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Der Kurs der deutschen Reichs- und Staatsanleihen

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Autor: Otto Schwarz
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Titel: Der Kurs der deutschen Reichs- und Staatsanleihen
Untertitel:
aus: Handbuch der Politik Zweiter Band: Die Aufgaben der Politik, Achtes Hauptstück: Die öffentlichen Lasten und Schulden, B. Die Kredite, 42. Abschnitt, S. 162−173
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
Auflage:
Entstehungsdatum: {{{ENTSTEHUNGSJAHR}}}
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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[162]
42. Abschnitt.


Der Kurs der deutschen Reichs- und Staatsanleihen.
Vom
Wirklichen Geheimen Oberfinanzrat Dr. Otto Schwarz,[1]
Vortragenden Rat im Preussischen Finanzministerium, Berlin.


Literatur:

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Ausser allgemeinen finanzwissenschaftl. Werken (A. Wagner, L. von Stein pp.)
Karl Kimmich, Die Ursachen des niedrigen Kursstandes deutscher Staatsanleihen. Stuttgart und Berlin 1906. (Münchener volksw. Blätter.)
Alfred Neymarck, Les mouvements des Fonds d’Etat des Grands Pays. Paris 1909.
G. S. Freund, Die Rechtsverhältnisse der öffentl. Anleihen. 1907.
Herm. Albert, Die geschichtl. Entwickelung des Zinsfusses in Deutschland von 1895–1908. Leipzig 1910.
W. Mahlberg, Zum Kursstand unserer Anleihen in den Pr. Jahrb. 142 Bd. (Okt.-Dez. 1910) S. 241 und 143 Bd. 2. Heft, S. 264.
Jul. Wolff, Vorschläge zur Hebung der Kurse der deutschen Staatsanleihen. Leipzig 1911.
Hugo Heymann, Die deutschen Anleihen. Berlin 1911.
B. Dernburg, Kapital und Staatsaufsicht. Berlin 1911.
Elster, Der Kursstand der deutschen Reichsanleihen und Pr. Staatsanleihen im Jahrb. der Nationalökonomie und Statistik. Februar 1911. S. 153.
Wallich, Beiträge zur Geschichte des Zinsfusses von 1800 bis zur Gegenwart im Jahrb. für Nationalökonomie und Statistik. September 1911 S. 289.
Wachler, Staatspapiere und Sparkasse in den Pr. Jahrbüchern 144. Bd., S. 492.
A. v. Dombois, Der Kursstand der deutschen Staatsanleihen. Hannover 1911.
B. Dernburg: Zwangsanlagen in Staatspapieren. Im „Bankarchiv“ v. 15. Oktober 1911.
M. Warburg, Geeignete und ungeeignete Mittel zur Hebung des Kurses der Staatsregierung. Verhandlungen des IV. Allgem. Deutsch. Bankiertags 1912, S. 15 ff.
Kimmich im Bank-Arch. v. 15. 6. 1912 über engl. Consols.
Schmalenbach, Die Methoden der Emssionstechnik. Zeitschr. f. handelswiss. Forschungen 1907/08, Bd. II. S. 81 ff.
Lotz, Die Technik des deutschen Emissionsgeschäfts, 1890.
Landmann in Schanz Fin. Archiv zur Entwicklung d. Formen u. der Organisationen des öffentl. Kredits, 29. Jahrg. I. Bd. S. 1 ff.

Die rückläufige Entwickelung der Kurse unserer Reichs- und Staatspapiere, die seit Beginn der 2. Hälfte der 90er Jahre einsetzte und nun schon 1½ Dezennien (mit nur kleinen Unterbrechungen) andauert, ohne dass irgendeins der zu ihrer Besserung angewandten Mittel in nennenswerter Weise einschlagen will, trägt um so mehr einen phänomenartigen Charakter, weil dieser Entwicklung einmal seit Mitte der 70er Jahre, also über 2 Dezennien lang eine fast stetige Steigerung der Staatspapierkurse vorausgegangen war (die 4% preuss. Konsols stiegen im Jahresdurchschnitt von 1879 bis 1893 von 97,80 auf 107,12%, die 3½% von 1885–96 von 99,06 auf 104,61 die 3%igen von 1890–96 von 86,60 auf 99,38), und sodann, weil der Niedergang der Kurse gerade in eine Zeit beispielloser wirtschaftlicher Fortentwickelung, Vermehrung des gesamten Wohlstandes in Staat und Reich fiel, weil langdauernde, tiefergehende Wirtschaftskrisen, (diejenigen von 1901 und 1907 wird man als solche kaum bezeichnen können), dem Lande erspart geblieben sind, und weil endlich das Land auch in kriegerische Aktionen von Bedeutung nicht verwickelt war.

Um die Ursachen dieser aussergewöhnlichen Erscheinung zu erkennen, darf man den Blick nicht nur auf Deutschland allein ruhen lassen. Um das Phänomen in seinem ganzen Umfange zu erfassen, muss man sich vielmehr vor Augen halten, dass die gegenwärtige rückläufige Bewegung der Kurse der Staatspapiere, wie auch die aufsteigende der Vorperiode keineswegs ein nur Deutschland eigentümlicher Vorgang ist. Einige der wichtigsten Kulturstaaten der alten Welt weisen mehr oder weniger gleichartige Erscheinungen auf.

[163] Der Abstand des gegenwärtigen Kurses gegenüber den Höchstkursen von Mitte der 90er Jahre ist bei der französischen Rente rund 17 Prozent, bei den 3% deutschen Anleihen 24 Prozent, bei den engl. Konsols fast 40 Prozent. Berücksichtigt man, dass die englischen Konsols 1897 noch 2¾% Zins trugen und rechnet den damaligen Kurs (113,7) nach einem 2½%igen Zins um, so bleibt immerhin noch ein Kursrückgang von ca. 30 Prozent bestehen.

Ähnliche Entwickelungsgänge zeigen die österreichischen Staatspapiere, holländische, belgische, schweizerische, schwedische, norwegische, dänische Staatsfonds.

Weiter muss aber berücksichtigt werden, dass Hand in Hand mit diesem Rückgänge der Bewertung erstklassiger Werte der ältesten, u. z. Teil grössten Kulturstaaten Europas eine steigende Wertschätzung der Staatspapiere kleinerer, vor 2 bis 3 Dezennien zum Teil noch notleidender europäischer und aussereuropäischer Staaten einhergegangen ist.

Dass all’ diese Kursverschiebungen bei der eminenten Wichtigkeit der öffentlichen Verbände, um deren Kredit es sich handelt, und den gewaltigen Milliardensummen, die dabei in Frage kommen (die Schulden von England, Deutschland, Frankreich, Österreich-Ungarn betragen allein ca. 80 Milliarden, die Schulden aller Staaten der Welt ca. 200 Milliarden Mk.) zahlreiche und ernste Erörterungen in Publikum, Presse und Parlamenten hervorgerufen haben und noch hervorrufen, kann nicht wundernehmen.

