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Der Kurfürst und der Geldfürst

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Textdaten
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Autor: Luise Mühlbach
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Titel: Der Kurfürst und der Geldfürst
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[769]
Der Kurfürst und der Geldfürst.
Novelle von Louise Mühlbach.
1. Der Prinzenknabe und der Judenjunge.

„Jetzt sind wir fertig, nicht wahr? Jetzt kehren wir in das Hotel zurück, um unser Diner einzunehmen?“

„Nein, mein Prinz, noch nicht, wir haben noch nicht alle Sehenswürdigkeiten der herrlichen Reichsstadt Frankfurt in Augenschein genommen, und da wir gleich nach dem Diner wieder abreisen müssen, so ist es nothwendig, daß wir vorher mit Allem zu Ende kommen.“

„Aber was giebt es denn noch weiter zu sehen?“ fragte der Prinz seufzend. „Ich versichere Sie, Herr Hofmeister, ich werde die Hälfte von dem vergessen, was ich gesehen habe, denn es ist zu viel, und meine Frau Mutter wird sehr erzürnt sein, wenn ich nichts von alledem behalten habe, was Sie mich sehen lassen.“

„Sie müssen Ihr Gedächtniß fleißig üben, mein Prinz,“ sagte der Oberhofmeister Baron von Emptich mit ernster Stimme. „Ein gutes Gedächtniß ist eine große Eigenschaft, namentlich für einen Fürsten, und da das Schicksal Sie einmal dazu bestimmt hat, ein regierender Herr zu werden, so müssen Sie vor allen Dingen Ihr Gedächtniß üben. Ein Fürst darf nichts vergessen, er muß das Größte, wie das Kleinste in guter Erinnerung bewahren.“

„So, Herr Hofmeister?“ fragte der Knabe, indem er seine blauen Augen mit einem scharfen, spöttischen Blick auf das edle ruhige Antlitz seines Erziehers heftete. „Ein Fürst darf nichts vergessen? Und haben Sie mir nicht erst neulich gesagt, daß ein Fürst gar kein Gedächtniß haben darf für Beleidigungen, die seine Unterthanen ihm angethan haben, daß er großmüthig sein und sich niemals rächen, sondern das ihm angethane Unrecht immer vergessen müsse?“

„Ich sagte nicht vergessen, sondern verzeihen, Prinz,“ erwiderte der Baron lächelnd. „Aber ich sehe, Sie haben in der That ein gutes Gedächtniß, und so zweifle ich denn auch nicht daran, daß Sie Alles behalten werden, was wir hier in Frankfurt in Augenschein genommen, und daß Ihr erster Ausflug in die Welt für Sie von Nutzen sein wird.“

„Aber sagen Sie mir nur, Herr Baron,“ fragte der Prinz, „wohin führen Sie mich eigentlich, was sind das für enge, abscheuliche Gassen, die wir hier passiren? Sehen Sie nur, da ist ja gar ein großes eisernes Thor mitten in der Straße angebracht? Und wie entsetzlich sieht es jenseits dieses Thores aus! Wo sind wir denn, Herr Baron, und was kann es hier in diesen abscheulichen, engen Gassen Besonderes zu sehen geben?“

„Prinz, etwas sehr Besonderes: das menschliche Elend,“ sagte der Baron feierlich, und indem er neben dem eisernen Gitter stehen blieb, das mit zwei geöffneten Flügeln in dem grauen, verschmutzten Thorpfeiler hing, faßte er die Hand des Prinzen, und schaute mit ernsten, liebevollen Blicken in das verwunderte, neugierige Gesicht des Knaben.

„Prinz,“ sagte er, „Sie sollen an diesem Tage die zweite große Lehre empfangen. Sie haben im Kaisersaale vorher die erste empfangen. Sie haben auf dem Balcon gestanden, wo der Kaiser die höchste irdische Herrlichkeit ausstrahlt, wo er, über die ganze übrige Menschheit erhaben, von Niemandem Gesetze empfangend, als von Gott und seinem Gewissen, in seiner Kaiserpracht sich dem Volke zeigt und von ihm mit lautem Jauchzen begrüßt wird. Auf diesem Balcon stehend, und Ihnen die Herrlichkeit, Größe und Pracht eines deutschen Kaisers schildernd, sagte ich Ihnen, Sie möchten eingedenk bleiben, daß auch der Kaiser nur ein Mensch sei, ein irrender, fehlender, schwacher Mensch, trotz seines Purpurs und seiner Erdengröße. Jetzt, da wir hier vor diesen düstern Pforten stehen, welche den Eingang bilden zu dieser schmutzigen Gasse, mit den schwarzen, häßlichen Häusern, jetzt, da wir den Gegensatz des Römers sehen werden, jetzt sage ich Ihnen, Sie mögen eingedenk bleiben, daß auch der Bettler ein Mensch ist, und daß vor Gott der Aermste und Unglücklichste eben so viel ist, und eben so viel bedeutet, als der reichste Herr und der stolzeste Kaiser. Sie sollen jetzt den Ghetto, die alte demüthige Judengasse von Frankfurt sehen.“

„Die Judengasse!“ rief der Knabe, indem er entsetzt einen Schritt zurücktrat. „Aber ich mag das nicht sehen, Herr Hofmeister, und es ist auch gar nichts Merkwürdiges dabei zu sehen, wie die alten, häßlichen Schacherjuden in ihren schmutzigen Häusern wohnen. Ich kann die Juden nicht leiden, denn ich weiß es ja, daß sie Alle schlechte, erbärmliche Menschen sind, deren Berührung schon entehrt, und die darum auch nicht mit den Christen in denselben Gassen oder Häusern leben dürfen. Jeder Jude ist ein Bettler, ein Geizhals, ein Schacherer und ein Betrüger.“

„Prinz Wilhelm,“ sagte der Baron streng, „erinnern Sie sich, daß auch der Erlöser der Menschheit, daß auch Jesus Christus ein Jude war. Kommen Sie, Prinz, Sie sollen die Judenstadt sehen, und Sie sollen von diesem Anblick Erbarmen und Milde lernen, Sie sollen sehen, wie die Vorurtheile der Menschen einen ganzen Volksstamm dem Unglück, der Erniedrigung, der Schande preisgegeben haben. Kommen Sie!“

Er nahm die Hand des jungen Prinzen und überschritt mit ihm die eiserne, hohe Schwelle, welche quer über die Straße von einem Thorpfeiler zu dem andern hinlief.

In demselben Moment sprang hinter einem dieser Pfeiler [770] ein Knabe hervor, in zerrissenen, schmutzigen Gewändern, mit einem schwarzen Käppchen auf dem dicken lockigen Haar, und sich gerade vor die beiden Wanderer hinstellend, schaute er sie aus seinen kleinen, blitzenden, schwarzen Augen mit trotzigen, finstern Blicken an.

„Es ist nicht nöthig, daß Sie mit dem kleinen Mosje Prinzen daher kommen in die Judenstadt,“ sagte er in dem gemeinen, kaum verständlichen Jargon des Frankfurter Judendialekts. „Der kleine Knirps von Prinz hat genug gesehen, wenn er die Herrlichkeit vom Römer und der Kaisergeschicht’ gesehen hat, und da hat er sein Herz aufblähen und sich wünschen können, daß er auch dereinst ein großmächtiger Kaiser werden könnt’, da er doch schon ein Prinz ist. Aber die Herrlichkeit der Judenstadt, die braucht er gar nicht zu sehen, denn die Herrlichkeit des Unglücks, die versteht der junge Mosje doch nicht, und er kann doch nix davon lernen mit seinem dummen, hochmüthigen Fürstenherzen. Nennt uns hier an den Pforten unserer eigenen Residenz Bettler und Betrüger und ist doch von seinem Lehrmeister hierher gebracht, daß er von uns lernen soll. Hört nur Ihr Alle, hört, Baruch, Veilchen, Schmuel und Eva, hört nur, Adam und Rachel, Jakob und Abraham, Blümchen und Laban, hört nur, da ist ein kleines Herrchen, das uns Bettler und Betrüger nennt!“

Und wie er das mit schriller, erhobener Stimme rief, öffneten sich die niedrigen, schmutzigen Thüren der nächst belegenen Häuser, und eine ganze Schaar zerlumpter, schwarzäugiger, schwarzhaariger Kinder stürzte aus denselben hervor.

„Was hat er gesagt? Wie hat er uns geschumpfen, Mayer Anselm?“ fragten, kreischten und lachten sie untereinander, indem ihre funkelnden Augen sich auf den blonden, blauäugigen Knaben hefteten, der verlegen und furchtsam sich an die hohe Gestalt seines Lehrers anschmiegte.

„Er hat gesagt,“ schrie der Knabe, „wir Juden –“

Aber die Hand des prinzlichen Hofmeisters legte sich eben mit einer raschen Bewegung auf Mayer Anselm’s Schulter, und das Erstaunen darüber machte den Knaben verstummen.

„Was?“ fragte er, „Ihr scheut Euch nicht den schmutzigen Judenknaben zu berühren? Ihr legt Eure vornehme weiße Hand auf meine Schulter, und fürchtet nicht, daß Ihr davon den Aussatz bekommt?“

„Still, mein Sohn,“ sagte der prinzliche Hofmeister leise und eilig. „Laß jetzt das Lärmen und Schreien, denn sonst müssen wir sogleich wieder umkehren, und das wäre zu Eurem eigenen Schaden, weil wir alsdann kein Geschenk für Eure Armen und Kranken zurücklassen werden.“

„Herr Baron, ich werde schweigen,“ murmelte der Knabe, dessen erregtes Gesicht jetzt sofort einen demüthigen und unterwürfigen Ausdruck angenommen hatte.

„Du hast uns behorcht?“ fragte der Baron.

Der Knabe sah mit einem scharfen, trotzigen Blicke zu ihm empor. „Behorcht? Nein, aber ich habe gehört! Ich stand hinter dem Pfeiler, als Ihr Beide daher kamt, und da mußte ich wohl, ohne daß ich’s wollte, Eure klugen Reden und auch die dummen Reden des kleinen Prinzen da mit anhören. Aber sagt mir doch, Herr Baron, was für ein Prinz ist der kleine Mann? Auf welchem Stammbaum ist er gewachsen, und was für ein Stern ist vom Himmel gefallen, um sich als Gockelhahn ihm auf die Brust zu setzen und seine prinzliche Erhabenheit auszukikrikihen?“

„Du hast mir versprochen zu schweigen,“ sagte der Baron ernst. „Schweig also und laß uns vorüber gehen.“

Und indem er das sagte, nahm er aus seiner Börse ein Geldstück und drückte es dem Knaben in die Hand. Mayer Anselm zuckte zusammen, und eine Zorneswolke flog über die Stirn des keinen Mannes hin.

„Ich bin kein Bettler, Herr,“ schrie er, „ich habe Euch um kein Almosen gebeten, und für Nix nehm’ ich auch Nix nicht!“

So sprechend schleuderte er mit einer geringen Bewegung das Geldstück weit von sich auf die Straße, in dessen Schmutz es wie ein silberner Stern aufleuchtete. Die Kinder, die in dichtzusammengedrängter Gruppe die Fremden angestarrt hatten, stürzten jetzt mit lautem Geschrei nach dem Geldstück hin, und man sah jetzt nur einen verworrenen Knäuel von Armen, Beinen und Köpfen durch und über einander, man hörte nur noch lautes Geschrei, Schimpfreden und Drohungen. Jedes von den Kindern wollte das Geldstück haben, Jedes wollte es dem Andern abringen und sich zum alleinigen Besitzer desselben machen, und während die kleinen Mädchen sich zurückzogen, entstand eine erbitterte Schlägerei unter den Buben.

Dieser Anblick war für den kleinen Prinzen so interessant und belustigend, daß er darüber seine Beklommenheit vergaß und hinter seinem Erzieher hervortretend mit leuchtenden Augen und lachendem Munde auf die verworrene Gruppe hinschaute.

Der keine Mayer Auselm aber runzelte die Stirn, und das Lachen des Prinzen schien ihm weh zu tun. „Herr Baron,“ sagte er hastig, „Ew. Gnaden wollten ja dem Herrn Prinzen die Judenstadt zeigen. Wenn’s Ihnen recht ist, will ich Sie herum führen und Ihnen all die Herrlichkeit und Pracht unserer Stadt zeigen, denn unsere Herrlichkeit das ist unser Unglück, und unsere Pracht das ist unser Schmutz und unsere Armuth. Soll ich Ihnen das zeigen, gnädigster Herr Baron?“

„Ja, zeige uns das, sei unser Führer,“ sagte der Baron, indem er dem Prinzen seine Hand darreichte und sich anschickte, dem Knaben zu folgen, der jetzt mit gravitätischer Miene und ernster Haltung im vollen Gefühl seiner Würde als Cicerone vor ihnen herschritt.

