo ihr der Kopf stand, ihn um Gotteswillen bat, sie doch ganz allein machen zu lassen. Es war aber auch kein Wunder, daß er sich ein wenig verrückt gebärdete. Der Himmel hing ihm voller eigenhändig-durchlauchtigster Belobungsschreiben, voll großer Verdienstkreuze mit breitem Band über die Brust, voll Dotationen und Standeserhöhungen; jetzt war er in seinem Esse[WS 18], jetzt konnte er negozieren und zeigen, daß er nicht umsonst in Regensburg und Wetzlar in seiner frühen Jugend Diplomatie studiert hatte. Was er mit seinen kühnsten Wünschen nicht für möglich gehalten hätte, führte ihm ganz bequem der Zufall in die Hände. Der Staatssekretär hatte ihm aufgetragen, dafür zu sorgen, daß Martiniz sich ankaufe und für die Idee einer Verbindung mit der Aarstein gewonnen werde; es hatte ihm wahrhaftig schon manche Sorge gemacht, ob er diesen Ausbruch allerhöchsten Vertrauens auch gehörig rechtfertigen werde. Jetzt gab der Himmel der Gräfin ein, auf ihre Güter zu reisen. Was doch nicht der Zufall thut! Ohne daran zu denken, daß es wirklich einmal in Erfüllung gehen könne, denn der gerade Weg führte zwei Meilen seitwärts an Freilingen vorbei, hatte er einmal in der Residenz in einem Anfall von galanter Laune der Gräfin das Versprechen abgenötigt, einmal auf ihrer Reise bei ihm einzusprechen. Und wie glücklich fügte es sich jetzt; sie, die beim Herrn alles galt, die er behandelte wie seine eigene Tochter und ihr alles zu Gefallen that, sie, nach deren Wink die ersten Chargen sich richten mußten, die, ohne daß man es merkte, an ganz geheimen Fäden das Land regierte, sie besuchte ihn.
Aber sie sollte auch gehalten werden, als wäre sie in ihrem eigenen Hause, daß sie recht viel Schönes und Gutes höheren Orts von ihm und seinem Hause sagen konnte. Kaum hatte sie geäußert, sie finde Idas Zimmer im ersten Stock so hübsch, so mußte das Fräulein das Feld räumen und in die zweite Etage wandern. Es kam dem Mädchen sauer an, als sie so die Plätze wechseln mußte, und in ihrem traurigen, ahnungsvollen Herzen wollte es ihr beinahe bedünken, als seie dies eine schlimme Vorbedeutung. Und es wahr ihr auch gar nicht zu verdenken; sie hatte das Fenster mit der Estrade so gerne gehabt, dort saß sie am liebsten, dort [151] las, dort arbeitete sie, sie durfte ja nur das Köpfchen ein wenig heben, den blauseidenen Vorhang nur ein wenig aufheben, nur einen kleinen Viertelsseitenblick hinüberwerfen, so sah sie ja auch schon ihn; und jetzt sollte sie der verhaßten Nebenbuhlerin, die ja offenbar nur gekommen war, um den Grafen in ihre Fesseln zu schlagen, jetzt sollte sie dem üppigen Weib, die gewiß alle Künste der Fensterkoketterie aufbieten werde, ihr heimliches Plätzchen am Fenster, ihr lauschiges Schlafstübchen abtreten und dafür, weiß Gott wie lange, in den weiten, unheimlichen Zimmern des oberen Stockes wohnen. Mit Seufzen richtete sie ihre kleine Haushaltung oben ein. Der Stickrahmen, die Staffelei, die Toilette, die paar Kistchen und Kästchen waren bald gestellt; jetzt setzte sie einen Stuhl ins Fenster, sie probierte, ob man nicht auch von da in den ersten Stock des Mondes hinabsehen könne; es ging wohl, aber sie sah nichts, als die Wolken seiner Gardinen, er mußte schon herausschauen, wenn sie ihn von diesem Platz aus zu Angesicht bekommen sollte, und das merkte sie schon, einen steifen Hals konnte sie sich füglich gucken, wenn sie immer das Köpfchen hinabbog; „doch was schadet das“, lächelte sie, „das thu’ ich ihm schon zu Gef–“
Mit einem Schrei des Entsetzens sprang sie auf; hatte sie recht gesehen, oder hatte ihr nur die Phantasie diese Gestalt – als sie von der Bel-Etage des Mondes zurückkehrte und ihr Blick zufällig an den Fenstern des zweiten Stockes vorbeistreifte, erblickte sie – „nein, was bin ich für ein Kind“, dachte sie, „wie wäre es möglich, was könnte er nur hier zu thun haben?“ Sie wagte noch einen Blick – richtig, der Rittmeister von Sporeneck lag geradeüber von ihr im Fenster und bückte und verbeugte sich herüber und that und lächelte so vertraut und so freundlich, als hätte er sie jahrelang gekannt.
Voll Unmut über den Unverschämten riß sie an der seidenen Schnur, welche den Store am Fenster emporhielt, und rauschend rollte der Vorhang zwischen sie und den verhaßten Lüstling. Dieser Mann war ihr der widerwärtigste auf der Erde; er war ein schöner, kräftiger Soldat, gebildet, von glänzendem Witz, angenehm in der Unterhaltung; er wußte den Bescheidenen zu spielen, [152] aber nicht länger als ein paar Tage, dann – das Mädchen, das er belagerte, mußte ja in dieser Frist kirre gemacht sein, dann kehrte er seine wahre Seite heraus, sein Auge wurde lüstern, seine Reden lockend, schlüpfrig, mußten jedes zarte, weibliche Ohr aufs tiefste beleidigen, wenn es nicht schon ganz für ihn gewonnen war. So hatte er sich auch Ida genähert. Das unschuldige Kind hatte Gefallen an seinen Gesprächen, die ihr ein wenig mehr Gehalt zu haben schienen als die der übrigen jungen Herrn, sie ging oft in seinen Witz, in seine heitere Laune ein. Er aber hatte sich ein rasendes Dementi bei diesem Mädchen gegeben. Er hatte sie in eine Klasse gerechnet mit den verdorbenen Kindern der Residenz, die, zur Jungfrau herangewachsen, unter dem Schleier der Sittsamkeit eine kaum verhaltene Lüsternheit, ein sündiges Sinnen und Begehren verbergen. Diese hatte er immer bald aufs Eis geführt, und waren sie nur einmal in einem Wörtchen geglitscht und geschlüpfert, husch –; so hatte er auch bei Ida endlich, nachdem er alle edlern Farben hatte spielen lassen, die herausgekehrt, die jede andere geblendet hätte, aber vor dem strengen Blick der reinen Jungfrau nicht Farbe hielt. Mit Schanden, man sagt sogar mit einer tüchtigen Ohrfeige war er abgezogen, erklärte Ida überall für ein Gänschen, schwor ihr bittere Rache und warf sich in die Arme der Aarstein, wo ihm ohne langweilige Präliminarien bald wurde, was er bei Ida durch tausend Künste umsonst gesucht hatte.
„Das ist aber auch zu abscheulich“, dachte Ida, „so wenig sich zu genieren!“ Denn daß die Gräfin ihren Liebhaber mitgenommen, daß er auf keinem andern Wege nach Freilingen gekommen sei, das hatte sie gleich weggehabt. Weiter dachte sich aber das gute, unschuldige Kind nichts dabei. Sie kannte zwar die grundlose Schlechtigkeit der Aarstein so ziemlich, sie wußte, daß diese gekommen sei, um den Grafen zu gewinnen; aber das ahnete sie nicht, daß man den Rittmeister nur dazu mitgenommen haben könnte, um sie von Martiniz’ Herzen loszureißen, um sie in eben jenem Lichte zu zeigen, in welchem sie die Gräfin sah. Nein, an diesen wahrhaft höllischen Plan dachte das engelreine Herzchen, das allen Menschen gerne ihr Gutes gönnte, nicht. Und wie sollte sie auch daran gedacht haben. Sie glaubte ja gar nicht anders, als [153] die Gräfin könne von ihrer Liebe zu Martiniz auch nicht die leiseste Ahnung haben, wußte ja sogar sie kaum seit Stunden, daß sie ihn so recht innig liebe, hatte sie ja doch all ihre Sehnsucht, alle ihre Liebe recht tief und geheimnisvoll im Herzchen verschlossen, und niemand könne, glaubte sie, da hineinsehen, als vielleicht höchstens Mart– ja er mußte ja gefühlt haben, daß sie ihm gut seie, sonst hätte er wohl nicht jenes Geständnis gewagt, daß er sie lie–
Aber da schellte es schon zum zweitenmal in des Vaters Zimmer; wahrhaftig, die Theestunde war da, und noch manches war zu rüsten; die Gedanken an Rum und Zitrone, Zucker und Thee, Milch und Brötchen, Tassen und Löffelchen verdrängten alle anderen; sie flog die Treppe hinab, um schnell alles zu ordnen. Dort stand schon Papa und flüsterte ihr zu: „Schicke dich nur; es sind allerhand Besuche da, und du könntest leicht mehr Rum brauchen als das Bouteillchen da!“
Als Ida in das Theezimmer trat, stellte ihr der Präsident, nein, sie hätte mögen gerade in den Boden sinken – „Siehe da, Ida“, sagte er, „ein Bekannter von dir aus der Residenz, Herr von Sporeneck, hat uns diesen Abend mit seinem Besuch beehrt. Nun, das wird mein Kind freuen; wenn so einer von euch Herren in unser kleines Freilingen hereinkommt, ist es gleich ein Jubel und ein Fest für alle Mädchen, die nur einmal in der Residenz waren; da werden dann allemal in Gedanken alle Bälle und die kleinsten Touren noch einmal durchgetanzt und in der Erinnerung viel getollt; ich kenne das“, setzte der freundliche Alte hinzu, indem er sein Töchterchen in die Wange knipp, „war auch einmal jung und kenne das.“ Er ging weiter und ließ den Rittmeister vor Ida stehen.
Diese wurde bald blaß, bald rot und zitterte, als sollte sie gerade umfallen. Dieser Mensch, den sie so schnöde abgewiesen hatte, dieser konnte es wagen, in ihres Vaters Haus zu kommen?! Sollte sie ihn nicht öffentlich prostituieren[WS 19], ihn einen impertinenten Menschen heißen und fortschicken? Doch nein, sie wußte, wie [154] heilig das Gastrecht ihrem Vater war, sie wollte ihn schonen. – So hing sie ihren Gedanken nach und bemerkte nicht, wie der Rittmeister schon seit einigen Minuten neben ihr stand und an sie hin sprach; jetzt kam sie wieder zu sich – was mußte nur der Graf denken, wenn sie so lange bei dem Menschen stand, mit welchem sie die Aarstein bei ihm so verdächtig gemacht hatte; ihre Augen suchten den Geliebten – er saß neben der Gräfin, traulich hatte sie ihre Hand auf die seine gelegt, unverwandt sahen beide nach ihr und dem Rittmeister herüber – die Gräfin mit höhnischer Schadenfreude, mit triumphierendem Blick, der Graf starr und finster, als sehe er etwas, das er gar nicht für möglich gehalten hätte.
Und so war es ihm auch; noch waren immer Zweifel in ihm aufgestiegen, ob denn auch wirklich alles so sei, wie die Aarstein gesagt hatte, wie sein Mißtrauen ihm zuflüsterte; zwar das Hiersein des Rittmeisters – doch er konnte ja auch in Geschäften an das hiesige Regiment geschickt worden sein; dann die Zumutung, ihm ein Zimmer Ida gegenüber abzutreten; nun ja, das war allerdings stark, und der böse Geist wollte ihm zuflüstern, daß dies schon sehr viel beweise. Aber sein besserer Sinn siegte doch wieder; das alles bewies ja nur höchstens, daß der Rittmeister in Ida verliebt sei, von ihrer Seite hatte er ja keinen Beweis gesehen. Aber recht Achtung wollte er geben auf Ida, das war sein Entschluß gewesen, als er durch die hell erleuchtete Enfilade[7] von Präsidents Zimmern ging.
Er war heute einer der ersten und in den hohen weiten Zimmern beinahe niemand, den er näher kannte, oder mit welchem er in ein Gespräch sich hätte einlassen mögen; daher ging er allein und in tiefen Gedanken durch die Zimmer. Da tippte es ihm leise auf die Schultern; wenn das Ida – dachte er; er sah sich freundlich um – es war die Gräfin; sie verwickelte ihn bald in ein Gespräch, aus welchem er sich nicht so bald herauswirren konnte; das fatalste war, daß er dem Redegang der Gräfin Plapperinsky immer folgen mußte, um nicht zerstreut zu erscheinen, und doch ging ihm immer der Rittmeister und sein Logis im Kopf herum.
[155] „Nein, aber sagen Sie selbst, Graf“, fuhr sie fort, nachdem sie in einer Pause wieder Altem geschöpft hatte, „sagen Sie selbst, kann man artiger und aufmerksamer für seine Gäste sein als Ida? Denken Sie sich, meine Coffres und Vachen[8] waren schon in den obern Stock gebracht worden, es wohnt sich dort ganz hübsch, zwar sind die Zimmer nicht so elegant eingerichtet wie hier unten, doch Sie wissen selbst, auf Reisen macht man keine so großen Ansprüche, besonders wenn man so schnell und unangemeldet kommt wie ich; ich war also schon ganz zufrieden in meinem Sinn und ließ auspacken; da kommt das gute, liebe Engelskind, denken Sie sich, und ruht nicht eher, bis ich von ihrem schönen Boudoir, Schlafzimmerchen und allem hier unten Besitz nehme, und sie selbst zieht in ihrem Edelmut hinauf in den obern Stock. Nein, sagen Sie selbst, kann man die Gastfreundschaft weiter treiben als die gute Ida?“
„Sehr viel, sehr viel!“ preßte Emil heraus, es war ihm, als schnürte ihm etwas die Kehle zusammen, als ob eine eiskalte Hand ihm in die Brust führe und das warme, liebeglühende, treue Herz umdrehte und schmerzlich hin und her reiße. Jetzt war es ja sonnenklar, entschieden war jetzt die fürchterliche Verstellungskunst dieser – – Dirne, die so schändlich mit ihm gespielt hatte; daß zwischen dem Logis des Rittmeisters und ihrer ungemeinen Gefälligkeit gegen die Gräfin ein geheimer Zusammenhang stattfand, konnte ein Blinder sehen.
Er lachte, es war das Lachen der Verzweiflung, und die ganze Hölle lachte aus ihm heraus. „Wahrhaftig, ein großes Opfer“, sagte er mit schrecklicher Lustigkeit zu der Gräfin, „eine ungeheure Großmut, die ganz allein aus der allerausgedehntesten Nächstenliebe und Gastfreundschaft hervorgeht!“ Die Gräfin Aarstein-Satanas wußte wohl, daß sie sein Herz mit glühenden Zangen zwickte, wußte auch nur gar zu gut, woher die Logisveränderung kam, aber so vollständig, so schnell hatte sie sich ihren Sieg, ihren höllischen Triumph nicht vorgestellt.
Sie hatte ja nie so recht geliebt, sie wußte daher auch nicht, [156] daß die stärkste, glühendste Liebe zugleich die schwächste und empfindlichste ist!
Jetzt kam auch der Rittmeister, der mit Empfehlungen an den Präsidenten reichlich versehen war; der Graf bebte zurück vor ihm. Dieses gierige Auge, dieses höhnische Lächeln, diese falsche, schlaue, lauernde Miene, so ganz ohne höhere Bedeutung, ohne edlere Züge, diesen Menschen konnte Ida lieben. Er hätte jedem unter die Nase gelacht, der ihm so etwas vor zwei Tagen, als er noch an die Engelsunschuld des lieben Mädchens glaubte, hätte weismachen wollen; er hätte jeden einen Schurken geheißen, der dieses heilige, keusche Geschöpf mit diesem Mann, in dessen Gesicht schon alle Leidenschaften gewühlt hatten, nur im leisesten Verdacht gehabt hätte; – jetzt mußte er ja selbst daran glauben. Wie ein Kind ließ er sich von der Aarstein leiten, sie zog ihn zu sich nieder, sie spielte die Verwunderte, den Rittmeister hier zu sehen, sie ließ manche giftige Bemerkung schlüpfen – er hörte nichts, er sah nichts, nur ein Gedanke beschäftigte ihn, er wollte recht haarscharf achtgeben, wenn sie käme, wie sie sich gegen Sporeneck benehmen würde. Die Thüre ging auf, sie kam; an der Hand des Vaters ging ihr der Geliebte entgegen, er sah, wie sie ihr Entzücken unterdrückte, wie Blässe und Röte auf ihrem Gesicht wechselten, wie sie ganz versunken in Liebe dem Rittmeister zuhörte, und wie glühende Dolche fuhr die bitterste Eifersucht durch sein Herz: – „Sehen Sie nur hin, Graf“, flüsterte ihm die Aarstein ins Ohr, „sehen Sie nur, wie glücklich die Leutchen dort sind! Das ist ein Erzählen, das ist eine Wonne, daß man einander nach ein paar Wochen wieder hat; daß sie sich nicht auf der Stelle abherzen und küssen, ist alles!“
Dem Grafen wurde grün und gelb vor den Augen. – Jetzt nahte Ida, der Gesellschaft am Theetisch ihr Kompliment zu machen; die Röte des Unmuts und der Verlegenheit lag noch auf dem Gesichtchen und gab ihm einen so eigenen Reiz, daß der Graf nur um so tiefer fühlte, wie schrecklich sich hier die Natur vergriffen und um ein so falsches, zweideutiges Herz eine so herrliche Gestalt gezogen, warum sie gerade ihr, die es so gar nicht verdiente, diese sanften Taubenaugen, dieses holde Grübchen in [157] den Wangen, dieses bezaubernde, huldvolle Lächeln gegeben. Sie verneigte sich gegen die Gesellschaft, die Gräfin drohte ihr lächelnd mit dem Finger, sie errötete von neuem; sie mußte noch die Zuckerdose herbeiholen, sie hätte einen viel näheren Weg gehabt, aber sie machte einen Umweg an Martiniz vorüber, er wagte nur einen Viertelsseitenblick – auf ihn war ihr strahlendes Auge gerichtet, ihm lächelte sie, ihm flüsterte sie im Vorbeigehen kaum hörbar zu: „Guten Abend, Freund! warum so ernst und düster?“
Er fühlte den süßen Hauch an seiner Wange, ein solcher Gruß hätte ihn sonst bis in den dritten Himmel erhoben, ein solches Zauberwort hätte sonst alle Wolken von seiner Stirne gebannt und die traurigsten Falten geebnet. Heute – er blieb starr und stumm; nein, eine solche Erz-General-Armee-Kokette mußte es ja auf dem weiten Erdenrund nicht geben! Ist fünf Minuten außer sich, weil sie den alten Liebhaber wieder sieht, und um es doch mit dem neuen nicht zu verderben, flüsterte sie ihm – Nein! jetzt sprudelte das Maß ihrer Schuld über. Der reine, wahrheitsliebende Jüngling konnte ihr verzeihen, daß sie einem so zweideutigen Menschen, wie dieser Sporeneck offenbar sein mußte, ihr Herz schenkte, er konnte ihr verzeihen, obgleich es ihm das Herz brechen wollte, daß sie mit ihm ein so grundfalsches Spiel gespielt hatte, er konnte es der schwachen weiblichen Natur beimessen, daß sie sich, als der alte Liebhaber nahte, so ungeheure Blößen gab, er konnte dies alles verzeihen, daß sie aber auch jetzt noch ihr Spiel fortspielen wollte, daß sie Zweien auf einmal gehören wollte, nein, das ging über seine Begriffe, er mußte, seine Natur wollte sich dagegen sträuben, wie sie wollte, es war ihm, als müsse er sie verachten. Aber sie hatte recht, obgleich in einem andern Sinn; seine Ehre forderte es, daß er nicht da saß wie ein armer Sünder, über welchen der Stab gebrochen wurde; wenn auch besiegt, durfte er nicht traurig aussehen; er wollte, er mußte lustig sein, und sollte sein Herz dabei aus allen Wunden bluten.
Der Hohn gegen die ganze Welt, der in der Brust des Tiefgekränkten aufstieg, gab ihm Kraft dazu; eine Lustigkeit bemächtigte sich seiner, die er seit Jahren nicht gekannt hatte; er riß das [158] Gespräch an sich, er strahlte von Witz und Leben, daß alle weiblichen Herzen dem herrlichen Mann, dem schönen, witzigen Grafen zuflogen. Allen galt sein Gespräch; sein feuriges Auge schien jeder Dame etwas Schönes sagen zu wollen, ausschließend aber galt es der Gräfin. Er wußte selbst nicht, was ihn antrieb, ihr so sehr als möglich den Hof zu machen, aber es war ein dunkles Gefühl in ihm, als müsse es Ida recht tief verletzen, wenn er die Gräfin so sehr auszeichne, wenn er alle Damen für sich gewinnen wollte und ihr, ihr allein keinen Blick, kein Lächeln gönnte, nicht einmal zu hören schien, wenn sie hie und da ein Wörtchen mit einschlüpfen lassen wollte.