A. Ursachen der Kursrückgänge der Staatspapiere und vorgeschlagene Massregeln zur Abhilfe.

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Dieser Ursachen ist eine grosse Anzahl. Ihre Bedeutung ist aber eine sehr verschiedenartige. Wir werden versuchen, die wichtigsten derselben ungefähr in der Reihenfolge ihrer Bedeutung zu behandeln und dabei zugleich die zur Abhilfe empfohlenen Massregeln mit erörtern.

1. Fehler der Emissionstechnik.

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Theoretiker und Praktiker haben namentlich in Preussen der Staatsregierung häufig fehlerhafte Emissionstechnik zum Vorwurf gemacht. Diese Vorwürfe sind zum Teil berechtigt. So ist unter anderen in den 80er Jahren und Anfang der 90er Jahre der Fehler gemacht worden, durch fortwährenden freihändigen Verkauf kleinerer und grösserer Posten Staatsanleihen den Markt dauernd unter Druck zu halten. Man hat mehrfach zu ungünstigem Zeitpunkte emittiert (zu spät im Jahre 1903), kurz vor dem Ausbruch des russisch-japanischen Krieges (1904). Das häufig uneinheitliche Vorgehen von Kommunen, Bundesstaaten und Reich bei Emittierung ihrer Anleihen ist nicht zu billigen, freilich auch nicht leicht zu beseitigen. Was die Massnahmen behufs guter Klassierung der Anleihen anbetrifft, so sind die ernsten Zeichner, namentlich in früherer Zeit – neuerdings ist das erheblich besser geworden –, oft nicht genügend vor den sog. Konzertzeichnern bevorzugt worden. Man ist wohl manchmal zu ängstlich gewesen, den „Banken die Finger zu vergolden“, und hat die Marge und Bonifikation der Banken zu gering bemessen, um diese Institute an dem Vertrieb und der Empfehlung des Ankaufs von Staatspapieren hinreichend zu interessieren. Bei grossen Summen wäre vielleicht zur Erleichterung der Klassierung eine grössere Differenz zwischen Tageskurs und Übernahmekurs richtig gewesen, als sie im allgemeinen üblich ist. Die Form der Staffelanleihe (1908) war angreifbar, ebenso das Verfahren der Preussischen Regierung in 1908, keinen bestimmten Schuldbetrag bei der Emission zu nennen, in 1909, die Wahl zwischen 4% und 3½% Titres freizustellen usw. Auf diesem Gebiete ist zweifellos manches zu bessern und unsere Finanzverwaltungen haben in neuerer Zeit auch ernstlich versucht, zu einer besseren Emissionstechnik vorzuschreiten.

So wichtig eine gute Emissionstechnik ist, so darf man ihre Wertschätzung doch nicht so hoch anschlagen, dass man aus den von der Regierung gemachten Fehlern etwa den gewaltigen Rückgang der Kurse unserer Staatspapiere auch nur annähernd würde erklären können.

[164]

2. Kauf und Verkauf von Staatstitres. Stückelung. Staatsschuldbücher.

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Anerkanntermassen hat die starke Demokratisierung und Popularisierung der französischen Rente, der überaus breite Markt, der dadurch für sie geschaffen wird – man nimmt an, dass in Frankreich über die Hälfte aller Börsenoperationen in Rente abgeschlossen wird und dass der Rentenbesitz unter 2–3 Millionen Besitzer verteilt ist – viel zur Stabilisierung des Kurses der französischen Rente beigetragen. Erreicht worden ist diese Demokratisierung vor allem durch die Stückelung der Rententitres bis zu 2 und 3 Frs. herab und durch die leichte Möglichkeit des Rentenan- und -verkaufs bei allen Steuereinnahmestellen. Couponeinlösungsstellen für Staatsrente gibt es in Frankreich an 6000.

In beiden Hinsichten steht hinter Frankreich namentlich England zurück. Infolge des starken Rückganges der Konsolkurse macht sich indessen in England schon seit Jahren eine starke Bewegung für grössere Popularisierung und Erleichterung der Übertragungsmöglichkeit der Konsols geltend. Sie hat dahin geführt, dass man neuerdings durch Vermittelung der Postämter schon für die kleinsten Summen, von 1 sh an, gegen eine geringe Kommissionsgebühr Staatsgläubiger werden kann.

Was die Stückelung der Staatspapiere in Deutschland anbelangt, so geht sie in Preussen und einigen anderen Staaten, wie Oldenburg, Sachsen bis zu 100 Mk., im Reiche und in Baden, Bayern, Braunschweig, Hessen, Lübeck, Württemberg bis zu 200 Mk., in Hamburg und Bremen nur bis 500 Mk. herab. Bei uns sind also kleinere und mittlere Kapitalbesitzer sehr wohl in der Lage, ihre Kapitalien in Staatspapieren anzulegen. Neuerdings ist in Preussen die Verkaufs- und Ankaufsmöglichkeit dadurch erleichtert worden, dass der Verkauf von Reichs- und Staatspapieren durch die Seehandlung provisionsfrei und an Bankiers und Sparkassen auch courtagefrei erfolgt.

Weiter hat man in Deutschland, wo die Form der Staatsverschuldung im Gegensatz zu England und Frankreich ursprünglich diejenige der Inhaberpapiere war, seit 1881 mehrfach Staatsschuldbücher und ein Reichsschuldbuch eingeführt, um dem Staatsgläubiger die Überführung der Inhaber- in eine Buchschuld zu ermöglichen (s. darüber Näheres unter „Öffentl. Kredite“), ein Vorgehen, in dem die Absicht einer Erschwerung häufigeren Umsatzes der Staatspapiere hervortritt.

Hat das zielbewusste Vorgehen Frankreichs auf diesem Gebiete der Rente einen starken widerstandsfähigen Markt geschaffen, so darf der Erfolg dieser Massnahmen doch auch nicht überschätzt werden. Die grossen englischen Banken und Gesellschaften haben jahrelang sehr grosse Verluste in ihrem Staatspapierbestand erlitten, ehe sie denselben eingeschränkt haben. Ob der kleine Rentner, der genauer rechnen muss, bei starkem Sinken der Rentenkurse, namentlich in gefahrvollen, in Kriegszeiten ebenso so lange aushalten würde, ist zweifelhaft. Auch sonst ist es fraglich, ob eine so starke Demokratisierung der Rente, wie sie sich in Frankreich vorfindet, trotz ihrer unleugbaren Vorteile für die Kursgestaltung als restlos idealer Zustand anzusehen ist, da sie die Regierung nötigt, bei allen ihren politischen und wirtschaftlichen Massnahmen in einem Masse deren Rückwirkung auf die Rentenkurse in Rücksicht zu ziehen, die kaum immer dem staatlichen allgemeinen Interesse dienlich erscheint.