Und durch schmutzige Gassen und düstere, traurige Winkel führte der Knabe die vornehmen Besucher der Judenstadt dahin. Hier und da blieb er vor irgend einem Hause stehen und erzählte ihnen mit herber Stimme, wie viele Menschen zusammengepfercht in dieser schmutzigen Höhle wohnten, wie viel Jammer und Elend beisammen sei in diesem Hause ohne Sonne und ohne Licht, dessen kleine niedrige Fenster mit verräuchertem Papier verklebt waren, aus dessen offener Pforte ein ekler Qualm und Dunst bis auf die Straße hervorquoll. Dann wieder erzählte er ihnen, wie hohe Abgaben die Juden an die Stadt Frankfurt entrichten müßten, trotz ihrer Armuth und Erniedrigung, wie jeder Vater das Leben seines Kindes selbst von der Stadt erkaufen und für jeden Kopf seiner Familie eine hohe Steuer zahlen müsse. Aber wie sie vor dem alten Tempel standen, dessen Wände so grau und düster und verdrossen aussahen, wie seine ganze Umgebung, da glänzten doch die Augen des jüdischen Knaben höher auf, und ein Ausdruck frommer Begeisterung überstrahlte sein kluges intelligentes Angesicht. Er kniete nieder auf der Schwelle des alten verwitterten Gebäudes und sprach ein leises inbrünstiges Gebet, dann sprang er rasch wieder empor und begann mit lauter freudiger Stimme zu erzählen von der Herrlichkeit und Pracht, die sich hinter diesen Mauern berge, von den schweren goldenen Leuchtern, die auf dem Altare aufgestellt seien, von den massiven goldenen Thüren, welche den Schrein des Allerheiligsten verschlössen, von dem Rebenschaft, der aus dem echten Tempel Salomonis in Jerusalem herstamme, aus diesem Tempel Salomonis, welcher prächtiger und herrlicher gewesen, als alle Paläste der Kaiser und Könige dieser Tage, und wie damals das Volk Juda das mächtigste und reichste Volk der Erde gewesen, das Volk, welches Gott vor allen andern geliebt habe. Und dann wieder mit klagender, seufzender Stimme, mit singendem Tone, als wär’s ein Schmerzenslied, das er ihnen singen wolle, schilderte er die jetzige Erniedrigung des Volkes Gottes, und wie es ausgestoßen sei in die Welt, wie es geknechtet und geschmäht umherirre unter den grausamen, hartherzigen Menschen, die Schmach und Schande auf dasselbe häuften und es verfolgten mit Schimpfreden und Verleumdungen.

Der kleine Prinz erröthete, als Mayer Anselm, die stechenden Blicke auf ihn geheftet, so klagte, der Baron aber schaute staunend und tief ergriffen auf den seltsamen Knaben hin.

„Du bist ja in der That ein außerordentlich gelehrter kleiner Mann,“ sagte er. „Woher weißt Du denn alle diese Dinge, mein Sohn?“

„Mein Vater hat sie mich gelehrt,“ sagte der Knabe. „Mein Vater war sehr gelehrt, obwohl er nur ein Schacherjude war, er wußte den Talmud und die Gesetzbücher auswendig, und in den langen Winterabenden, wo wir im Dunkeln saßen und hungerten, da hat er mir so viel herrliche Dinge erzählt, daß es hell ward in unserer finstern Kammer und daß ich nicht mehr hungerte.“

„Du sprichst von Deinem Vater, als wäre er nicht mehr bei Dir. Ist er todt?“

„Ja, Herr Baron, er ist todt,“ sagte der Knabe mit Thränen in den Augen. „Er ist todt, und meine Mutter wird ihm bald folgen, denn sie ist krank und elend. Der Arzt sagt, sie könnte vielleicht noch wieder besser werden, wenn sie hier aus der Sackgaß heraus und in bessere Gegend und Luft käme, wenn sie nach [771] Italien und an’s Meer gehen könnte. Aber wir sind arme, arme Leut’ und können nichts thun als sterben vor Elend. Und außerdem, wären wir selbst reich, so würde die Mutter, da sie den Tod in der Brust fühlt, doch die dunkle Sackgaß und die alte verfallene Hütte nicht verlassen! Sie will da sterben, wo der Vater gestorben ist.“

„Aber was willst Du anfangen, wenn Deine Mutter auch gestorben ist?“ fragte der Baron mitleidsvoll. „Was soll aus Dir werden, Du armer Junge?“

„Was aus mir werden soll?“ fragte der Knabe lachend. „Das will ich Ihnen schon sagen, Herr Baron, ein reicher Kaufmann soll aus mir werden!“

„Ein reicher Kaufmann? Wo willst Du denn Deine Reichthümer hernehmen? Wo stecken sie denn, Deine Schätze?“

„Hier stecken sie, Herr Baron,“ rief der Knabe lachend, „hier in meinem Kopf und hier in meinen zehn Fingern. Wissen’s denn nicht, Herr Baron, daß der Jud’ einen Zauber hat, der ihm in den Fingern steckt und der macht, daß, sowie er mit ernstem Willen die Hand ausstreckt, die Ducaten und die Gulden in allen Kisten und Kasten anfangen zu tanzen und an seine Finger springen?“

„Bist ein wunderlicher kleiner Mann,“ sagte der Baron lachend. „Wie alt bist Du denn?“

„Just zehn Jahre, Ew. Gnaden, denn ich bin im Jahre 1743 geboren.“

„Das ist ja mein Geburtsjahr!“ rief der Prinz lebhaft.

„Ich bitte um Vergebung, daß ich mich unterstanden habe, in demselben Jahre mit dem Mosje Prinzen geboren zu werden,“ sagte der kleine Mayer Anselm mit spöttischer Unterwürfigkeit. „Ich wollte, ich wäre siebzehnhundertdreiundvierzig Jahre früher geboren, denn dann wäre ich auch Prinz gewesen, da ich aus dem Stamme Levi bin, dem Stamme der Hohenpriester und großen Herren! Bitte nochmals um Vergebung, Mosje Prinz! Und hier sind wir wieder am Thor angelangt, und die Herrschaften haben jetzt Alles gesehen, was hier zu sehen ist, so werden Sie sich wohl beeilen, die schmutzige Judenstadt zu verlassen. Da schlägt es eben sechs Uhr! Das ist die Zeit, wo die Thore der Judenstadt geschlossen werden. Also beeilen Sie sich, meine vornehmen Herrschaften, beeilen Sie sich.“

„Schön, kleiner Anselm Mayer,“ sagte der Baron, nachdem er leise einige Minuten sich mit dem Prinzen besprochen hatte, „höre, was ich Dir im Namen Seiner Hoheit zu sagen habe. Du bist ein kluger, gewandter Knabe, und das gefällt dem Prinzen, und er möchte Dir gern eine Gnade erweisen.“

„Ja, ich möchte Dir gern eine Gnade erweisen,“ wiederholte der Prinz vornehm. „Wenn Du die alte abscheuliche Judengasse verlassen und ein ordentlicher Mensch werden und Dich taufen lassen willst, so will ich meinen Vater, den Herrn Kurfürsten von Hessen, bitten, daß er sich Deiner annimmt und Dich irgend ein Handwerk erlernen läßt, damit Du als Schuster oder Bäcker Dir auf ehrliche Weise Dein Brod verdienen kannst.“

„Ich danke, ich bin von zu vornehmer Geburt, um ein niedriges Handwerk zu erlernen!“ rief der Kuabe stolz. „Ich bin von zu ehrlichen Eltern, um meine Religion zu wechseln, wie’s die Prinzen und Prinzessinnen thun, wenn sie Profit davon haben, und ich habe die alte, schmutzige Judengasse viel zu lieb, als daß ich sie jemals verlassen könnte. Hier in der Judengasse will ich leben und sterben, hier will ich ein reicher Mann, ein Millionär werden.“

„Du ein reicher Mann, ein Millionär?“ lachte der Prinz. „Meine Frau Mutter hat mir erzählt, eine Million sei sehr viel Geld. Wie willst Du armer Knirps es also anfangen, eine Million zu bekommen?“

„Wie ich es anfangen will?“ fragte Mayer Anselm trotzig. „Ich will sie mir erwerben.“

„Wodurch aber?“

„Durch Handel und Wandel, Mosje Prinz. Ich handle jetzt mit Stecknadeln und Bindfaden, die Stecknadeln suche ich mir von der Straße auf, wo die geputzten Damen sie verlieren, die Bindfadenenden hole ich mir aus den Magazinen der reichen Kaufleute, die sie achtlos von den Ballen ablösen und bei Seite werfen. Ja, ja, ich handle jetzt mit Stecknadeln und Bindfaden, aber dereinst, wenn die Zeit gekommen ist, werde ich mit Gold und Silber, mit Landgütern, mit Thronen und Kronen handeln. Wenn Sie, Mosje Prinz, mir dann vielleicht Ihre kleine Krone zum Verkaufen geben wollen, stehe ich zu Diensten und werde suchen, sie möglichst billig an den Mann zu bringen. Aber jetzt, meine Herrschaften, bitte ich um’s Geld. Ich habe Sie eine ganze Stunde herumgeführt.“

„Da, hier hast Du drei Gulden,“ sagte der Baron, indem er das Geld in die dargereichte Hand des Knaben fallen ließ.

„Drei Gulden, ein kleiner Beitrag zu meiner Million,“ sagte der Knabe lächelnd. „Ich danke Ihnen.“

„Also jetzt beleidigt es Dich nicht, Dir Geld von uns schenken zu lassen?“ fragte der Prinz hochfahrend.

„Ich habe mir kein Geld schenken lassen,“ erwiderte der Knabe, „ich habe mir das Geld von Ihnen redlich verdient. Na, da kommt der Stadtvoigt, um das Thor zu schließen. Jetzt machen Sie, daß Sie fortkommen, meine Herrschaften. Aber wenn Sie wieder einmal so neugierig sein sollten, die Judengasse in Frankfurt zu sehen, so melden Sie sich bei mir, ich werde Ihnen gern den Gefallen erzeigen.“

„Und Du, wenn Du in großer Noth bist und der Hülfe bedarfst, so komme nach dem Schloß in Hanau,“ sagte der Prinz, „melde Dich bei dem Portier und lasse mich um eine Audienz bitten. Ich bin der Prinz Wilhelm von Hessen und residire mit meiner Frau Mutter im Schlosse zu Hanau.“

„Und ich bin der Mayer Anselm Rothschild und residire mit meiner Frau Mutter in der Judengasse zu Frankfurt,“ sagte der kleine Mayer, indem er den stolzen Gruß des Prinzen mit einem ebenso stolzen Kopfneigen erwiderte.

Er blieb stehen und schaute dem Prinzen nach, der jetzt am Arm seines Hofmeisters mit hochgehobenem Haupt die Straße hinabschritt, um sich nach der fürstlichen Equipage zu begeben, die an der nächsten Straßenecke ihrer harrte. Dann, als die Beiden seinen Blicken entschwunden waren, drehte Mayer Anselm sich um, und mit seinen langen dürren Fingern ein Schnippchen schlagend, murmelte er vor sich hin: „Ist ein recht dummer Junge! Wenn der an meiner Stelle wäre, so würde er in seinem Leben kein Millionär werden, sondern immer nur ein Schacherjude bleiben! Aber jetzt fort, fort! Was wird die Memme sich freuen, wenn ich ihr das Geld bringe!“

Und mit beflügelten Schritten, kaum die Grüße der Vorübergehenden erwidernd, eilte Mayer Anselm durch die lange Judengasse dahin nach dem alten zerfallenen schmutzigen Hause, in welchem seine Mutter wohnte.

„Memme, meine liebe Memme!“ rief er, als er die Thür öffnete zu der düstern niedrigen Kammer; „Memme, ich bringe Dir –“ Aber das freudige Wort verstummte auf seinen Lippen, und mit einem lauten Schmerzensschrei stürzte er zu dem ärmlichen Lager hin, auf welchem seine Mutter ruhte. Sie sah ihn nicht, ihre Augen waren geschlossen, ein tiefes, unheimliches Stöhnen drang aus ihrer Brust hervor, der Schweiß stand in großen Tropfen auf ihrer gelben, marmorkalten Stirn, ihre blassen, abgemagerten Hände ruhten gefaltet auf der dunkeln Decke, welche ihre arme zerfallene Gestalt verhüllte. Auf dem niedrigen, binsengeflochtenen Lehnstuhl vor dem Bette saß ein kleines Mädchen von vielleicht sechs Jahren, aber mit jenem ernsten, verständigen Ausdruck der Mienen, wie ihn Noth und frühzeitige Entbehrung den Kindern der Armuth einzuprägen pflegt. Auch sie hatte die Hände gefaltet und schien zu beten, ihre großen schwarzen Augen waren himmelwärts gerichtet, und schwere Thränen flossen aus denselben langsam über ihre Wangen nieder.

„Was ist’s mit der Memme?“ schrie der Knabe, zu dem Bette hinstürzend. „Mutter, warum antwortest Du mir nicht, warum schauest mich nicht an und freu’st Dich, daß ich wieder da bin?“

Aber die Kranke schien seine Worte gar nicht gehört zu haben, sie fuhr fort zu stöhnen und zu ächzen, und ihre Augen öffneten sich nicht.