Und in der That, er erreichte seinen Zweck voll – kommen; er hatte es getroffen, tief bis ins innerste Leben getroffen, dieses treue Herz, das nur für ihn, mit dem Feuer der ersten jungfräulichen Liebe nur für ihn schlug! Ihr Blick hing an seinen Lippen, sie freute sich anfangs, daß er so fröhlich sei, sie glaubte nicht anders, als die paar Wörtchen, die sie ihm zuflüsterte, haben ihn aus seiner finstern Laune hervorgezaubert; ihr kleines Herzchen triumphierte; als sie aber sah, wie er sich an alle wandte, nur an sie nicht, wie auch nicht ein Blick der Freundin galt, wie er nur für die Aarstein zu leben schien; als sie seinen schneidenden Hohn, die grelle Lustigkeit, den schillernden Witz, der ihm sonst gar nicht eigen war, bemerkte, da ahnete ihr wohl, daß ihm jetzt ein anderes Gestirn aufgegangen sein müsse, das seinen Einfluß auf ihn übe; und wer konnte dies sein, als die, die ihr von jeher feindlich entgegengetreten war. – Die Aarstein! Der Glanz der üppigen Rose hatte ihn geblendet, was konnte es ihm auch ausmachen, daß er nebenbei das Veilchen zertrat? Sie klagte nicht, sie weinte nicht, aber eine furchtbare Blässe lag auf dem holden Engelsgesichtchen, ein wehmütiges Lächeln spielte um ihren Mund, sie sah ja alle die leise geahnten Hoffnungen ihres Herzens, die sie, ach nur in einem einzigen seligen Augenblicke, recht klar sich gestanden hatte, sie sah sie alle mit einemmal versinken und – mit dem Freunde untergehen. Von Anfang war es ihr noch, als flattere eine Art ängstlicher Eifersucht in Gestalt einer Fledermaus durch den kaum dämmernden Morgenhimmel ihrer Liebe; [159] dann aber war alles stille Nacht in ihr; es blieb ihr nichts mehr als ein großer Schmerz; sie fühlte, daß sie diesen ewig, ewig in ihrem treuen Busen tragen werde.
Wie es an jenem Abend war, ebenso war es auch in den nächsten Tagen. Der Hofrat hätte vielleicht alles bald wieder ins Gleis bringen können, aber das Unglück wollte, daß er in wichtigen Angelegenheiten an demselben Abend verreisen mußte, an welchem die Gräfin ankam. Die Gräfin schrieb, so oft sie es unbemerkt thun konnte, an den Rittmeister in den Mond hinüber und spornte ihn an, Ida nur noch immer mehr zu verfolgen. Nach den letzten Briefen schien es zwar wegen ihr selbst nicht mehr nötig zu sein, weil sie den Grafen schon so umgarnt zu haben glaubte, daß an kein Entrinnen zu denken sei. Dem war aber nicht also. Dem Grafen, der nur durch die Brille der Eifersucht sah, wollte es trotz seiner Resignation fast das Herz abdrücken, daß Ida in solchen Verhältnissen mit dem Rittmeister seie. Wenn er bei Präsidents war, ach, es war ja nicht wie ehemals; sonst war sie ihm wohl bis an die Treppe entgegengesprungen, hatte mit lachendem Mund ihn geneckt oder ihm eine neue Schnacke aufgetischt, hatte ihn dann unter Tollen und Lachen hereingezogen ins Zimmer, dort war dann das Mäulchen gegangen wie ein oberschlächtiges Mühlchen, und keine fünf Minuten hatte sie ruhig sitzen können, ohne daß sie aufgesprungen wäre, dort was zu holen, hier was zu zeigen, und welche Freude gewährte es dann, das Mädchen dahin hüpfen zu sehen, ihr Gang war dann Tanz, alles war Leben, alles Grazie und Anmut, es war, wie wenn über die ganze Gestalt ein zauberisches Lächeln gewoben gewesen wäre, und jetzt – und jetzt?
Kalt und ernst sah sie ihn an, wenn er kam; oft wollte es ihn zwar bedünken, sie setze schon an, um ihm wie sonst entgegenzuhüpfen, da mußte sie aber wohl an den Sporenecker denken, denn sie neigte sich so abgemessen, als wäre er ihr ganz und gar fremde; oft kam es ihm sogar vor, als liege etwas so Wehmütiges in dem lieben Gesichtchen, das er sich nicht anders erklären konnte, als [160] daß es sie reue, ihn so am Narrenseil geführt zu haben, daß sie sich schäme, so unverhofft demaskiert worden zu sein. Zuzeiten wünschte er sich auch den Hofrat herbei, um mit ihm über das Mädchen und seine grenzenlose Koketterie zu sprechen.
Daß doch die Männer gewöhnlich so grausam sind und nicht sehen, was so offen vor den Augen liegt! Sie lesen in Taschenbüchern und Romanen alle Folgen unglücklicher, verschmähter Liebe, alle Zeichen eines gebrochenen Herzens; sie können es sich auch in der Phantasie recht lebhaft vorstellen, wie ein gutes, liebes Engelskind mit einem vom Gram der Liebe gebrochenen Herzen aussehen müsse, sie nehmen sich vor, das nicht zu vergessen, aber wenn es drauf und dran kommt, wenn sie selbst aus Übermut oder thörichter Eifersucht ein schönes, nur für sie schlagendes Herz gekränkt, – geknickt, – gebrochen haben, da merken sie es nicht, sie können sogar noch ein recht ungläubiges Hohngelächter der Hölle aufschlagen, wenn man ihnen die stille Thräne im trüben Auge, den wehmütig ansprechenden Zug um den Mund zeigt, wenn man sie aufmerksam macht auf die immer bleicher werdenden Wangen; „das wird man seine Gründe haben“, lachen sie, und gehen ungerührt vorüber, und denken nicht, daß man auch ohne Doktor und Apotheker am gebrochenen Herzen sterben könne.
Die Eifersucht macht blind; nirgends schien dieser Ausspruch besser in Erfüllung zu gehen als hier bei Martiniz und Ida.
Für ihren thränenschweren Blick, für ihren wehmütigen Ernst wußte er tausend Gründe anzugeben, wußte sich mit wieder tausend Vermutungen zu quälen und zu härmen, die rechte fand er nicht. Es war eine wunderbare Veränderung vorgegangen mit diesem Mädchen in den paar Tagen. Sonst das Leben, die Fröhlichkeit selbst, jetzt ernst und abgemessen. Die bleicheren Wangen, das trübere Auge, das ja so deutlich von thränenvollen Nächten, von gramerfüllten Träumen sprach, wollte niemand verstehen, am wenigsten der, um welchen diese stillen Thränen flossen. Es war ihr oft zu Mut, als sollte sie nur eben die heißen, ausgeweinten Augen zuschließen und sich in das Grab legen lassen; dort, wenn die Erde so kühl um die vier Bretter und zwei Brettchen, welche die arme Ida umschließen, sich legen werde, dort, wo [161] sie nicht mehr gefoltert werde von dem Anblick, wie ihr geliebter Jüngling näher und näher, enger und enger in die Schlingen jener Sirene sich verwickele – dort, dachte sie, müsse es gut schlummern sein. Denn das war ihr ja das ärgste nicht, daß sie zurückgesetzt war, nicht daß sie es war, die er verließ, um sich dem Triumphzug der allgemeinen Siegerin anzuschließen, nicht das brach ihr das Herz; zwar, es hatte ihr Mühe und Thränen gekostet, bis sie es dahin gebracht hatte, daß sie nicht mit Bitterkeit daran dachte, daß er, als kaum das Geständnis seiner Liebe über seinen Lippen war, schon andern Sinnes sein konnte. Aber sie hatte überwunden, sie war tief in sich eingekehrt; aus den geheimnisvollen, unergründlichen Tiefen der heiligen jungfräulichen Brust hatte sie Mut heraufgeholt, um den Gedanken zu ertragen, daß der, den sie liebe, einer anderen angehören könne.
Aber dagegen sträubte sich mit aller Macht ihr keusches, bräutliches Herz, daß er jene, auf welche die Kinder in der Residenz mit Fingern deuteten und sich ihre Schandthaten erzählen, daß er an jene verloren gehen sollte. Wäre er ein Mann gewesen, der frech mit ihrem armen, unerfahrenen Herzchen gespielt hätte, sie hätte es ertragen, daß er bei der Gräfin dafür büßen sollte; aber Emil – ihr feiner, weiblicher Takt, der darin so weit und so scharf sieht, sagte ihr, daß er noch ein Neuling in der Liebe sei, daß er sein Herz frei bewahrt habe, bis sie ihn kennen gelernt habe, daß sie seine erste Neigung gewesen sei; und doch er, der so namenloses Unglück schon erduldet hatte, auch er sollte durch dieses Weib unglücklich werden? Ach, wie oft wünschte sie sich ihren alten Freund, den Hofrat, herbei. Ihm hätte sie alles, alles vertraut, auch jenen Augenblick der seligen Liebe, wo er ihr gestand, daß er sie liebe, wo er sie umschlang und an sein pochendes Herz drückte, wo er sie mit den süßesten Schmeichelnamen der Zärtlichkeit genannt, wo ihr Mund sich schon zum ersten, heiligen Kuß der Liebe ihm entgegengewölbt hatte. Dies alles war ja längst vorüber, war begraben, tief, tief in ihrem Herzen, mit aller Hoffnung, aller Sehnsucht, die es einst erweckt hatte; aber Berner durfte es wissen, ihm hätte sie alles gesagt und ihn dann zum warnenden Schutzgeist für den Grafen aufgerufen.
[162] Aber er war noch nicht zurück, darum verschloß sie ihren Schmerz in die Seele; aber mit Angst und Zittern sah sie, wie der Graf um die Aarstein flatterte, wie die Fliege um das Licht. Alle Beispiele von den sinnlichen Lockungen dieser Sirene, die man sich in der Residenz in die Ohren geflüstert, fielen ihr bei: wie leicht konnte er in einem unbewachten Augenblick, hingerissen von den verführerischen Reizen der üppigen, buhlerischen Dame Potiphar[WS 20] – sie errötete von dem Gedanken, und preßte die Augen zu, als sollte sie was Schreckliches sehen. Wenn etwas solches geschah – dann war er der Gräfin und dem Satan auf ewig verschrieben.
So verdeckt hier jedes sein Spiel spielte, so geheim alle diese Fäden gesponnen, angeknüpft und nach und nach zu einem dichten Gewebe verschlungen wurden, so merkte man doch hin und wieder, was vorging. Fräulein Sorben und die alte Schulderoff wurden von Tag zu Tag durch die getreuen Rapporte des Rittmeisters von Sporeneck über den Stand der Dinge belehrt. Ihre scheelblickenden Augen glänzten vor Freude, wenn sie wieder Neues erfuhren. Der Graf war ihnen ein verlorener Posten, den Fräulein Ida weder mit Thränen noch Gebet wieder heraushauen könnte.
Nichts war ihnen aber größeres Labsal, als das Fräulein von der traurigen Gestalt selbst, wie sie Ida nannten. Daß sie ernster, blässer, trüber war als sonst, war weder ihrem noch des Rittmeisters Scharfblick entgangen, und eine wahrhaft teuflische Schadenfreude, die sich in einem vierstimmigen Gelächter Luft machte, befiel sie, als Sporeneck erzählte, daß er sie durch seinen Tubus, mit welchem er hinter seinen Gardinen nach Idas Fenster visierte, bitterlich habe weinen sehen.
Aber Fräulein von Sorben sorgte auch dafür, daß Ida in ihrer Verzweiflung sich nicht dem Rittmeister in die Arme werfen konnte; sie hatte alle ihre Geistes- und Körperreize teils vor ihm entfaltet, teils durchschimmern lassen, und ihrem scharfsinnigen Auge konnte es nicht verborgen bleiben, daß er ganz bezaubert davon war. Es ist nur schade, daß er auf die Liebe so [163] trefflich eingeschult war, daß er sechs oder acht der zärtlichsten Liebschaften zumal haben konnte und jede die Betrogene war. So hatte also die beleidigte Dame den naseweisen Backfisch, der sich erdreistet hatte, in ihrer Gegenwart Grafen in sich verliebt zu machen, zwei Liebhaber auf einmal weggeputzt. „Da kann man sehen“, sagte sie zu sich, „was die Routüne macht. Das armselige Ding ist kaum sechzehn Jahre gewesen, ich habe sie noch in den Windeln gesehen und sie will sich mir gleichstellen. Aber das Affengesicht hat jetzt seinen Lohn, man hat dem unreifen Ding den Mund sauber abgewischt, hat ihr die verliebten Äugelein ausgeputzt, daß sie sieht, daß in der ganzen Welt vierundzwanzig vor sechzehn kommt.“
Aber auch der alte Brktzwisl, die gute, ehrliche Seele, hatte das Ding so ein wenig gemerkt. Als sie damals miteinander aus der Kirche gekommen waren – seitdem hatte der schreckliche Wahnsinn seinen Herrn kein einziges Mal mehr befallen – damals hatte er sich ein Herz gefaßt und zu dem Grafen gesagt: „Wie doch das Fräulein so hübsch, so tausenddonnernett aussah am Altar; bassa manelka, wie müßte sie erst aussehen bei Tag und als Bräutchen –!“ Dem Grafen schien der Gedanke nicht übel einzuleuchten, denn er hatte zufrieden gelächelt und gesagt: „Nun, was nicht ist, kann noch werden.“ Er aber hatte sich folgenden Tages gleich hingesetzt und an den alten Herrn Grafen geschrieben: „So und so, und dem gnädigen Fräulein und sonst auf Gottes weitem Erdboden niemand ist man die Rettung meines Herrn schuldig. Es kann aber auch in sechs Herrenländern kein solches Wunderkind mehr geben. Die selige Komtesse war doch auch nicht, mit Respekt zu vermelden, aus Bohnenstroh, aber Gott weiß, sie reichte dem schönen Fräulein das Wasser nicht. Und vornehm sieht sie aus, als wäre sie allerwenigstens ein Stück von einer Prinzeß. Der junge Herr ist aber auch rein in sie verschossen, und ich meine, daß es nicht menschenmöglich gewesen wäre, ihn zu kurieren, außer durch so große Inbrunst und Liebhaberei. Das hat ja auch schon der deutsche Doktor prophezeit, wie ich Euer Exzellenz, meinem gnädigsten Herrn Grafen, vermeldet habe.“
[164] So lautete die Freudenepistel an den alten Onkel, worin die Errettung vom Wahnsinn gemeldet wurde. Die Freude wollte dem alten Diener beinahe die Herzkammerthüre zersprengen, bis er die Buchstaben alle aufs Papier gemalt hatte. Bisher hatte er allwöchentlich Bericht erstatten müssen. Da hatte es denn aus Italien, Frankreich, Holland, vom Genfer See, am Rhein, an der Seine und an der Nordsee immer geheißen: „Der Herr Graf befindet sich noch im alten Zustand.“ – „Die Krankheit scheint zuzunehmen.“ – „Die Ärzte wußten wieder nichts.“ – „Die Ärzte geben ihn auf.“
Hier in dem unscheinbaren Städtchen, hier endlich sollte das Heil, der Stern des Segens aufgehen. Er konnte sich die Freude des alten Herrn denken, der so ganz an Emil wie an einem Sohn hing; er sah schon im Geiste, wie der Herr Graf lächeln, die Hände reiben und rufen werde: „Nun, in Gotts Namen, macht Hochzeit!“
Aber jetzt mußte der Teufel ein Ei in die Wirtschaft gelegt haben, denn sein Herr – der sah gar nicht mehr so glücklich und selig aus wie damals, als jene Freudenbotschaft abging – er war niedergeschlagen, traurig; fragte der alte Brktzwisl, dem aus alten Zeiten eine solche Frage zustand, was ihm denn fehle, so erhielt er entweder gar keine Antwort, oder der Graf stöhnte so schmerzlich, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen und sagte dabei: „Du kannst mir doch nicht helfen, alte Seele!“
Es wollte ihm nun gar nicht recht gefallen; er klügelte hin und her, was es denn wohl sein könne, das seinen Herrn auf einmal so stutzig und trutzig mache – da ist ein Gast drüben bei Präsidents, eine große, dicke, so halb Jungfer, halb Frau, hat die vielleicht Unkraut gestr–
Ja, das konnte sein, das schien dem alten Brktzwisl sogar wahrscheinlich; wenn er aber dieser nachlief und das schöne Fräulein im Stich ließ – nein, er wollte seinem Herrn nichts Böses wünschen, aber da soll ihm doch das siedende Donnerwetter auf den Leib – er schlug zu diesem Gedanken so grimmig auf seines Herrn Rock zu, den er im Hausgang ausklopfte, daß der Staub in dichten Wolken umherflog. „Ja, da wollte ich“, rief er in seinem Selbstgespräch weiter und klopfte immer schrecklicher, „wenn [165] du die dicke Trutschel nimmst und das schöne Fräulein, die dich aus den Klauen des schwarzen Teufels herausklaubte, wenn du die fahren läßt, alles siedende Schwefelpech des Fegefeuers soll dich dann kreuzmillionenmal –“
„Wen denn?“ fragte eine tiefe Stimme hinter ihm. Er sah sich um und glaubte nun gleich in den Boden sinken zu müssen. Ein großer, ältlicher Mann mit feinen, klugen Gesichtszügen, in einem schlichten Reiseüberrock, dem nur ein vielfarbiges Band im Knopfloch einige Bedeutung gab, stand vor ihm. „Alle gute Geister!“ stammelte endlich Brktzwisl, indem er den Fremden noch immer mit weit aufgerissenen Augen anstarrte – „wie kommen Ew. Ex–“
„Halt’ jetzt dein Maul von dergleichen“, sagte der Herr mit dem Ordensband freundlich, „ich reise inkognito und brauche diesen Firlefanz nicht; wo ist dein Herr?“
Starr und stumm bückte sich der alte Diener mehrere Mal, führte dann den fremden Herrn den Korridor entlang zur Thüre seines Herrn, erwischte dort noch einen Rockzipfel, küßte diesen mit Inbrunst und sah zu seiner großen Herzensfreude, wie sein junger Herr mit einem Ausruf der Freude dem Fremden in die Arme sank.
Der Fremde war aber niemand anders als –. Doch gerade fällt uns ein, daß der Herr, wie er sich gegen Brktzwisl äußerte, „inkognito“ reiset, und es wäre daher auch von uns höchst indiskret, wenn wir dieses Inkognito früher verrieten, als der fremde Herr selbst für gut findet, es abzulegen.
Ein stiller, aber scharfer Beobachter erschien jetzt auf dem Schauplatz, es war der fremde Herr, den der Graf unter dem Namen eines Herrn von Ladenstein bei dem Präsidenten einführte. Die Empfehlung eines Hausfreundes, wie der Graf war, hätte schon hingereicht, ihn in diesem Hause willkommen zu machen; aber die vom Alter noch nicht gebeugte Gestalt des alten Herrn voll Würde und Anstand, sein sprechendes Gesicht, erwarben ihm [166] Achtung, und als vollends der Präsident, ein Kenner in solchen Dingen, das Theresienkreuz[9] auf seiner Brust wahrnahm, stieg seine Achtung zur Verehrung. Er wußte, daß, wer dieses Zeichen trug, ein Ritter im vollen Sinn des Wortes war, und daß ein solcher sich gewiß einer That rühmen durfte, die nicht die Laune des Glücks oder hohe Protektion zu einer glänzenden erhoben, sondern die, aufgesucht unter der Gefahr, hohen Mut und tiefe Einsicht bewährte.
Vorzüglich Ida fühlte sich von diesem Mann wunderbar angezogen. Seit der Spannung zwischen ihr und Martiniz hatte sie immer mit geheimem Widerwillen der Theestunde, sonst ihre liebste im ganzen Tag, entgegengesehen. Der Graf kam entweder gar nicht, oder sehr spät, oder unterhielt er sich mit der Aarstein. Die Sorben und andere dergleichen Fräulein und Damen kamen ihr schal und langweilig vor, daß sie glaubte, nicht eine Stunde bei ihnen sitzen zu können; der Rittmeister, dessen Geschäfte beim hiesigen Regiment noch immer nicht zu Ende gehen wollten, war ihr am fatalsten von allen.
Sein erstes war immer, daß er sich mit seinem Stuhl neben sie drängte und dann so bekannt und vertraut that, als wären sie Zeltkameraden, er half ihr Thee einschenken, Arrak und Milch umherreichen und verrichtete alle jene kleine Dienste, die einem begünstigten Liebhaber von seiner Dame erlaubt werden. Dabei nahm er sich oft die Freiheit, ihr in die Ohren zu flüstern, aber die gleichgültigsten Dinge, etwa ob sie noch mehr Milch oder noch mehr Zucker bedürfe, sah aber dabei aus, wie wenn er die zärtlichste Liebeserklärung gewagt hätte.
Daher kam ihr der alte Ladenstein sehr zu statten. Sie sorgte dafür, daß er neben sie zu sitzen kam, und nun durfte sie doch für diesen Abend sicher sein, daß der Rittmeister nicht ihr Nachbar würde.
Und wie angenehm war seine Unterhaltung! Alles, was er [167] sagte, war so tief und klar gedacht, so angenehm und interessant, und trotz seines grauen Haares, trotz seiner sechzig Jährchen, die er haben mochte, war eine Kraft, ein Feuer in seinen Reden, das einem Jüngling keine Schande gemacht hätte. Aber auch dem alten Herrn schien das Mädchen zu behagen; sein ernstes Gesicht heiterte sich zusehends auf, seine lebhaften Augen wurden glänzender – solch ein Mädchen hatte er selten getroffen, und er war doch auch ein bißchen in der Welt gewesen. Diesen klaren Verstand, dieses richtige Urteil, diese Gutmütigkeit neben so viel Humor und Witz, er war ganz entzückt. Und überall war sie zu Haus; er bewunderte die wunderherrlichen Blumen, die sie machte; man kam von diesen auf die natürlichen Blumen, auf seltene Pflanzen. Er beschrieb ihr eine Blume, die so wunderschön aussehe, und die sich zu Guirlanden gar hübsch ausnehmen würde, aber der Name fiel ihm nicht ein. Kaum hatte er die Form der Blätter erwähnt, so sagte sie ihm auch schon, daß die Blume Calla aethiopica[10] heißen müsse, weiß blühe, und auch „Äthiopische Drachenwurz“ genannt werde. Er bekam ordentlich Respekt vor dem holden Kind, das so gelehrt sein konnte; aber da war nicht jenes Prahlen mit Kenntnissen, das man bei gelehrten Damen so oft findet. Nein, als die Blume abgemacht war, sprach sie auch kein Wörtchen mehr von Botanik, und es war, als habe sie nie davon gesprochen.