3. Zinspolitik. Konvertierungen.

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Von grösserer und nachhaltiger Bedeutung für den Rentenkurs als die mehr formalen Massnahmen der Emission und Umsatzmöglichkeiten ist die materielle Zinspolitik des kreditnehmenden Staates. Hier sind es namentlich die Kapitalskündigungen und Zinsenherabsetzungen bei sinkendem Landeszinsfuss, die Konvertierungen, welche vielfach als eine der Hauptursachen des Rückganges der Staatsanleihekurse angeführt werden. In Frage kommen namentlich für England die Goschen’sche Konvertierung aus dem Jahre 1888, durch welche 560 Mill. £ 3% Konsols in 2¾%, mit weiterer automatischer Zinsermässigung auf 2½% vom Jahre 1903 ab, konvertiert wurden, und für Deutschland die Konvertierungen mehrerer Bundesstaaten aus Mitte der 80er Jahre von 5 und 4½ in 4%ige und ferner die grossen Konversionen von 4% in [165] 3½%ige Reichs- und Staatspapiere, die Mitte der 90er Jahre (1895/97) im Reich und in mehreren Bundesstaaten in Höhe von zusammen etwa 5,7 Milliarden Mk. zur Durchführung gelangten. Alle diese Konvertierungen sind seinerzeit von vollstem Erfolge begleitet gewesen, ein Zeichen, dass die damalige Marktlage sie durchaus rechtfertigte. Wenn man gleichwohl heute rückschauend sagen kann, dass namentlich die engl. Konvertierungen und die Konvertierungen bei uns aus der Mitte der 90er Jahre mit zu der heutigen Unbeliebtheit von englischen und preussischen Konsols und deutschen Reichsanleihen beigetragen haben, so wird man doch Konvertierungen nicht allgemein verdammen und namentlich den Männern, die jene Konversionen durchgesetzt haben (Goschen, Miquel), nur in sehr eingeschränktem Masse Vorwürfe aus ihrem Vorgehen machen dürfen.

Wenn man über unsere Konvertierungspolitik der 90er Jahre klagen hört, kehrt häufig die Behauptung wieder, es sei damals eine Konvertierung der 4% Schuldtitel in 3%ige erfolgt. Oder es wird unter Berufung auf jene Konvertierung dargelegt, welche Verluste an den 3% Papieren, soweit sie Mitte der 90er Jahre gekauft seien, entstanden seien. Damit vermengt man zwei durchaus nicht gleich zu bewertende Tatsachen miteinander: Die Konvertierung der 4% Anleihen in 3½%ige und den Übergang zu dem neuen 3% Typ im Anfang der 90er Jahre.

In Wirklichkeit wird man sagen müssen, dass der Übergang zum 3% Typ im Jahre 1890 ein weit grösserer Fehler der Miquelschen Finanzpolitik war, als die Konvertierung Mitte der 90er Jahre der 4 in 3½%ige.

Die Aussicht auf Kursgewinne bei Veräusserung niedrig verzinslicher Papiere zu steigenden Preisen ist es hauptsächlich, welche den niedrig verzinslichen Typ für das anlagesuchende Publikum begehrenswert erscheinen lässt, und die sogar dazu führt, dass sich die Käufer dieser Anleihen meist mit einem niedrigeren Realzins begnügen als die Käufer höher verzinslicher Anleihen. Infolgedessen hatte sich die Spekulation in starkem Masse der 1890 eingeführten 3% Titres bemächtigt und zwar nicht nur die inländische, sondern, nachdem von Miquel die Zulassung der 3% Reichsanleihe an der Londoner Börse durchgesetzt war, auch die ausländische Spekulation, so dass gerade mit Hilfe dieser der Kurs der 3% deutschen Papiere in wenigen Jahren bis auf Pari getrieben werden konnte. Als sich dann Ende der 90er Jahre die Marktverhältnisse änderten, erwiesen sich die 3% Anleihen als am wenigsten widerstandsfähig und hatten den relativ stärksten Rückgang zu verzeichnen. Während in dem Zeitraum 1895 bis 1910 der höchste Kurs der 3% Reichsanleihe 100,30, der niedrigste 81,20 war, was eine Differenz von 19,10% bedeutete, betrug der höchste Kurs der 3½% im gleichen Zeitraum 105,70, der niedrigste 90,90, was nur eine Differenz von 14,80% ausmachte. Und dabei kann man annehmen, dass die Kursgestaltung der 3% Rente die Kurse der 3½% Titel nach oben wie nach unten noch mit fortgerissen hat, sodass, wenn ein 3% Typ überhaupt nicht bestanden hätte, die Spannung der höchsten und niedrigsten Kurse der 3½%igen wohl noch eine geringere als 14,80% gewesen sein würde. Die Vermeidung des 3% Typs würde also das gesamte Bild der Kursentwickelung unserer Staatsanleihen in wesentlich besserem Lichte haben erscheinen lassen.

4. Wirtschaftliche und steuerliche Vorteile für den Staatsgläubiger.

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Staatspapiere sind wie andere Wertpapiere eine Ware, für deren Preisbildung Angebot und Nachfrage entscheidend sind. Deshalb stehen die Staatspapiere derjenigen Staaten, welche die Nachfrage nach ihren Anleihen durch Zusicherung steuerlicher und wirtschaftlicher Vorteile für den Rentenbesitzer verstärkt haben, besser da, als die Staatswerte anderer Länder, in denen dies nicht oder nur in geringerem Masse je geschehen ist. Zu letzteren gehört vor allem Deutschland.

In steuerlicher Beziehung ist die wirksamste Bevorzugung die Befreiung von der Einkommensteuer. Man findet sie aber nur in Ländern mit sog. speziellen Einkommen(Kapitalrenten)steuern, wie in Frankreich und Italien, dagegen nicht in Ländern mit allgemeiner Einkommenbesteuerung, wie in den deutschen Bundesstaaten, weil die Steuerbefreiung schon aus steuertechnischen Gründen kaum durchführbar wäre. Bei indirekten Steuern (Stempelsteuern) werden die Staatswerte fast in allen Staaten (auch bei uns) bevorzugt.

[166] Es ist klar, dass durch ihre Steuerfreiheit die französische und italienische Rente gegenüber anderen einheimischen festverzinslichen Werten einen so erheblichen Vorsprung haben, dass er deutlich im Kurse zum Ausdruck kommen muss.

Einen wirtschaftlichen Vorteil haben alle Staaten ihren Staatsfonds durch Beilegung des Charakters der sog. Mündelsicherheit geschaffen. In neuerer Zeit ist dieser Vorteil freilich vielfach auch den Schuldobligationen anderer öffentlicher Körperschaften zuteil geworden. Die weiteste Ausdehnung des Kreises der mündelsicheren Werte hat in England durch Aufnahme der Kolonialwerte in die Liste der Trustee securities stattgefunden, und ohne Zweifel hat diese Massnahme ganz besonders mit zu dem ausserordentlich starken Kursrückgange in jenem Lande beigetragen.

5. Zwangsanlagen.

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Die Staaten haben sich, um die Unterbringung ihrer Staatsschuldscheine zu fördern, nicht darauf beschränkt, ihren Gläubigern besondere steuerliche und wirtschaftliche Vorteile zuzusichern. Auch vor einem direkten Zwange gewisser Institute und Gesellschaften zum Ankauf von Staatspapieren ist man nicht zurückgeschreckt. Dies ist namentlich der Fall gewesen in Frankreich, England, Ver. Staaten und Italien, erst neuerdings auch in Deutschland.

In der Tat kann die Schaffung einer ständigen Nachfrage nach Staatspapieren seitens der genannten Institute und Gesellschaften gewisse Kursbesserungen und eine Kursstabilisierung zur Folge haben.

a) Öffentliche Sparkassen.

