Der Leibarzt des Kaisers
[880] Der Leibarzt des Kaisers. (Mit Portrait S. 869.) Kaiser Wilhelm ist – man darf es mit vollem Bewußtsein sagen – in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts der mächtigste Monarch der Erde. Einem solchen, möchte man meinen, hat Niemand auf der Welt etwas zu sagen, noch weniger zu befehlen; also braucht er keiner Stimme auf der weiten Welt zu gehorchen, als derjenigen der Pflicht und des Gewissens. Und doch unterwirft er sich sehr oft den Ordonnanzen eines Mannes, dessen Bild wir hier bringen – und dieser Mann ist sein Leibarzt. Wenn der Kaiser in Berlin ist, wird man jeden Morgen einen langen hageren Mann in der Uniform eines Generalarztes den kurzen Weg von seiner Wohnung in der Markgrafenstraße durch den Palaiseingang von der Behrenstraße zu den Gemächern des Kaisers nehmen und in dieselben eintreten sehen. Die Gestalt ist nach vorn etwas gebeugt; freundlich und wohlwollend ist der Ausdruck der Mienen, und unter der goldenen Brille hervor schauen ein paar helle graue Augen, die nach Lage der Dinge auch einen sarkastischen Ausdruck annehmen können. Es ist der Blick des erfahrenen Diagnostikers, vor dem die Welt und die Dinge und das, was sie zusammenhält und bestimmt, nicht weniger klar und offen daliegen, als der anatomische Bau des menschlichen Körpers. Was kein Minister, Bismarck nicht ausgenommen, wagen wird – er darf es [881] unternehmen, nämlich dem Kaiser den Puls fühlen. Aber, Gott sei Dank, das braucht nicht zu oft zu geschehen. Der alte Thiers pflegte zu sagen: Wenn Jemand keinen guten Magen auf die Welt zu bringen hat, so wäre es am besten, daß er sich gar nicht die Mühe nähme, auf die Welt zu kommen.
Die körperliche Constitution der Hohenzollern hat drei vortreffliche Eigenschaften, die sich von Generation zu Generation zu vererben scheinen: einen guten Magen, die Fähigkeit, zu jeder Zeit wachen oder schlafen zu können und einen langsamen Puls. Daher die leibliche und geistige Gesundheit des Geschlechts und speciell die unverwüstliche Lebenskraft des Kaisers. Aber diese würde öftere Störungen des Organismus zur Folge haben, wenn nicht Generalarzt Dr. von Lauer mit so treuem und offenem Auge über seinen Herrn wachte. Jeder gesunde Mensch kommt in Gefahr, auf seine Gesundheit hin zu sündigen. Auch der Kaiser. Ein Gefühl der Vollkraft läßt ihn oft seine Jahre vergessen, und daß ein Achtziger nicht mehr Dasjenige vollbringen kann, was für einen Dreißiger zu unternehmen keine Gefahr ist, dürfte keinem Zweifel unterliegen. Das Recht solcher Mahnungen an den Kaiser steht Generalarzt Dr. von Lauer zu. Er legt sein strenges Veto ein, wenn der Kaiser eine Parade, eine Besichtigung vornehmen, einen Jagdausflug machen oder sich sonstigen Anstrengungen aussetzen will, die für sein Wohlbefinden irgend eine Gefahr nach sich ziehen könnten. Oft gehorcht ihm der Kaiser, manchmal aber läßt der Jugendmuth den greisen Herrn doch die Warnungen überhören. Nicht selten ist auch die Kaiserin mit dem Leibarzte im Complot, um den Kaiser zur Enthaltung gewisser Verordnungen zu bewegen. Glücklicher Weise ist jedoch das Befinden des Kaisers ein derartiges, daß sich meistentheils die Functionen seines Leibarztes nur auf die tägliche Erkundigung nach des hohen Herrn Befinden, auf die Inspection des Speisezettels und die Begleitung bei Reisen und Jagden beschränken. Oefters geschieht es auch, daß der Kaiser seinen Leibarzt zu Kranken abordnet, die ihm besonders werth und theuer sind und über deren Zustand er unterrichtet sein will.