Er kam auf die neueste Litteratur und pochte da an; wahrhaftig, sie hatte alles gelesen und zwar nicht nur, was man so aus Leihbibliotheken bekommt oder in einem Almanach findet; nein! sie hatte interessante Geschichtswerke gelesen und eigentlich studiert. Aber auch daraus machte sie nichts Großes. Je wichtiger das Werk war, desto bescheidener war ihr Urteil, und dabei that sie so unbefangen, als ob jedes Mädchen dergleichen gelesen hätte. Und als sie auf ausländische Litteratur kamen, als sie von Lord Byron, seinen herrlichen Gedichten und seinem unglücklichen Ende sprachen, als der alte Herr mit dem Theresienkreuz ihn dennoch glücklich pries, weil sein Geist sich höher als alle [168] andere geschwungen, weil er den Menschen und die ganze Natur so tief erkannt habe: da antwortete ihm, nein, es ging über seine Begriffe, antwortete ihm die kleine Wetterhexe mit Byrons eigenen Worten, als hätte sie seinen „Manfred“ eben erst gelesen:
Er war ganz selig, der alte Herr; ein solches Mädchen hatte er in vielleicht zwanzig Jahren nicht gefunden. Und das schnepperte und bepperte mit seinem lieben hübschen Schnäbelchen so unschuldig in die Welt hinein, das blickte ihn mit seinen frommen Taubenaugen, in welchen doch wieder ein wenig der lose Schalk saß, so wundervoll an, er war ganz weg und dankte dem Grafen tausendmal, als sie wieder in den Mond zurückgekommen waren, daß er ihn mit einem so interessanten Geschöpf bekannt gemacht habe.
Dieser sah ihn wehmütig an und seufzte: „Glauben Sie mir“, sagte er, „auch ich war einst erfüllt von diesem Himmelskind; auch mir war sie eine Erscheinung wie aus Jenseits, wie des großen Dichters Mädchen aus der Fremde; ich sah, wie sie mit ungetrübtem Frohsinn und dennoch mit einer Würde, einer Höhe jedem eine Gabe reichte; mir, wähnte ich, mir habe sie der Gaben schönste aufbewahrt – ach! da gewahrte ich, daß schon ein anderer diesen Kranz zerpflückt –“
„Nein, ich kann’s nicht glauben“, rief der ehrwürdige Theresienritter, „dieses Mädchen kann nicht so niedrig denken, kann nicht das tiefe, herrliche, jungfräuliche Herz an einen Windbeutel verlieren, wie der Sporeneck ist, dessen seichtes Wesen, dessen Gemeinheit ihr ja gleich den ersten Augenblick nicht verborgen bleiben konnte!“
„Aber, mein Gott“, rief Emil ungeduldig, „habe ich Ihnen nie gesagt, was mich die Gräfin merken ließ, was ich mit eigenen Augen sah? Nehmen Sie doch nur zum Beispiel, daß sie ihm gleich in den obern Stock nachzog, um ihn recht vis-à-vis zu haben –“
[169] „Beweist viel, recht sehr viel, und doch wieder nichts, gar nichts, denn ein so kluges Mädchen wie die Ida trägt ihre Liebe nicht so schamlos zur Schau.“
„Aber die Gräfin sagt mir ja, die Gräfin –“
„Eben die Gräfin sagte dir alles, Freundchen, und eben der Gräfin traue ich nicht, dazu habe ich meine vollkommen gegründeten Ursachen. Ich habe sechzig Jahre in der Welt gelebt, du erst deine zwanzig, darum darf ich auch meinem Blick trauen, denn ich bin unparteiisch und schaue nicht durch die grüne Konversationsbrille der Eifersucht. Ich habe diesen Abend Dinge gesehen, die mir gar nicht gefielen; doch der Erfolg wird lehren, daß ich recht hatte.“
So sprach der alte Theresier mit dem Grafen; doch auf ihn schien es wenig Eindruck zu machen, denn er murmelte: „Weiß alles, und ist alles gut, wenn nur der verdammte Rittmeister nicht wäre!“
Was doch oft an einem kleinen, unscheinbaren Zufall das Glück der Menschen hängt! So fragte an diesem Abend der Kellner die beiden Fremden, ob sie unten an der Tafel oder hier oben in ihren Appartements speisen wollen? Der Graf, der seit des Hofrats Reise abends selten mehr hinabgekommen war, stimmte dafür, auf dem Zimmer zu speisen, indem er sich schlechte Unterhaltung unter den Offizieren, Assessoren, Ober- und Unterjustizleuten versprach. Der ältere Herr aber redete ihm zu; man sehe und höre doch manches unter den Gästen, was zum Nachdenken oder zur Augen- und Ohrenweide dienen könne – sie gingen. Gerade an diesem Abend hatte der Rittmeister von Sporeneck einige Freunde der Garnison zu sich auf ein Abendbrot in den Mond gebeten.
Sie hatten schon auf seinem Zimmer mit Rheinwein angefangen und waren bereits ganz kordial. Der Rittmeister hatte auch alle Ursache, ein kleines Sieges- und Jubelfest zu veranstalten. Die Gräfin hatte ihm, wie gewöhnlich durch ihre Zofe, die mit seinem Bedienten in telegraphischer Verbindung stand, [170] geschrieben, daß Idas Niederlage jetzt vollkommen sei. Der Graf sei nie so warm gegen sie gewesen wie diesen Abend, und sie sehe nächstens einer Erklärung von seiner Seite entgegen. Das hatte der Rittmeister seinen Vertrauten, dem Lieutenant von Schulderoff und einigen andern vorgetragen, man stieß an, auf das neue gräfliche Paar und auf den galanten Hausfreund, und so kam man auch, weiß nicht wie, darauf, ob man nicht den Grafen auch einmal ein wenig schrauben[WS 21] sollte. Sie stimmten alle darüber ein, daß dies sehr dienlich wäre, um Unterhaltung für den heutigen Abend zu haben, und sie machten sich auch gar kein Gewissen daraus. „Ja, wenn er Soldat wäre, dann wäre es etwas anderes; einen Kameraden schraubt man nicht gerne, aber solch ein ziviles Gräfchen, das in der Welt umherreist, um den Damen schön zu thun und sein Geld auf die langweiligste Manier totzuschlagen – nun, das kann man mit gutem Gewissen.“
Mit diesem löblichen Vorsatz hatten sich die Marssöhne nicht weit von der Stelle placiert, wo Martiniz gewöhnlich zu sitzen pflegte und harrten, ob er nicht komme. Er kam und mit ihm der andere Gast, aber diesmal ohne Ordensband, denn er hatte nur einen unscheinbaren Oberrock an. Martiniz und der ältere Herr unterhielten sich flüsternd miteinander; um so lauter waren die Kriegsgötter; die Pfropfen der Champagner-Bouteillen fingen an zu springen, und in kurzem waren die Herren allesamt kreuzfidel und erzählten allerlei Schnurren aus ihrem Garnisonsleben. Die übrigen Gäste hatten sich nach und nach verlaufen. Das Kapitel der Hunde und Pferde war schon abgehandelt, und der Rittmeister hielt es jetzt an der Zeit, die Schraube anzuziehen. Er gab also Schulderoff einen Wink, und dieser ergriff sein Champagnerglas, stand auf und rief: „Nun Bruder Sporeneck, eine Gesundheit recht aus dem Herzen – deine Ida!“
Auf flogen die Dragoner von ihren Sitzen, tippten die feinen Lilienkelche aneinander und sogen den weißen Gischt mit einer Wollust aus, als hätte die Gesundheit ihnen selbst gegolten. Martiniz biß die Lippen zusammen und sah den Theresienritter an.
„Auf Ehre, ein Götterkind, Herr Bruder“, fuhr Schulderoff fort, „ich wäre selbst im stande gewesen, sie zu lieben, hätte ich [171] nicht deine frühern Rechte gewußt und mich daher bescheiden zurückgezogen.“
„Auf Ehre, ich hätte es ihr wohl gönnen mögen“, antwortete der großmütige Liebhaber, „wenn man so einen Winter allein zubringen soll, ist es für ein junges, warmes Blut immer fatal, wenn es sich nicht Luft machen soll. Einen braven Kerl, wie du bist, hätte ich ihr zum Intermezzo wohl gewünscht, wäre mir lieber gewesen, als hören zu müssen, daß mir so ein fremder Gelbschnabel ins Nest habe sitzen wollen.“
Das Herzblut fing dem Grafen an zu kochen. In solchen Ausdrücken von einem Mädchen reden zu hören, das er liebte und ehrte – es war beinahe nicht zu ertragen, doch hielt er an sich, denn er wußte, wie schlimm es ist, in einem fremden Lande ohne ganz gegründete Ursache Händel anzufangen.
„Hattest du bange?“ lachten die Reiter den Rittmeister an.
„Nicht im geringsten“, replizierte dieser; „ich kenne mein Täubchen zu gut, als daß ich hätte eifersüchtig werden sollen; wenn auch zehn solcher Wichte ins Nest gesessen wären, sie hätte sich doch von keinem andern schnäbeln lassen, als von ihrem Hähnchen.“
Allgemeines Gelächter applaudierte den schlechten Witz. Der Graf – es war ihm kaum mehr möglich, anzuhalten; er sah voraus, es werde so kommen, daß ihm nur zwei Wege offen stehen würden, entweder sich zu entfernen oder loszubrechen.
Das erstere war jetzt nicht mehr möglich; seine Würde als Abkömmling so tapferer Männer ließ einen solchen Rückzug nicht zu, und was würden seine Ulanen gesagt haben, wenn er so vom Kampfplatz sich weggestohlen hätte. Die nächste schickliche Gelegenheit mußte entscheiden.
„Nun, Brüderchen“, sagte ein anderer zum Rittmeister, „wir sind hier so ziemlich unter uns, gib weich, beichte uns ein wenig, wie stehst du mit der kleinen Präsidentin?“ Der Rittmeister spielte von Anfang den Zarten, Zurückhaltenden, endlich aber auf vieles [172] Zureden gab er wirklich weich und – rühmte sich heimlich von ihr erhaltener Begünstigungen, die Emils Blut zu Eis erstarren ließen. Plötzlich aber, wie eine Erleuchtung von oben, trat ihm das Bild des unschuldigen, engelreinen Kindes, mit ihrem sanften Blick, mit ihrem keuschen, jungfräulichen Erröten vor das Auge – nein! nein! rief es mit tausend Stimmen in ihm, es kann ja nicht wahr sein, so weit verfehlt sich der Himmel nicht, daß er die heiligste Unschuld auf die Züge einer Metze malte. Er stand auf und stellte sich dicht vor den Rittmeister: „Von wem sprechen Sie da, mein Herr?“ fragte er ihn. Der Rittmeister konnte sich nichts Erwünschteres denken, als daß endlich die Engelsgeduld von dem zivilen Gräfchen gewichen sei. Er wollte ihn mit einem Blicke einschüchtern und setzte daher an, die Augen recht an ihn hinrollen zu lassen; da kam er aber an den Falschen.
Er begegnete einem jener Glutblicke, die dem Grafen so eigen waren; Hoheit, Mut, Zorn, alles sprühte auf einmal wie mit einem Feuerstrom aus diesen Augen auf ihn zu, daß er die seinigen betroffen niederschlug. „Was fällt Ihnen ein; was kümmert Sie unser Gespräch? Es ist hier niemand, der danach zu fragen hätte.“
„Sie haben“, fuhr der Graf mit großer Mäßigung fort, „Sie haben dem ganzen Zimmer hier mit vernehmlicher Stimme ihre Sottisen erzählt, es hat also auch jeder das Recht, zu fragen, von wem Sie sprachen, und ich frage jetzt!“
„Mein Herr, das kommt mir schnackisch vor“, lachte der Rittmeister; „es kann doch wahrhaftig jeder von seinem Schätzchen reden, ohne daß ein anderer sich darein zu legen hätte. Wenn Sie übrigens durchaus uns mit Ihrer Gesellschaft beehren wollen, Kellner, noch einen Kelch hieher für den Herrn da!“
„Ist unnötig“, rief der Graf, „es ist mir durchaus nicht um Ihre werte Gesellschaft zu thun, sondern nur die Frage, die ich an Sie that, möchte ich gerne beantwortet haben.“
„Nun ja“, schnarrte Sporeneck, „wenn Sie sich durchaus in meine Herzensangelegenheiten mischen müssen, was ich übrigens nicht sehr delikat finde: ich habe von Fräulein Ida von Sanden, meiner Nachbarin, gesprochen.“
[173] „Und von dieser Dame wagen Sie auf so freche Weise zu sprechen, wie Sie vorhin thaten?“
„Wer will es mir wehren?“ lachte der Rittmeister und maß den Grafen von oben bis unten, wobei er übrigens sich hütete, seinem Auge zu begegnen. „Wer will es mir wehren, ein jeder kann zu seinem Heu Stroh sagen!“
„Sie beharren also auf dem, was Sie von der Dame aussagten!“
„Dame hin oder her“, antwortete der Rittmeister, „Sie fangen an, anmaßend zu werden; ich werde vor Ihnen und zehn solcher – Polacken behaupten, was ich sagte.“
„Nun ja“, sagte der Graf, indem er sich stolz aufrichtete und an die übrigen Offiziere, die bisher mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört hatten, wie der Graf geschraubt würde, sich wandte, „nun ja, so muß ich nur Sie bedauern, meine Herrn, daß Sie sich auf diese Art unterhalten lassen von diesem erbärmlichen Lügner.“
„Donner und alle Teufel“, fuhr der Rittmeister auf, „wie kommen Sie mir vor, Herr! Ich glaube, Sie haben Platz zwischen den Rippen für blaue Bohnen.“
„Thun Sie, was Ihnen beliebt“, sagte der Graf, „ich wohne hier und bin auf Nr. 2 zu finden.“ Er ging, der alte Theresienritter mit ihm. „Das ist spaßig“, lachte der Rittmeister, obgleich es ihm nicht recht frei von der Brust wegging, „das ist spaßig, daß ich in Freilingen einen kleinen Gang zu machen habe!“
Die Dragoner saßen noch ganz verdutzt über den schnellen Ausgang der Schrauberei. „Hol’ mich der Teufel“, sagte ein alter Lieutenant, „das Kerlchen nahm sich doch so übel nicht bei der Sache; er hat einen verfluchten Anstand, und es ist, als wäre er schon mehr dabei gewesen!“
Man beriet sich jetzt, was zu thun sei, man verteilte die Rollen, Schulderoff sollte des Rittmeisters Sekundant sein, den alten Lieutenant bestimmte man, Martiniz denselben Dienst zu leisten, wenn er nicht sonstwo einen Sekundanten auftreiben könnte. Der Rittmeister zeigte eine ungemeine, spaßige Fröhlichkeit, meinte, es müsse sich ganz herrlich ausnehmen, wenn so ein Herrchen vom [174] Zivil eine Pistole losbrenne; den übrigen war es übrigens nicht so ganz wohl zu Mut; das schnelle Ende des Streites hatte aus allen Köpfen den Champagnerdampf weggeblasen, man dachte doch ernstlich an die Affaire, und manchen wollte es bedünken, daß sie doch im heillosen Übermut herbeigeführt worden sei. Man äußerte dies auch unverhohlen gegen Sporeneck, und auch er schien so etwas zu denken; doch versteckte er diese Gedanken hinter lustigem Lachen und beauftragte Schulderoff, sogleich zum Grafen zu gehen, um die Sache ins reine zu bringen. Nach einer Viertelstunde kam dieser wieder sehr ernst zurück und sagte: „Sporeneck, morgen früh acht Uhr, auf Pistolen.“
Diese lakonische Meldung machte einen ganz eigenen Eindruck auf die Gesellschaft; es war allen, als seie doch etwas Ungerechtes vorgefallen, und keinem war es recht behaglich, an morgen zu denken. Man bestürmte Schulderoff mit Fragen, wie er es aufgenommen und dergleichen, er erzählte:
„Die beiden Fremden seien in ziemlich ruhigem Gespräch miteinander im Zimmer auf und ab gegangen, als er eingetreten sei. Sie haben ihn sehr höflich und zuvorkommend empfangen, er aber habe seinen Auftrag ausgerichtet und den Grafen zuerst gefragt, ob er seine Beleidigung zurücknehmen wolle. Dieser habe ganz ruhig mit nein geantwortet, worauf er ihn gefordert; sie seien auf Pistolen einig geworden und haben die Wiese hinter dem Gottesacker zum Kampfplatz ausgewählt. Für einen Sekundanten lasse er danken, der alte Herr, der bei ihm ist, werde ihm sekundieren.“ Der Rittmeister schien vor Freude außer sich zu sein, daß er seinem Rivalen mit guter Manier eins auf den Pelz brennen könne; er wollte mit dem Champagner weiter machen, die nüchtern gewordenen Kameraden ließen es aber nicht zu, baten ihn, auf morgen recht fest auszuschlafen und versprachen, um sieben Uhr allesamt bei Schulderoff zu frühstücken.
Als Ida am Morgen, der zu dem Duell festgesetzt war, kaum aufgestanden, eben sich mit der Toilette beschäftigte, hörte sie [175] Pferdegetrappel gegenüber am Mond; sie trat ans Fenster und schob den Vorhang ein wenig zurück, es standen drei Pferde vor dem Wirtshaus, wovon sie das eine bestimmt für das von Martiniz erkannte. „Wo er nur hinreiten mag an diesem kalten Tag, ob er –“ der Gedanke an eine plötzliche Abreise ohne Abschied durchblitzte sie, daß ihr die hellen Perlen in den zarten Wimpern hingen. Doch sie hatte ja darüber einen Trost, der sie zugleich tief betrübte: die Gräfin war ja noch hier; sie wußte nichts von seiner Abreise, er konnte also doch nicht so schnell reisen. Endlich glaubte sie Emils Stimme aus dem Thorweg herauf zu hören: „Adieu, Madam, adieu!“ es galt offenbar der Mondwirtin; o wie gerne wäre sie in diesem Augenblicke die Ehehälfte des Mondwirts gewesen, um ihn zu sehen und das freundliche Adieu von seinen Lippen zu hören!
Der alte Brktzwisl, die gute, treue Seele, sprang hervor, ergriff den Zügel von Martiniz’ Pferd und stellte ihn zum Aufsitzen zurecht, jetzt kam Mart– nein, ein Offizier in fremder glänzender Uniform. Jetzt kam auch der alte Herr von Ladenstein, der sie gestern so trefflich unterhalten hatte; wo blieb aber nur Emil? Der alte Herr, heute mit vielen Orden behängt, schwingt sich auf sein Pferd; jetzt auch der Offizier. „Eine schöne, geschmackvolle Uniform“, dachte Ida; wenn sie nicht irrte eine polnische oder russische, vielleicht ein Bekannter von Martiniz; aber die Gestalt kam ihr so bekannt vor, wie, sollte etwa Em– doch nein, er war ja nicht Soldat und trug auch keinen Orden, und diesem glänzte der Wlademir in Diamanten auf der Brust – wenn er, eine kleine Neugierde ist ja verzeihlich, wenn er doch nur den hohen Ulanenkalpak ein wenig hintersetzte, daß sie sein Gesicht sehen könnte.
Jetzt war alles in Richtigkeit, der alte Herr schaute am Haus herauf und stieß den Offizier an, er richtet das Haupt auf, er sah herauf – es war Emil von Martiniz.
Wie schön, wie götterschön war dieser Mann. Wie herrlich kleidete ihn die Uniform! wie hingegossen saß er auf seinem stolzen Roß; die dunkeln Locken stahlen sich unter dem Sturmband des Tschapkas hervor und beschatteten die blendend weiße Stirne; das dunkle Auge voll hohen Ausdrucks hatte heut’ eine Bedeutung, [176] die sie beinahe noch nie an ihm gesehen; stolz und frei, als wollte es in einem Blick eine Welt ermessen, schweifte es her und hin; – er klopfte den zierlichen, schlankgebogenen Hals des schönen Tieres, das er ritt, er sah so kampflustig, so mutig aus, als halte er an der Seite seiner Ulanen, und es werde in schmetternden Tönen Marsch, Marsch geblasen; sie konnte nicht mehr anders, sie dachte nicht mehr an ihr Negligee, sie öffnete das Fenster und sah heraus. Man konnte nichts Schöneres sehen als das Mädchen, wie es hier im Fenster stand. Die Äuglein sahen so klar und freundlich aus dem Köpfchen, die Bäckchen von der kalten Morgenluft gerötet, das Mäulchen so süß und kußlich, um das feine, liebe Gesichtchen ein zartes, reinliches Nachthäubchen, der Hals frei und dann ein Spenzerchen, so weiß wie frisch gefallener Schnee, über Nacken und Brust herab. Tausend Löckchen und Stränge, die, vom mutwilligen Morpheus entfesselt, unter dem Häubchen sich durchgestohlen hatten – das ganze Wunderkind sah aus wie ein süßer Morgentraum –
Noch einmal sah der Graf nach diesem Engelsbild herauf, das in der Glorie der jungfräulichen Unschuld, mit der Wehmut gekränkter und doch verzeihender Liebe zu ihm herabsah – noch einmal, vielleicht das letzte Mal hienieden, warf er einen seiner Feuerblicke zu ihr hinauf, und eine Thräne blitzte in seinem Auge; jetzt aber stieß er seinem Pferde beide Sporen in den Leib, daß es wuterfüllt kerzengerade aufstand, unwillkürlich bog sich seine Hand nach dem Mund, er warf ihr einen herzlichen Kuß zu: „Adieu, mon cœur!“ rief er, und dahin flogen die Reuter, in einem Augenblick war nichts mehr von ihnen zu sehen.