Mayer Anselm’s Blicke wandten sich entsetzt auf das kleine Mädchen, und er legte seine zitternde Hand auf ihre Schultern „Gudula!“ murmelte er mit beklommener Stimme; „warum antwortet sie mir nicht? Gudula! was ist’s mit der Memme?“

„Sie ist krank, Mayer Anselm, sehr krank,“ schluchzte das kleine Mädchen. „Du hattest mir, als Du heute Morgen auf den Handel gingst, gesagt, ich solle zu Deiner Mutter gehen und bei ihr bleiben, bis Du wieder kämst. Als ich in die Kammer trat, lag sie ganz unbeweglich auf der Erde und hörte nichts, so viel ich auch bat, mir Antwort zu geben. So bin ich denn gelaufen und habe die Nachbarinnen geholt, und die haben Deine [772] Mutter in’s Bett gebracht, und mein Vater ist auch hier gewesen, aber er hat gesagt, es wär’ nichts zu thun, und ich solle nur da sitzen und beten, bis sie ganz still geworden wär’.“

„Aber sie wird nicht ganz still werden!“ schrie der Knabe verzweiflungsvoll. „Sie wird wieder sprechen, und die Augen wieder aufthun und mich wieder anschauen. Mutter, Mutter! so höre mich doch! Der Mayer Anselm ist wieder da, und er hat Geld mitgebracht, viel Geld, und er kann Dir holen, was Du irgend nur essen magst. Ach, so sieh mich doch an, meine liebe Mutter, lieg nicht da mit verschlossenen Augen, hab’ Erbarmen mit mir! Das Herz in der Brust wird mir zerspringen vor Jammer, wenn Du noch länger so daliegst. Mutter, Mutter! thu’ die Augen auf, sprich zu mir.“

Und sieh! Die herzzerreißende Klage des Knaben hatte es vermocht, den entflatternden Geist der Sterbenden noch einmal in seine Hülle zurückzurufen, das mit den Todesqualen ringende Mutterherz begann wieder zu schlagen bei der flehenden Stimme ihres Kindes.

Sie schlug die schweren Augenlider langsam wieder auf, sie schaute mit einem Blick voll Liebe empor in das schmerzzuckende Angesicht ihres Sohnes, dessen Thränen so heiß und brennend auf ihre kalte Stirne niederfielen, als wollten diese glühenden Tropfen sie wieder zum Leben anregen; ihre Lippen, welche vorher im Krampf des Todes sich fest aufeinander gepreßt hatten, öffneten sich jetzt, sie begannen leise unverständliche Worte zu flüstern.

Der Knabe aber unterdrückte sein Schluchzen und Weinen, er drängte mit der Kraft des Willens die Thränen selbst in seine Augen zurück, er hielt den Athem an und horchte mit hochklopfendem Herzen auf die Worte, welche wie Geisterhauch von den Lippen der Sterbenden schwebten.

Auf einmal richtete sie sich mit einer raschen, zuckenden Bewegung empor und schaute mit großen, weitgeöffneten Augen, mit einem Ausdruck unaussprechlicher Liebe auf ihren Sohn hin.

„Mutter, liebe Mutter!“ flüsterte der Knabe; „wenn Du mich lieb hast, wirst Du bei mir bleiben? Ach, geh nicht von mir, laß mich nicht allein!“

Die Liebe, die große starke Mutterliebe, gab ihr die Kraft, ihre Arme emporzuheben, sie fest um den Nacken ihres Kindes zu schlingen, ihn an ihr Herz zu drücken, so innig, als wollte sie nimmer von ihm lassen, als wollte sie ihn ewig da geborgen halten in dem Schutz ihrer Mutterbrust.

„Lebe wohl!“ rief sie mit lauter Stimme[WS 1], „lebe wohl, mein Sohn. Bleibe treu dem Gotte Deiner Väter, treu Dir selber und –“

Mehr sagte sie nicht, ihre Arme lösten sich von seinem Halse, ihr Haupt sank zurück, ein letzter Seufzer rang sich von ihren Lippen. Dann war Alles still.

„Sie ist todt! Sie ist todt!“ schrie der Knabe und warf sich auf seine Kniee nieder und preßte die Hand der Mutter in der seinen, und schaute sie an mit Blicken voll unaussprechlichen Jammers und zugleich doch voll heiliger Scheu; er wagte nicht zu sprechen, nicht zu weinen und zu klagen, denn er sah, wie ein Strahl der Verklärung über das Angesicht der Todten dahin leuchtete, und wie das große Geheimniß des Todes oder des ewigen Lebens sich offenbarte in diesen erst wechselnden und dann erstarrenden Zügen.

Aber dann, als es erstarrt war, das Angesicht seiner Mutter, als der letzte Strahl des Lebens auf ihm erblaßt war, dann kam das Bewußtsein dessen, was er verloren, wieder über den Knaben, und er weinte und jammerte laut.

„Ich bin allein, ganz allein,“ das war der große Schmerzensschrei, der sich aus seiner Brust hervorrang. „Ich hab’ Niemand, der mich lieb hat, Niemand auf der ganzen großen Welt!“

„Mayer Anselm, ich hab’ Dich lieb!“ rief da eine weiche zitternde Stimme neben ihm, und zwei zarte keine Arme schlangen sich um seinen Nacken, und zwei weiche duftige Lippen preßten sich auf seine Wange. „Sag’ nicht, daß Du allein bist, Mayer Anselm, denn die keine Gudula ist bei Dir und sie wird immer bei Dir bleiben! Ich hab’ Dich lieb, Mayer Anselm.“

Er legte seine beiden Arme um ihren Hals und schaute sie an unter Thränen lächelnd, dann neigte er seinen Kopf auf ihre Schulter und weinte bitterlich.




2. Schön Gudula.

Zwölf Jahre waren vergangen seit jenem Tage, da Mayer Anselm’s Mutter gestorben war. Zwölf Jahre waren vergangen. Sie waren so reich gewesen an großen Weltbegebenheiten, an Erschütterungen und Stürmen. Ein Krieg hatte sieben lange blutige Jahre die deutschen Lande mit Jammer und Elend erfüllt, er hatte Maria Theresia für immer ihr „geliebtes Schlesien“ genommen und es dem „bösen Manne“ dazugegeben, er hatte Preußen eine neue Provinz und seinem König Friedrich dem Zweiten den glorwürdigen Beinamen des „Großen“ verschafft. Die Lage von ganz Deutschland hatte sich umgestaltet in diesen zwölf Jahren, nur in der Judenstadt zu Frankfurt war Alles unverändert geblieben. Da waren an ihrem Eingang noch die beiden Pfeiler mit den schmutzigen eisernen Thorflügeln, da waren noch dieselben kleinen ärmlichen und düstern Häuser, in denen dicht zusammengepfercht die Juden, die armen Sclaven des Vorurtheils, die Gebrandmarkten der öffentlichen Meinung, wohnten. Da herrschte in den engen Gassen noch dasselbe wirre Durcheinander des Handels und Wandels, der lebhaften Unterhaltung der Nachbarn, die entweder neben einander standen vor den Thüren, oder quer über die Straße hinweg miteinander sich unterhielten. Da hörte man noch das Lärmen und Schreien der Kinder, die frohgemuth auf den düstern Straßen spielten und mit ihrem frischen Lachen die alten Häuser durchtönten.

In der Judenstadt hatten diese zwölf Jahre nichts verändert, nur das Alter hatten sie angezeichnet auf den Stirnen der Männer und Frauen, hatten aus den Kindern Jünglinge und Jungfrauen gemacht. Mayer Anselm war jetzt ein kräftiger stattlicher Jüngling von zweiundzwanzig Jahren, die kleine Gudula war jetzt eine Jungfrau von achtzehn Jahren, schlank und zierlich, mädchenhaft zart und königlich stolz zugleich. Die ärmlichen Gewänder flossen an ihrer Gestalt nieder, als wär’s ein Purpur, der ihre Glieder zierte, die schwarzen Haare, die in dicken Lockenbüscheln rings ihren Kopf umgaben, waren oberhalb der Stirn mit einem purpurrothen Band zusammengefaßt und bildeten da eine Art von Krone, die herrlich paßte zu ihrer breiten weißen Stirn, zu den flammenden Augen mit dem stolzen Mädchenblick, zu dem schönen Oval ihres edlen Angesichts, zu den durchsichtig bleichen Wangen und den kräftigen Purpurlippen. Ein Maler hatte sie gesehen, wie sie in ihrem einfachen und doch so zierlichen Costüm über die Straße dahinging, und von Erstaunen, von Entzücken erfüllt, war er ihr gefolgt bis in die Judenstadt, bis in das ärmliche Haus, in welchem sie mit ihrem alten Vater wohnte.

Gudula hatte ihren kühnen Verfolger mit einem Blick voll königlicher Verachtung gefragt, was er hier zu suchen habe im Hause ihres Vaters, aber das bescheidene demüthige Wesen des Künstlers hatte sie bald versöhnt, und mit der Erlaubniß ihres Vaters hatte sie eingewilligt, dem Maler zu einem großen Gemälde als Modell zu dienen. Anfangs hatte er die Absicht gehabt, das schöne Judenmädchen zu einer Judith umzuschaffen, sie darzustellen mit dem Haupt des Holefernes in der Hand, aber je mehr er ihre Schönheit erkannte, desto mehr sah er ein, das dieselbe keiner Decorationen, keiner Nebenattribute bedürfe, um zu wirken, und so hatte er Gudula gemalt, wie sie wirklich war, Gudula in ihrem ärmlichen Gewande, mit ihrer Krone von schwarzen Locken und dem feuerfarbenen Bande über derselben. Das Portrait war den Kunstfreunden in einem der großen Magazine auf der Zeil zur Ansicht ausgestellt gewesen, und ganz Frankfurt und alle Fremden, welche die alte Reichsstadt besuchten, hatten das schöne Gemälde bewundert, bis der junge regierende Landgraf Wilhelm von Hessen, der in dem nahen Hanau residirte, das Gemälde um hohen Preis an sich gekauft und es den Blicken der Bewunderer entzogen hatte.

Aber seitdem war das Original des schönen Portraits zu einer Berühmtheit geworden, und Jedermann in Frankfurt kannte es, und wenn Gudula über die Straßen dahinging, so riefen die Buben auf der Gasse ihr nach: „Da geht schön Gudula, die Judenkönigin!“

Und gar mancher vornehme Cavalier und gar mancher reiche Herr, der niemals sonst die schmutzige Judenstadt betreten, kam jetzt dahin, um schön Gudula aufzusuchen und unter dem Vorwand, mit ihrem Vater Geschäfte zu machen, der Tochter Schmeicheleien zu sagen.

[785] Aber schön Gudula bezeigte Allen nur eine stolze Zurückhaltung und Kälte, und keiner von den Cavalieren und reichen Herren hatte je es gewagt, zum zweiten Male die niedrige düstere Stube zu betreten, in welcher „schön Gudula, die Judenkönigin“ mit ihrem halb blinden Vater wohnte. Doch nicht blos Anbeter und Courmacher waren in das Haus gekommen, sondern auch Freier, welche schön Gudula zur Frau begehrten, und sie aus der Judenstadt hinausführen wollten in die hellen Gassen der glänzenden Reichsstadt, wenn die schöne Judenkönigin sich nur dazu entschließen wollte, eine Christin zu werden. Gudula hatte jeden solchen Vorschlag mit Entrüstung abgelehnt, und ihr Vater war ein zu strenggläubiger Jude, um ihrer Entscheidung entgegentreten zu mögen. Aber heute war es ein Anderes gewesen, heute war ein reicher jüdischer Kaufmann aus Hanau gekommen, und hatte der schönen Gudula seine Hand angetragen, und wieder hatte sie den Freier mit einem stolzen Nein abgewiesen.

Dieses Nein hatte indessen nicht die Billigung ihres Vaters gefunden, sondern seinen höchsten Zorn und seine heftigste Mißstimmung erregt. Gudula hatte die Ausbrüche derselben mit schweigender Ruhe ertragen, und ihr Haupt nur tiefer auf ihre Nätherei gesenkt, als wär’s ein Gewitter, das sie demüthiglich wollte austoben lassen.

Aber das Gewitter wollte gar nicht austoben, der Donner des väterlichen Zornes tönte immer fort, und rief endlich schwere Tropfen aus schön Gudula’s Augen hervor.

Sie ließ ihre Näharbeit in ihren Schooß gleiten und schaute mit einem flehenden Ausdruck zu ihrem Vater empor, der ihr gegenüber saß in dem alten ledernen, schwarzen Lehnstuhl.