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In England wie in Frankreich und Italien müssen die sämtlichen Einlageüberschüsse oder doch der weitaus grösste Teil derselben und das Vermögen der Sparkassen in Staatspapieren angelegt werden. Eine solche Bestimmung in Deutschland durchzuführen, würde schon deshalb nicht angängig sein, weil sich hier das Sparkassenwesen ganz anders entwickelt hat, wie in jenen Ländern. Dort ist letzten Endes der Staat derjenige, welcher den Einlegern einen gewissen Zins garantiert und daher auch die Auswahl der Anlagewerte bestimmen kann. Entstehen dabei Verluste, so muss er konsequenterweise zu deren Deckung mit eigenen Mitteln einspringen und hat dies auch getan. Bei uns sind es dagegen Gemeinden und weitere Kommunalverbände, welche etwaige Verluste zu tragen haben. Diese Verbände würden sich nur an den Einlegern durch Verringerung der ihnen zugesicherten Zinsquoten schadlos halten können oder die ihnen aus den Sparkassenüberschüssen zufallenden Gelder vermindert sehen. Von einer Zwangsanlageverpflichtung in dem Umfange wie in E. und F. kann schon aus diesem Grunde nicht die Rede sein. Es kommt hinzu, dass nach der ganzen historischen Entwickelung unseres Sparkassenwesens der Hypothekenmarkt auf die Unterstützung durch Sparkassengelder in einer Weise angewiesen ist, dass eine völlige Entziehung derselben die grössten wirtschaftlichen Schäden hervorrufen könnte. Ähnliches gilt für Österreich.

Auf der anderen Seite lässt sich ein in mässigen Grenzen gehaltener Zwang für die Sparkassen, einen Teil ihrer Gelder dem Staatspapiermarkte zuzuführen, ganz abgesehen von den Rücksichten auf den Staatskredit, schon durch die heute zweifellos nicht genügende Liquidität unserer Sparkassen rechtfertigen. (Näheres in unserer Sonderbroschüre S. 15 ff.)

In Preussen hat man daher neuerdings – nach einem vergeblichen Versuche im Jahre 1906 – durch Ges. vom 23. Dez. 1012 (G.-S. 1913 S. 3.) bestimmt, dass die kleineren Sparkassen (bis 5 Mill. Einlagen) 15%, die mittleren (bis 10 Mill. Einl.) 20%, die übrigen 25% des Vermögens in mündelsicheren Inhaberobligationen und davon 3/5 in Schuldverschreibungen des Deutschen Reichs oder Preussens anzulegen haben. Die Anlage erfolgt aber erst allmählich (§ 3 a. a. O.).

b) Pensions-, Öffentliche Versicherungsanstalten usw.

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In Preussen und im Reiche hat man den Gedanken der Schaffung von Zwangsanlagen noch in anderer Richtung verfolgt. Infolge einer Resolution des Hauses der Abgeordneten vom 10. Juni 1910 (Sten.-Ber. Sp. 6943) hat der Minister der öffentlichen Arbeiten angeordnet, dass [167] die Pensionskasse für die Arbeiter der Eisenbahnverwaltung, welche Ende 1908 ein Vermögen von 136 Millionen Mark angesammelt hatte, stets ein Viertel desselben in Reichs- und Staatsanleihen anzulegen hat. Entsprechende Verpflichtungen sollen den Kleinbahnen- und Privateisenbahngesellschaften für bestimmte Fonds auferlegt werden. Bei der durch die Ostpreussische Landschaft gegründeten Lebensversicherungsanstalt hat man ähnliche Vorschriften in das Statut aufgenommen. In der Reichsversicherungsordnung vom 19. 7. 1911 R.G.Bl. S. 509, § 718 ist ferner gesetzlich angeordnet, dass die Berufsgenossenschaft mindestens ¼ ihres Vermögens in Anleihen des Reiches oder der Bundesstaaten anlegen muss und ausserdem nicht mehr als die Hälfte in anderen als mündelsicheren und denen gleichgestellten Werten (§ 26) anlegen darf. Auch das Vermögen der Versicherungsanstalten für Privatangestellte und der sog. Ersatzkassen (§§ 226 u. 381 R. G. v. 20. 12. 1911 RGBl. S. 909) ist zu ¼ in Reichs- und Staatsanleihen anzulegen. Ebenso bestimmt das Preussische Gesetz über die öffentlichen Feuerversicherungsanstalten vom 25. Juli 1910 (G. S. S. 241) in § 19, dass die Anstalten ihr Vermögen mindestens zu ¼ in Anleihen des Reiches oder des Preussischen Staates anlegen müssen und bis zur Erreichung dieses Besitzstandes ein Drittel ihres jährlichen Vermögenszuwachses in derartigen Werten anzulegen haben.

c) Kreditgenossenschaften und Banken.

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Auch für Kreditgenossenschaften und Banken fordert man aus Gründen der Liquidität vielfach die Einführung eines gesetzlichen Zwanges zum Ankauf von Staatspapieren. Was die Kreditgenossenschaften anbelangt, so lässt deren Liquidität allerdings zu wünschen übrig. Wenn auch Ziele und Geschäftstätigkeit der Genossenschaften andere, den Banken mehr als den Sparkassen ähnelnde sind, wenn ferner bei den Genossenschaften durch die unbeschränkte Haftung der Mitglieder, in dem Rückhalt, den die Genossenschaften an den Zentralorganen, namentlich der Pr. Zentralgenossenschaftskasse u. der Bayerischen Zentraldarlehnskasse haben, und in der von diesen und den Revisionsverbänden geübten Aufsicht und Kontrolle ein gewisser Ersatz für die Liquidität der Bestände gefunden werden kann, muss doch eine Besserung des Deckungsverhältnisses der Passiven in Hinsicht ihrer Liquidität selbst auf Kosten der Erzielung höherer Gewinne nachdrücklichst angestrebt werden.

Neuere Vorschläge gehen dahin, die Grossbanken zu vermehrter Anlage von Staatspapieren zu zwingen oder gar besondere Depositenbanken zu gründen[2], die ihre Depositen hauptsächlich in Staatspapieren anlegen sollen. Nun ist es richtig, dass in England wie in Frankreich die grossen Banken verhältnismässig grössere Bestände in Staatspapieren angelegt haben, als bei uns. Und wenn bei der Deutschen Bank neuerdings der Staatspapierbesitz sehr erhöht worden ist, so ist das in verschiedener Hinsicht erfreulich. Man darf auch hoffen, dass die Einrichtung der Veröffentlichung von Zweimonatsbilanzen in der erweiterten Form die Banken veranlassen wird, grössere Bestände in Staatspapieren anzulegen. Aber die Verhältnisse all dieser reinen Erwerbsgesellschaften liegen doch von Land zu Land und selbst innerhalb des einzelnen Landes so verschieden, dass die Einführung von Zwangsvorschriften grosse wirtschaftliche Nachteile im Gefolge haben könnte.

d) Reservefonds der Aktiengesellschaften.