„Was war das, wem galt das?“ fragte sich Ida, als sie sich ein wenig von ihrem Staunen erholt hatte. Er sah so zärtlich herauf, er warf einen Kuß herauf – wem flog er zu? Ihr oder der Grä– konnte diese nicht auch im Fenster gestanden sein, konnte er nicht ihr den Kuß zugeworfen? – Sie mußte Gewißheit haben, sie schickte schnell hinab, zu fragen, ob die Gräfin schon aufgestanden sei? – Exzellenz lagen noch schuhtief in den Federn und schliefen. „Also mir, mir, –“, lächelte das stillselige Mädchen vor sich hin, schaute hinaus und zehnmal wieder hinaus nach [177] dem Fleckchen Erde, wo er gehalten, wo er ihr seinen Gruß, seinen Kuß zugewinkt hatte. Aber wie, konnte er nicht nach der Gräfin Fenster gewinkt haben? Konnte er nicht ihr seinen Kuß geschickt haben, nur um sie, die er doch gesehen haben mußte, zu kränken? Doch nein, ihr hatte ja sein Blick gegolten, sie hatte tief in seine dunkeln Liebessterne hineingeschaut, nach ihrem Fenster hatte er gegrüßt, sie, sie war die Glückliche; wie weit er sich auch verirrt hatte, sie fühlte, daß sein besserer Sinn ihn dennoch zu seiner Ida zog.
Jetzt versank sie in angenehme Träume; sie wiederholte sich, wie engelhübsch er ausgesehen habe; sie nahm sich vor, wenn sie wieder recht gut miteinander wären, ihn recht auszuschmälen, daß er sich nie vor ihr in der Kleidung hatte sehen lassen, die ihm so wunderschön stand. So träumte sie, das liebliche, bräutliche Mädchen, sie ahnete nicht, welchen gefährlichen Gang der Geliebte ging, und daß die Parze so schnell den Faden ihres Glückes zerreißen, daß dann das Herz, an dem sie so gerne ruhte, für immer ausgeschlagen haben würde, daß die kühnen, liebesprühenden Augen schnell sich zu jenem eisernen Schlummer schließen werden, aus welchem auch die süßeste Stimme, das zärtlichste Klagen der Liebe nicht aufweckt.
Vor der Stadt hatten die drei Reiter ihre Pferde angehalten und ließen sie jetzt im Schritt dem bestimmten Ort zugehen; sie schwiegen eine Zeitlang, und jeder schien seinen besondern Gedanken nachzuhängen. Emils Brust erfüllte die Qual aller Zweifel an Ida. Es war ihm da einmal, als stehe sie, wie er sie eben gesehen hatte, in blendend reiner Unschuld vor ihm und flüsterte ihm mit sanfter Stimme Vorwürfe zu, daß er auch nur einen Augenblick habe an ihr zweifeln können; dann kamen wieder alle Qualen der Eifersucht über ihn, er wiederholte sich alles, was er zwischen ihr und Sporeneck bemerkt hatte, und das Billet von gestern – „Nein! sie ist schuldig“, rief er laut und unmutig. Gestern abend nämlich, als Schulderoff sie verlassen hatte, war Brktzwisl gekommen und hatte einen kleinen Zettel gebracht, der [178] wahrscheinlich dem Rittmeister entfallen sein müsse. Er war offen, Emil konnte sich nicht enthalten, einen Blick hineinzuwerfen und ward weiß wie die Wand. Schweigend reichte er Ladenstein das Billet, und dieser las:
- „Du mußt noch das Strumpfband haben, das Du mir letzthin mutwilligerweise abgebunden hast; ich brauche es notwendig. Ist Dir übrigens an einem Zeichen Deiner Dame gelegen, so kannst Du etwas anders haben. Willst Du eine Busenschleife? Willst Du ein Schnürband von meinem Korsettchen?“
„Das ist freilich stark“, hatte Ladenstein gesagt, nachdem er gelesen, „kennst du die Handschrift?“ – „Von wem soll es sein, als von ihr, die mich um mein Lebensglück betrogen? Hätte ich den Wisch da um eine Stunde früher gehabt, ich hätte den Rittmeister wahrhaftig nicht getadelt, daß er von seinem zärtlichen Liebchen so ausdrucksvoll sprach!“
„Kennst du Idas Handschrift?“ fragte der alte Herr noch einmal; „es kommt hiebei sehr viel darauf an, daß du sie genau kennst.“
Emil mußte gestehen, daß er noch nichts von Idas Hand gesehen; es könne es ja aber doch gar niemand anders geschrieben haben, denn die Adresse lautete ja an Herrn von Sporeneck. Der alte Herr hatte den Kopf dazu geschüttelt und gesagt, daß dieses Billet der ganzen Sache eine andere Wendung geben könnte; jetzt seie er aber schon einmal gefordert, und darum könne vor Ausgang des Duells nicht mehr davon gesprochen werden, nachher werde sich vielleicht manches aufklären. Dieses Billet war nun auch auf dem Wege zum Kampfplatz Emil in den Sinn gekommen und hatte ihm jenen lauten Ausruf: „Sie ist dennoch schuldig“, entlockt.
Der Alte reichte ihm die Hand hinüber und sagte freundlich ernst: „Urteile nicht zu frühe. Du gehst einen gefährlichen Weg, nimm nicht die Schuld mit dir, ungehört verdammt zu haben. Du bist der letzte Martiniz. Schlägt eine Kugel hier unter den Wlademir, so ist es vorbei mit dir und dem Heldenstamm, dessen Namen du trägst. Du schlägst dich für die Ehre einer Dame, so lange du für sie kämpfst, darfst du nicht an ihrer Tugend zweifeln, [179] sonst ist deine Sache nicht gut. Denke dir das Mädchen so hold und engelrein, wie du sie sahst, als wir zu Pferd stiegen, wie du ihr, von ihrem heiligen Anblick übermannt, dein zärtliches Lebewohl zuriefst – und du wirst freudiger streiten.“
Emil hörte nur mit halbem Ohr; seine ganze Aufmerksamkeit war auf den Platz gerichtet, dem sie sich nahten; sie bogen um die Ecke der Mauer des Gottesackers; sein Gegner war schon auf dem Platz, er nahm sein Roß zusammen und sprengte majestätisch im kurzen Galopp an.
Sporeneck und seine Begleiter waren auf einem andern Weg herausgeritten und hatten auf der Wiese den Grafen erwartet. Sie hatten ihre besten Uniformen angezogen, alles gewichst und gebürstet, als ginge es zur Hochzeit, denn sie wollten dem Grafen und seinem Begleiter durch Glanz und militärische Würde imponieren. Wer beschreibt ihr Erstaunen, als sie den strahlenblitzenden, in den schönsten Farben schimmernden Ulanen ansprengen sahen. Sie trauten ihren Augen kaum, wie gewandt, wie flink das zivile Gräfchen vom Sattel sprang, mit welchem Anstand er die Zügel seinem Diener zuwarf, sich dann zu ihnen wandte und seine Honneurs machte. Die Diamanten des Wlademir, der goldene, vom Vater ererbte Ehrensäbel glänzten im Morgenrot, der ganze Mann hatte etwas Gewaltiges, Gebietendes, Königliches, das sie beinahe mit Ehrfurcht bewunderten.
„Alle Teufel, wer hätte das gedacht“, flüsterte Sporeneck; „hätte ich das gewußt – weiß Gott, die Uniform der polnischen Garde, wo jeder Rittmeister für einen Obersten in der Linie zieht! Nein, wenn ich gewußt hätte, daß er Soldat ist, dann wäre es wohl etwas anderes gewesen.“
„Und alle Wetter“, fuhr ein anderer fort, „sieh nur den alten Graukopf, wie der behängt ist, eins – zwei – drei – sieben Orden hat das Kerlchen und noch obendrein einen Stern! Siehe, des Theresienkreuz – und weiß Gott, den Kommandeur der Ehrenlegion, das muß ein fixer Kerl sein.“
Der alte bekreuzte und besternte Herr nahte sich Schulderoff, zog ganz gelassen und kaltblütig eine reich mit Brillanten besetzte Uhr heraus. „Herr Kamerad“, sprach er, „wenn’s gefällig ist.“
[180] Dieser hatte sich von seinem Staunen kaum erholt; er hatte die Äußerung des Rittmeisters gehört, daß, wenn er gewußt hätte, daß der Graf Soldat wäre, er die Sache vielleicht nicht so weit getrieben hätte; er versuchte daher, noch einmal mit dem alten Herrn zu parlamentieren; doch die Unterhandlungen zerschlugen sich an dem harten Sinn des Grafen, man maß die Schritte ab, man schüttete frisches Pulver auf die Pfannen – fertig!
Sporeneck hatte den ersten Schuß. „Nun, wenn es denn einmal sein muß“, sagte er, drückte ab und – den Kalpak riß es dem Grafen von dem Kopf, mitten durch war die Kugel gegangen, er stand unverletzt. Ein sonderbares Feuer sprühte aus seinem Auge, als er jetzt die Pistole aufnahm; es war ihm, als stehe Antonios blutende Gestalt vor dem Rittmeister und wehre ihm ab, zweimal setzte er an, zweimal ließ er das Pistol wieder sinken. Da rief der Rittmeister mit bitterem Lachen: „Wird’s bald, Herr Kamerad?“ und in demselben Augenblick krachte es, Sporeneck schwankte und fiel.
Er hatte genug, gerade unter der Brust hatte die Kugel durchgeschlagen; der Regimentsarzt der Dragoner machte ein bedenkliches Gesicht und gab wenig Hoffnung. Man brachte ihn in die Wohnung eines der Offiziere, der vor der Stadt wohnte – in tiefem Ernst, schweigend ritt der Graf und sein Begleiter zur Stadt zurück.
Die Dragoner waren seit der Entdeckung, daß der Graf Offizier sei, die Artigkeit selbst. Alle Stunden kam einer, um zu rapportieren, wie der Verwundete sich befinde; aus ihren Reden, die sie hie und da über die Geschichte fallen ließen, wurde man zwar nicht ganz klug, aber so viel merkte Martiniz und der alte Herr, daß der Rittmeister, indem er sich geheimer, von Ida erhaltener Begünstigungen rühmte, gewaltig gelogen habe. Von dem Duell war übrigens bis jetzt noch nirgends etwas bekannt geworden; den Reitknecht des Rittmeisters hielt man in dem Haus vor dem Thore fest, daß nicht etwa durch ihn etwas auskäme, die übrigen hatten sich das Ehrenwort gegeben, nichts zu verraten.
[181] Mehr denn achtmal war die Kammerzofe der Gräfin im „Mond“ gewesen und hatte heimlich nach dem Rittmeister gefragt und allemal den Bescheid erhalten, er seie auf der Jagd. Endlich kam auch, wahrscheinlich auf der Gräfin Anstiften, ein Diener von Präsidents, um den Grafen zu bitten, nachmittags hinüberzukommen, er schlug es ab, denn er war noch zu aufgeregt von dem blutigen Morgen, als daß er mit der Gräfin, die ohnehin ihn immer sehr langweilte, hätte konversieren mögen.
Endlich, als es schon Abend war, kam Schulderoff, der jetzt auch wie ein umgekehrter Handschuh war, und brachte bessere Nachricht. Man hatte die Kugel herausgenommen, die Ärzte behaupteten, es seie kein edlerer Teil verletzt. Zugleich lud er den Grafen und Herrn von Ladenstein ein, mit ihm zu gehen und den Kranken, dem es gewiß Freude machen würde, zu besuchen. Sie gingen mit.
In einem der letzten Häuser der Vorstadt lag der Rittmeister. Als die beiden Fremden mit Schulderoff die Treppe hinaufkamen, gerieten die übrigen Offiziere augenscheinlich in einige Verlegenheit. Sie flüsterten etwas mit Schulderoff, das ungefähr lautete, als sei der Kranke nicht recht bei sich und phantasiere allerhand verwirrtes Zeug, das nicht wohl für einen Fremden geeignet seie. Lieutenant Schulderoff besann sich aber nicht lange. Er erklärte, daß er es auf die Gefahr hin, seinen Freund zu beleidigen, über sich nehmen wolle, die Fremden einzuführen, weil der Kranke es vor einer Stunde selbst noch gewünscht habe.
Sie traten ein. Der Rittmeister war sehr bleich, sonst aber nicht entstellt, nur daß sein Auge unstet umherirrte. Sie hatten ausgemacht, daß zuerst Ladenstein ans Bett treten solle, um zu probieren, ob ihn der Kranke erkenne. Es geschah so. Sporeneck sah ihn lange an und faßte dann hastig seine Hand: „Ach, sind Sie es, Herr Geheimer Rat von Sorben?“ rief er, „was schreibt der Alte aus Polen? Darf der Graf die Aarstein heiraten?“
Die Anwesenden waren alle höchst betreten, als der Verwundete so aus der Schule schwatzte; Schulderoff gab dem alten Herrn zu verstehen, es möchte doch vielleicht besser sein, wenn er zu einer andern Zeit wieder käme; es scheine, der Kranke erhitze sich zu sehr. [182] Der alte Herr schien es aber nicht verstehen zu wollen; sein Auge nahm einen sonderbaren Ausdruck von forschendem Ernst an, der den Lieutenant unwillkürlich zum Schweigen brachte; der Kranke aber fuhr fort: „Laß dich nicht von diesen da forttreiben, lieber Sorben, du kannst mir jetzt einen großen Dienst erweisen. In meinem Zimmer ist ein Koffer, in diesem eine Kassette; laß dir von Schulderoff die Schlüssel geben und schließ auf. Dort findest du ein Strumpfband mit goldenem Schloß –“ er hielt inne, als ob er nachsänne, der Graf aber trat in der höchsten Spannung näher, um jedes Wörtchen zu verschlingen, das er sprechen würde. – „Und richtig, ‚Honny soit qui mal y pense‘[11] ist darauf gestickt. Das bringst du der Gräfin, sie hat den Kameraden dazu am linken Bein, und sagst, das sei das Band, um welches sie mir geschrieben habe, ich könne heute nicht selbst kommen. Ja – und weiter sage ihr, mit der Ida sei es nichts, ich habe es satt, dem spröden Ding die Kour zu schneiden, nur um das Gräfchen eifersüchtig – ja, halt, bei dem Grafen fällt mir ein, sage ihr, den Grafen soll sie mir in Ruhe lassen, er sei kein Ofenhocker, sondern ein braver Soldat, und wenn sie ihm ferner noch was anhaben wolle, so habe sie es mit mir zu thun.“
Erschöpft sank er auf die Kissen zurück, als er so gesprochen hatte. Schulderoff stand in einer Ecke und schalt sich selbst aus, so thöricht gehandelt zu haben und die Fremden in diesem kritischen Moment zu dem Rittmeister geführt zu haben. Gerne hätte er in seinem Unmut den beiden etwas Hartes gesagt, aber der Graf hatte ihm durch sein Betragen und seinen Stand, der alte Herr durch seine vielen und bedeutenden Ordenszeichen so imponiert, daß er nicht wagte, sich ihnen anders als mit der zuvorkommendsten Höflichkeit zu nahen. Die übrigen Dragoner waren aber von beiden ganz entzückt; in des Grafen Uniform verliebten sie sich ganz und gar, und wie geehrt und gehoben fühlten sie sich, daß ein Kommandeur der Ehrenlegion, ein alter Ritter des Theresienordens sie mit der größten Freundlichkeit „Herr Kamerad“ titulierte.
[183] Es dauerte aber keine fünf Minuten, so war auch Schulderoff ganz von dem Alten gewonnen. Dieser führte ihn nämlich in eine Ecke und machte ihm unter der Bedingung, daß er es nicht als Kränkung aufnehme, die Proposition, ob er nicht für den Rittmeister, der jetzt doch so entfernt vom Haus sei, ein kleines Anlehen von ihm annehmen wolle.
„Lieber Gott“, sagte er, „ich weiß, wie es in der Garnison ist; habe auch lange gedient; mit dem besten Willen bringt man es selten so weit, daß man immer einen großen Notpfennig in Bereitschaft hat. Einer muß immer dem andern aushelfen, und da ich jetzt gleichsam auch hier in Garnison liege, Herr Kamerad – ich denke, wir könnten darüber einig sein.“
Der herzliche Ton, mit welchem dies Anerbieten gemacht wurde, rührte den Lieutenant zu Thränen. Es konnte ihm nichts mehr zu statten kommen als ein solches Anlehen; er hatte kein Geld, die Mama hatte kein Geld, die Kameraden hatten auch kein Geld, und er wäre am Ende genötigt gewesen, sich an die Gräfin zu wenden, und doch war ihm diese in der tiefsten Seele zuwider, lieber hätte er sein Pferd verkauft – da kam ihm nun das Anerbieten des alten Kameraden sehr erwünscht; es war so natürlich und ehrenvoll angetragen, daß er ohne Bedenken einschlug, und von dieser Stunde an wäre er, und wenn ihn Frau Mama, Fräulein Sorben, die Gräfin und alle Höllengeister am Kollett[WS 22] gepackt hätten, für die beiden Fremden durchs Feuer gegangen.
„Nun, was sagst du zu dieser Geschichte?“ sprach der alte Herr zu Martiniz, als sie wieder in ihrem Zimmer waren; „was sagst du zu der schönen Strumpfbandgeschichte?“ – „Nun, was werde ich dazu sagen“, antwortete Emil nachdenklich, „daß er mit der Gräfin in einem sehr unanständigen Verhältnis steht. Aber erklären Sie mir nur, was plauderte er nur von einem alten Sorben und von einem Grafen, der die Gräfin Aarstein heiraten solle?“
„Das will ich dir schwarz auf weiß zeigen“, sagte jener und [184] zog einen Pack Briefe hervor, den er Emil zur Durchsicht gab. Es waren jene Briefe, welche der alte Sorben an den älteren Grafen Martiniz geschrieben hatte, um womöglich eine Heirat zwischen Emil und der Aarstein zu bewirken. Immer eifriger las Emil, immer zorniger und düsterer wurden seine Züge, der alte Herr ging indessen auf und ab und betrachtete den Lesenden. Endlich sprang dieser auf und rief: „Nein, das ist zu arg! das ist nicht auszuhalten, mit mir ein solches Spiel spielen zu wollen! Was sagen Sie zu diesen Briefen, wie reimen Sie dies alles zusammen?“
Der alte Herr setzte sich zu Emil nieder, legte seine Hand zutraulich auf seine Schulter und sprach: „Ich habe dir letzthin gesagt, daß ich sechzig Jahre habe und du zwanzig, daß ich also auch manches kälter betrachte und darum schärfer als du. Schon damals ahnte ich manches, jetzt durch die Irrereden des Rittmeisters ist mir auf einmal alles klar. Daß dich in diesen Briefen die Gräfin durch den schlechten Kerl, den alten Sorben, zu angeln sucht, siehst du wohl ein; sie hört nun durch Kundschafter oder wie es sonst gegangen sein mag, du seiest hier und, wie du nicht leugnen kannst, in einem zärtlichen Verhältnis mit Ida. Daß der Gräfin daran lag, dich oder vielmehr dein Vermögen nicht hinauszulassen, kannst du dir denken. Daher kam sie eilends hieher, um dich zu erobern; dazu gehörte aber auch, daß sie Ida von deinem Herzen losriß, und wie konnte dies besser sein als durch den Rittmeister. Wie dieser mit der Gräfin stand, wissen wir aus dem Strumpfbandbillet, das also von ihr ist; wie er aber mit Idchen, dem keuschen, reinen Engel, stand – und hat er sein ganzes Leben hindurch gelogen, so war er wenigstens in seinem Wundfieber wahr – erinnerst du dich, daß er mir auftrug, der Gräfin zu sagen, daß mit dem spröden Mädchen nichts anzufangen sei? Da hast du jetzt den ganzen Plan, Freundchen, so und nicht anders verhalten sich die Sachen. Was sagst du nun dazu?“
Ganz versunken in Schmerz und Wehmut saß der Graf neben ihm. Er hatte sein Gesicht in das Taschentuch gedrückt und weinte heftig. „O Ida, wie tief habe ich dich beleidigt“, flüsterte er; [185] „was war ich für ein Thor, wie war ich so stockblind, um nicht gleich alles einzusehen. Wie war ich so grausam und konnte das gute, sanfte Engelskind, das mir so gut war, das mich so liebhatte, so tief kränken und beleidigen!“
Dem alten Herrn wurde angst und bange, Emil möchte, wenn die Reue sein Gemüt zu sehr angreife, wieder in seinen Wahnsinn verfallen, aus welchem ihn das Mädchen so wundervoll errettet hatte. „Solange man lebt, kann man alles wieder gut machen“, sagte er zu dem Weinenden, „und namentlich ist nichts leichter zu schlichten als kleine Katzbalgereien unter Liebenden. Sei darum getrost und glaube, es wird sich alles noch gut machen.“ Und nun setzte er dem Grafen auseinander, daß er sich sobald als möglich mit seinem Mädchen versöhnen müsse; aber dabei dürfe er nicht stehen bleiben; er zeigte ihm, wie viel er diesem Mädchen schuldig sei, wie sie ihn zuerst mit der Welt wieder ausgesöhnt habe, wie sie nachher erhaben über alle mögliche falsche Deutung, jenes unglückbringende Gespenst (seiner Phantasie) entfernt, wie sie mit unendlicher Freundschaft allem aufgeboten habe, ihn zu zerstreuen und zu erheitern. „Wahrlich“, schloß er, „diesem Mädchen bist du mehr schuldig, als daß du ihr den argen Verdacht mit dem Rittmeister abbittest – du bist, ich sage es offen, du bist ihr deine Hand schuldig, so sehr sich auch“, setzte er schalkhaft lächelnd hinzu, „so sehr sich auch dein Herz dagegen sträuben mag!“
Es hat selten ein geistlicher Witwentröster, wenn er auch noch mit zehnmal größerer Salbung sprach, mit so großem Effekt sein „Amen, gehe hin und thue also“ gesagt, als der alte Herr auf dem Sofa neben dem Grafen. Die Thränen waren schnell getrocknet von den glühenden Strahlen, die aus dem dunkeln Auge sprühten, ein holdes Lächeln spielte um seinen Mund, das ganze Gesicht war anmutig verklärt, er sprang auf, er ergriff die Hände des guten Alten und preßte sie an sein lautpochendes Herz, an die glühenden Lippen: „Oh, wie Herrliches verheißen Sie mir, Sie, Sie muntern mich dazu auf, wozu mich mein Herz schon lange zog; oh, wie kann ich Ihnen danken, mein väterlicher Freund, mein guter, teurer O–“ Doch halt, beinahe hätten wir das Inkognito des Herrn von Ladenstein gebrochen und Namen genannt [186] und Dinge geplaudert, die jetzt noch verschwiegen werden müssen. Der alte Herr schloß Emil in die Arme und ging dann an die Thüre. „Brktzwisl, alter Kerl, komm’ herein und teile die Freude deines Herrn; er will Hochzeit machen und das sobald als möglich!“
Der alte Diener machte ein sauersüßes Gesicht, als ob er ein Rhabarbertränklein im Mund hätte und sollte es als den trefflichsten Xeres loben. „So–o?“ sagte er, „nun, da muß ich ja gra–tulieren!“ – „Nun wie, alter Kauz“, sagte Ladenstein, „du scheinst dich nicht recht zu freuen, gefällt dir denn die Braut nicht, die sich dein Herr erlesen?“
„Nun“, antwortete Brktzwisl, „sie ist schön, die Frau Gräfin –“
„Wer spricht denn von der Gräfin?“ sagte sein Herr, „Fräulein Ida meinen wir!“
„Was?“ rief der alte Diener und geberdete sich wie wahnsinnig, denn jetzt hatte er wirklichen süßen Xeres im Mund, „das Wunderengelskind? Also hat Gott Ihr Herz gelenkt zum Guten? Fräulein Ida soll meine Frau Exzellenz werden? Hurra, das ist einmal schön –“
Man mußte seinem Jubel Einhalt thun, er wäre sonst spornstreichs durch die Straßen gerannt und hätte die Nachricht an allen Ecken verkündigt. Das helle Wasser der Freude stand der alten treuen Seele in den Augen, er küßte dem alten Herrn und dem Grafen die Röcke, und beiden war es ein neuer schöner Beweis, wie das Mädchen Wunderhold alle Herzen bezauberte, hatte sie ja doch, die holde Frühlingssonne, den alten eingeschnurrten winterlichen Eisbären aufgeweicht und zum tollenden Kind gemacht.