„Vater,“ sagte sie mit flehender Stimme, „wenn Du so schiltst, so muß ich weinen, und wenn ich weine, kann ich nicht nähen. Ich muß die Arbeit aber fertig haben, denn ich muß sie heute Abend noch hinaustragen zu der Gräfin Tettenborn. Sie ist eine sehr eigene Dame, ich habe ihr versprechen müssen, die Arbeit heute noch abzuliefern, und wenn ich nicht Wort halte, wird sie mir keine Arbeit mehr geben.“

„Wenn Du den reichen Nathan genommen hättest, brauchtest Du gar nicht mehr zu arbeiten,“ schrie ihr Vater. „Hättest dann nicht mehr nötig, eine arme Nätherin zu sein, könntest in stolzen Carossen fahren und ebenso vornehm thun, wie eine Gräfin. Beim Gott meiner Väter, ich werd’ noch sterben vor Aerger über das unvernünftige dumme Ding, das nicht hat so viel Liebe zu ihrem Vater, um die Hand des reichen Mannes anzunehmen, der mein Alter weich betten, und meine letzten Tage verschönern wollt’ mit Wohlleben und Ueberfluß.“

„Vater,“ rief Gudula schmerzlich, „ich will für Dich arbeiten Nacht und Tag, ich will noch fleißiger fein, als ich bisher gewesen, es soll Dir an nichts fehlen, Du sollst Alles haben. was Du begehrst! nur fordere nicht, daß ich einen Mann heirate, den ich nicht liebe.“

„Warum liebst Du ihn nicht?“ schrie der alle Mann zornig. „Warum liebst den Baruch Nathan nicht, der doch ein reicher Mann ist, den man lieben kann? Ich will’s Dir sagen, warum Du ihn nicht liebst: weil Du den Mayer Anselm –“

„Vater, sprich nicht weiter,“ rief Gudula, mit erglühenden Wangen von ihrem Sessel emporspringend, „Du beleidigst und kränkst mich mit dem, was Du da sagen willst!“

„Ich will Dich auch beleidigen und kränken,“ sagte ihr Vater trotzig. „Ich will schlagen auf Deinen Stolz, daß er aufwach’ in Deiner Brust, ich will schlagen auf Deine unsinnige Liebe, daß sie sterb’ in Deinem Herzen. Denkst wohl, ich weiß nit, warum Du den Baruch Nathan nicht heirathen willst? Denkst wohl, ich weiß nicht, in wen Du Dich vernarrt hast? O, ich weiß Alles, denn was ich nicht kann sehen mit meinen Augen, das hör’ ich mit meinen Ohren und begreif’s mit meinem Kopf. Weiß es schon längst, daß die Gudula hat gegeben ihr Herz dahin an einen Menschen, der keine Augen hat im Kopf, um zu sehen, daß die Gudula schön ist und jung, und daß sie ihn liebt; weiß es schon längst, daß die Gudula ihre reichen Freier blos darum weiset fort von ihrer Thür, weil sie die Thür offen halten will für den armen Mayer –“

„Schweig,“ unterbrach ihn Gudula, indem sie mit einer zuckenden Bewegung ihre Hand auf den Arm ihres Vaters legte, „um Jehovah’s willen schweig; da kommt der Anselm Mayer über die Straße daher zu uns. Wenn Du aber jetzt noch willst weiter reden, wenn Du noch willst hinzufügen ein Wort, und willst beschämen Deine Tochter in seiner Gegenwart, so schwöre ich Dir beim Gott unserer Väter, daß ich hingeh, wo der Main am tiefsten ist, und mich hineinstürz’. Jetzt red’, wenn Du willst.“

Und mit fliegendem Athem, mit hocherglühten Wangen setzte sich Gudula wieder auf ihren Binsenstuhl am Fenster, und nahm ihre Näharbeit wieder zur Hand.

In demselben Moment öffnete sich die Thür, und ein junger Mann von schöner Gestalt, von jugendkräftigem, aber ernstem Angesicht trat ein.

[786] „Grüß Euch Gott, Ihr Beiden,“ sagte er mit sanfter, wohlklingender Stimme, indem er dem Alten die Hand darreichte und Gudula freundlich lächelnd zunickte. Sie erwiderte den Gruß mit einem herzlichen Blick und senkte dann ruhig ihre Augen wieder auf ihre Arbeit nieder.

„Bist heut’ gekommen recht zeitig vom Comptoir, Mayer Anselm,“ sagte Gudula’s Vater, indem er dem jungen Manne winkte, neben ihm auf dem Holzschemel Platz zu nehmen. „Hat es gegeben etwas Besonderes, daß du eine Stunde früher als sonst bist heimkommen vom Comptoir des großen und reichen Herrn Nathanson?“

„Ja,“ sagte der junge Mann, „es hat gegeben etwas Besonderes, und grad’ darum komme ich sogleich zu Euch, daß Ihr mir sollt’ geben Euren Rath. Denn ich weiß wohl, daß Ihr Beide die Einzigen seid, die mit herzlicher Treu’ an mir hängen, und denen es nicht gleichgültig ist, ob es dem Mayer Anselm gut geht. Ich habe zu Euch, Vater Baruch, das herzliche Vertrauen eines Sohnes, ich liebe dich, Gudula, als wärst du meine wirkliche Schwester.“

„Hörst, Gudula,“ sagte der Alte, „er nennt sich meinen Sohn, und er liebt dich, als wärst du seine Schwester!“

„Ich weiß es, und es freut mich, Vater Baruch,“ sagte Gudula, indem sie wieder die Augen von der Arbeit erhob und ihren Vater anschauete mit einem Blick, dessen Bedeutung nur er verstand. „Ja, der Mayer Anselm liebt mich wie eine Schwester, und ich liebe ihn wie meinen Bruder.“

„Und ich habe noch niemals ein Geheimniß gehabt vor meiner guten Schwester Gudula,“ rief der junge Mann innig. „Wir sind miteinander aufgewachsen, wir haben nicht blos gespielt und gelacht mit einander, sondern auch geweint und gehungert, und die Noth bindet fester aneinander als das Glück. Weißt noch, Gudula, wie du mich getröstet hast damals, als meine gute, herzliebe Mutter ist heimgegangen zu unsern Vätern, und wie ich an ihrem Sterbebett in meines Herzens Noth und Verzweiflung so bitterlich hab’ geweint und geflennt?“

„Ich weiß noch, Mayer Anselm,“ erwiderte sie ruhig. „Ich hatte deine Memme gar herzlich lieb gehabt, und darum weinte ich mit Dir.“

„Und legtest deine Aermchen um meinen Hals, Gudula, und küßtest mich, und sagtest mit deiner holden Kinderstimme: ich hab’ dich lieb, Mayer Anselm! Um das gute, herzige Wort habe ich dich lieb behalten und werd’ dich lieb behalten mein ganzes Leben lang, und werd’ immer Dein Bruder bleiben, wenn anders die schöne Gudula es nicht verschmähen will, meine Schwester zu sein.“

„Ich will immer deine Schwester sein, Mayer Anselm. Aber sag’ uns jetzt, was du Besonderes uns erzählen wolltest, und worin wir dir Rath geben sollten, der Vater und ich.“

„Ja, erzähl’ uns, warum du bist gekommen heut’ eine Stunde früher von dem Comptoir,“ fragte der Alte. „Der reiche Nathanson wird doch nicht haben gemacht Bankerott, daß das Comptoir geschlossen ist vor der Zeit?“

„Nein, Vater Baruch,“ erwiderte der junge Mann lächelnd, „er hat nicht gemacht Bankerott, sondern er hat heut’ gewonnen zehntausend Gulden, weil er hat speculirt auf die Baisse und es ist ihm gelungen, da hat er in seiner Freud’ jedem Commis aus dem Comptoir vier Gulden monatlich zugelegt und mich hat er gerufen in sein Privatzimmer, um mit mir zu sprechen.“

„Dich wollt’ er sprechen?“ fragte der Alte verwundert. „Bist ja der jüngste Commis auf seinem Comptoir, denk’ ich. Wie lange bist Du bei ihm, Mayer Anselm?“

„Drei Jahre, Vater Baruch, seit ich die Lehrlingszeit überstanden hab’.“

„Drei Jahre, und der Nathanson läßt den jüngsten Commis in sein Privatzimmer rufen, um sich Raths von ihm zu holen?“

„Nein, Vater Baruch, nicht um deswillen,“ sagte Mayer Anselm so verlegen und zögernd, daß Gudula verwundert von ihrer Arbeit aufschauete und ihren „Bruder Anselm“ erwartungsvoll anblickte.

„Um welcher Sach’ willen ließ denn der Nathanson dich rufen?“ fragte der Alte.

„Um einer gar seltsamen Sach’ willen, die ich nimmer gedacht und vermuthet hätt’, Vater Baruch.“

„Es ist doch kein Unglück für dich?“ fragte Gudula hastig.

„Nein, Gudula, kein Unglück, sondern es schaut aus, als wär’s ein großes Glück. Der reiche Nathanson will mich machen zu seinem Associé und Compagnon.“

„Will dich machen zu seinem Associé und Compagnon?“ schrie Vater Baruch außer sich. „Ist der Nathanson verrückt geworden? Hat er verloren das bischen Verstand, das ihm der Herr unser Gott gegeben? Will dich machen zu seinem Associé!“

„Vater, laß den Mayer Anselm doch weiter erzählen,“ sagte Gudula, deren Augen mit einem seltsamen Ausdruck auf dem verlegenen Angesicht des jungen Mannes ruhten. „Ich denke wohl, er hat uns die Hauptsache noch nicht gesagt. Sprich also, Mayer Anselm. Unter welchen Bedingungen will dich machen der reiche Nathanson zu seinem Associé?“

„Er hat nur eine Bedingung gestellt, Schwester Gudula. Er will mich machen zu seinem Associé nicht allein, sondern, da er keinen Sohn hat, keinen Namens-Nachfolger für die Firma, so will er mich adoptiren, und ich soll annehmen seinen Namen, und es soll stehen auf der Firma: Mayer Nathanson u. Sohn.“

„Und die einzige Bedingung, die er gestellt hat,“ sagte Gudula, indem sie wieder ruhig zu arbeiten begann und das Haupt niedersenkte auf die Nätherei, „die einzige Bedingung ist die, daß du, Mayer Anselm, seine Tochter, die Veilchen Rahel, heirathen sollst!“

„Hast’s errathen, Schwester Gudula!“ rief Mayer Anselm freudig, „ja, hast’s errathen. Gott der Herr sei gelobt, daß es heraus ist! Ja, die Veilchen Rahel soll ich heirathen, das ist die einzige Bedingung, die der Nathanson stellt.“

„Aber das wirst nicht thun, das kannst nicht thun,“ rief der alte Baruch eifrig. „Die Veilchen Rahel heirathen! das heißt einen Kobold heirathen, der dir wird machen das Leben zur Höll’! Weißt’ nicht, daß sie häßlich ist und schielt’ wie eine Nachteul’? Weißt nicht, daß sie verwachsen und bucklig ist?“

„Ich weiß es,“ erwiderte Mayer Anselm ruhig, „aber ich weiß auch, daß sie ein gar gutes, sanftes Gemüth hat und daß sie nicht verhärtet worden ist in ihrem Herzen von dem Unglück, das auf ihr ruht; sie ist wohlthätig und fromm, und die Armen und Kranken segnen sie, Ihr wißt das wohl, Vater Baruch! Sie hat ein schönes, warmes Herz, und –“

„Und dies Herz hat sie dir gegeben?“ fragte Gudula hastig. „Die Veilchen Rahel liebt dich, nicht wahr?“

„Sie hat ihrem Vater gesagt, daß sie es thut,“ erwiderte Mayer mit niedergeschlagenen Augen, „und deshalb, da er sein einziges Kind liebt, hat der Nathanson mich rufen lassen und will mich zu seinem Tochtermann machen.“

„Und du?“ fragte Baruch. „Liebst sie auch, die schöne Veilchen Rahel?“

„Nein,“ sagte der junge Mann gedankenvoll, „ich liebe sie nicht. Aber ich will Euch etwas sagen, Vater Baruch und Schwester Gudula, ich glaube, ich bin gar nicht fähig, zu lieben, es ist eine Eigenschaft, welche mir die Natur versagt hat. Ich hab’ mein Herz streng geprüft und ich hab gefunden, daß es eng ist und in sich abgeschlossen, und daß es ganz zufrieden ist mit dem, was es hat, mit der Liebe zum Vater Baruch und zur Schwester Gudula, und daß es gar nicht begehrt, zu fühlen so heftige Gluth und so schmerzliches Verlangen, als wie die Dichter sagen von der Liebe. Ja, ich hab’ ein enges Herz, und es ist eben nur Raum darin für Euch Beid’! Aber ich denk’, ich werd’ in der Vorhall’ meiner Herzenskammer doch ein Plätzchen finden für die gute Veilchen Rahel, und ich will ihr dankbar sein für ihre Liebe und für –“

„Für ihr Geld,“ ergänzte Gudula rasch.