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Die Forderung, die Aktiengesellschaften zur Anlegung des gesetzlichen Reservefonds (§ 262 H. G. B.) oder doch wenigstens der Hälfte desselben in Staatspapieren zu zwingen, wird meist mit Bezugnahme auf zahlungsunfähig gewordene Betriebe (z. B. Leipziger, Niederdeutsche Bank) begründet, wo die Depositengläubiger eine bessere Befriedigung erhalten haben würden, wenn die Reserven anstatt in sonstigen Aktiven in Staatspapieren angelegt gewesen wären. Das mag richtig sein. Aber mit solchen Beispielen lassen sich wirtschaftlich so einschneidende Massnahmen, wie die hier in Frage kommende, nicht rechtfertigen. Der Zweck der Bestimmung des gesetzlichen Reservefonds ist, die wirtschaftliche Kraft der Unternehmungen [168] durch Gewinnrücklagen zu stärken, um denselben auch in schweren und Verlustzeiten einen festen Rückhalt zu verleihen. Daraus allein lässt sich die Notwendigkeit absolutester Liquidität für diesen Reservefonds, die natürlich auf Kosten seiner Ertragsfähigkeit gehen müsste, offenbar noch nicht ableiten. Denn Verluste brauchen in einem Geschäfte nur ausnahmsweise in bar beglichen zu werden, in der Regel geschieht dies durch Abschreibungen, d. h. Verminderung des Wertansatzes der Aktiven. Wünschenswert wird die Anlage eines grösseren Teiles der Reservefonds unserer Aktiengesellschaften insbesondere auch der Grossbanken immer bleiben, und namentlich die Aktionäre und Aufsichtsräte sollten in dieser Richtung ihren Einfluss geltend machen, aber schematischer Zwang ist zu widerraten.

6. Tilgung und Tilgungsformen.

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Nicht minder wichtig, als die vorgedachten Massnahmen, ist die Herbeiführung einer Nachfrage im richtigen Augenblick, d. h. dann, wenn, wie das gerade bei uns öfters vorzukommen pflegt, schon verhältnismässig kleine Beträge oder auf vorübergehenden Zufälligkeiten beruhende Verkäufe wegen Mangels an Käufern den Kurs erheblich gefährden können.

Mit zu diesem Zwecke ist bekanntlich das Grundkapital der Seehandlung vor einigen Jahren von 33 auf 100 Mill. Mk. erhöht worden, und es haben mehrfach Interventionskäufe nicht ohne Erfolg stattgefunden. Der Jahresumsatz in Reichs- und Staatsanleihen beläuft sich auf etwa 1 Milliarde Mk. In 1908 hat die Seehandlung 176, 1909 197, 1910 78, 1911 54 und 1912 71 Millionen Mark zurückgekauft.

Neuerdings hat man vielfach die langjährige Übung der Preussischen und Reichsregierung, die Tilgungssummen zur Verrechnung auf bewilligte Kredite, statt zum Ankauf von Staatspapieren und damit zur Steigerung der ständigen Nachfrage nach solchen zu verwenden, nicht ganz ohne Grund angefochten. Doch wird die Wirkung derartiger Massnahmen etwas überschätzt. (Näheres in der Sonderbroschüre S. 23 ff.)

7. Schuldvermehrung.

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Eine starke Vermehrung der Staatsschuld, also ein starkes Angebot von Staatspapieren für längere Zeit muss kursdrückend wirken. Bei über 20 Milliarden Mk. Reichs- und Staatsschulden in Deutschland werden natürlich einige 100 Millionen Mark Neuemissionen eine solche Wirkung noch nicht haben. Aber wenn, wie es bei uns in dem letzten Dezennium der Fall war, Reich und Staaten alljährlich mit vielen Hunderten Millionen, stellenweise sogar mit die Milliarde überschreitenden Neuemissionen an den Markt kommen, so muss die Klassierung erschwert, der Kurs gedrückt werden. Selbst für ein so reiches Land wie England hat die plötzliche Neuemission innerhalb weniger Jahre von 3½ Milliarden Mark aus Anlass des Burenkrieges dem Markte erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Auch in Frankreich sind die Neuemissionen anlässlich des Ankaufs der Westbahn nicht spurlos an dem Kursstande der Rente vorübergegangen.

Ausser in Deutschland hat auch in Österreich-Ungarn die grosse Schuldenvermehrung des letzten Jahrzehntes zweifelsohne die Rentenkurse besonders ungünstig beeinflusst.

Dass man bei uns neuerdings, namentlich im Reiche ernstlich bestrebt ist, ein langsameres Tempo in der Schuldenvermehrung eintreten zu lassen, verdient daher vollste Anerkennung. In Preussen ist es namentlich der weitere Ausbau des Eisenbahnnetzes, der fortwährende Neuemissionen nötig machte.

8. Konkurrenz einheimischer, festverzinslicher Werte.

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Eine starke Beeinflussung des Anlagemarktes der Staatspapiere kann auch durch Vorgänge auf dem Markte anderer sicherer, niedrigverzinslicher inländischer Werte, wie auf dem Pfandbrief-, dem städtischen Anleihemarkt usw. stattfinden. Ein starkes Angebot auf diesen Märkten, wie auch eine starke Nachfrage, wenn letztere auf Kosten der Nachfrage nach Staatspapieren erfolgt, kann den Kurs der letzteren nachteilig beeinflussen.

In Deutschland ist es namentlich die mit dem guten Grundbuch- und Hypothekenrechte zusammenhängende Mobilisierung des Grundbesitzes, welche durch starke Hypothekenbelastung [169] und grosse Pfandbriefemissionen von Jahr zu Jahr den staatlichen Schuldpapieren sehr erhebliche Konkurrenz bereitet.

Vor allem kommen die „öffentlichen Kredite“ der Landschaften, Landeskreditinstitute, Rentenbanken usw. als Konkurrenzpapiere in Betracht, weil diesen Papieren wie den Staatspapieren das Recht der Mündelsicherheit eingeräumt ist.

Von den privaten Hypothekenbanken sind nur etwa 4 Milliarden Pfandbriefe (der süddeutschen Staaten) mit dem Rechte der Mündelsicherheit begabt. Aber auch die nicht mündelsicheren Pfandbriefe (etwa 5–6 Milliarden) machen, namentlich infolge der grossen Pflege, welche die Hypothekenbanken ihren Pfandbriefen angedeihen lassen, den Staatspapieren recht erhebliche Konkurrenz.

Endlich sind noch alle diejenigen Hypothekenanlagen als Konkurrenten der Staatspapiere zu nennen, die nicht von Hypotheken- pp. Instituten und von Sparkassen, sondern von Privaten, Mündelgeldverwaltern, Stiftungen pp. direkt gewährt werden, deren Summe schwer festzustellen ist, die man aber nach den Eberstadt’schen Schätzungen von 1901 (der deutsche Kapitalmarkt S. 231) verbunden mit der seitherigen Zunahme, wie sie amtliche Statistiken aufweisen, gegenwärtig auf etwa 40–45 Milliarden Mark schätzen kann.

Neben Pfandbriefen und Hypotheken sind es namentlich die kommunalen Inhaberpapiere, deren Beträge in Deutschland absolut und relativ in fortwährendem Wachsen begriffen sind und welche den Staatspapieren immer ernstere Konkurrenz machen.