„Und nun noch eine Bitte“, sagte der glückliche Graf zu seinem Retter und Ratgeber, „jetzt noch eine Bitte; ich habe dem armen Kind diese Tage her so wehe gethan, ich sah es ihr an, wie ich ihr Herzchen gebrochen habe, lassen Sie es mich heute noch gutmachen!“
[187] Der alte Herr meinte zwar, es möchte heute schon zu spät sein und er solle seine Ungeduld bis morgen zügeln, aber der Graf bat immer dringender. „Kann ich es dulden, daß sie noch eine Nacht mir böse ist, daß sie auch nur noch eine Thräne über mich weint? Nein, heute abend noch bitte ich ihr ab, was ich gefrevelt habe; aber in dem Salon, wo die Gräfin, die an allem Unheil ganz allein schuldig ist, auf mich lauert, macht sich eine solche Versöhnung nicht gut; Sie müssen mir schon dazu helfen. Gehen Sie hinüber, wenn ich nicht irre, hat Ida versprochen, Ihnen ihre Zeichnungen zu zeigen. Ich schleiche nach, wenn Sie mit Ihnen hinaufgeht, und vor Ihnen habe ich mich ja nicht zu genieren.“
„Will dir auch den Platz ganz und gar nicht versperren. Nun, in Gottes Namen, komm’. – Wenn so ein Herzchen von vierundzwanzig Jahren siedet und hämmert, da hilft es nichts mehr, zu raten und zu predigen. Das Hammerwerk geht fort, ob so ein alter Meister Dietrich ‚halt‘ sagt oder nicht. Aber das sage ich dir, den fatalen Frack da ausgezogen und dein Kollett an, den Familienehrensäbel umgehängt, daß du auch etwas gleich siehst; darfst dich, weiß Gott! vor König und Kaiser darin sehen lassen, darum tritt als Soldat auf, wenn du dein Mädchen zum erstenmal ans Herz drückst.“
„Zum erstenmal ist es nun nicht“, lachte der Graf, indem er den goldenen Säbel umschnallte, „aber leider war die erste Umarmung gleichsam das unterbrochene Opferfest unserer Liebe, denn die Gräfin kam dazwischen, als ich schon den Mund zum ersten Küßchen spitzte.“
„Kamerad, das hast du schlecht gemacht“, belehrte ihn schmunzelnd der alte Theresienritter, „wenn man einmal so weit ist, so muß ausgeküßt werden und wenn eine Kartätschenkugel zwischendurch fahren wollte, so stand es wenigstens im Reglement zu meiner Zeit, denn es ist in der Natur nichts Schädlicheres und Fürchterlicheres als ein unterbrochener Kuß.“
Der Graf versprach, folgsam zu sein und sich ein andermal streng an das Reglement des alten Herrn zu halten.
In Präsidents Haus war man beim Thee versammelt, als der alte Herr von Ladenstein hinüberkam. Die Gräfin wollte ihn [188] sogleich ins Gebet nehmen und schmälen, wo denn die Herren heute alle bleiben, er aber gab ihr kurz zur Antwort, daß die Bewohner des Mondes und einige andere Herren auf der Jagd gewesen seien. Sie fragte sehr witzig, ob man doch keinen Bock geschossen habe, und wollte sterben vor Lachen über ihr eigenes Bonmot. Der Alte aber dachte: „Lache du nur immer zu, wenn du wüßtest, wie nahe dich der Bock angeht, der geschossen worden ist, du würdest nicht lachen; doch wer zuletzt lacht, lacht am besten!“
Er erinnerte Ida an ihr Versprechen, ihm ihre Zeichnungen und Malereien zu zeigen. Sie nickte freundlich ein Ja und flog vor ihm die Treppe hinan, daß er kaum folgen konnte. Es sah etwas kunterbunter in dem Zimmer aus, das sie, weil sie der Gräfin Platz machen mußte, einstweilen bewohnte. Sie entschuldigte sich daher bei dem alten Herrn: „Machen Sie doch nur keinen falschen Schluß auf meine Ordnungsliebe, lieber Ladenstein“, sagte sie, „aber die Gräfin hat uns aus aller Ordnung herausgejagt, und besonders mir kam sie gar nicht sehr geschickt, denn sie hat mich aus meinen vier Wänden, die ich so hübsch eingerichtet hatte, herausgejagt und nicht eher geruht, bis ich hier heraufzog.“
„So, das hat die Gräfin gewollt?“ sagte der Alte, dem es immer klarer aufging, daß jene ein falsches Spiel spiele; er schrieb es sich ad notam, um den Grafen noch mehr zu überzeugen. Sie schloß jetzt ihre Mappe auf und breitete ihren Schatz vor ihm aus. Der Alte vergaß auf einige Augenblicke, daß er ja dies alles nur als Vorwand gebrauchen wollte; er war Kenner und ein wenig streng gegen die gewöhnlichen Dilettantinnen in der Kunst; er konnte es nicht ausstehen, wenn man die grellsten, fehlerhaftesten Zeichnungen, wenn sie nur von einer schönen Hand waren, „wunderschön und genial gedacht“ fand; er hatte hundertmal gegen diese Allgemeinheit der Kunst geeifert, wodurch sie endlich so gemein würde, daß ein jeder Sudler ein Raffael oder jede Dame, die den Baumschlag ein wenig nachmachen konnte, ein Claude Lorrain[12] würde. Aber hier bekam er Respekt! Da war nichts übersudelt [189] oder schon als Skizze weggeworfen; nein, es war alles mit einem Fleiß behandelt, mit einer Sorgfalt ausgeführt, die man leider heutzutage selten mehr findet, und die man gerade an den größten Kunstwerken alter Meister so hochschätzen muß.
Des Mädchens thränenschwere Miene, die seit einiger Zeit sie selten verließ, heiterte sich unwillkürlich auf, als sie sich von einem so tiefen Kenner, als welcher der alte Herr sich zeigte, belobt, sogar bewundert fand; er stieß auf Kartons, zu denen sie sich als Urheberin bekannte, und sie waren alle meisterhaft, er wand das letzte Blatt in der Mappe um, und hielt überrascht inne; sie wollte ihm die Zeichnung entreißen, sie bat, sie flehte – es half nichts, es war ein zu bedeutendes Aktenstück, als daß er es hätte unbetrachtet aus den Händen gelassen. Es stellte eine ihm unbekannte Kirche vor, am Altar stand eine hohe, erhabene Figur – bei Gott, bis zum Sprechen ähnlich – Emil; der tiefe, wehmütige Ernst, der sonst in seinen Zügen lag, war herrlich aufgefaßt und wiedergegeben. Man fürchtete, wenn man in diese Züge sah, ein namenloses Unglück zu erfahren, das auf den feinen Lippen schwebte. Zur Seite standen zwei Männer, wovon er nur den einen kannte, es war der alte Brktzwisl; auch in diesem nichts weniger als malerischen Gesicht war die ehrliche Gutmütigkeit, die innige, ergebungsvolle Teilnahme an dem Schicksal seines Herrn trefflich ausgedrückt. Weiter im Hintergrund sah man zwei Figuren, die, weil sie im Schatten standen, kaum flüchtig angedeutet waren; doch glaubte er in der einen die Zeichnerin selbst zu erkennen. An dem Bilde war außer der Ähnlichkeit der Gesichter und der gelungenen Anordnung der Gruppen auch die Verteilung des Lichtes höchst genial ausgeführt; es war nämlich Nacht in der Kirche und die Helle ging nur von einer trübe brennenden Laterne aus, so daß nun die wunderherrlichen Licht- und Schattenpartien, das Verschweben der Helle im Dunkel auf ergreifende Weise angegeben war.
Die Zeichnung an sich hätte seine innigste Bewunderung erregt, aber er kannte auch gar wohl den Moment, der hier dargestellt war; er kannte die Gestalt, die sich so bescheiden ins Dunkel gestellt hatte: es war die Retterin seines geliebten Jünglings; [190] gerührt sah er zu ihr herab, auch sie war tief ergriffen. War es der furchtbare Moment des Wahnsinns, wie sie ihn erlebt und gesehen hatte, war es der Gedanke, daß der, den sie rettete, der nachher aufgelöst von Dankbarkeit nur ihr gehört hatte, daß dieser auf die ersten Lockungen einer Kokette sie verlassen hatte? – Sie stand, das holde Amorettenköpfchen tiefgesenkt, voll Wehmut da; Thräne um Thräne stahl sich aus ihren Augen und rieselte über die Wangen herab.
Er sah sie einige Augenblicke an und teilte stillschweigend ihren Kummer. Doch er konnte ja alles gutmachen, er konnte die Thränen in Lächeln verwandeln. „Sein Sie nur ruhig, gutes, herziges Kind; der tolle Patron da, den Sie so gut getroffen haben, der soll Ihnen abbitten, soll alles wieder gutmachen.“
Sie sah fragend an ihm hinauf und schüttelte dann wehmütig lächelnd das Köpfchen, als wollte sie sagen: „Das ist jetzt alles vorbei und hat ein Ende.“ Er aber ließ sich nicht aus seinem Konzept bringen. „Wetten wir diese Zeichnung“, sagte er, „der undankbare Junker Obenhinaus muß heran und muß wieder brav und mild sein und seine Ida lieb –“
Das Mädchen ward feuerrot. „Herr von Ladenstein“, sagte sie, zwischen Wehmut und Unmut kämpfend, „ich hätte nicht geglaubt, daß Sie –“
„Nun, wenn Sie nicht glauben, so muß ich Ihnen den Glauben in die Hände geben“; damit schritt er zur Thüre und riß sie auf.
Das Mädchen war sprachlos vor Staunen; es wußte nicht, wie ihm geschah und traute seinen Augen nicht. In glänzender Uniform, schön und freundlich wie der Tag, ganz hingegossen in reuevoller Zärtlichkeit lag Emil vor ihr auf den Knien, hatte ihr Händchen gefaßt und preßte heiße, glühende Küsse der Liebe darauf. Sie wollte die Hand zurückziehen, sie zog ihn mit herauf, und ehe sie sich es recht versah – doch das konnte man doch nicht sagen, sie sah sich mit einem blitzschnellen Viertel-Seitenblickchen nach Ladenstein um, doch der schien gar nicht auf sie beide zu [191] achten, denn er schaute unverwandt durch die Scheiben in die Nacht hinaus – also ehe sie sich kaum recht versah, lag sie in des Grafen Armen, fühlte sie seine Lippen auf ihren Lippen und – „solch ein Kuß das ist ein Kuß!“
Und nun bat der arme Sünder um Verzeihung; er sagte ihr, wie ihn die Gräfin so eifersüchtig gemacht hatte, wie er geglaubt habe, der Rittmeister mache ältere Rechte geltend, wie er in der Verzweiflung der Gräfin die Kour gemacht, wie er – nun, er hatte sich stark versündigt, aber sie ließ ihn nicht weiter reden, mit dem ersten Wort seiner Reue war ja auch ihr Kummer verschwunden, sie legte ihm das weiche, zarte Pflaumenhändchen auf den Mund und wisperte ihm errötend zu, daß sie alles vergeben und vergessen wolle; und jetzt ging es von neuem los: da wollte er erstens ein kleines Küßchen zum Zeichen der Vergebung, dann den größeren Versöhnungskuß, dann einen langen dito, daß sie ihm nimmer bös sei, dann einen noch längeren, daß sie ganz gewiß nimmer zürne, dann den ganz ellenlangen zur Erlaubnis, daß er morgen zum Papa gehe und um sie anhalte.
„Aber Kinder, es wird spät“, sprach endlich schon zum drittenmal der alte Herr und tippte Ida auf das Ärmchen, das den reuevollen Geliebten umschlungen hielt, daß sie erschrocken und über und über bepurpurt aufsprang und nicht wußte, wohin sie sehen sollte, denn an diesen Zeugen hatte sie in ihrer Seligkeit gar nicht mehr gedacht. – „Kinder, es wird spät, und die Bilder könnten alle schon zehnmal gezeigt sein; wir müssen hinunter zur Gesellschaft.“
„Nur ich nicht“, bat Martiniz, „mir graut, vom Himmel, in dem ich war, herabzusteigen in einen nüchternen, irdischen Thee.“
Es wurde ihm zugestanden, aber unter der Bedingung, daß er morgen recht bald kommen solle. Ladenstein versprach, ihn selbst hinüber zu spedieren, und trieb immer wieder zum Aufbruch. Nun, so unbarmherzig konnte er doch nicht sein, den allereinzigen Gutenachtkuß mußte er gestatten. Er wurde in zwölf kleine Portionen verteilt und nach alter Vorschrift eingegeben, und jetzt endlich trennte man sich.
[192] Idchen war es ganz schwindlig zu Mut; tausend Gedanken stiegen in ihr auf und nieder; sie hatten gar nicht alle recht Platz in dem Köpfchen und drängten und trieben sich daher wirbelnd um und um. Nur eines war ihr recht klar und deutlich, daß sie recht glücklich, unendlich glücklichselig sei, daß er sie gek–. Sie errötete vor dem Gedanken, und dennoch spitzte sie das Mäulchen und probierte es noch einmal im Geiste, wie sie es gemacht hatten, daß es so wundersüß schmeckte.
Nein, so ging es nicht, sie mußte sich zusammennehmen, ehe sie zur Gesellschaft ging; es war ihr, als sollte sie allen Menschen um den Hals fallen und ihnen ihr stilles Glück verkünden. So ging es nicht – da mußte man es gleich merken; sie stellte sich vor den deckenhohen Spiegel und probierte recht ernsthafte oder gleichgültige Gesichter, aber sie mochte es machen, wie sie wollte, immer guckte wieder ein lustiges Köpfchen mit einem spitzigen Mäulchen aus dem reinen, hellen Glas. Endlich schalt sie sich selbst recht aus, nannte sich einen Kindskopf, einen Wildfang und alles Mögliche, und siehe, da ging es endlich; mit dem gleichgültigsten Gesicht von der Welt trat sie wieder ins Zimmer und behielt zu ihrer eigenen Verwunderung die gleichgültige Miene, bis man sich verabschiedete.
Doch nein, einmal wäre sie beinahe herausgeplatzt, und sie hatte zu beißen und zu schlucken, daß kein Kichern hervorkam.
Die Gräfin beklagte sich noch einmal gegen die Sorben, die jetzt ihre Gesellschaftsdame spielte, daß der Graf heute sich gar nicht habe sehen lassen: „Das verzeihe ich ihm in den nächsten zwei Tagen nicht“, setzte sie preziös hinzu, indem sie die arme Ida dabei fixierte und dachte: „Die verberstet vor Neid“, während es nur unterdrücktes Lachen war, was dem lustigen Amorettenköpfchen um die Lippen zuckte – „wenn er morgen früh mich zu besuchen kommt, wird er nicht angenommen, nachmittags – nicht angenommen, und abends, nun da will ich ihm ein so saures Gesicht machen, daß er nicht mehr daran denkt, uns einen ganzen Tag zu negligieren.“
„Der arme Graf, wie ihn das mitnehmen wird!“ lächelte Fräulein von Sorben mit einem schadenfrohen Blick auf Ida.
[193] „Der arme Graf!“ dachte sie und lachte still in sich hinein; sie konnte sich denken, wie arg dieser schreckliche Vorsatz ihn angreifen werde.
Schon seit einer langen halben Stunde hatte am andern Morgen Ida an ihrem Fenster gelauscht. Um neun Uhr, ehe der Vater in die Session ginge, hatte Martiniz kommen wollen, um mit ihm zu sprechen, es war Viertel, er kam noch nicht. Daß der Vater ihn erwarten würde, wußte sie wohl, denn der Graf hatte sich anmelden lassen, aber sie fürchtete, der Präsident möchte übler Laune werden, wenn er so lange warten müsse. Ihr Herzchen pochte so ungeduldig, alle Augenblicke wechselte das Rot auf ihren Wangen, der bräutliche Busen flog auf und nieder voll banger Erwartung. Es kann aber auch für ein Mädchen keine erwartungsvollere Stunde geben als die, wenn der Geliebte zum Vater oder zur Mutter gehen will, um sein Mädchen anzuhalten. Freude und Angst, Besorgnis und frohe Hoffnung wechseln dann auf dem lieblichen Brautgesichtchen, ein tiefer Seufzer, wohl auch ein leises Gebet entsteigt dann dem kindlichen Herzen, das zum erstenmal geteilt ist zwischen der Anhänglichkeit an die Eltern und der Liebe zu dem, der sie zu seinem Frauchen machen will.
Zwar konnte Ida nicht zweifeln, daß der Vater diese Partie für sie sehr anständig finden würde, aber sie kannte ihn, wie er alles nach den Dienstverhältnissen abwog. Konnte er nicht aus Furcht vor der allerhöchsten Ungnade nein sagen, weil man in der Residenz den Grafen für eine Andere bestimmt hatte; und dann der Onkel des Grafen – sie hatte vom Hofrat gehört, daß es einen solchen gebe, einen ältlichen, etwas grämlichen Mann, von dem der Graf sehr abhängig sei; wird er auch seine Einwilligung geben? –
Auch vor der Gräfin war ihr bange. Zwar es lag kein geringer Triumph darin, die Gegnerin, die alle Höllenkünste aufgeboten hatte, Emils Herz von ihr abzureißen, überwunden zu haben, aber sie scheute sich doch beinahe ebensosehr vor dem Zorn der [194] Gewaltigen, als sie sich freute zu sehen, was sie für ein Gesicht machen werde, wenn man ihr es ankündige.
Endlich – ja er war es; in seiner glänzenden Uniform wie gestern trat er heraus – mit ihm Ladenstein; nein, wie aber dieser geputzt war! Sie hatte, als sie sich bei Hof präsentieren ließ, einmal einen …schen Gesandten gesehen, gerade so war er gekleidet; der Frack starrte von goldner Stickerei, ein handbreites Ordensband ging ihm über die Brust quer herab, auf der Brust – was tausend, da hatte er ja sogar einen Stern! „Nun, das muß doch ein vornehmer Herr sein, der Herr von Ladenstein“, dachte Ida und machte große Augen, „und sonst sieht er doch ganz schlicht aus.“
Es kam die Treppe herauf, es pochte an ihrer Thüre, gewiß wollte Emil noch einmal – nein, es war nur Ladenstein, aber auch dieser war ihr willkommen. Aber so freundlich er lächelte, so war es ihr doch, als könne sie heut’ nicht so ungeniert sein als früher. Sie machte einen tiefen, tiefen Hof-Galla-Knix, als er so bebändert, besternt und übergoldet zu ihr eintrat, und wußte nicht gleich recht, wie sie ihn empfangen sollte; er aber lachte ihr gerade ins Gesicht: „Ich weiß wohl, woran es liegt, daß mich Fräulein Ida nicht empfängt wie einen alten Freund, die paar Ellen Band da! Ei, ei, das hätte ich doch nicht gedacht, daß sich eine junge Dame dadurch gleich so einschüchtern ließe!“ Sie sammelte sich und lachte sich jetzt selbst recht aus, daß sie ihn so steif und förmlich wie eine ungeheure Respektsperson empfangen habe; er zog sie zutraulich zu sich auf den Diwan und erzählte, daß Emil in diesem Augenblick mit seiner Werbung vor dem Papa stehe, und sie hoffentlich recht bald als Bräutchen umfangen werde.