„Ja, du hast’s gesagt und es ist so,“ rief Mayer Anselm lebhaft. „Für ihr Geld will ich ihr dankbar sein, sie macht mich zum reichen Mann. Und soll ich Euch sagen, was das bedeutet? Das bedeutet in dieser schlechten und erbärmlichen Welt: sie macht mich frei, angesehen, ehrlich und ehrenhaft. Denn Ihr wißt es ja, der arme Jude ist ein verachteter Paria, ausgestoßen aus der Gesellschaft, der Freiheit des Willens, der Ehre und der Anerkennung beraubt. Ich hab’ gesehen den Jammer und die Erniedrigung unsers Volkes, ich hab’ gesehen und ich sehe, wie sie uns verachten und treten unter ihre Füße, diejenigen, welche sich nennen Christen und welche sagen, daß ihre Religion die Religion der Liebe ist und der Vergebung. Sie hassen uns und verfolgen uns trotz ihrer Liebe, sie wollen es uns nicht vergeben, daß wir sprechen einen andern Jargon wie sie, daß unsere Nasen haben einen andern Schnitt, unsere Augen und Haare feurig sind und schwarz, [787] während die ihren heller sind und blond, sie machen es uns zum Vorwurf, daß wir fest halten an den Gebräuchen und an dem Glauben unserer Väter, aus unserer Treue machen sie uns ein Verbrechen. Uns, den armen Juden! Aber wenn wir sind die reichen Juden, dann vergeben sie uns alle unsere vermeintlichen Verbrechen und nehmen uns willig auf in ihre Gesellschaft und haben keinen Anstoß an unsern Nasen und unserm Haar und unserm Jargon! Es ist also für den Juden die Hauptsach’, daß er ist reich, denn wenn er Reichthum hat, so hat er Ehre und Ansehen. Das hab’ ich erkannt, als ich mich hab’ umgeschaut in der Welt, und als ich damals vor drei Jahren bin heimgekehrt aus Fürth, wo ich bei meinem alten Oheim hab’ durchgemacht und durchgehungert die Lehrzeit, als ich bin heimgekehrt nach Frankfurt und in die Judenstadt, da bin ich still gestanden an unserm Thor und bin niedergefallen auf meine Kniee, Niemand hat’s gesehen, denn es war Abend und Alles war dunkel. Da bin ich niedergefallen und habe geschworen zu dem Gott meiner Väter, daß ich will werden ein reicher Mann, ein Millionär! Nicht aus erbärmlichem Geiz und auch nicht aus Hochmuth und Stolz, und nicht aus persönlichem Ehrgeiz. Nein, ich will werden reich um meines Volkes willen, um für Euch die Ehre, die Freiheit zu erkämpfen. Ich will werden reich, um das Volk Gottes zu rächen an dem Volke des Sohnes Gottes. Ich will werden ein Millionär, um die Macht zu haben, das Volk Gottes hervorzuziehen aus dem Staube, um es aufzurichten aus seiner Erniedrigung und ihm seine heiligen Menschenrechte wiederzugeben. Ich will werden ein Millionär, damit die eisernen Gitter fallen, welche den Juden vom Christen trennen, damit sie uns sollen als Bürger aufnehmen in die Gemeinschaft des Volkes, damit sie uns sollen das Recht gönnen, zu denken und zu glauben nach unserem Gewissen und unserer Ueberzeugung, und doch dabei uns zu fühlen als berechtigte Bürger des Staates, in welchem wir geboren.

Seht, das habe ich mir geschworen, als ich an dem Eingang unserer armen Judenstadt kniete: ein Millionär will ich werden um meines Volkes willen. Und ich werde meinen Schwur halten. Hatte mir schon ein kleines Capital zusammengebracht, hatte gescharrt und gespart all diese Jahre her, hatte gehungert und Noth gelitten um meines großen Zweckes willen, weil aus dem kleinen Capital sollt’ werden ein großes, damit ich ein selbständiges Geschäft könnt’ anfangen. Hab’ mir keine Minute Zeit und Erholung gegönnt, habe nicht, wie andere junge Leute, meinem Vergnügen gelebt. Wenn ich Abends bin heimkommen vom Comptoir, dann hab’ ich kein ander Vergnügen gewollt und begehrt, als zu Euch herüberzukommen und mit Vater Baruch und mit Schwester Gudula ein Stündchen zu verplaudern, und dann bin ich heimgegangen in meine Kammer, um die Nacht aufzusitzen und die Bücher von den Geschäftsleuten, die sie mir anvertraut hatten, in Ordnung zu bringen und zu reguliren. Ich hab’ im Winter gefroren dabei, im Sommer Hitz’ ausgestanden, ich war oft müd’ zum Sterben und immer hungerig, aber ich hab’ immer gedacht daran, daß ich arbeitete, um zu vermehren mein Capital, und so hab’ ich immer ausgehalten und hab’ gerechnet auf die Zukunft, wenn die Gegenwart traurig war. Und nun,“ fuhr Mayer Anselm mit blitzenden Augen und erhöhter Stimme fort, „nun bietet sich mir auf einmal eine Gelegenheit an, um rascher zu meinem Ziel zu gelangen und Jahre voll Noth und Entbehrung mit einem schnellen Entschluß zu überspringen, auf einen Schlag zu werden ein reicher Mann, damit ich werde desto eher ein Millionär für mein Volk. Sagt, soll ich diese Gelegenheit nicht ergreifen?“

Der alte Baruch schwieg und schaute sinnend und mit fragendem Ausdruck auf seine Tochter hin; Gudula hatte längst ihre Arbeit in den Schooß fallen lassen, und mit strahlendem Ausdruck, mit verklärten Mienen hatte sie der glühenden Rede Mayer Anselm’s zugehört. Jetzt bei seiner letzten Frage erhob sie sich langsam und schritt in gemessener, feierlicher Haltung zu ihm hin.

„Mayer Anselm,“ sagte sie, indem sie ihre weiße Hand auf seinen Arm legte und ihm mit einem köstlichen Lächeln in’s Antlitz schaute, „Mayer Anselm, Du sollst diese Gelegenheit ergreifen, um zu werden reich, damit Du werdest ein Millionär zur Ehre und zur Erlösung Deines Volks! Gehe hin, Mayer Anselm, und sage dem reichen Nathanson, daß Du willst heirathen die Veilchen Rahel und willst werden sein Associé.“

„Thue, wie die Gudula es sagt,“ rief der alte Baruch feierlich, „denn das Wort Gottes ist auf ihrem Munde, und die Liebe ist in ihrem Herzen; als Dein guter Engel wird sie Dir gerathen haben.“

„Ja, als mein gnter Engel wird sie mir gerathen haben,“ wiederholte Mayer Anselm, indem er die kleine weiße Hand des Mädchens sanft von seinem Arme nahm und einen innigen Kuß auf dieselbe drückte. Gudula erbebte leise, und eine tödtliche Blässe flog über ihre Wangen hin, aber der junge Mann sah das nicht, er hatte das Haupt noch über Gudula’s Hand gesenkt und hielt sie noch immer an seinen Lippen, schweigend, gedankenvoll. Gudula aber zog mit einer sanften Bewegung ihre Hand fort, und nun erbebte Mayer Anselm und schien wie aus tiefem Sinnen zu erwachen.

„Du bist also einverstanden, daß ich den Vorschlag annehme, Gudula?“ fragte er. „Aber hast Du auch das bedacht, daß ich das Mädchen nicht liebe? Werd’ ich kein Unrecht begehen, wenn ich sie heirath’, ohne dabei zu denken an sie selber, sondern nur zu denken an ihr Geld? Werd’ ich sie glücklich machen können ohne Liebe?“

„Du wirst sie glücklich machen, Mayer Anselm,“ erwiderte Gudula, indem sie langsam, als geschähe es ganz zufällig, ihr Haupt abwandte, „Du wirst sie glücklich machen, denn sie liebt Dich und wird Dich besitzen. Aber jetzt leb wohl, Mayer Anselm,“ fuhr sie fort, indem sie hastig die weißen Tücher, an welchen sie genäht, zusammenpackte, „ich kann nicht länger bleiben, ich habe noch einen weiten Gang zu machen. Wenn Du willst bleiben bei dem Vater, so thu’s.“

„Nein,“ sagte Mayer aufstehend, „ich muß auch fort. Muß die ganze Nacht aufsitzen und arbeiten, denn ich muß all die Bücher in Ordnung bringen und abschließen, die ich bisher für mehrere Handelsleut’ geführt habe. Muß sie morgen abliefern und Rechnungsabschluß geben, da ich jetzt natürlich sie nicht weiter führen kann. Das kleine Geschäft ist zu Ende, und der Compagnon vom reichen Nathanson hat größere Geschäfte und Arbeiten zu vollbringen. Lebt denn wohl, Vater Baruch, und morgen, wenn wir uns wiedersehen, ist Alles vorüber, und ich bin dann der Compagnon vom Nathanson.“

„Und der Bräutigam von seiner Tochter Veilchen Rahel,“ sagte Gudula, indem sie ein Tuch um ihre Schultern warf und sich zum Gehen anschickte.

„Und dann wirst Du natürlich auch hier fortziehen aus der kleinen schmutzigen Judengasse,“ sagte Baruch, „wirst in die vordere große Gasse ziehen, wo die Reichen von unserem Volk wohnen, wirst Dir vielleicht, wie der Nathanson, für schweres Geld die Erlaubniß erkaufen, da draußen zu wohnen außerhalb der Judenstadt, draußen auf der prächtigen Zeil, wo die großen Kaufherren wohnen.“

„Nein, nie und nimmer werde ich das thun,“ rief Mayer Anselm lebhaft. „Würde ja damit werden untreu meinem Volk und mir selber, und würd’ scheinen zu verachten mein Volk in seiner Niedrigkeit und Armuth, wie’s die dummen Christen thun. Nein, mitten unter meinem Volk hier will ich leben, will ich wohnen, und will die guten Tage mit Euch theilen, wie Ihr getheilt habt mit mir die schlimmen. Wenn ich meine Frau habe, und die Rahel Veilchen in meinem Hause ist, dann wird die Schwester Gudula nichts haben dagegen einzuwenden, wenn Du, Vater Baruch, mit der Tochter bei mir wohnst, wie ich hab’ gewollt wohnen bei Euch und mit Euch machen gemeinsame Menage, als ich hierher kam, was aber die Schwester Gudula nicht gewollt hat, weil sie meint, es schickt sich nicht. Jetzt, wenn ich eine Frau habe, wird Niemand sagen können, daß es sich nicht schickt, wenn wir beisammen wohnen, und der Gedanke macht, daß ich die Veilchen Rahel ordentlich lieb habe, und darnach mich sehne, daß sie meine Frau ist, denn dann wird Vater Baruch und Schwester Gudula in meinem Hause wohnen.“

„Nun, wir sprechen noch ein Weiteres davon, Mayer Anselm,“ sagte Gudula, indem sie die Thür öffnete. „Jetzt muß ich fort, muß hinaus zur Gräfin Tettenborn, die auf der neuen Anlage an der andern Seite der Stadt wohnt. Lebe wohl, Vater, und auch Du leb wohl, Mayer Anselm.“

Sie schritt hastig zur Thüre hinaus, aber bevor sie noch die Schwelle des Hauses überschritten hatte, war der junge Mann an ihrer Seite. „Es beginnt schon zu dunkeln, Gudula,“ sagte er. „Du hast einen weiten Weg. Es ist aber Abends nicht recht geheuer auf den Straßen, namentlich hier in unsern engen Gassen [788] schleicht immer Abends allerlei verdächtig Gesindel umher, besonders seit der Herr Landgraf von Hanau von seinen Reisen zurückgekehrt ist und in Hanau residirt. Soll ein gar lockerer Herr sein, der Herr Landgraf, und allen Schönheiten nachstellen, und wie man sagt, besonders die schönen Töchter von unserm Volk lieben. Er ist seit acht Tagen hier in Frankfurt –“

„Ich weiß es,“ unterbrach ihn Gudula ruhig.

„Wie, Du weißt es?“

„Ja, ich habe ihn vorgestern gesehen bei der Gräfin Tettenborn. Ich war dort, als der Landgraf kam, und die Gräfin hieß mich warten, bis er fortgegangen. Ich blieb also bei der Kammerjungfer und wartete. Aber auf einmal ward ich in den Salon gerufen. Der junge Herr Landgraf wollte sehen, ob ich dem Bilde gliche, das er gekauft hat und das sie die Judenkönigin nennen.“

„Du hättest nicht hineingehen sollen!“ rief Mayer heftig.

„Warum nicht?“ fragte sie mit einer stolzen Ruhe.

„Weil der Landgraf ein berüchtigter Mädchenräuber ist, dem, wie man sagt, Keine widersteht und –“

„Nun, ich werde ihm widerstehen,“ sagte Gudula ruhig, „und mir wird er mein Herz nicht rauben. Leb wohl jetzt, Mayer Anselm!“

„Willst mir nicht erlauben, daß ich Dich begleite zu Deiner Gräfin Tettenborn? Beiläufig gesagt, ich hab’ noch niemals von der Dame gehört. Woher kennst du sie denn? Wohnt sie schon lange in Frankfurt?“

„Nein, sie wohnt erst seit einigen Wochen hier. Sie ließ mich rufen, um mir Stickereien aufzutragen, ich war ihr von der Baronin von Nimzwitsch empfohlen, und sie bezahlt gut. Leb wohl, Mayer Anselm.“

„Ich soll Dich nicht begleiten?“

„Nein, Mayer, du hast zu thun und die Zeit ist Geld!“

Sie ging mit raschem kräftigem Schritt vorwärts. Der Mond beleuchtete ihre schlanke, zierliche Gestalt und warf einen langen Schatten derselben über die Straße hin. Mayer Anselm stand drüben auf der andern Seite der Straße und schaute der schönen Gudula nach, bis sie um die Ecke der Straße verschwunden war, dann wandte er sich langsam um und trat in das niedrige Haus ein, in welchem er eine Dachkammer bewohnte.

„Ich hätte sie doch begleiten sollen,“ sagte er gedankenvoll vor sich hin; „sie ist viel zu schön, um Abends so allein auf der Straße gehen zu können. Es wär’ vielleicht gut, wenn ich ihr nachging’ und – Aber nein,“ unterbrach er sich selbst, „die Gudula würd’ mich auslachen und verspotten, sie würd’ es vielleicht gar übel nehmen, wenn ich ihr nachginge, würde vermeinen, daß ich ihr mißtraute und nicht glaubte, sie könne sich selber beschützen. Dann, Gudula hat wohl Recht, die Zeit ist Geld. Ich will also arbeiten!“

Und er setzte sich an den wackligen alten Tisch, auf welchem hochaufgestapelt die schweren großen Comptoirbücher lagen, und begann zu arbeiten. Aber mitten in der Arbeit hielt er zuweilen inne, um sich zu beunruhigen bei dem Gedanken, daß Gudula so ganz allein den weiten Weg in die neuen Anlagen gemacht, und zwischen Zahlen und Zeilen schaute es ihn zuweilen an mit Gudula’s großen, glühenden Augen.