Man wird die zunehmende Verschuldung unserer Gemeinden, namentlich unserer grossen Städte, nicht in Grund und Boden verdammen dürfen. Die grossen Aufgaben, die diesen Körperschaften aus der oft rapide steigenden Bevölkerungszahl, der enormen Entwickelung des wirtschaftlichen und Verkehrslebens, den Anforderungen der Hygiene, Volkswohlfahrt und Sozialpolitik erwachsen, sämtlich aus laufenden Mitteln zu bestreiten, würde eine unlösbare Aufgabe sein. Aber auch hier gilt es, das richtige Augenmass nicht zu verlieren.

Bei unserer gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Lage wird man zwar von einer Überverschuldung der Gemeinden nicht sprechen können, zumal etwa die Hälfte der kommunalen Schulden für rentable, Überschüsse abwerfende Gemeindezwecke gemacht sind (1908 entfielen bei den preussischen Städten mit mehr als 25 000 Einwohnern 52,7% der Schulden auf gewerbl. Unternehmungen) und viele Gemeinden über erhebliches Gemeindevermögen verfügen. Zeiten rückläufiger Konjunktur und politischer Krisen, die nicht ausbleiben dürften, werden aber kommenden Generationen die gewaltige Gemeindeschuldenlast vielleicht weit drückender fühlbar werden lassen, als dies die schuldenbewilligenden Stadtväter sich heute träumen lassen. Das Recht der staatlichen Aufsichtsbehörde, findet leider Schranken in dem städtischen Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrecht, die nicht so leicht zu überwinden sind, wie dies der Theoretiker oft glaubt und der Praktiker wünschen möchte. Wie in Reich und Staat, so müssen auch in den Gemeinden vor allem die Vertreter der Steuerzahler sich mehr bewusst bleiben, dass Ausgaben leichter bewilligt als gedeckt sind, dass die Gemeinwirtschaft nicht Selbstzweck ist und dass sie nicht auf Kosten der Einzelwirtschaften zu sehr aus dem Vollen leben darf.

Eine in neuerer Zeit immer mehr hervortretende Erscheinung auf dem Kapitalmarkte der festverzinslichen Papiere in England und Deutschland ist endlich die Zunahme der Industrieobligationen. Sie werden bei uns auf bereits 3–4 Milliarden M. geschätzt, nach neuerer amtlicher Statistik kommen 3,9 Milliarden M. in Frage, wobei allerdings auch die Obligationen anderer als industrieller Erwerbsgesellschaften oder Privatbetriebe miteingerechnet sind. Für eine Einschränkung der Industrieobligationen bringt man namentlich die Einholung staatlicher Genehmigung und ferner eine besondere Couponsteuer (1–1½%) in Vorschlag, Vorschläge, die aber nicht empfohlen werden können.

Insgesamt stellt sich die Höhe der öffentlichen Kredite in Deutschland gegenwärtig auf 37–38 Milliarden Mk. und die Summe der festverzinslichen Obligationenschuld (öffentl. wie privater Schuldner) auf nicht weniger wie 47–48 Milliarden Mk.

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9. Konkurrenz ausländischer Werte.

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Der neueren Entwickelung auf dem Effektenmärkte charakteristisch ist die Konkurrenz, welche dem inländischen Kapitalmärkte und vor allem dem Markt der festverzinslichen Werte durch ausländische Werte, Staatspapiere und sonstige Obligationen gemacht wird.

In Deutschland sind aus dem Nachbarstaat Russland grosse Posten an Staatswerten und staatlich garantierten Eisenbahnobligationen, ferner erhebliche Summen amerikanischer Eisenbahnfonds, endlich viele Goldminen- und Diamantminenshares, Gummiwerte pp. untergebracht. Immerhin halten sich die Jahresemissionen ausländischer Werte an der Berliner Börse durchschnittlich erst auf der Höhe einiger hundert Millionen Mark. In Frankreich und England dagegen spielt die Anlage ausländischer Werte eine von Jahr zu Jahr steigende und manchen der dortigen Patrioten beängstigende Rolle. Sie machen dort jährlich je 2–4 Milliarden M. aus.

Wir begnügen uns an dieser Stelle damit, diese Konkurrenz der ausländischen Werte für unsere Staatsanleihen zu konstatieren. Die Frage der Zulässigkeit und Bedeutung der Anlage von einheimischen Kapitalien in ausländischen Werten zu erörtern, erscheint uns hier nicht der Ort. Die Frage kann nicht allein oder auch nur vorwiegend unter dem Gesichtspunkte der Stellung des Staatskredits beurteilt, sondern muss vor allem unter allgemein volks- und weltwirtschaftlichen, wie politischen Gesichtspunkten betrachtet werden.

10. Einfluss der intensiven Wirtschaftsentwickelung.

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Haben wir in Vorstehendem eine ganze Reihe von Ursachen kennen gelernt, welche zu dem Kursrückgange unserer Staatspapiere mehr oder weniger beigetragen haben, so sind sie doch alle nicht ausreichend, einen so grossen Kurssturz herbeizuführen, wie wir ihn tatsächlich seit 1½ Dezennien erlebt haben. Es muss neben ihnen ein bisher noch nicht berührter Faktor mitgewirkt haben, der um so mehr als die weitaus wichtigste Ursache anzusehen ist, als er selbst wieder mehrere der schon genannten Ursachen seinerseits erst hervorgerufen oder doch wenigstens stark befördert hat. Das ist der starke wirtschaftliche Aufschwung, welchen National- wie Weltwirtschaft in dem in Rede stehenden Zeitraum genommen haben. Die Tatsache dieses Aufschwungs selbst hier näher zu erweisen, wird entbehrlich sein. Dass sie aber auf die Entwickelung der Staatspapierkurse und in den grossen Kulturstaaten, welche am stärksten an diesem Wirtschaftsaufschwung beteiligt waren und die zugleich ihren Staatsanleihebedarf am eigenen Markte decken, besonders nachteilig wirken musste, und gewirkt hat, lässt sich ebenso a priori wie a posteriori beweisen.