Das Mädchen ward feuerflammrot, sie hatte sich noch von keinem Menschen Braut nennen hören, es war ihr ein so ungewohntes Wörtchen, und doch kam es ihr selbst wieder vor, als seie es ihr recht bräutlich zu Mut.
„Er selbst“, fuhr der freundliche Alte fort, „seie als Reservebataillon und Hinterhalt aufgestellt; er habe sich darum mit all seinem[WS 23] Flitterputz angethan, um damit dem Herrn Papa-Präsidenten, [195] wenn er etwa noch einiges Bedenken tragen sollte, über den Hals zu fallen.“
Ida ward recht nachdenklich, als sie aus Ladensteins Mund hörte, daß es denn doch fehlen könne, und sagte: „Ach, vor meinem Vater ist mir nicht so bange, der gibt am Ende schon nach, wenn ich ihn recht schön bitte, aber der Onkel.“ – „Nun, was für ein Onkel ist denn das?“ fragte Ladenstein aufmerksam und neugierig.
„Emils Onkel, wissen Sie denn nichts von dem? Ach Gott! Das soll ein gar böser alter Herr sein“ – Ladensteins Gesicht zog sich immer mehr in die Länge bei diesen Nachrichten – „das hat mir Hofrat Berner, der den jungen Grafen und seine Verhältnisse kennt, gesagt; von ihm hängt Emil ab, denn er soll ihn so liebhaben wie seinen Vater, und der alte Herr soll auch sehr viel an dem Neffen thun“ – es zuckte wie tiefe Rührung in Ladensteins Gesicht – „wenn nun dieser die Sache erfährt“, setzte sie traurig hinzu, „wenn er dem Grafen eine Schönere, eine Bessere ausgesucht hätte, wenn er nein sagt.“
„Oh, er sagt nicht nein, er kann keine Bessere finden“, unterbrach sie der alte Herr voll wunderbarer Rührung.
„Keine Treuere wenigstens nicht, keine, die ihn mehr ehren würde; ach, wenn man nur den erweichen könnte; sehen Sie, Ladenstein“, sagte sie unter Thränen lächelnd, „ich habe mir eine kleine List ausgedacht, es ist zwar eine Kriegslist, aber doch wohl eine erlaubte, und Sie habe ich dazu ausersehen, daß Sie mir dabei helfen. Sie kennen die Szene aus der Kirche, die ich Ihnen gestern zeigte, die habe ich nun ganz eigentlich für den alten Martiniz entworfen. Sehen Sie, wenn er etwa zweifelt, daß ich seinem Neffen so recht von Herzen gut bin, so – das thun Sie mir schon zu Gefallen, und Sie kennen den alten Herrn gewiß – so zeigen Sie ihm die Gruppe da, sagen Sie ihm, ich seie es gewesen, die seinen Emil von dem schrecklichen Wahn befreite; wollen Sie?“ –
Der alte Herr nickte ihr stumm seine Einwilligung zu, die hellen Thränen rollten ihm durch die gefurchten Wangen, er war so tief gerührt, daß er nicht sprechen konnte; er faßte ihre [196] Hand und zog sie an seine Lippen. Endlich faßte er sich doch wieder, er wischte die Thränen hinweg, er war freundlich wie zuvor und fand auch die Sprache wieder.
„Ich will es ihm geben, dem alten Gesellen“, sagte er lächelnd, „ich kenne ihn so gut wie mich selbst und darf sagen, daß ich sein innigster, bester Freund bin; haben Sie keine Sorgen, Töchterchen, der Alte schlägt mit Freuden ein, aber das Bild da soll er haben, und wie ich ihn kenne, wird er es hoch anschlagen, es wird sein bestes Kabinettstück sein.“
Sie wurden von Emil unterbrochen, der in stürmischer Eile Ladenstein zum Präsidenten hinabrief. Dieser ging und ließ die beiden allein. Emil sagte seinem Mädchen, daß der Papa durchaus nicht abgeneigt scheine, nur habe er bange, was der Hof dazu sagen werde; er für seinen Teil könne diese Bedenklichkeiten nicht begreifen, denn offenbar gehe es den Hof nicht im mindesten etwas an, wen er heiraten wolle. Ida konnte wohl ahnen, was ihr Vater unter diesen Bedenklichkeiten wegen des Hofes verstand, aber sie scheute sich, den Geliebten darüber zu belehren. Es wäre aber auch Sünde gewesen, ihn in seinem Glück zu stören; er saß so selig neben dem bräutlichen Mädchen, er war so trunken von Wonne und Glück, daß er nichts anderes mehr zu hören und zu denken schien als sie.
Man konnte aber auch nichts Holderes, Lieblicheres sehen als das Mädchen. Ihr Auge glänzte voll Liebe und Seligkeit, auf den Wangen lag das heilige Frührot der bräutlichen Scham, um den Mund spielte ein reizendes Lächeln, das bald Verlegenheit über den ihr so ungewohnten Stand einer Braut, bald Wonne und Freude verriet.
„Mein holdes, einziges, mein bräutliches Mädchen“, rief der glückliche Martiniz, nachdem er sie lange mit seinen trunkenen Blicken angeschaut hatte. „Mein lieber, guter Emil“, lispelte sie und sank in seine Arme und barg ihr tief errötendes Köpfchen an seiner Brust. Aber obgleich es ihm Freude machte, das Engelskind [197] so an sein treues Herz geschmiegt zu sehen, das schöne Haar mit seinen Ringellöckchen zu betrachten und in den herrlich gewölbten Nacken, so rein und weiß, so glänzend wie aus Wachs geformt, niederzublicken, so machte ihm doch die Kehrseite mehr Freude. Er faßte das Engelsköpfchen an dem sanften Kinn und hob es aufwärts, wie mild, wie treu blickten ihn diese Augen an, wie würzig wölbten sich die Purpurlippen ihm entgegen. Er schlang den Arm um den schlanken Leib, er preßte sie an sich und sog in langen, langen Küssen das süßeste Leben in sich ein.
Nein, wahrhaftig, so sonderbar war ihr in ihrem ganzem Leben nicht zu Mut gewesen wie in diesen Augenblicken; es prickelte und zuckte ihr durch alle Nerven, durch alle Glieder und Gliedchen bis hinaus in die Fingerspitzen, bis hinab in den großen Zehen; Es war ihr so wohl, so wonnig zu Mut, als sollte sie, aufgelöst in innige Liebe, vergehen. Sie wollte ihn ansehen, und hatte doch das Herz nicht dazu, sie wollte sich schämen, und schalt sich wieder aus über die Thorheit, denn es war ja ihr Bräutig–; nein, das fiel ihr eben siedendheiß ein, es war noch nicht ihr Bräutigam, Papa hatte ihm seine Einwilligung noch nicht zugesagt – es schickte sich doch nicht so recht, sie wandt sich verschämt aus seinen Armen, und wollte eben sagen, daß er doch ein wenig einhalten –
Da ging die Thüre auf, und mit freudestrahlendem Gesicht, den lächelnden Präsidenten an der Hand, schritt Ladenstein herein. „Ich gratuliere“, rief er, „der Herr Papa willigt ein.“ Ida flog an den Hals ihres Vaters; sie weinte, sie lachte in einem Atem, sie streichelte seine Wangen und küßte ihn und war ein so munteres, wöhliges Kind, als habe er ihr eine hübsche Puppe zum Weihnachten oder als Geburtstagsangebinde geschenkt.
Auch Emil war aufgestanden und zum Präsidenten getreten; er fragte ihn voll Freude, „ob es ihm erlaubt sei, ihn Vater zu nennen?“
Der Präsident lächelte und zeigte auf Ladenstein. „Nachdem, was seine Exzellenz Ihr Herr O–“ – ein Wink des alten Herrn machte, daß er sich schnell korrigierte – „was Herr von Ladenstein mir sagte, ist durchaus kein Zweifel mehr in mir, der dieser Verbindung entgegen wäre.“
[198] Die Glücklichen sanken sich in die Arme, sie umarmten sich, den Vater, den guten Ladenstein, ja es schien fast, als möchten sie noch mehr Zeugen ihres Glückes. Und nun ging es an ein Akkordieren[WS 24] wegen der Hochzeit, der Graf wollte lieber heut’ als morgen und hätte gern sein liebes Bräutchen nur so im Hauskleidchen, wie sie da stand, ins Münster geführt; aber dagegen sträubte sie sich selbst; sie sah gar zu naiv aus, als sie so ernsthaft sagte: „Nein, wenn es einmal sein muß, so muß es auch recht sein. Im Hausüberröckchen traut man kein reputierliches Fräulein.“ Der Präsident stimmte bei, er sagte, sie haben ja noch gar nichts, wo sie nur ihr Haupt hinlegen könnten, keine Wohnung, keinen Stuhl, kein Bette!
Aber dagegen protestierte wieder Ladenstein feierlich: „Ein Vierteljahr ist viel zu lang, und was den Ort betrifft, wo sie ihr Haupt hinlegen könnten, da habe ich ein so anständiges Plätzchen ausersehen, wie man es nur wünschen kann. Da ist –“ – er zog eine große Schreibtafel hervor, nahm mehrere Papiere heraus und entfaltete sie – „da ist ein gerichtlich ausgefertigter Kaufbrief von Schloß und Herrschaft Groß-Lanzau, drei Viertelstunden von hier, angekauft für den Herrn Grafen Emil von Martiniz, wenn Sie ihn kennen, und ihm von seinem Oheim zur Morgengabe übermacht, kann heute schon bezogen werden, wenn es ihm gefällig ist.“
Die drei machten große Augen; Emil stürzte dem alten Herrn an den Hals: „Mein teurer, väterlicher –“
„Still, still, ist schon gut“, unterbrach ihn der alte Herr, indem er ihm die Hand auf den Mund legte, „bedenke dein Versprechen; ich habe hier nur den Geschäftsträger gemacht, danke deinem Onkel, wenn er einmal da ist!“ – „Ach, wo ist er denn, der gute Onkel“, rief Ida, „daß ich ihm danken kann für seine unendliche Güte!“
„Wird auch kommen zu seiner Zeit“, antwortete Ladenstein, indem ihm eine Thräne der Rührung im Auge blinkte, „er wird schon kommen und eine Freude an seinem holden Töchterchen haben, einstweilen soll ich Idchen in seinem Namen küssen.“ Er gab ihr einen recht väterlichen Kuß auf die schöne Stirne.
[199] Der Präsident hatte indessen die Papiere durchgesehen, je länger er las, desto größer und staunender wurden seine Augen; ehrfurchtsvoll faltete er die Papiere zusammen und sagte: „Nein, das ist zu arg, das ist zu viel, bedenket Kinderchen, nicht nur das herrliche Groß-Lanzau mit dem schönen neuen Schloß ganz durch und durch elegant ausmöbliert, mit Stallung und Pferden, mit Scheunen und Knechten, mit Wäldern und Feldern, weiß Gott, seine zweimalhunderttausend Thaler unter Brüdern wert, nein, bedenkt auch noch –“
„Still’ alter Herr“, unterbrach ihn Ladenstein, „macht kein solches Wesen von dem Zeug; Ihr wißt, der alte Martiniz kann es geben und gibt es gern. Da ist auch noch etwas in den Papieren für das liebe Bräutchen, nämlich ein kleines Schlößchen, hart am Fluß, ein Stündchen von hier, man hat mir gesagt, daß Idchen immer gerne an jenem Plätzchen gewesen sei, und deswegen hat es der Herr Onkel seiner lieben Nichte erb- und eigentümlich zum Brautgeschenk übermacht.“
Voll freudigen Schreckens schlug das Mädchen die Hände zusammen: „Doch nicht mein liebes Blauenstein?“ rief sie.
„Eben dasselbe“, antwortete Ladenstein und überreichte ihr die Schenkungsakte.
Sie konnte es nicht fassen, sie tanzte mit dem großen Brief im Zimmer umher wie närrisch und rief immer: „Mein Blauenstein, mein liebes, herziges Blauenstein!“ daß die drei unwillkürlich über die possierliche Freude des Mädchens lachen mußten.
Es ist aber auch wahr, man kann nichts Schöneres sehen als dieses Blauenstein. Ein allerliebstes Schlößchen mit fünf bis sechs elegant eingerichteten Zimmern und einem Salon, auf drei Seiten von einem schönen Wald umgeben, und die vierte Seite, die Fassade des Schlößchens, gegen den schönen Fluß geöffnet, und eine paradiesische Aussicht hinüber in Thäler und Berge – und dieses lauschige, liebliche Plätzchen ihr ganz eigen, ihr, dem fröhlichen Bräutchen, und dort zu wohnen als Frauchen mit ihrem Emil – gewiß, ein solcher Gedanke hätte manche andere tanzen gemacht!
Und jetzt hatte der Präsident auch nicht das geringste mehr [200] einzuwenden, und die Hochzeit wurde vor den Ohren des errötenden Mädchens auf die nächste Woche festgesetzt. Heute abend aber wollte Papa-Präsident große Gesellschaft geben und dort das junge Paar als Braut und Bräutigam präsentieren.
„Was aber der Präsident Sanden dick thut“, sagten die Freilinger, als jetzt die Lakaien in der Stadt umherflogen und zum Souper einluden. Die meisten dachten, es geschehe der Gräfin Aarstein zu Ehren, bei welcher er sich auf alle mögliche Weise zu insinuieren suchte, um später einmal Minister zu werden.
Als man aber abends in den Salon des Präsidenten trat, wurde man noch mehr von diesem „Dickethun“ überzeugt. Außer den prachtvollen Lüsters, die gewöhnlich bei Gesellschaften angezündet wurden, war eine ganze Galerie der geschmackvollsten Wandleuchter von Bronze angebracht, und Walratlichter, so durchsichtig und klar wie Glas, eine ganz nagelneue Erscheinung für Freilingen, strahlten ein Feuermeer von sich. Die Wände waren mit Festons von Blumen und grünen Zweigen geschmückt, die sich in den deckenhohen Spiegeln zu einem ganzen Wald von Kränzen und Guirlanden vervielfältigten. Ein ganzer Hausrat der prächtigsten Kristalls, Vasen, Teller, Becher, Platten, Schüsseln, Bouteillen blinkte mit seinen geschliffenen Figuren in tausend vielfarbigen Lichtern. Das schwerste Silber an Bestecken und Leuchtern ward heute aufgesetzt, und jedermänniglich war erstaunt über diese Pracht.
Einige aber, die feinere Nasen hatten als die übrigen, legten die Finger daran und klügelten hin und her, was dies alles zu bedeuten habe; denn man wußte so ziemlich allgemein, daß der alte Sanden ohne Not und wichtige Ursache nicht so viele Umstände mache. Doch aus seinem Gesicht konnte man nicht recht vernehmen, was er in petto habe. Er empfing seine Gäste höchst freundlich, aber zeremoniös, sprach mit keinem sehr viel und lange, sondern teilte sich überall und allen mit. Die Gräfin – nun, die kam endlich, sah aber nicht darnach aus, als ob ihr das Fest gehöre, [201] denn sie war, wie gewöhnlich, prachtvoll, aber nicht gerade festlich gekleidet.
Die einzigen von allen Gästen, die mit ihren Erwartungen so ziemlich am nächsten ans Ziel trafen, waren wohl Lieutenant Schulderoff und seine Kameraden. Sie waren seit der Duellgeschichte die eifrigsten Freunde des Polen geworden und hatten ihre geheime Schadenfreude daran, daß der Goldfisch wahrscheinlich der Aarstein, welche die Garnisonsoffiziere sehr über die Achsel angesehen und ganz obenhin behandelt hatte, entschlüpfen würde. „Wenn die Ida doch keinem von uns gehören soll“, hatte Schulderoff geäußert, „so gönne ich sie am liebsten dem Martiniz; er ist Soldat und, das muß man ihm lassen, brav wie der Teufel, stand er doch da, als die blaue Bohne auf ihn zusurrte, als wär’ es ein Schneeglöckchen, so kalt und fest habe ich in meinem Leben keinen sich schießen sehen. Und am Ende hatte er doch recht, denn Sporeneck räsonierte doch über die Ida, daß es mir selbst das Herz im Leib hat zerreißen wollen. Das kommt aber von niemand her als von der Aarstein, die den guten Jungen, den Sporeneck, zum Teufel moduliert hat, und nebenbei kommt es auch von meiner Frau Mama mit ihrer ewigen Planmacherei, mich unter die Haube zu bringen, und nebenbei auch von der falschen Katze, der Sorben, die gegen jedermann ergrimmt ist, wer nicht von ihren Reizen hingerissen wird.“
So urteilte der Lieutenant und mit ihm seine Kameraden; so sehr hatte die Uniform und der Orden auf Martiniz’ Brust die ganze Sache verändert.
Endlich war die ganze Gesellschaft beisammen. Man konversierte in dem festonnierten Saal, ehe man zu den Spieltischen ging, und die Gräfin hatte den größten Hof um sich, denn man dachte nicht anders, als sie müsse doch vielleicht die Königin des Festes sein. Es fehlte niemand mehr; doch ja, Martiniz und Ladenstein fehlten noch, die Gräfin suchte vergebens mit ihren rastlosen Blicken nach dem ersteren. Sie hatte eine tüchtige Schelte einstudiert, um ihn für seine Vernachlässigung zu strafen; überhaupt hatten sich ihr heute so sonderbare Gedanken aufgedrängt – der Graf, der sich doch sonst an sie angeschlossen, dem sie so [202] merklich als möglich ihre Neigung zu ihm gezeigt hatte, war zwei Tage gar nicht für sie sichtbar; sie wußte, daß er heute im Haus gewesen, und doch hatte er sie nicht besucht; der Rittmeister – der war ihr nun ganz unbegreiflich und sie war bitter böse auf ihn. Im ganzen war er ihr gleichgültig, denn ihre Neigungen waren sehr flüchtiger Natur, auch war ihr der Graf jetzt bei weitem interessanter, und sie gestand es sich selbst, sie hätte ein Wohlwollen zu ihm, das beinahe Liebe war – aber dennoch, sollte der Rittmeister noch immer der Cavalier servant sein, und dennoch konnte er es wagen, zwei Tage sich nicht mit einem Blick sehen zu lassen. Wenn er auf die Jagd geritten war, wie die übrigen Offiziere äußerten, so hätte er wenigstens ein Billet an sie hinterlassen können – aber sie wollte es ihm entgelten.
Der Arme; er lag gerade jetzt auf seinem Schmerzenslager und fluchte die fürchterlichsten Flüche, daß er sich jemals in die Dienste dieser Sirene begeben habe.
Auch Ida fehlte noch in der Gesellschaft; nun, sie hatte wahrscheinlich noch manches für die Bewirtung zu sorgen und zu rüsten. Endlich – der Präsident hatte sich heimlicherweise weggeschlichen – endlich ging die Thüre auf, ein allgemeines Flüstern der Erwartung rauschte durch den Saal – herein trat ein großer, ältlicher Herr, in reicher, prächtiger Kleidung, mit Sternen und Orden besäet – wir kennen ihn schon – an seinem Arm ein holder, verschämter Engel voll Huld und Anmut, demütig und doch voll wunderbarer Majestät – Ida.
Aber wie das Mädchen heute geputzt war, das Blondenkleid, man hatte noch nichts so Feines, Zartes, Geschmackvolles gesehen. – Um den Schwanenhals ein Perlenschmuck, der, es waren scharfe Kenner in dem Saal, aber sie schwuren hoch und teuer, mit den fürchterlichsten Flüchen, „er sei unschätzbar und nicht in diesem Lande gekauft!“ Im zierlich geordneten Haar einen Solitär, die Gräfin hätte heulen mögen, daß sie den ihrigen hatte in der Residenz lassen müssen – er war in Kost und Logis bei Salomon [203] Moses Söhnen – und doch hätte er gegen dieses Wasser, gegen die funkensprühende Kraft dieses Steines verbleichen müssen! –
Hatten die Gäste schon dieses Paar mit weit aufgerissenen Augen angestarrt, so riskierten sie jetzt, vor Verwunderung den schwarzen Star zu bekommen, denn jetzt trat der Präsident ein, an der Hand führte er einen Jüngling hoch und schlank, in prachtvoller, pompöser Uniform, den Diamantorden auf der stolz gewölbten Brust, an der Seite einen mit flunkernden Steinen übersäeten Säbel, in der Hand seinen Kalpak, woran die Agraffe, ein Familienstück, von Kennern auf zweimalhunderttausend Thaler geschätzt wurde; der Präsident mit seinem strahlenden Jüngling trat näher – es war Emil.
Der Kreis der erstaunten Gäste öffnete sich – der Präsident empfing aus Ladensteins Hand sein Idchen, so trat er mit dem Pärchen in den Kreis – die Gräfin mochte ahnen, was vorging, denn sie schoß wütende Blicke auf die drei, ihr Busen flog auf und nieder; tief und bescheiden neigte sich Ida, das Engelskind, und errötete über und über, der Graf aber schaute fröhlich, stolz, mit seinem siegenden Glutblick im Kreise umher, der Präsident verbeugte sich und begann:
„Verehrten Freunde, ich habe Sie eingeladen, ein glückliches Ereignis meines Hauses mit mir zu begehen – meine Ida hat sich heute verlobt mit dem Grafen Emil von Martiniz.“ Von Anfang tiefe, tiefe Stille, man hätte eine Mücke können trappen hören – unwillkürlich flogen die Blicke der erstaunten Gäste nach der Gräfin, denn sie, sie mußte ja nach ihren Kalkülen die Braut sein, dann öffneten sich die Schleusen der Beredsamkeit, ein ungeheurer Strom von Gratulationen, gegenseitigen Lobpreisungen brach über die Dame, man hörte sein eigenes Wort nicht, so gingen wie in einer Windmühle, wenn der Nordost bläst, die Mäuler und Mäulchen.