„Hätt’ nimmer geglaubt, daß man sich so könnte ängstigen um eine Schwester,“ sagte Mayer Anselm achselzuckend über sich selber. „Aber es ist eine Dummheit von mir, und ich will nicht mehr daran denken, sondern arbeiten. Die Bücher müssen alle fertig werden diese Nacht.“ Und er stürzte sich in die Arbeit und vertiefte sich in die Zahlen und rechnete, rechnete und schrieb eifrig, unverdrossen. Stunde nach Stunde verging, die Nacht war angebrochen, auf der Straße war Alles still geworden, jedes Geräusch des Lebens verstummt. Sie schliefen Alle, sie ruhten aus von der mühseligen Arbeit des Tages, die armen, schwergeplagten Bewohner der Judenstadt. Mayer Anselm freute sich das zu denken, er athmete höher auf und rief im Geist allen Brüdern und Schwestern seines Volkes ein Gute Nacht zu. Da mußte er auch wieder an Gudula denken, und er stand auf, nur um einmal aufzuathmen, und trat an’s Fenster, um hinüberzuschauen nach dem dunklen Hause da drüben und der lieben Schwester Gudula auch ein Gute Nacht hinüberzurufen. – Seltsam! das Haus da drüben war noch nicht dunkel, es brannte noch Licht hinter den Fenstern von Baruch’s Stube, und ein unruhiger Schatten ward an dem herabgelassenen Vorhang sichtbar, kam und verschwand und kam wieder in gleichmäßigen Pausen. Es war nicht der Schatten von Gudula’s schlanker zierlicher Gestalt, ein breiter Männerschatten. Der alte Baruch mußte es sein, welcher da so auf und nieder schritt, so ruhelos kam und ging. Etwas Ungewöhnliches mußte also dem alten Baruch geschehen sein, daß er jetzt noch wachte, jetzt noch, statt zu ruhen, in der Kammer auf und ab schritt. Niemals seit den drei Jahren, daß Mayer Anselm ihm gegenüber wohnte, niemals hatte Baruch das gethan, jeden Abend mit dem Glockenschlage Zehn hatten sich die Fenster da drüben verdunkelt. Mayer Anselm hatte das jeden Abend beobachtet, und er hatte dann gewußt, daß Vater Baruch und Schwester Gudula zur Ruhe gegangen. Und jetzt hatte es von den Thürmen schon die zwölfte Stunde geschlagen, und Baruch wachte noch und ging immer noch unruhig in der Kammer auf und ab! Und wo war denn Gudula? Nicht ein einziges Mal sah er ihren Schatten neben dem ihres Vaters! Wo war denn Gudula?“

Als Mayer Anselm sich das zum zweiten Male fragte, sprang er mit einem raschen Satz auch schon nach der Thür hin, riß sie auf, eilte die Treppe hinunter, aus dem Hause hinaus und stand auf der Straße.

Der Schatten da drüben hinter den Vorhängen der Parterrefenster bewegte sich immer noch mit derselben unruhigen Gleichmäßigkeit hin und wieder.

Mayer Anselm stand einen Moment mitten auf der Straße still, zaudernd, unentschlossen, was er thun solle. „Meinetwegen,“ sagte er dann beinahe laut zu sich selber, „mag Gudula mich immerhin verlachen mit meiner Furcht. Es ist besser, das zu ertragen, als noch länger diese Angst zu erdulden. Ich geh’ hinüber!“

Und mit zwei Sätzen war er drüben und klopfte laut an die Scheiben.

Der Vorhang hinter dem Fenster ward heftig aufgerissen und Baruch rief, schon ehe er das Fenster geöffnet hatte, laut und freudig. „Bist du’s, Gudula? Kommst du endlich?“

„Sie ist also noch nicht heimgekommen, Vater Baruch?“ fragte Mayer Anselm, und er hatte ein Gefühl, als ob zwei eiserne Klammern sich um seinen Hals legten und ihm die Kehle zudrückten.

„Es ist nicht die Gudula!“ jammerte der Alte. „Es ist nur der Mayer Anselm!“

„Ja, ich bin’s nur! Aber laßt mich ein, Vater Baruch, schnell. Wir müssen besprechen, was zu thun ist!“

[801] Das Fenster ward geschlossen, dann näherten sich schlürfende Schritte der Thür, sie ward geöffnet, und Baruch hieß den jungen Mann eintreten. Er folgte dem Alten schweigend in das Gemach, er schloß mit zitternder Hand hinter ihnen Beiden die Thür. Seine Augen flogen mit einem wilden, scheuen Blick durch das von einer kleinen trüben Lampe erhellte Gemach, als suchten sie da Etwas. Dann hefteten sie sich auf das Antlitz des alten Baruch, der zitternd, sprachlos ihm gegenüberstand.

„Sie ist nicht heimgekehrt?“ fragte Mayer Anselm nach einer Pause.

„Nein, sie ist nicht heimgekehrt,“ rief der Alte mit tonloser Stimme. „Ist sechs Stunden fort und noch nicht heimgekehrt!“

„Ich geh’ ihr nach, ich hol’ sie!“ sagte Mayer Anselm entschlossen. „Beschreibt mir den Weg, Vater Baruch, ich hol’ die Gudula ab.“

„Ich weiß den Weg nicht, Mayer Anselm.“

Ein Schrei, ob des Schmerzes oder des Zornes, tönte von des jungen Mannes Lippen. „Ihr wißt den Weg nicht, Baruch? Wißt nicht einmal, wohin die Gudula zu gehen hat, wenn sie in das Abenddunkel und die Nacht hinaus muß, um sich Arbeit zu holen? Ihr seid ein schlechter Vater, Baruch. Ihr mißbraucht Euer gutes schönes Kind. Für Euch arbeitet sie, für Euch müht und quält sie sich den ganzen Tag, und Ihr wißt nicht einmal, wohin sie geht!“

Er sagte das mit lauter, zorniger Stimme, und doch war sein Angesicht so bleich und traurig, und es zuckte so schmerzlich um seine Lippen.

Baruch starrte ihn an und wußte in seiner Herzensangst gar nichts zu erwidern auf die heftigen Vorwürfe des jungen Mannes.

„Sie hat mir wohl beschrieben, wo ungefähr die Villa der Gräfin Tettenborn liegt,“ begann er endlich schüchtern.

„Wo denn?“ fragte Mayer hastig. „Besinnt Euch, Baruch! Es kommt Alles darauf an, daß Ihr es wißt.“

„Die Villa liegt in den neuen Anlagen drüben am Main,“ sagte Baruch langsam, gedankenvoll, jedes Wort erwägend und in seinem Gedächtniß nachspürend. „Es sind dort seit Kurzem viel neue Villen gebaut, hat mir die Gudula gesagt, aber die Villa, in welcher die Gräfin Tettenborn wohnt, ist die größte und schönste. Es ist die letzte Villa auf der rechten Seite, hat die Gudula gesagt, sie hat ein Stockwerk mehr, als alle die übrigen Villen, und hinter derselben ist ein großer, schöner Garten, in welchem sich noch ein Pavillon befindet, der so groß ist, daß eine ganze Familie darin wohnen könnte.“

Mayer Anselm hatte ihm athemlos, mit weit geöffneten Augen, mit gespannten Mienen, zugehört. „Weiter,“ sagte er kurz, gebieterisch, als Baruch jetzt schwieg.

„Weiter weiß ich nichts, Mayer Anselm,“ erwiderte Baruch ganz kleinmüthig.

„Es ist auch genug, Vater Baruch,“ sagte Mayer entschlossen, „genug, um mich darnach zurechtzufinden. Ich kenne die neuen Anlagen, und Ihr habt mir das Haus deutlich genug beschrieben. Vergebt mir, Vater Baruch, wenn ich vorher so heftig herausfuhr. Es war nur die Angst um die Gudula. Vergebt mir!“

„Ich habe Dir nichts zu vergeben, Mayer Anselm. Bringe mir nur die Gudula lebend wieder, und Alles ist gut!“

„Lebend?“ rief Mayer Anselm entsetzt. „Wie meint Ihr das, Vater Baruch? Ihr seid doch ganz gewiß, daß sie nach der Villa der Gräfin Tettenborn gegangen ist?“

„Ich hoffe es, gewiß, ich hoffe es,“ sagte der Alte, plötzlich in lautes Schluchzen ausbrechend.

„Sie könnt’ also noch anderswohin gegangen sein?“

„Könnte! Aber ich will’s nicht fürchten! Nein, ich will’s nicht fürchten! Wir hatten einen kleinen Wortwechsel heute Abend, ehe Du kamst. Ich war böse und schalt sie, daß sie den reichem Baruch Nathan, der heute hat geworben um sie, daß sie den hat ausgeschlagen, ich schalt sie und sagte etwas, das ihr weh that und sie kränkte. Da drohte mir die Gudula, daß sie sich wollt’, wo der Main am tiefsten wär’, in’s Wasser stürzen, und sie sah dabei so traurig und ernst aus, daß ich gar nicht wieder vergessen kann das Gesicht.“

„Was konntet Ihr der Gudula sagen, was sie so kränken konnte, daß sie sich darüber das Leben nehmen wollte? Sagt es mir!“

„Nein, ich kann’s und will’s Dir nicht sagen, Mayer Anselm, denn gerad’ wenn ich’s Dir sagte, hat sie geschworen, daß sie sich tödten wollte. Aber ich habe Dir ja nichts gesagt, und sie weiß das, denn sie war ja hier und hat Alles gehört, was ich mit Dir gesprochen habe. Sie wird sich also nicht in’s Wasser gestürzt haben, nein, sie wird das nicht gethan haben, sie ist nur nach der Villa der Gräfin Tettenborn gegangen.“

„Und ich hol’ sie von dort zurück, Baruch, und ich such’ sie überall auf dem Weg, und ich kehr’ nicht ohne sie heim. Lebt wohl!“

Er nickte rasch mit dem Kopf und sprang aus dem Zimmer, stürzte hinaus auf die Straße, vorwärts, vorwärts in unaufhaltsamer [802] Eile. Er dachte gar nicht daran, daß er die Thür seiner Kammer gar nicht verschlossen hatte, daß in derselben sich alle die mühsamen Ersparnisse langer arbeitsschwerer Jahre befanden, daß auf dem Tische aufgeschlagen die unvollendeten Contobücher lagen; er dachte an nichts weiter, als daß er Gudula aufsuchen, daß er sein Leben daran setzen wolle, um sie zu finden.

Es war eine klare sternenhelle Nacht, der Mond stand groß und glänzend am Himmel und begleitete mit seinem Licht den einsamen Wanderer, der in athemloser Hast dahin schritt, und warf seinen Schatten lang über die Straße, daß er vor Mayer Anselm dahin tanzte, als wär’s ein Begleiter, der noch größere Eile habe, die Gudula aufzufinden, als er selber. Mayer Anselm dachte daran, wie der Schatten Gudula’s das Letzte gewesen, was er von ihr gesehen, und ein schmerzliches Bangen krampfte sein Herz zusammen.

„Und wenn nun dies das letzte Sehen gewesen wäre?“ seufzte er, „wenn sie so von mir gegangen und mit ihrem Schatten wär’ auf ewig von mir geschieden?“

„Nein, nein!“ rief er ganz laut, „ich muß sie finden, ich muß sie wieder haben, denn –“

Warum stockte er? Warum blieb er auf einmal stehen, unbeweglich, wie angewurzelt an den Boden? Was war’s, das ihn auf einmal so in seinen Gedanken beschäftigte, daß er darüber sogar vergaß weiter zu gehen? daß er immer noch stand und zum Mond aufblickte, als sollte der mit seinem glänzenden Angesicht ihm Aufschluß geben über etwas ganz Unerwartetes, Ungeahntes, das er plötzlich in der Tiefe seines Herzens entdeckte? Was war’s, das plötzlich sein Antlitz verklärte und in seinen Augen aufleuchtete, wie mit einem göttlichen Feuer? Hatte er das Geheimniß endlich begriffen, das so lange in seiner Seele unerkannt von ihm selber geruht? Hatte die Angst, der Schmerz um Gudula endlich die Hülle zerrissen, welche die Gewohnheit des täglichen Umgangs, das stete Beisammensein, die gemeinsamen Erinnerungen der Kindheit um sein Herz gelegt?

Er hob wie in einer Ekstase die beiden Arme zum Himmel auf, und seine Lippen murmelten ein paar Worte, aber so leise, so geheimnißvoll, daß nur Gott und der Mond da droben sie verstand. Und dann, dann drang aus seiner Brust ein Schrei hervor, ein Jubelschrei, ein Wonnelaut. Die Memnonssäule war getroffen von dem ersten flammenden Strahl der Sonne, und sie tönte und sie sang!

Hastiger dann ging er vorwärts, getragenen, beflügelten Schrittes, dahin durch die schweigenden, öden Gassen, deren Stille durch nichts unterbrochen ward, als durch den eintönigen Gesang des Nachtwächters, der die erste Stunde nach Mitternacht ausrief, hinaus jetzt aus dem Thor, das die innere Stadt begrenzte und nach den neuen Stadttheilen führte.