Zunächst ist klar, dass bei den starken wirtschaftlichen und technischen Fortschritten von Handel, Industrie und Landwirtschaft enorme, zum grossen Teil dem Markte der sicheren Anlagen entgehende oder ihm entnommene Kapitalien zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs, wie vielfach auch zu Neu-, Vergrösserungs-, Erweiterungsanlagen erforderlich wurden. Dieser Mehrbedarf äusserte sich zum Teil in der Vermehrung von Wertpapieren, von Aktien und Dividendenwerten, sowie von Industrieobligationen. Die zahllosen privaten Einzelbetriebe hielten aber natürlich ebenfalls viele ersparte Kapitalien für sich zurück, die in wirtschaftlich stilleren Zeiten ganz oder zum Teil an den Staatspapiermarkt geflossen sein würden. Denn eine volle wirtschaftliche Hochkonjunktur macht sich schliesslich in dem Betriebe des kleinsten Krämers bemerkbar. Dass die steigende Gewinnquote das anlagesuchende Publikum zum Teil dem Markte der niedrig, aber fest verzinslichen Werte entfremdete und demjenigen der industriellen und Dividendenwerte zuführen musste, liegt hiernach auf der Hand. Dazu kommt, dass gute Dividendenpolitik, grosse Rücklagen usw. es grossen Werken und Banken vielfach ermöglicht haben, eine solche Stetigkeit in ihre Dividendenverteilungen zu bringen und dem Publikum die Überzeugung von einer solchen Sicherheit und Gefestigtheit ihrer Unternehmungen einzuflössen, dass auch der Vorzug der Festigkeit und Gleichmässigkeit der Verzinsung der Staatswerte jenen Werten gegenüber an Zugkraft einbüssen musste. Auch bei anderen Dividendenwerten liess der mit geringen Unterbrechungen fortdauernde wirtschaftliche Aufschwung den Gedanken der Notwendigkeit einer angemessenen [171] Risikoprämie bei Dividendenwerten immer mehr zurücktreten, bezw. in den hohen Dividenden einen genügenden Risikoersatz finden. So wurden die festverzinslichen Werte immer mehr durch die Dividendenwerte verdrängt.

Auch in sekundärer Weise muss eine wirtschaftliche Hochkonjunktur die Staatspapierkurse nachteilig beeinflussen.

Die mit wirtschaftlicher Hochkonjunktur meist Hand in Hand gehende stärkere Bevölkerungszunahme, die Steigerung des gesamten Staats- und Gemeindebedarfs, die zunehmende Bautätigkeit und damit Belebung und Inanspruchnahme des Hypotheken- und Pfandbriefmarktes, die mit der gesteigerten Weltwirtschaftskonjunktur in engstem Zusammenhange stehende Steigerung des Anleihebedarfs der produzierenden, am Weltmarkt von Jahr zu Jahr mehr beteiligten auswärtigen Länder, all diese Folgen und Begleiterscheinungen einer Hochkonjunktur zeigen deutlich an, dass dieselbe in letzter Linie auch für mehrere der schon behandelten Vorgänge und Ursachen (Nr. 7 und 9) zum grossen Teile mit verantwortlich zu machen ist.

Als weitere indirekte Folge der wirtschaftlichen Hochkonjunkturperiode ist die Steigerung der Lebens- und Genussmittelpreise und vieler Gebrauchswaren anzusehen, die in manchen Ländern noch durch erhöhte Schutzzölle weitere Steigerungstendenz erfuhren. Dies hat die allgemeine Lebenshaltung sehr verteuert, und die Bevölkerungskreise, welche für ihre Lebensführung ganz oder teilweise auf Zinserträge angewiesen sind, haben stellenweise geradezu gezwungenermassen den ertragreicheren, wenn auch weniger sicheren vor den sicheren aber niedrigverzinslichen Werten den Vorzug gegeben.

Auch a posteriori, in induktiver Weise lässt sich nachweisen, dass die intensive Wirtschaftstätigkeit der weitaus wichtigste Grund für den Kursrückgang unserer, der englischen pp. Staatspapiere, ja der fest, aber niedrig verzinslichen Werte überhaupt gewesen ist.

Vergleicht man nämlich (wie es in unserer Sonderbroschüre unter Beifügung von mehreren Diagrammen geschehen ist) die Entwicklungslinien der Jahresemissionen, des Aussenhandels und des Bankdiskonts, die für das Auf und Ab des Wirtschaftslebens eine Art Thermometer bilden, mit dem Verlauf der Kurse der Staatspapiere, so tritt der Zusammenhang der Kursentwickelung mit der Wirtschaftskonjunktur in auffälligste Weise zutage.

B. Beurteilung der Bedeutung der Kursrückgänge vom Standpunkt des kreditsuchenden Staates und der Staatsgläubiger.

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Mit den vorangeführten Ursachen ist die Aufzählung aller Gründe, welche einen Kursrückgang der Staatsfonds herbeigeführt haben oder herbeiführen können, natürlich nicht erschöpft. Von Kursstürzen im Kriegsfälle ist ganz abgesehen worden. Aber auch Kriegsbefürchtungen (Marokkowirren, Balkankriege) können den Rentenkurs stark beeinflussen. Ebenso können Positionslösungen infolge grosser Bankbrüche (Birkbeckbank) oder von Ultimo- und Quartalsliquidationen, wie wir es im September 1911 und 1912 in ziemlich augenfälliger Weise an unseren und anderen Börsen beobachten konnten, eine herabdrückende Wirkung haben. Hier pflegt es sich aber stets mehr um Ursachen vorübergehender Natur zu handeln.

Dagegen dürften die nachhaltigeren und ständigen Ursachen des Kursrückganges unserer Reichs- und Staatsanleihen und zugleich das Mass ihrer Stärke und Bedeutung in Vorstehendem vollständig dargelegt sein. Nach ihrem Ergebnis können wir die vielfach aufgeworfene Frage: ob der Staatskredit in den letzten anderthalb Dezennien bei uns in seinem Innersten gelitten habe, und ob etwa aus dem starken Rückgange der Kurse der Staatspapiere die Besorgnis hergeleitet werden könne, wir möchten nicht in der Lage sein, im Falle der Not und bei kriegerischen Verwickelungen uns die erforderlichen Anleihemittel zu beschaffen, nur glatt verneinen. Denn keine der behandelten Ursachen hat irgend etwas mit verminderter Bewertung unserer staatlichen Kreditfähigkeit zu tun.

In der Tat wird – abgesehen von Kriegszeiten – sowohl bei uns wie in England, Österreich oder Frankreich selten jemand aus Zweifeln an der Sicherheit des Staatskredits sich seines [172] Besitzes an Staatspapieren entledigt haben. Ein vernünftiger Grund für solche Befürchtungen wäre auch schlechterdings nicht zu finden. Der Wohlstand sowie die Steuerkraft haben bei uns wie in England und übrigens auch in Frankreich und Österreich gerade während des Rückganges der Rentenkurse ganz ausserordentlich zugenommen, und wir sahen bereits („Öffentliche Kredite“), dass es gerade die Steuerkraft der Bevölkerung ist, welche in letzter Linie über die Stärke und Sicherheit des Staatskredits entscheidet.

Waren die deutschen Regierungen gezwungen, in neuerer Zeit von 3 und 3½% Nominalzins wieder zum 4%igen Typ hinaufzugehen, so ist das im wesentlichen eine Folge des infolge der steigenden Wirtschaftskonjunktur gestiegenen Kapitalgebrauchswertes überhaupt. Diese Tatsache ist aber so wenig ein Zeichen für Minderung des Staatskredits, so wenig man von einer Minderung des Kredits einer Bank sprechen wird, wenn sie bei steigenden Geldbedürfnissen des Marktes oder vermehrter Geldknappheit den Zins für ihre Depositeneinlagen erhöhen muss.