Endlich fand auch die Gräfin Worte, sie hatte, das übersah sie mit einem Blick, das Schlachtfeld verloren. Jetzt galt es, sich geordnet zurückzuziehen und dem Feind, wo sie eine Blöße erspähen könnte, noch eine tüchtige Schlappe zu geben. Sie hatte schnell gefunden, was sie wollte. Sie eilte auf Ida zu, umarmte [204] sie herzlich und wünschte ihr Glück zu ihrer Verbindung. „Aber dennoch, Kinderchen“, setzte sie hinzu und wollte freundlich aussehen, obgleich ihr das grüne Neidfeuer aus den Augen sprühte und ihr Mund krampfhaft zuckte, „dennoch weiß ich nicht, ob ihr ganz klug gethan habt. Idas Mutter war, soviel ich weiß, aus keinem alten Haus, und Sie selbst, Graf, müssen wissen, wie Ihr Oheim, der Minister, darüber denkt, wenigstens, soviel ich mir von ihm habe sagen lassen, wird er diese Verbindung nun und nimmermehr zugeben.“
Ida war ganz bleich geworden, sie dachte im Augenblick nicht daran, daß nur böslicher Wille und Neid die Gräfin so sprechen lasse, das Wasser schoß ihr in die Augen, sie warf einen bittenden, hilfesuchenden Blick auf Ladenstein und Martiniz; jener stand auf der Seite und sah ernst, beinahe höhnisch der Gräfin zu, Emil aber sagte ganz kalt und gelassen:
„Wissen Sie das so gewiß, gnädige Frau?“ Diese Gleichmut reizte sie noch mehr; eine hohe Röte flog über ihr Gesicht, die Augen strahlten noch tückischer: „Ja, ja, das weiß ich gewiß“, rief sie, „ein Freund Ihres Herrn Onkels, der Geheime Rat von Sorben, hat mir über diese Sache hinlänglich Licht gegeben, daß ich weiß, daß er diese Mesalliance nie genehmigen wird, Sie werden es sehen!“
„Und dennoch hat er sie genehmigt“, antwortete eine tiefe, feste Stimme hinter ihr. Erschrocken sah sie sich um: es war der alte Ladenstein, der sie mit einem höhnischen sprechenden Blick ansah; sie konnte seinen Blick nicht aushalten und maß ihn daher mit stolzem Lächeln, hinter das sie ihre Wut verbarg, von oben bis unten. „Das müßte doch sehr schnell gegangen sein“, sagte sie und schlug eine gellende Lache auf, „noch vor fünf Tagen lauteten die Nachrichten hierüber ganz anders, der Herr von Sorben sagt mir –“
„Er hat Sie belogen“, entgegnete der alte Herr ganz ruhig.
„Nein, das wird mir zu stark“, rief die hohe Dame gereizt, „von einem Mann wie Herr von Sorben bitte ich in andern Ausdrücken zu sprechen; wie können Sie wissen, was der alte Herr von Martiniz –“
[205] „Er steht vor Ihnen, gnädige Gräfin“, sagte der alte Herr und beugte sich tief, „ich heiße, mit Ihrer Erlaubnis, Dagobert Graf von Ladenstein-Martiniz.“
Ehe er noch ausgesprochen hatte, lag Ida an der besternten Brust des Oheims, vergoß Thränen der Freude und der Wonne und suchte vergeblich nach Worten, ihr Entzücken auszusprechen. Die Gräfin stand da, wie zu einer Säule versteinert, doch hatte sie, sobald sie wieder Atem hatte, auch Fassung genug, zu sprechen; so freundlich und herablassend als möglich wandte sie sich an das junge Paar: „Nun, da wünsche ich doppelt Glück, daß ich mich geirrt habe. Hätte es Seiner Exzellenz früher gefallen, seine Maske abzunehmen, so würde ich Ihr Glück auch nicht auf einen Augenblick gestört haben.“
Sie ging, von außen ein Engel, im Herzen eine Furie; sie wünschte in ihrem wutkochenden Herzen alles Unglück auf das Haupt der unschuldigen Ida. Wütend kam sie zu der Sorben, die mit Frau von Schulderoff in einer Fenstervertiefung bei einem Glas Punsch sich von dem Schrecken erholte, der ihr in alle Glieder gefahren war. „An allem Unheil ist Ihr sauberer Herr Onkel schuld, Fräulein Sorben“, rief die Wütende, „warum hat er uns mit falschen Nachrichten bedient, warum hat er uns nichts gesagt, daß der alte Narr hier herumspukt unter falschem Namen, oh, ich möchte –!“ Der orangefarbene Teint von Fräulein Sorben war ins Erdfahle übergegangen, sie hatte die stille Wut und machte sich hie und da nur durch ein unartikuliertes Kichern Luft, indem ihr das helle Thränenwasser in den Augen stand.
„Und keinen Hufen Landes sollen sie mir kaufen, das Polenpack! solange mein Oheim noch Herr im Land ist; nach ihrem Polen mögen sie ziehen, und das Affengesicht, den naseweisen, dürren Backfisch, mögen sie mitnehmen und dort meinetwegen für Geld sehen lassen!“
„Ach, das ist ja gerade das Unglück“, seufzte Frau von Schulderoff, „daß wir sie in der Nachbarschaft behalten; denken sich Exzellenz, wie der alte Narr sein Geld zum Fenster hinauswirft; zum Hochzeitgeschenk, erfahre ich soeben, hat er ihnen Groß-Lanzau und das freundliche nette Blauenstein gekauft!“
[206] „Gekauft?“ preßte die Gräfin zwischen den Zähnen, die sie ganz verbissen hatte, heraus, „gek–“
„Denken Sie sich, gekauft um dreimalhunderttausend Thaler und ihnen geschenkt; ob man etwas Tolleres hören kann?“
„Das fehlte noch!“ knirschte die Gräfin und rauschte weiter.
Indessen war Ida glücklich, selig zwischen dem Geliebten und dem Oheim. Dieser Oheim, sie hatte sich ihn als einen grämlichen, alten Herrn vorgestellt; dieser war es, der hie und da in Gedanken ihr Glück noch gestört hatte. Sie wußte ja, wie Emil an ihm hing, wie es ihn betrüben würde, wenn jener sein Verhältnis zu Ida ungünstig aufnähme. Und jetzt, nein, sie wußte sich nicht zu fassen vor lauter Seligkeit. Der freundliche, gütige Ladenstein hatte sich wie durch einen Zauberschlag in die gestrenge Exzellenz, den Minister Grafen von Martiniz, verwandelt, und doch blieb er so freundlich, väterlich, traulich wie zuvor; sie wußte nicht, wem von beiden sie das nette, lustige Amorettenköpfchen zuwenden sollte, sie lachte und tollte, gab verkehrte Antworten und schnepperte, wie ihr das Schnäbelchen gewachsen war. Es war das glückseligste Kind, die holdeste, vollendetste Jungfrau und das lieblichste, anmutigste Bräutchen unter der Sonne in einer Person.
Einer der Glücklichsten im Saal war aber Hofrat Berner. Heute abend erst war er zurückgekommen, hatte sich nur schnell in die Toilette geworfen und schnurstracks zu Präsidents, und das erste war, als er in den Salon trat, daß er hörte, wie der Präsident seine Kinder präsentierte; er hätte mögen aus der Haut fahren vor teilnehmendem Jubel seines alten treuen Herzens. „Das ist mein Werk“, lächelte er vor sich hin, „ganz allein mein Werk; es konnte nicht anders gehen, nachdem es einmal eingefädelt war.“ Aber wie riß er die Augen auf, als er von einer Gräfin Aarstein, von einem alten Grafen Martiniz, welche auch hier seien, hörte. „Nun, da muß es was Tüchtiges gesetzt haben“, dachte er, „das beste wird sein, ich frage Idchen selbst.“
[207] Das Brautpaar empfing ihn mit Jubel, und Martiniz stellte ihn sogleich dem alten Grafen vor, denn er hatte ihm viel von diesem alten Freund und Ratgeber ihrer Liebe erzählt. Ida gestand ihm, daß sie ihn oft schmerzlich vermißt habe; auch Martiniz äußerte dies und versprach, ihm alles sobald als möglich zu erzählen.
„Lassen wir die Brautleutchen, alter Freund“, unterbrach Graf Martiniz seinen Neffen, indem er den Hofrat am Arm nahm und mit sich fortzog; „lassen wir sie; uns Alten liegt es ob, für das Glück der Jungen zu sorgen. Man hat mir gesagt, daß Sie, lieber Hofrat, sich so trefflich darauf verstünden, ein Festchen zu arrangieren. Ich war in früheren Jahren einmal Oberhofmeister, das fügt sich nun ganz vortrefflich. Da wollen wir nun, wir zwei, beide miteinander etwas zusammenschustern, wie man es hier zu Land noch nicht sah.“
Der Hofrat war es zufrieden, und der Graf machte ihm jetzt seine Vorschläge. Morgens sollten sie getraut werden. „Nicht zu Haus, das kann ich für meinen Tod nicht leiden, die Hauskopulationen reißen jetzt so ein, daß sie fast zur Mode werden, als wäre eine vornehme Ehe nicht dieselbe wie eine geringe; als wäre der Altar Gottes nicht für alle und jeden; aber der Fluch kommt gewöhnlich bald nach. Hat man sich in den gewöhnlichen Zimmern, wo man sonst tollte und lachte, wo man, sobald der Altar weggeräumt ist, tafelt und tanzt, hat man sich da trauen lassen, so kommt einem auch das neue Verhältnis so ganz gewöhnlich vor, daß man bald davor keine Ehrfurcht mehr hat.“ – Also in der Kirche; nachher sollten die Gäste hinausfahren nach Blauenstein.
Der Hofrat machte große Augen, und als er hörte, daß dies die neue Besitzung des lieben Pärchens sei und daß Groß-Lanzau auch noch dazu gehöre, er hätte, wenn es sich nur halbwegs geschickt hätte, ein paar Kapriolen in die Luft gemacht – nach Blauenstein, dort mußte das Schloß festlich geschmückt sein und zu essen, was man nur Feines und Gutes haben kann, nachher – die beiden Alten sahen sich an, und beiden zuckte der kleine, sarkastische Schelm um den Mund, denn beiden fiel ein, daß sie [208] noch Junggesellen seien – „nun nachher“, fuhr der Graf fort, „muß das Brautpaar eine kleine Reise machen, und wir beide gehen als garde de dame auch mit, bestellen die Pferde auf den Stationen, daß die jungen Eheleutchen in ihrem Landau nicht inkommodiert werden, wir beide aber spiegeln und erfreuen uns an dem Glück, das wir, ich und Sie, lieber Hofrat, zusammen gemacht haben.“
Dem Hofrat, obgleich er lächeln wollte, stand doch eine Thräne der Rührung im Auge; er drückte dem edelmütigen Polen die Hand und erklärte sich bereit, mit ihm selbst um die Erde zu reisen. „Und wann soll die Hoch–“
„Über acht Tage soll die Hochzeit sein“, rief der alte Herr; und der Präsident, der gerade hinzugetreten war, rief es nach und lud sämtliche versammelte Gäste dazu ein.
Es war ein sonderbarer Anblick, den des Präsidenten Haus in diesen Tagen gewährte. Das Rennen und Laufen der Schneider und Schneiderinnen, Nähterinnen, Schuster, Schreiner, Schlosser, Küster, Bäcker, Fleischer, Köche, Kaufleute u. s. w. wollte gar kein Ende nehmen. Beinahe in jedem Zimmer sah man, auf jeder Treppe stieß man auf einen Handwerker, und alle thaten, als ob von ihrer Nadel oder Pfriemen die ganze Hochzeit abhinge.
Machten aber diese schon wichtige Gesichter – huh! da grauste einem ordentlich, es lief wie eine dicke Gänsehaut über den Körper, wenn man den Hofrat sah. Er war in diesen Tagen der Vorbereitung viel magerer und bleicher geworden, seine Augen lagen tief und entzündet, ein Zeichen, daß er viel bei Nacht wachte; und es war auch so; bei Tag lief er sich beinahe die Füße ab wie die Hündin des Herrn von Münchhausen aufschneiderischen Angedenkens, da war zu bestellen und zu besorgen, er lief hin und her, in alle Ecke und Ende der Stadt, ja man will ihn an mehreren Orten zugleich gesehen haben.
Bei Nacht – nein, es war ein Wunder, daß der Mann nicht schon längst tot war, nachdem er sich müde gelaufen, müde [209] gesorgt, müde gesehen, müde geschwatzt, müde gescholten, müde erzählt hatte – kam erst kein Schlaf über ihn.
Er streckte sich ins Bett, ließ zwei Wachskerzen und einigen Glühwein auf den Nachttisch setzen, in einem großen Korbe standen vor ihm Bücher, ein ganzer Schatz von Festen; da war das seltene Werk: „Wahrhafte und akkurate Beschreibung des solennesten Festins am Hofe Ludwigs XIV.“ Ferner: „Der allzeit fertige maître de plaisir, für Hofleute, vornehme Festlichkeiten und anderen Kurzweil.“ „Der galante Junker, oder wie Tänze, Schmäuse, Hochzeiten, Kindtaufen u. s. w. am schönsten zu arrangieren.“ Sogar das Festbüchlein von Krummacher[13] hatte er sich aus dem Buchladen kommen lassen, denn er dachte nicht anders, als es müssen darin allerhand neue und nie gesehene Festivitäten erzählt sein. Er soll sich übrigens sehr geärgert haben, als dem nicht also war.
Aus dieser Festbibliothek nun, die er Stück für Stück mit der größten Geduld und Aufmerksamkeit durchlas, machte er sich Randglossen und Auszüge; er kam aber dadurch am Ende selbst mit sich in Streit, denn das sah er ein, wenn man alle die schönen Sachen, die er sich aufnotiert hatte, ausführen wollte, so mußte man vierzehn Tage lang Hochzeit halten, und doch konnte er nicht mit sich einig werden, was er weglassen sollte. So lebte er in einem ewigen Zappel, ja, es war ordentlich rührend anzusehen, wenn er hie und da bei Ida bis zum Tode ermüdet in ein Sofa sank, den brechenden Blick auf sie heftete, als wollte er sagen: „Sieh’, für dich opfere ich mein Leben auf.“
Und Ida? Habt ihr, meine schönen Leserinnen, je ein geliebtes Bräutchen gesehen oder waret ihr es einmal oder – nun, wenn ihr es selbst noch seid, gratuliere ich von Herzen, nun, wenn ihr ein solches süßes Engelskind kennt, mit dem bräutlichen Erröten auf den Wangen, mit dem verstohlenen Lächeln des kußlichen Mundes, der sich umsonst bemüht, sich in ehrbare Matronenfalten [210] zusammenzuziehen, mit der süßen, namenlosen Sehnsucht in dem feuchten, liebetrunkenen Auge, wenn ihr sie gesehen habt in jenen Augenblicken, wo sie dem geliebten Mann, dem sie nun bald ganz, ganz angehören soll, verstohlen die Hand drückt, ihm die Wange streichelt, wenn sie den weichen Arm vertrauungsvoll um seine Hüfte schlingt, wie um eine Säule, an der sie sich anschmiegen, hinaufranken, gegen die Stürme des Lebens Schutz suchen will, wenn sie mit unaussprechlichem Liebreiz die seidenen Wimpern aufschlägt und mit einem langen Blick voll Ergebenheit, voll Treue, voll Liebe an ihm hängt, wenn die Schneehügel des wogenden Busens sich höher und höher heben, das kleine, liebewarme Herzchen sich ungeduldig dem Herzen des Geliebten entgegendrängt – kennet ihr ein solches Mädchen, so wißt ihr, wie Ida aussah; kennet aber ihr ein solches Engelskind, ihr Tausende, die ihr einsam unter dem Namen Junggesellen über die Erde hinschleicht, ohne wahre Freude in der Jugend, ohne Genossin eures Glückes, wenn ihr Männer seid, ohne Stütze im Alter – wißt ihr eine solche frische Hebeblüte und ein fröhliches Amorettenköpfchen, das etwa auch so warme Küßchen, auch so liebevolle Blicke spenden könnte wie Ida, o, so bekehret euch, solange es Tag ist, wenn sie sich euch vertrauungsvoll im Arme schmiegt, wenn sie das Lockenköpfchen an eure Brust legt, aus milden Taubenaugen zu euch aufblickt, mit dem weichen Samtpatschchen die Falten von der Stirne streichelt – ihr werdet mir danken, euch den Rat gegeben zu haben.
Und Emil? Nun, ich überlasse es meinen Leserinnen, sich einen recht bildhübschen Mann aus ihrer Bekanntschaft zu denken, zu denken, wie er den Arm um sie schlingt, ihnen recht sinnig ins Auge blickt und sie kü–
Nun erschrecken Sie nur nicht! es thut nicht weh; Sie haben sich einen gedacht? – Ja? – Nun, gerade so sah Emil von Martiniz als Bräutigam aus.
So sah ihn auch die Gräfin; das Herz wollte ihr beinahe bersten, daß der herrliche Mann nicht ihr gehören sollte. Eines Morgens, ehe man sich’s versah, sagte sie adieu, ließ packen und – weg war sie. [211]
Und endlich war der schöne Tag gekommen.
Was nur halbwegs laufen konnte, war heute in Freilingen auf den Beinen, und der polnische Graf und Fräulein Ida von Sanden waren in aller Mund. Vor der Kirchthüre schlugen und drängten sich die Leute als wie vor einem Bäckerladen in der Hungersnot. Alle Stühle in der Kirche waren besetzt, und von Minute zu Minute wuchs der Andrang.
Aber zum Hauptportal, den Gang hinauf bis an den Altar durfte kein Mensch, das hatte sich ein Mann ausgewirkt, der heute stille, aber tief an dem Glück des Brautpaares teilnahm; dieser Mann war der Küster. Er hätte viel darum gegeben, wenn er der versammelten Menge hätte sagen dürfen: „Sehet, der Herr Bräutigam, es war just nicht ganz recht richtig mit ihm; er hatte allerhand Affairen mit Herrn Urian, der ihn allnächtlich hieher in die Münsterkirche trieb. Da herein konnte er aber nicht, und ich, der Küster von Freilingen, habe ihm allnächtlich zu seiner Freistatt verholfen, war auch dabei, wie das Wunderkind, das jetzt seine Braut ist, ihn erlöset hat von dem Übel, das mir, nebenbei gesagt, alle Tage einen harten Thaler einbrachte; habe ich es nicht gleich damals zu dem alten Polacken gesagt, daß die beiden Liebesleutchen noch einmal in meine Kirche und vor meinen Altar kommen würden?“
So hätte er gerne zu den Freilingern gesprochen; es juckte ihn und wollte ihm beinahe das Herz abdrucken, daß er sich nicht also in seiner Glorie zeigen durfte, aber – er that sich doch auch wieder nicht wenig darauf zu gut, daß er, was nicht jeder kann, so gut das Maul halten könne. Aber seine Attention hatte er dem Pärchen bewiesen, daß es eine Freude war. Vom Portal bis zum Altar waren Blumen gestreut, er hatte es sich etwas kosten lassen und keine kleine Hatz deswegen mit seiner Liebsten gehabt, aber diesmal hatte er doch durchgedrungen und seinen eigenen Willen gehabt.
Jetzt kam Gerassel die Straße herauf; dem alten Küster schlug [212] das Herz, jetzt, ja sie mußten es sein, der große Glaswagen des Präsidenten fuhr vor; darin saßen der Präsident und Emil. „Ach, der schöne Offizier!“ schrien die Freilinger und machten lange Hälse. „Wie prächtig, wie wunderhübsch“, flüsterten die Mädchen, denen das Herz unter dem Mieder lauter pochte; aber man konnte auch nichts Schöneres sehen.
Er hatte die Staatsuniform angelegt, sie schloß sich um den herrlichen, schlanken, heldenkräftigen Körper, wie wenn er damit geboren worden wäre; das sonst so bleiche, ernste Gesicht war heut’ leicht gerötet und verherrlicht durch einen Schimmer von holder Freundlichkeit; sein stolzes, glänzendes Auge durchlief den Kreis, es traf den Küster, der in einem fort Bückling über Bückling machte, gerührt und freundlich reichte er ihm die Hand und stellte sich neben ihn unter das Portal.
Jetzt rasselte es wieder die Straße herauf. Ein Wagen, noch glänzender, geschmackvoller als der erste; er gehörte zu der neuen Remise des Grafen und war heute von Blauenstein hereingefahren worden. Der alte Brktzwisl, der in höchster Gala mit noch einem Kameraden hintendrauf stand, sprang ab, riß die Glasthüre auf, schlug klirrend den Tritt herab – jetzt regt sich kein Atem mehr in der ganzen großen Menge, jedes Auge erwartungsvoll auf die geöffnete Thüre geheftet. Der alte Graf, angethan mit all seinen Orden, der Hofrat, mit dem himmlischen Ehrenzeichen der Freundschaft auf dem Gesicht, stiegen aus und postierten sich an den Schlag. Jetzt wurden ein Paar glacierte Handschuhe sichtbar, jetzt ein Füßchen, es war nicht möglich, etwas Kleineres, Niedlicheres zu sehen als die winzigen, weißseidene Schuhe – jetzt – ein Lockenköpfchen, ein Paar selig glänzende Augen, ein Paar überpurpurte Wangen, ein lächelnder Mund – hübsch stand das Bräutchen zwischen den alten Herren. Ein Kleid von schwerem, weißem Seidenzeug schlang sich um den jugendlich frischen Körper, wie darüber hingehaucht war ein Oberkleid vom feinsten Spitzengrund, ein Geschenk des Oheims, und mit der reichen Blondengarnierung, in welche es endigte, mit der Diamantenschnalle und dem aus Venezianer Ketten geflochtenen Gürtel, welcher den wunderniedlichen Blusenleib zusammenhielt, [213] wenigstens seine achttausend Thaler wert. Und die Brasseletts mit den großen Steinen und das Diadem, um das sich der Myrtenkranz schlang! Nein, wer sich auch nur ein wenig auf Steine verstand, dem mußte hier der Mund wässern; aber war nicht alles dies im Grund unbedeutende Façon, um den herrlichsten Edelstein, das Wunderkind selbst, einzufassen?