„Da sind die neuen Anlagen! O Gott, Gott, nun gieb, daß ich das rechte Haus treffe, daß ich sie finde, sie rette, wenn sie in Gefahr ist, mit ihr sterbe, wenn sie sterben will!“

Weiter nun stürzte er in athemloser Eile, vorüber an den Villen, die schweigend, öde, wie große schwarze Särge dalagen, über welche die Mondstrahlen ein silbernes Leichentuch webten. Vorüber an ihnen allen, die keine Bedeutung für ihn haben. Nur die letzte Villa, die ist es, die er sucht.

Und da ist die letzte Villa, und da steht er vor ihr, keuchend, athemlos, und schaut sie an mit tödlichem Schauer im Herzen, denn auch sie liegt so still und öde da, mit dunklen Fenstern, schweigend, vereinsamt.

„Wo ist Gudula? Gott meiner Väter, wo ist Gudula! Ich muß es wissen, ich muß sie finden, und sollte ich die ganze Welt aus dem Schlaf aufrütteln.“

Und er reißt an der Hausklingel, stürmisch, ohne Aufhören, bis endlich das kleine Fenster neben dem Hauptthor geöffnet wird, und eine wüthende, donnernde Männerstimme fragt, was dieser Lärmen zu bedeuten habe, und wer sich unterstehe die Nachtruhe zu stören.

„Ich will wissen, ob Gudula noch in der Villa ist,“ ruft Mayer Anselm mit trotziger Stimme.

„Gudula, wer ist Gudula?“ fragt der Portier mürrisch.

„Gudula, die Tochter des Baruch Schnapper, die Nätherin der Gräfin von Tettenborn! Sie ist heute Abend hierher gegangen, um Arbeit abzuliefern, und sie ist nicht wieder heimgekehrt. Sie muß also hier sein, und ich komme, sie zu holen.“

„Unsinn! Sie ist hier gewesen, und wieder fortgegangen! Glaubt Ihr etwa, daß die Frau Gräfin eine Judendirn’ als Gast würd’ bei sich behalten? Wer weiß, wo die sich herumtreibt! Geht nach Haus, sie wird vielleicht schon vom Nachtwächter aufgegriffen und heimgebracht sein.“

Und der Portier wollte mit einem knurrenden Fluch das Fenster wieder zuschlagen, aber ein kräftiger Arm stemmte sich dazwischen, und eine vor Zorn bebende Stimme sagte: „Wenn ich Euer Antlitz sehen könnte, so solltet Ihr meine Faust auf Eurem Munde fühlen, der so erbärmliche Wort’ gesprochen. Ich komme morgen bei Tag wieder, und wehe Euch, wenn Ihr es wagt noch einmal solche nichtswürdige Verleumdungen zu sprechen! Aber jetzt sollt’ Ihr mir sagen, was aus der Gudula geworden ist, oder ich schreie um Hülfe, und bringe die ganze Nachbarschaft in Aufruhr, und hole die Stadtwache herbei, daß sie die Villa durchsuche. Denn die Gudula ist hierher gegangen, und sie ist nicht wieder heimgekehrt. Ihr müßt uns also Auskunft geben! Ihr müßt wissen, was aus ihr geworden ist!“

„Und Ihr, Ihr seid verrückt, daß Ihr solchen Unsinn verlangen könnt,“ scheie der Portier wüthend. „Fehlt auch noch, daß ich auf alle Nähmamsells achten müßt’, die hierher kommen und Arbeit abliefern. Aber diesmal weiß ich’s zufällig ganz gewiß, daß das Mädchen, die Judenkönigin schön Gudula, wieder fortgegangen ist. Es traf sich gerad, daß die Frau Gräfin fortfahren wollt’, und so kam sie mit der Gudula zusammen die Treppe herunter, und ich hörte es selbst, wie die Frau Gräfin gar freundlich zu der Gudula sagte: „Wenn Du die Blumen liebst, mein Kind, so erlaube ich Dir, in den Garten zu gehen und Dir einen Strauß zu pflücken. Du kannst dann nachher durch die kleine Pforte, die hinten in der Gartenmauer sich befindet, hinaus gehen, weil das ein näherer Weg ist.“ Und so ging denn die Gudula auch in den Park hinunter und ist durch die hintere Gartenpfort’ hinaus gegangen. Das ist Alles, was ich weiß, und jetzt scheert Euch Eurer Wege, und wenn Ihr Euch unterstehen solltet, noch einmal wieder zu kommen, so laß ich die beiden Hunde los, und dann mögt Ihr sehen, wie Ihr mit ihnen fertig werdet.“

Eine mächtige Faust drängte Mayer Anselm’s Arm zurück und schlug das Fenster klirrend zu.

Einen Moment stand der junge Mann betäubt, rathlos da. Was sollte er thun, was beginnen? Wo konnte er die Verlorne suchen? Wohin jetzt seine Schritte wenden?

Durch den Garten war sie gegangen! Nicht auf dem gewöhnlichen Wege war sie heimgekehrt! Er durfte das also auch nicht thun. Er mußte sie suchen auf dem Wege, den sie eingeschlagen hatte. Es kam Alles darauf an, daß er diesen Weg ausfindig machte, daß er die Pforte entdeckte, die aus dem Park hinausführte.

Er rannte um die Villa herum nach der Hinterseite derselben, wo der Park sie begrenzte. Eine hohe Mauer, oben mit eisernen Spitzen gekrönt, schloß den Garten ein. Vorsichtig schlich er an derselben hin.

„O Mond, Mond, jetzt sei barmherzig, jetzt leuchte hell und klar, jetzt wirf keinen Schatten auf die Mauer!“

Der Mond ist barmherzig, er beleuchtet jeden Stein, jede Fuge in der Mauer, – er beleuchtet jetzt auch die kleine braune Pforte, die da ganz am Ende sich befindet.

Er hat sie gefunden, die Gartenpforte. „Das also ist der Weg, aus welchem Gudula dahingegangen! Aber ist sie ihn auch gegangen? Hat sie auch wirklich den Park schon verlassen?“

Und wie ein Blitz fuhr es ihm durch die Seele, daß Gudula ihrem Vater gesagt, es befände sich im Park ein Pavillon, groß genug, daß eine ganze Familie darin wohnen könne.

Wenn Gudula vielleicht in diesem Pavillon wäre? Wenn man sie dahinein gelockt und sie dort festhielt? War nicht der Landgraf ein Bekannter der Gräfin Tettenborn? Hatte Gudula ihn nicht dort gesehen? Ihn, den bekannten Roué und Wüstling, der Gudula’s Bildniß gekauft hatte? Und konnte man das Bildniß sehen, ohne das Original zu lieben?

Ein dumpfer Schrei der Wuth drang von seinen Lippen, und er rüttelte mit ungestümer Gewalt an der Pforte. Sie gab nach, der Drücker des Schlosses sprang aus der Feder, die Thüre that sich auf. Er trat ein in den Garten.

Eine Allee, an beiden Seiten dicht mit Gebüsch eingefaßt, lag vor ihm, er ging sie hinauf mit festen Schritten, nach allen [803] Seiten hin spähend, umschauend nach dem Pavillon. Ueberall nur dichtes Gebüsch, nirgends ein Gebäude.

Aber da, da blitzt es mitten durch das Gebüsch auf wie ein heller Stern. „Ein Licht! Ein Licht! Dort muß also der Pavillon liegen, und dort wacht noch Jemand, dort brennt noch Licht hinter den Fensterscheiben.“

Ein kleiner schmaler Pfad, der in das Gebüsch hineinführt, liegt vor ihm. Er rennt auf ihm vorwärts, folgt ihm in seinen schneckenartigen Windungen durch das Gebüsch, und gelangt endlich auf einen freien runden Platz.

In der Mitte erhebt sich der Pavillon, und die Fenster desselben sind hell erleuchtet. Mayer Anselm steht still, mit keuchender Brust, nach Athem ringend, die Augen mit einer flammenden Neugierde nach dem Pavillon hingerichtet, der vielleicht ihm Auskunft geben wird über das Räthsel von Gudula’s Verschwinden.

„Und wenn sie nun nicht dort ist? Wenn diese letzte Hoffnung umsonst gewesen; was dann? O mein Gott, was dann?“ Auf einmal ist es, als ob er laute streitende Stimmen vernähme, die aus dem Pavillon hervortönen.

Er zaudert nicht länger, er geht langsam vorsichtig vorwärts. Nichts regt sich um ihn her, keine Wächter behüten den Pavillon. Er kann bis dicht zu ihm heranschleichen, Niemand hält ihn auf. Die erleuchteten Fenster der untern Etage liegen freilich zu hoch, daß man von unten nicht hineinschauen kann, aber da vor dem mittelsten der drei erleuchteten Fenster ist ein Balcon, neben welchem ein paar schlanke Akazienbäume sich erheben. Mayer Anselm klettert mit der Gewandtheit eines Panthers an einem derselben empor, läßt von dort sich vorsichtig auf die Ballustrade des Balcons gleiten, und steigt auf denselben nieder.

Sein Herz klopft so stürmisch, daß er jeden einzelnen Schlag desselben auf seinen Rippen fühlt, er muß sich an dem Sims festhalten, um nicht zusammenzusinken, er muß erst sich sammeln, sich zusammenraffen, damit er den Muth gewinne ruhig, besonnen zu sein.

Die Stimmen tönen fort und fort, die Stimme eines Mannes und einer Frau, diese letztere Stimme schlägt mit bekannten, ach nur zu bekannten Tönen an sein Ohr!

Es ist Gudula’s Stimme. Sie lebt also, sie ist in seiner Nähe. Er hat sie wiedergefunden. Aber wenn sie nun nicht gezwungener Weise sich hier in dem Pavillon befände? Wenn sie nun freiwillig dem Manne gefolgt wäre, der eben zu ihr spricht mit lauter, leidenschaftlicher Stimme. Wer ist dieser Mann? Was spricht er zu ihr? Mayer Anselm muß das wissen, und wenn das Wissen für ihn auch das Verderben wäre. Leise schleicht er bis dicht zu den Fenstern heran. Der Vorhang hinter denselben ist verschoben, er sieht in ein glänzend eingerichtetes, hell erleuchtetes Gemach – aber er sieht nur Gudula, welche da mit blitzenden Augen, mit hochgerötheten Wangen in der Mitte dieses Gemaches steht, er sieht nur den jungen, schönen Mann in der goldgestickten Uniform, der vor ihr auf den Knieen liegt, und mit flehendem Ausdruck zu ihr emporschaut.

„Sie wollen mir nicht vergeben, Gudula? Sie zürnen mir immer noch?“ fragte er mit weicher, klangvoller Stimme.

„Ja,“ rief Gudula laut und heftig. „Ja, ich zürne Ihnen, und so lange ich lebe, werde ich Ihnen nicht vergeben. Was giebt Ihnen das Recht, mich hier wie in einem Gefängnisse festzuhalten, mich mit Gewalt zu verhindern, diesen Pavillon zu verlassen und zu meinem Vater zurückzukehren? Habe ich Ihnen dazu die Erlaubniß gegeben, habe ich auch nur mit einem Blick, einem Lächeln, zu solchem Frevel ermuthigt?“

„Nein, Gudula, das hast du leider nicht gethan. Aber mein Gott, du schönes, vergöttertes Kind, soll ich es Dir denn immer und immer wiederholen, daß ich dich liebe, daß ich dich anbete, daß ich sterbe, wenn du meine Liebe nicht erwiderst? Und ich liebe dich ja nicht erst heute, Gudula, es ist nicht die Caprice eines Momentes. Ich liebe dich seit Monaten, ich liebe dich von dem Augenblicke an, da ich dein Bild sah!“

„Ich verwünsche die Hand, welche mich gemalt!“ rief Gudula leidenschaftlich, „ich hasse dies Bild, welches die Ursache solcher Beschimpfung ist!“

„Ich segne die Hand, welche Dich gemalt,“ sagte der junge Officier, „ich liebe das Bild, welches doch nur ein schwacher Abglanz deiner bezaubernden Schönheit ist. Seit ich es besitze, liebe ich dich, sind alle meine Gedanken darauf gerichtet gewesen, auch das wundervolle Original dieses Portraits mein eigen zu nennen. Um deinetwillen, Gudula, habe ich diese Villa gekauft, um deinetwillen eine meiner Vertrauten hier wohnen lassen. O, ich wußte wohl, daß du ebenso unschuldig als tugendhaft, ebenso streng als unerbittlich bist. Ich hatte das Alles in deinem Angesicht gelesen, ich wußte, daß ich das schüchterne Reh erst zähmen müßte, bevor es das Antlitz des kühnen Jägers sehen durfte, der ihm nachzustellen wagt. Du hast daher nur die Gräfin Tettenborn gesehen, du bist nur zu ihr gekommen, um dir von ihr Aufträge geben zu lassen; du hast nie gesehen, wie ich, während Du im Salon mit ihr sprachst, verstohlen durch die Spalte der Thür schaute, entzückt über Deine holde Einfachheit, deine bezaubernde Anmuth, Dich verschlingend mit meinen Blicken, und doch nicht wagend, mich dir zu nahen. Aber gestern ertrug ich’s nicht länger. Ich mußte einmal deine Stimme hören, mußte deinem Blicke begegnen, und als ich’s erreicht, da schwur ich mir selber, daß ich endlich die Entscheidung herbeiführen wolle.“

„Und Sie sollen jetzt die Entscheidung haben,“ sagte sie mit stolzer Ruhe, so hoheitvoll, als wäre sie wirklich eine Königin. „Ja, Sie sollen die Entscheidung haben. Ich verachte Sie, ich verwünsche die ehrlose Frau, welche Ihre Helfershelferin gewesen. Oeffnen Sie die Thür und lassen Sie mich gehen!“

Draußen auf dem Balcon kniete ein zweiter junger Mann; Thränen standen in seinen Augen, die beiden Arme hatte er zum Himmel erhoben und flüsterte zu den Sternen, zu dem Mond hinauf: „Gesegnet sei sie für dieses Wort! Danken will ich ihr, so lange ich lebe!“

Dann sprang er wieder empor, um zu horchen, um bereit zu sein, Gudula beizustehen.