Wir haben aber den Rückgang der Rentenkurse nicht allein vom Standpunkte des kreditbedürftigen Staats, sondern auch von dem seiner Gläubiger, des anlagesuchenden Publikums, zu betrachten. Den grossen Verlusten derer, die ihre Kapitalien in Staatsfonds angelegt haben und durch die Kursrückgänge erhebliche Summen eingebüsst haben, seien es nun einzelne Private, öffentliche Institute oder Gesellschaften, kann und darf der Staat, auch abgesehen von dem eigenen finanzieller Interesse, schon aus ethischen und moralischen Gründen nicht teilnahmslos gegenüberstehen. Wenn man neuerdings einerseits den Realzins des Staates mit dem anderer festverzinslicher Werte im Lande verglichen und dabei festgestellt hat, dass der Kurs der Staatspapiere immer noch um 1 bis 2% denjenigen dieser anderen Werte übertrifft, oder wenn man den Realzins unserer Staatspapiere mit demjenigen Frankreichs und Englands vergleicht und konstatiert, dass bei unserm verhältnismässig weit höheren kurzfristigen Leihzins der Realzins unserer Staatspapiere gegenüber jenen Ländern noch verhältnismässig hoch zu nennen sei, und wenn man aus diesen Vordersätzen ableiten will, dass Regierungs-Massnahmen zur Hebung der Rentenkurse im Grunde überflüssig, nutzlos und fast unberechtigt seien, so kann dem keineswegs beigestimmt werden. So gut wie Frankreich und Italien durch steuerliche und sonstige Massnahmen erreicht haben, dass die Kurse ihrer Staatswerte mehrfach weit grössere Spannungen gegenüber andern erstklassigen festverzinslichen Werten aufweisen, als 1 bis 2%, wie gegenwärtig bei uns, muss es auch bei uns das Ziel der Regierung bleiben, das bestehende Spannungsverhältnis zugunsten der Staatspapiere zu verbessern.

Die Herbeiführung eines günstigen Kursstandes der Staatsanleihen auf jede nur irgend zulässige Weise zu fördern, wird auch in der Tat nicht nur bei uns, sondern anderwärts überall für ein eminentes Staatsinteresse angesehen. Die Reichsregierung wie die Bundesregierungen haben daher allen Anlass, nicht müde zu werden, kein geeignetes Mittel unversucht zu lassen, um eine Besserung und grössere Stabilität der Rentenkurse zu erzielen. Das ist der Staat nicht nur dem eigenen Kreditinteresse, sondern auch den Staatsgläubigern schuldig.

Man wird der Reichs- und preussischen Staatsregierung das Zugeständnis nicht vorenthalten können, dass sie nicht nur seit Jahr und Tag eifrig und unverdrossen an der Hebung der Staatsrentenkurse arbeitet und nichts unversucht lässt, was sie auf diesem Wege weiter bringen kann, sondern auch, dass sie sich in ihren gesetzgeberischen Massnahmen durchaus in angemessenen und massvollen Grenzen gehalten hat.




Die Lehren, welche die Staaten aus der Kursentwickelung ihrer Schuldpapiere in den letzten Dezennien zu entnehmen haben, müssen nach allein Vorgesagten dahin gehen, dass sie einmal ihre Zinspolitik zu verbessern haben, indem sie einerseits bei ihren Konvertierungen grössere Vorsicht walten lassen, andererseits nicht durch Wahl nominell zu niedriger Zinsfüsse ein zu grosses Spekulationsmoment in ihre Staatswerte bringen. Dass sie ferner [173] bei Neuemissionen den veränderten Marktverhältnissen durch schnellere Anpassung an den jeweiligen allgemeinen Zinsfuss Rechnung tragen, wobei die Politik der Pfandbriefinstitute ihnen vorbildlich sein kann. Sodann müssen sie in der Schuldenvermehrung grössere Zurückhaltung üben und müssen für eine fortdauernde angemessene Tilgung sorgen. Endlich müssen sie der Emissionstechnik, der Entwickelung des Marktes und seiner Pflege ihre dauernde und vollste Aufmerksamkeit widmen, dürfen den Markt nicht „sich selbst überlassen“, und müssen behufs Intervenierung mit Tilgungs- und sonstigen zur Verfügung stehenden Staatsgeldern rechtzeitig am Platze sein. Die Einführung gesetzlichen Zwanges zur Anlage gewisser Gelder und Vermögenswerte von Instituten und Gesellschaften, die ihre Mittel besonders liquide zu gestalten haben, dem Staate besondere Kosten für ihre Beaufsichtigung verursachen oder besondere Vorteile von ihm geniessen, ist ins Auge zu fassen, wird sich aber in Grenzen zu halten haben, welche nachhaltige allgemeinwirtschaftliche Schäden ausschliessen.

Den Staatsgläubigern müssen die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zum Bewusstsein gebracht haben, dass die Forderung unbeweglichen Zinsfusses und gleichzeitig stabiler Kurse eine unerfüllbare Utopie ist, und dass die grösste Sicherheit des Staatskredits die Kurssenkungen, welche die Erhöhung des allgemeinen Kapitalgebrauchswertes hervorruft, in Zeiten wirtschaftlicher Hochkonjunktur nicht verhindern kann. Wer in der ersten Hälfte der 90er Jahre, wo die Kurse der 3% und 3½% Staatspapiere im Laufe von 5 Jahren um 7 bezw. 14% gestiegen waren, wo die wirtschaftliche Unternehmungslust auf dem Nullpunkt stand, der Kapitalnutzungswert ein minimaler war und das Kapital, scheu geworden durch grosse wirtschaftliche Krisen und finanzielle Zusammenbrüche vieler Staaten, die Sicherheit von Kapital und Zins aufs höchste bewertete – wer damals Anleihen kaufte, in der Meinung, dass sich bei so geringer Verzinsung jene hohen Kurse dauernd halten dessen oder gar noch steigen würden, hat eben die Grundlagen der Preisbildung für Staatspapiere verkannt und kann hierfür nicht lediglich den Staat verantwortlich machen, selbst wenn die Staatsbehörden s. Zt. dem gleichen Irrtum unterlagen.

Die so gewonnene Erkenntnis muss zugleich den heutigen Rentenbesitzer und denjenigen, der einer Neuemission von Staatspapieren gegenübersteht, mit der Überzeugung erfüllen, dass mit rückläufiger Entwickelung der Wirtschaftskonjunktur und der allgemeinen Zinsverhältnisse, die sich nach Erfahrung und nach allgemeinen Wirtschaftsgesetzen immer mit Zeiten aufsteigender Tendenz ablösen werden, auch das Kursniveau der Staatspapiere wieder eine ansteigende Richtung nehmen wird. Mit dem Umschwung der Konjunktur, der in absehbarer Zeit eintreten muss, und mit den damit zumeist verbundenen wirtschaftlichen Zusammenbrüchen und oft auch finanziellen Schwierigkeiten kreditschwacher Staaten wird der Sicherheitsfaktor der Kapitalsanlagen wieder stärker in den Vordergrund treten. Dann werden auch den Staatswerten wieder zahlreiche Freunde und Käuferschichten zugeführt werden.





  1. S. hierzu meine ausführlichere, im gleichen Verlag erschienene Sonderbroschüre mit dem Titel „Die Kurse der deutschen Reichs- und Staatsanleihen“.
  2. S. hierüber auch O. Schwarz, Diskontpolitik, Leipzig 1911, S. 177 ff.