Sie traten in die Kirche; das in Seligkeit schwimmende Bräutchen vergaß nicht, im Vorübergehen dem Küster einen recht freundlichen Gruß zuzuwinken, daß ihn die Menge ehrfurchtsvoll angaffte und nicht begreifen konnte, wie der alte Schnapsbruder zu so hoher Bekanntschaft gelangt sei. Ernster und ernster wurden die Züge Idas, als sie sich dem wohlbekannten Altar näherte. Ihr Auge begegnete dem Auge Emils, des Grafen und des Hofrats, die mit Blicken des Dankes und der Rührung an ihr hingen. Hier war ja ihr Siegesplatz, wo das mutige Mädchen mit hingebender Liebe gegen den bösen Feind der Schwermut und des Trübsinnes gekämpft und gesiegt hatte.
Mühsam rang sie nach Fassung; die Freude, daß sich alles so schön gefügt hatte, wurde zur heiligen Rührung in ihr; noch einmal durchflog sie die Erinnerung an den ersten Blick des Grafen bis hieher zu dieser Stätte, und ihr Auge wurde feucht von Entzücken. Als aber die Trauung begann, als der würdige Diener der Kirche, dem man das Geheimnis anvertraut hatte, in einer kurzen, aber gehaltvollen Rede von den wunderbaren Fügungen Gottes sprach, der oft aus Tausenden sein Werkzeug zur Beglückung vieler wähle, da strömten ihre Thränen über: „Ja“, dachte sie bei sich selbst, „es ist erfüllt, was damals ahnungsvoll meine Seele füllte: der Zug des Herzens ist Gottes, ist des Schicksals Stimme!“ Und viele Thränen flossen, denn auch die Augen derer, die einst den Jammer des edlen Jünglings gesehen hatten, gingen über.
Wie ein Engel Gottes kam sie dem alten Oheim vor, als sie am Altar ihre Hand in die seines Neffen legte; wie ein Engel, der mit freundlichem Blick, mit treuer Hand den Menschen aus der dunklen Irre des Lebens zu einem schönen, lichten Ziele führte.
[214]
Schnurstracks von der Kirche ging es hinaus nach Blauenstein. Eine ganze Karawane von Wagen und Reitern zog dem wohlbekannten Landau, in welchem die neugebackenen Eheleute saßen, nach. Der Hofrat war vorangeeilt, um alles zu leiten. Sechs Böller riefen ihnen ihre Freudengrüße entgegen, als sie in die Grenze ihres Eigentumes einfuhren. Ein donnerschlagähnliches Wirbeln von Pauken und Trompeten empfing sie am Portal des schönen Schlosses, und als alle Wagen aufgefahren waren, als Emil sein Weibchen auf den Balkon herausführte, um die herrliche Gegend zu übersehen, da gab der Hofrat das Zeichen, und ein schrankenloses Vivat, Hurra und Hallo erfüllte die Luft.
Paar und Paar zog man jetzt durch das Schloß, um alles in Augenschein zu nehmen. Es wandelte die Gäste beinahe ein Grauen an vor dem Hexenmeister, dem alten Martiniz. Das Schloß – es war zwar niedlich, geschmackvoll, bequem gebaut, lag wunderschön und hatte Gärten und Felder, wie man sie selten sah, aber vor vierzehn Tagen war dies alles noch leer gestanden, Tapeten waren abgerissen, herabgehangen, im Saal war Haber[WS 25] aufgeschüttet gewesen, kurz, man hatte gesehen, daß es eine gute Weile nicht bewohnt war, und mancher Käufer hätte nicht geglaubt, innerhalb eines halben Jahres mit der Restauration fertig werden zu können. Und jetzt – die behaglichste Eleganz, die man sich denken konnte; diese Trümeaus, ein Gardist mit sieben Fuß hätte sich, und hätte er noch einen ellenlangen Federbusch auf dem Hut gehabt, perfekt am ganzen Leib von der Zehenspitze bis zum äußersten Federchen darin sehen können. Diese breitarmigen Lüsters, diese Kristalllampen, diese geschmackvollen Sofas, Theetische, Toiletten, Etageren, diese Pracht von Porzellain, Beinglas, Kristall, Silber an Servicen, Leuchtern, Vasen, an allem, was nur die feinste Modedame sich wünschen kann, gar nichts war vergessen! Die Freilinger wandelten wie in einem Feenpalast umher, und die Mädchen und die Frauen; Ida wandelte zwar wie eine Königin in dieser Herrlichkeit, als hätte sie von Jugend auf [215] darin gelebt, aber man hörte doch so manches Sprüchlein vom blinden Glück und Zufall, die einen im Schlafe heimsuchen.
Jetzt riefen die Trompeten zur Tafel, und da war es, wo Hofrat Berner seine Lorbeer erntete. Die neue Dienerschaft des jungen, gräflichen Paares hatte er schon so instruiert, daß alles wie am Schnürchen ging, und zwar alles auf dem höchsten Fuß, denn wenn einer der Gäste nur vom silbernen Teller ein wenig aufsah, der mit seinem Nachbar konversierte, husch! war der Teller gewechselt, und eine neue Speise dampfte ihm entgegen. Aber auch in der Küche hatte er gewaltet, und es hätte wenig gefehlt, so hätte er aus lauterem Eifer, alles recht delikat zu machen, sich selbst zu einem Ragout oder Haschee verarbeiten oder zu einer Gallerte einsieden, wenn nicht gar mit einiger Zuthat von Zucker zu einer Marmelade oder Gelee einkochen lassen. Auch ihn hielten die Damen für einen zweiten Oberon, der eine ewige reichbesetzte Tafel aus dem Boden zaubern kann. Denn solche Speisen zu dieser Jahreszeit, und alles so fein und delikat gekocht.
Da war:
Suppe à la Tortue.
Coulissuppe[14] von Fasanen mit Reis.
Hors d’œuvres.
Pastetchen mit Salpicum[15] von Brießlen. Kabliau mit Kartoffeln und Sauce hollandaise. * * *
Rindfleisch au naturel. Englischer Braten mit Sauce espagnole.
Gemüse.
Spargeln mit Sauce Bœur. Grüne Erbsen mit Brießlen grillés. |
Entrées.
Junge Hühner mit Sauces aux fines herbes. Financière von Brießlen und Klöß. Schinken à la Malliote garni des Atelles, Sauce Malaga. Feldhühner en Salmi. Kalbskopf à la Tortue. Fricandeau à la Provençale.
Braten.
Kalbsschlegel. Rehbraten. Feldhühnerbraten. Kapaunenbraten. Welschen à la Perigord. |
[216]
Süße Speisen.
Gelé von Madera. Crème von Erdbeeren. Compotte melle garnie. Crème panachée mellé. Punsch-Tourte deccré de fruits. Tartelets de Apricot. |
Chocolade-Tourte montée.
Guß-Tourte au confiturs.
Salat viererlei.
Desert.
Punsch à la Glace. Crème à la Vanille. |
Als das Desert aufgetragen wurde, entschlüpfte, unbemerkt von den bechampagnerten Gästen, die junge Frau. Sie warf den schweren Hochzeitstaat ab und erwählte unter der reichen Garderobe ein allerliebstes Reisekleidchen, denn nach der Tafel sollte gleich eingesessen und ein wenig in die Welt hinausgefahren werden; so wollte es der alte Graf.
Sie erschrak selbst, als sie in den Spiegel sah, nein, so wundergrazienhübsch hatte sie noch nie ausgesehen; das Überröckchen schloß so eng und passend, das Reisehäubchen, die hervorquellenden Löckchen gaben dem Köpfchen einen wundervollen Reiz. Die Bäckchen waren so rosig, die Äuglein glänzten so hell und klar im Widerschein ihres bräutlichen Glückes, kleine, kleine Schelmchen saßen in den Grübchen der Wangen und schienen allerlei wunderbare Geheimnisse zu flüstern von Sehnsucht und Erwartung; das Mäulchen so spitzig wie zum Küssen zeigte immer wieder die Perlen, die hinter dem Purpur verborgen waren.
Die sechs Kammerjungfern, Lisette, Babette, Trinette, Philette, Minette und wie sie alle hießen, schlugen vor Verwunderung über ihre wunderniedliche gnädige Frau die Hände zusammen: „Diese herrliche, jugendliche Frische! dieser Alabasterbusen, der alle Nestel des Korsettchens zu zersprengen droht“ sagte Minette; „diese weißen Arme“, flüsterte Philette, „diese Füßchen“, dachte Trinette weiter, „diese Wäd–“
„Der Herr Graf wird ganz selig sein“, wisperte Lisette der Babette zu, doch nicht so leise, daß es den Ohren der jungen Gräfin entging. Sie wollte thun, als hätte sie nichts gemerkt, aber ward [217] feuerflammrot von der Stirne bis herab in das Halstuch, und als vollends Babette, die das schneeweiße Nachtzeug in die Vache packte, mit einer höchst naiven Frage in die Quere kam, da hielt sie es nicht mehr aus, ganz dunkel überpurpurt entschlüpfte sie den sechs dienstbaren Geistern und lief wie ein gescheuchtes Reh in den Speisesaal.
Allgemeiner Jubel empfing die holde Reisende, alles war darin einverstanden, daß ihr diese Tracht noch besser stehe als der Brautstaat; kein Wunder, es war ja das Pilgerkleid, in welchem sie ins gelobte Land der Ehre reiste.
„Warum bist du nur so über und über rot“, fragte Emil sein holdes Weibchen, indem er sie näher an seine Seite zog; „hat dir jemand etwas gethan?“
Sie wollte lange nicht heraus. „Die Babette“, flüsterte sie endlich und errötete von neuem, „die Babette hat so dumm gefragt.“
„Nun, was denn?“ fragte der neugierige Herr Gemahl. Aber da stockte es wieder; zehnmal setzte sie an; sie wollte gerne eine Lüge erfinden, aber das schickte sich denn doch nicht am Hochzeittag, und doch – es ging nicht; er mußte bitten, flehen, drohen, betteln sogar; endlich, nachdem er hatte versprechen müssen, die Augen recht fest zuzumachen, flüsterte sie ihm ins Ohr: „Sie hat mein Nachtzeug eingepackt, und da hat sie gefragt, ob sie das deinige auch dazu packen soll.“ Selig schloß der Graf sein Engelsweibchen in die Arme, er wollte antworten, aber seine Antwort verhallte im Geräusch der aufbrechenden Gäste.
Die Wägen waren vorgefahren, man verabschiedete sich. Der Graf nahm sein Idchen um den Leib und trug sie schnell hinab in den Wagen, denn dort beschloß er, ihr zu antworten.
Auf dem Balkon drängten sich die Gäste, die Champagnergläser in den Händen; sie riefen, vermischt mit den neuen Unterthanen des Grafen, ein tausendstimmiges Vivat in den Wagen hinab. Ida drückte ihr Köpfchen an die Brust des Geliebten. Er winkte, die Pferde zogen an, und dahin fuhr Emil und seine glückliche Ida.
[218]
Es ist ein schöner Brauch unter guten Menschen, die sich lieben und getrennt sind, daß sie gewisse Tage des Jahres festsetzen, in welchen sie sich von nahen und entfernten Orten her sammeln, sich wiedersehen und die Strahlen ihrer Liebe von neuem an der allgemeinen Flamme anzünden. So halte ich es seit langen Jahren mit meinen Freunden, die das Schicksal nach Ost und nach West verschlagen. Auch heuer war ich hingereist an den Ort, den wir zu unserem Rendezvous bestimmt hatten. Als ich an dem stattlichen Weißen Hirsch in B. vorfuhr, lagen schon manche Fenster voll, und wie wohl thut da das freundliche, jubelnde: „Er ist’s, er ist’s“, das von schönen Lippen herab dem Freunde entgegentönt!
Ich traf sie alle, alle meine Lieben, da war meine holde, sinnige Doralice und ihr Stern, da war die lose, naive Vally und ihr Geheimer Kriegsrat, da war Graf Law und seine Klementine, da war meine süße Mimili, da war Herr von Estavayé mit seinem Elfi, da war mein russisches Lisli, selbst Sponseri, mein lieber Sponseri, ich hieß ihn nur immer den Grünmantel, hatte sich aus Venedig eingefunden und Emeline Mellinger mitgebracht, da war auch Fanny und ihr Graf, der Generalbevollmächtigte, Kilian mit Julchen. Da war Molly und ihr Justizrat, da war die herzige Pina und ihr Gatte, Agnes und Rose, Rosamunde und der Graf Oliva, das liebe Dijon-Röschen, Klotilde, und ihr Sekretär[16]. – Meine Freude war unaussprechlich, ich flog wie ein Ball von einem Arm in den andern, und das Küssen wollte gar kein Ende nehmen. Endlich faßte man sich, daß es doch zu einem vernünftigen Gespräch kam. Freilich trübte der Tod unserer Magdalis und ihres treuen Wilibald, die uns im Leben so nahe standen und auch nach ihrem Tode so innig verschwistert mit uns fortleben, die ersten Augenblicke des Wiedersehens; aber nachdem wir [219] ihnen das Totenopfer inniger Thränen geweiht, kehrte die holde Freude wieder bei uns ein.
Wir tollten, lachten und schäkerten, der Weiße Hirsch faßte kaum so viele Gäste, und manches Pärchen mußte sich mit einem Bettchen behelfen.
So lebten wir schon seit zwei Tagen in Saus und Braus und brachen dem Weißen Hirschwirt beinahe das Haus ab, da – wir saßen gerade beim Kaffee, da fuhren Wagen vor; wir drängten uns alle an die Fenster und schlugen den fremden Menschenkindern ein Schnippchen, denn – gut Essen und Trinken konnten sie wohl bekommen, aber Betten – Logis – ohne unsere Bewilligung kein Fleckchen, und landfremde Leute mochten wir gerade nicht gerne unter uns haben. In einem prächtigen Landau mit vier Postpferden bespannt, saß ein Herr und eine junge Dame; sie hoben die Köpfe in die Höhe –
„Mein Gott, das ist ja Graf Martiniz!“ rief ich, und zugleich rief Vally: „Ei der Tausend, das ist ja Ida Sanden!“ Ich sprang gleich hinab, um sie heraufzuführen; sie folgten willig nebst noch drei andern ältlichen Herren, welche der zweite Wagen entladen hatte. Ida und Vally flogen einander in die Arme; sie hatten sich in der Residenz, wo Vally lebt, kennen gelernt und liebten einander innig. Der Graf zog mich zu den beiden jungen Damen, um welche die übrigen schon einen dichten Kreis geschlossen hatten. „Sehen Sie“, sagte er zu mir, „das ist seit gestern mein liebes Frauchen.“
Da fanden sich also alte Bekannte zusammen. Ich hatte den Grafen in Hamburg kennen gelernt. Damals faßte ich tiefe Zuneigung zu ihm, sie wurde zur Freundschaft, und er gestand mir seine schrecklichen Leiden. So wenig ich an solche Visionen glaubte, so war ich doch der Meinung, daß ihn Liebe zu einem guten, reinen Mädchen zerstreuen, retten könnte, und wie herrlich hatte sich dieses gemacht; er war fröhlich, selig, war durch die Liebe dieses Engels der Menschheit wieder geschenkt.
Auch in den drei andern Gästen, der Leser wird unschwer den alten Martiniz, den Präsidenten und den Hofrat in ihnen erkannt haben, lernte ich wackere, liebenswürdige Männer kennen. [220] Schon den ersten Abend war es uns allen, als haben wir das holde Pärchen schon jahrelang gekannt, so trefflich paßten sie zu unserem Sinn, zu unserem ganzen Wesen. Der junge Graf erzählte uns seine Geschichte, und wenn wir bedachten, wie zufällig er nach Freilingen, wie zufälliger auf jenen Ball, wo er Ida fand, gekommen war, wie ebenso zufällig der alte Oheim auf einer Geschäftsreise diese Gegenden berührt, dem Neffen eine Überraschung bereiten wollte und als Deus ex machina mitwirkte und die Ränke der bösen Aarstein vereiteln half, wahrlich, wir mußten diese Fügungen bewundern und fanden den alten Spruch bestätigt:
„Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme.“
Noch zwei Tage blieb das junge Paar unter uns und reiste dann, als auch wir alle uns wieder nach Ost und nach West zerstreuten, weiter.
Noch in der letzten Stunde erlaubte mir Emil, seine Geschichte der Welt zu erzählen.
Es soll mich innig freuen, wenn ihre innige, treue Liebe Beifall findet, sie sind es wert; alle, die sie kennen, lieben sie, und ich darf sagen, sie sind ein Herz, eine Seele mit mir, sie sind auch wieder durch den Zug des Herzens ganz die Meinigen geworden.
- ↑ Franz., d. h. möge das Schiff dahinsegeln, s. v. w.: es sei gewagt!
- ↑ Asa foetida, Stink-Asant oder Teufelsdreck genannt, ist ein Gummiharz von widerlichem Geschmack.
- ↑ Éventail (franz.), der Fächer.
- ↑ Cicisbeo (ital.), d. h. Galan, der Hausfreund.
- ↑ Vgl. Schillers „Piccolomini“, 3. Aufzug, 4. Auftritt.
- ↑ Sekkieren (vom ital. seccare), d. h. belästigen, quälen.
- ↑ Eine Reihe von Zimmern in einer Linie, so daß man bei geöffneten Mittelthüren durch alle Zimmer sehen kann.
- ↑ Aufschnallkisten auf Reisewagen.
- ↑ Achteckiges Kreuz, dessen vorderer, runder Mittelschild die Umschrift „Fortitudini“ (d. h. der Tapferkeit) trägt; es ist das Ordenszeichen des Maria-Theresia-Ordens, eines österreichischen militärischen Verdienstordens für eine „besondere herzhafte That“, den Maria Theresia 1757 zur Erinnerung an den Sieg bei Kolin stiftete.
- ↑ Eine Zierpflanze aus der Gattung Richardia Kunth., mit großen, pfeilförmigen Blättern und weißen Blütenscheiden.
- ↑ D. h. „Ein Schelm, wer Arges dabei denkt“, ist die Umschrift des englischen Hosenbandordens.
- ↑ Claude Lorrain (1600–82), eigentlich Claude Gelée, französischer Landschaftsmaler.
- ↑ Fr. Adolf Krummacher (1768–1845), bekannter Parabeldichter, gab 1810 „Das Festbüchlein, eine Schrift fürs Volk“ (3 Teile: 1. Der Sonntag, 2. Das Christfest, 3. Das Neujahrsfest) heraus.
- ↑ D. h. durchgeseihte Kraftbrühe.
- ↑ Ein feines Ragout, das zum Füllen kleiner Pasteten verwendet wird.
- ↑ Sämtlich Namen aus Claurenschen Romanen.
Anmerkungen des Autors
- ↑ Erkenntnisbaum ist nicht des Lebens Baum.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Kopuliert bedeutet, zu Mann und Frau erklärt.
- ↑ Französische Goldmünzen (Wikipedia).
- ↑ stante pede, Sofort, auf der Stelle (vgl. Herders Conversations-Lexikon, Freiburg i. B. 1857, Bd. 5, S. 309).
- ↑ Mit Nachdruck von etwas sprechen (vgl. Meyers Großes Konversations-Lexikon, Leipzig 1908, Band 15, S. 601).
- ↑ Durch die Lorgnette betrachten, scharf ansehen.
- ↑ Stein, auf dem Jakob schlief, als er von der Himmelsleiter träumte; siehe 1. Mose 28,10–22.
- ↑ Eingekochtes Mus aus Zwetschgen oder Pflaumen, bisweilen auch aus Schlehen, Wacholder oder Hagebutten.
- ↑ Engen Freund, Vertrauten.
- ↑ Schwiegernichte.
- ↑ Ersten Liebhaber.
- ↑ Bon ton (frz.), der gute Ton, feine und gesittete Umgangsformen (vgl. Brockhaus Conversations-Lexikon, Amsterdam 1809, Bd. 7, S. 135.).
- ↑ Erwiederung, Gegenrede.
- ↑ Das französische Blâme (Tadel, Rüge, Verweis) ist im Deutschen um die Bedeutung „üble Nachrede, übler Ruf“ erweitert worden (vlg. Adelung).
- ↑ Sarkastisch, boshaft. Vorlage: medikant
- ↑ Sylphiden sind weibliche Luftgeister mit einem feinen, filigranen Körperbau. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts bezeichnete man auch ein zartes und anmutiges Mädchen als Sylphide (nach dem Ballett La Sylphide – vgl. Wikipedia).
- ↑ Im Grunde.
- ↑ Dulcinea war die Geliebte des Don Quixote im Roman des spanischen Dichters Cervantes und nach ihr wurde die Geliebte eines Mannes seine Dulcinea genannt.
- ↑ In seinem Element (vgl. Meyers Großes Konversations-Lexikon, Leipzig 1906, Band 6, S. 115).
- ↑ Prostituieren, d. h. bloßstellen, öffentlich preisgeben (vgl. Meyers Großes Konversations-Lexikon, Leipzig 1908, Band 16, S. 389).
- ↑ Anspielung auf die biblische Geschichte von Joseph, in den die Frau des ägyptischen Beamten Potiphar sich verliebt hatte und den sie zu verführen versuchte. Siehe 1. Mose 39.
- ↑ Jemanden schrauben, mit Worten höhnen, foppen (Grimm).
- ↑ Uniformrock.
- ↑ Vorlage: einem
- ↑ Akkordieren: eine Übereinkunft treffen (vgl. Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Leipzig 1911, Band 1, S. 29).
- ↑ Hafer (vgl. Grimm).
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