Der deutschen Pfarrhäuser eines, welche unserer Nation schon so manchen hervorragenden Mann geschenkt haben, hat der Welt auch den Leibarzt des Kaisers gegeben. Gustav Adolf von Lauer wurde 1808 in Wetzlar geboren. Gebildet auf dem Gymnasium seines Geburtsortes, widmete er sich speciell dem militärärztlichen Fach als Zögling des königlich medicinisch-chirurgischen Friedrich-Wilhelms-Instituts. Seine praktische Ausbildung empfing er im Charité-Krankenhause, war dann sechs Jahre Compagnie-Chirurg und erhielt 1836 ein Commando zum Allgemeinen Krankenhaus in Hamburg. Er wurde darauf zum Stabsarzt am medicinisch-chirurgischen Friedrich-Wilhelms-Institut befördert, unternahm 1839 eine wissenschaftliche Reise nach Belgien und Frankreich und wurde in jenem Jahre zum Regimentsarzt des Kaiser Alexander Gardegrenadier-Regiments befördert.
Generalarzt Dr. v. Lauer hat also die Carrière der preußischen Militärärzte gemacht, wie Wiebel, der Leibarzt Friedrich Wilhelm’s des Dritten, und Dr. Böger, der Arzt Friedrich Wilhelm’s des Vierten in dessen spätern Lebensjahren. Aus einem einfachen Militärarzte, der eine reiche Kaufmannstochter aus dem alten Berliner Hause Ermler heimführte, ist der jetzige hochwichtige Generalarzt des Gardecorps und Leibarzt des Kaisers geworden. Die Stelle eines Leibarztes beim damaligen Prinzen von Preußen trat er 1844 an. Er hat vier militärische Expeditionen mitgemacht und den Kaiser zwei Mal in’s Feld begleitet; er ist geadelt worden und auf seiner Brust glänzt ein Firmament von Sternen; um seine Schultern schlingt sich ein großes Band vom badischen Schwiegersohne – aber alle diese Ehren und Auszeichnungen haben seine schlichte, gerade Natur nicht einen Augenblick in’s Schwanken bringen können. Er will lieber ein Ehrenmann als ein Hofmann heißen. Vor Hochmuth und anderen derartigen hübschen Angewöhnungen eines Emporgekommenen schützen ihn sein edles Herz, seine tiefe humanistische Bildung und die Einsicht in das Wesen, die Beschaffenheit und den Gang alles Natürlichen. Der beste Ruhm eines Arztes ist die Gesundheit seines Pflegebefohlenen – und wenn schon ein Hohenzollernkörper ein sehr dankbares Material in dieser Beziehung ist, so wird doch das Verdienst dieses Mannes dadurch nicht verkleinert, das Verdienst, durch treue und weise Sorgfalt den Kaiser und damit in gewissem Sinne das ganze deutsche Reich bei gesundem Körper zu erhalten. – –Wir entnehmen das Portrait des Generalarztes Dr. von Lauer den mit Recht viel gepriesenen „Studienköpfen“ Anton von Werner’s, deren erstes Heft, nach den Originalzeichnungen des Meisters photographisch aufgenommen und gedruckt, soeben aus dem Berliner photographischen Institut (Verlag von Paul Bette) hervorgegangen. Es sind zehn Köpfe berühmter Männer der Zeit, welche der Künstler der Mehrzahl nach im Winter 1870, während seines Aufenthaltes im kronprinzlichen Hauptquartier zu Versailles, nach der Natur gezeichnet. Was diesen technisch vorzüglich nachgebildeten Kreide- und Bleistiftskizzen einen besonderen Reiz verleiht, das ist die kecke Lebenswahrheit und frappante Ursprünglichkeit, mit der sie ihre gefeierten Gegenstände vor uns hinstellen. Wenn ihnen an minutiöser Ausführung und Feinheit im Einzelnen naturgemäß manches fehlt, so ersetzen sie dies reichlich durch die ihnen eigenthümliche charakteristische Auffassung und den genialen Wurf der zeichnerischen Darstellung. Anton von Werner’s Studienmappen dürften durch diese zehn Köpfe zeitgeschichtlicher Berühmtheiten schwerlich erschöpft sein, und knüpfen wir daher an das Erscheinen des ersten Heftes des interessanten Werkes die Hoffnung, es möge durch eine Reihe in gleichem Sinne ausgeführter Blätter fortgesetzt werden, was hier so glücklich begonnen wurde.