Auch der junge Mann da drinnen hatte sich aufgerichtet, er stand Gudula gegenüber mit entschlossenem, flammendem Gesicht. „Nein,“ sagte er, „ich werde diese Thür nicht öffnen, ich werde Dich nicht von hier fortgehen lassen. Du bist in meiner Gewalt, und Du wirst so lange gezwungen bei mir bleiben, bis ich durch meine Liebe, meine Treue, meine Unterwürfigkeit Dein stolzes Herz besiegt und dich gezwungen habe, meine Liebe zu erwidern.“

„Nie, nie wird das geschehen!“ rief sie zornig. „Gott meiner Väter, höre meinen Schwur, niemals werde ich diesem Manne das schmachvolle Verbrechen vergeben, durch welches er mich hier in seine Gewalt bekommen hat, nie werde ich ihm den Frevel verzeihen, nie anders als mit Haß und Abscheu seiner gedenken!“

„Mädchenschwüre!“ sagte der junge Officier achselzuckend. „Gott hört zum guten Glück nicht auf solche Schwüre, am wenigsten der Deine, mein schönstes Kind, denn Dein Gott ist kein Gott der Liebe, sondern der Rache!“

„Er wird mich rächen! Ihm übergebe ich mich und meine Sache,“ rief Gudula, ihre Arme zum Himmel emporstreckend. „Zum letzten Male fordere ich jetzt von Ihnen, öffnen Sie mir die Thür. Lassen Sie mich gehen! Seit langen qualvollen Stunden halten Sie mich hier fest, martern Sie mich durch Ihre ehrlosen Anträge, die gleich sehr mein Herz und meinen Stolz verwunden. Sie sehen es wohl, Ihre Worte sind vergeblich! Lassen Sie mich also gehen, oder, bei Gott im Himmel, ich tödte mich, und Sie sind mein Mörder!“

„Ich werde dich nicht gehen lassen, und du wirst dich nicht tödten, Gudula. Jetzt zürnst du mir, aber du wirst mir verzeihen, du wirst endlich mich lieben. Du wirst die Meine werden, und dann wirst Du Dich nicht mehr verbergen, dann soll die ganze Welt unser Glück, unsere Liebe kennen. Ich werde dich umgeben mit allen Genüssen, mit allem Glanz des Lebens und –“

„Oeffnen Sie die Thür!“ unterbrach ihn Gudula gebieterisch.

„Nein, nein!“ rief er glühend. „Du bleibst bei mir. Ich banne dich an mein Herz, und da will ich Dich ewig halten, und da sollst du lernen, mich zu lieben.“

„Fort von mir!“ rief sie außer sich, mit beiden Händen seine Arme zurückdrängend, die sich nach ihr ausstreckten, „fort von mir, oder –“

Das laute Klirren einer Fensterscheibe unterbrach sie, und wie sie erschreckt sich dorthin wandte, sah sie durch die zerschlagene Fensterscheibe einen Arm sich hineinstrecken und die Wirbel des Fensters drehen. Das Fenster öffnete sich, ein junger Mann sprang in das Zimmer.

Gudula stieß einen Schrei des Entzückens aus und flog zu [804] ihm hin, warf ihre beiden Arme um seinen Hals und drückte einen glühenden Kuß auf seine Lippen, dann aber, wie erschrocken über die Gluth ihres eigenen Empfindens, wollte sie tief erröthend zurücktreten, aber Mayer Anselm hielt sie fest in seinem Arm.

„Was bedeutet dies?“ rief der junge Officier, dicht zu dem Paare herantretend. „Wer untersteht sich, hier auf so freche Weise wie ein Dieb einzudringen?“

„Jemand, der gekommen ist, die Gudula zu erlösen,“ erwiderte Mayer Anselm mit stolz gehobenem Haupte. „Jemand, der Gudula befreien will von dem, der auf freche Weise wie ein Räuber sie überfallen hat, Herr Landgraf Wilhelm von Hessen!“

„Unverschämter Bursche!“ schrie der Landgraf, indem er den Arm erhob, „ich werde Dich züchtigen wie – aber nein,“ unterbrach er sich selbst, „nein, selbst die Berührung meiner Faust wäre für Dich ein Ritterschlag und würde den Judenjungen in einen Cavalier verwandeln. Ich werde Dich strafen, wie Du es verdienst. Du bist als Dieb hier eingedrungen, ich werde Dich arretiren und des Diebstahls anklagen lassen!“

„Herr Landgraf, Sie werden das nicht thun,“ rief Gudula, sich von Mayer Anselm’s Arme loßreißend und zu dem jungen Fürsten hintretend, „nein, Sie werden Erbarmen haben, Sie –“

„Still, Gudula, still,“ unterbrach sie Mayer Anselm stolz, „Du sollst Dich nicht erniedrigen zu Bitten. Wir sind in unserm guten Rechte, und –“

„Recht?“ rief der Landgraf mit höhnischem Lachen, „hat denn der Jude Recht? Rufe es doch an vor dem Gericht, Jude, wage es doch, mich anzuklagen, und sieh zu, ob der Jude Recht bekommt, gegen den Landgrafen von Hanau, den zukünftigen Kurfürsten von Hessen! Ich werde Dich als Dieb dem Arm der Gerechtigkeit überliefern, und bei Gott, Du wirst die Strafe für Deinen Einbruch empfangen!“

„Und ich werde, wenn die Ungerechtigkeit der Menschen mich verdammt, sie erdulden,“ sagte Mayer Anselm ruhig, „aber ich werde Sie verklagen vor Ihrem Gewissen und vor Gott. Ich werde laut vor aller Welt meine Unschuld betheuern und ich werde Sie als Verbrecher anklagen.“

„Und Du wirst doch verurtheilt werden!“ lachte der Landgraf. „Aber wer bist Du denn eigentlich? Was für Rechte hast Du auf dies Mädchen?“

„Er ist mein Bruder, mein theurer, geliebter Bruder,“ rief Gudula. „Herr Landgraf, Sie sagen, daß Sie mich lieben. Nun wohlan, beweisen Sie es mir. Seien Sie großmüthig, vergeben Sie meinem Bruder, lassen Sie ihn frei und ungehindert von hinnen gehen! Lassen Sie mich mit ihm gehen, überwinden Sie Ihr Herz, und ich will vergessen und vergeben, ich will zu Gott beten für Ihr Glück. Lassen Sie diese finstere Stunde ein Geheimniß sein, das niemals über unsere Lippen kommen soll, löschen Sie es aus mit dem großmüthigen Wort: Gehe, Gudula, ich hindere Dich nicht!“

„Nein, nein,“ rief der junge Fürst schmerzlich, „nein, Gudula, ich kann nicht, denn ich liebe Dich wirklich und ich will Dir jetzt einen Beweis davon geben! In Gegenwart Deines Bruders wiederhole ich Dir: ich liebe Dich! Und meine Liebe ist so groß, daß sie allen Vorurtheilen Trotz bietet. Gudula, ich will Deiner Tugend, Deiner Ehre Achtung beweisen. Ich biete Dir meine Hand an. Werde Christin, und Du sollst meine Gattin werden. Ich kann Dich nicht zu meiner legitimen Gattin machen, aber Du sollst meine angetraute Frau werden, ich werde Dir Rang, Stand und Namen geben, ich werde Jedermann zwingen, Dich zu ehren als meine Frau. Werde eine Christin, ich biete Dir meine Hand!“

„Ich bleibe treu dem Gotte meiner Väter!“ sagte Gudula feierlich, „ich bin eine Jüdin und ich bleibe es!“

„Du schlägst meine Hand aus?“ fragte der Landgraf mit schmerzlichem Zorn. „Du willst also Deinen Bruder in’s Verderben stürzen?“

„Ich bin nicht Gudula’s Bruder,“ sagte Mayer Anselm, den flammenden Augen des Fürsten mit festem Blick begegnend.

„Nicht ihr Bruder, und wer bist Du denn?“

„Ich bin ihr Freund, ihr Bräutigam, ihr zukünftiger Mann. Komm, Gudula, lege Deine Hand in die meine und sage dem Herrn Landgrafen, daß ich ein heiliges Recht habe, hier zu stehen, daß Du mein Weib werden willst!“

Sie legte mit einem köstlichen Lächeln ihre Hand in die seinige, aber sie sprach nicht.

„Herr Landgraf,“ fuhr Mayer Anselm fort, „es ist das zweite Mal, daß wir uns begegnen. Vor zwölf Jahren kamen Sie nach der Judenstadt, um die Schmach und das Unglück unseres Volkes aus müßiger Neugierde sich anzuschauen. Damals sagte der hochmüthige Fürstenknabe zu dem trotzigen Judenjungen: „Wenn Du recht in Noth und Unglück bist, so komme zu mir nach Hanau und bitte mich um Hülfe, und sie soll Dir werden.“ Herr Landgraf, ich bin jetzt in Noth und Unglück, denn es will mir Jemand das Liebste nehmen, was ich auf der Welt habe; Herr Landgraf, ich bitte Sie, der berufen ist, ein Volk zu regieren, um Hülfe gegen den jungen Mann, der in der Blindheit der Leidenschaft sich selbst und seine Ehre beleidigen will. Herr Landgraf, Sie werden mir diese Hülfe nicht verweigern. Sie werden nicht zugeben, daß man dem armen Juden, dem die Menschen Alles genommen haben, Alles außer dem Glück des Familienlebens, daß man ihm auch das noch freventlich raubt. Sie sind ein Fürst, ein reicher Mann, Sie werden dem Juden, dem armen Mann, nicht sein einziges Gut stehlen wollen!“

„Stehlen?!“ rief der Landgraf auffahrend.

„Man nennt stehlen, was man widerrechtlich, gewaltsam dem Besitze Anderer entreißt,“ sagte der junge Mann ruhig. „Herr Landgraf, ich habe den Dieb auf der That ertappt und ich nehme ihm das unrecht erworbene Gut wieder ab. Komm, Gudula, folge mir, Dein Vater erwartet Dich. Der Herr Landgraf hat auf seltsame Weise um Deine Liebe geworben, Du hast ihn ausgeschlagen, Du hast ihm gesagt, daß Du ihn nicht liebst, er hat also kein Recht auf Dich. Komm, wir gehen fort von hier. Wenn noch ein Fünkchen von Ehre, von Stolz und Edelmuth in diesem Fürstensohne ist, so wird er uns nicht hindern. Ich habe keine Wehr und keine Waffen gegen diesen stolzen Mann, aber ich habe mein gutes Recht und sein Gewissen für mich. Komm, Gudula, wir kehren heim nach der Judenstadt.“

Er hielt Gudula’s Hand fest in der seinen, er führte sie mit langsamem ruhigem Schritt nach der Thür hin, schob den Riegel zurück, stieß die Thür auf und ging mit Gudula hinaus.

[817] Der Landgraf hatte mit abgewandtem Gesicht dagestanden; als Gudula und Mayer Anselm über die Schwelle dahinschritten, sprang er vorwärts, zur Thür hin, aber dann blieb er stehen, seine Hände klammerten sich um den Thürpfeiler, als wolle er sich selber zwingen, nicht weiter zu gehen, ein schwerer Seufzer rang sich aus seiner Brust hervor und Thränen entströmten seinen Augen, Thränen des Zornes, der Beschimpfung und der gekränkten Eigenliebe.

Hand in Hand, mit beflügelten Schritten, war das junge Paar indeß durch den Garten dahingegangen. Niemand hiel sie auf, Niemand sah sie; der Mond schaute groß und glänzend auf sie nieder, beleuchtete ihren Pfad, zeigte ihnen die kleine Pforte, durch die Mayer Anselm eingetreten war, und geleitete sie freundlich und schützend auf ihrem weiten einsamen Wege.

Sie sprachen Beide nicht, ihre Herzen waren zu voll, als daß sie es hätten wagen mögen, das heilige Schweigen durch Worte zu entweihen. Nur einmal fragte Gudula: „Aengstigt sich mein Vater sehr?“

„Ja, Gudula,“ erwiderte Mayer Anselm, „er ängstigt sich sehr. Aber er ist ein frommer Mann und er betet.“

„Laß uns eilen,“ sagte Gudula, und sie schritt rascher vorwärts.

Und endlich jetzt hatten sie das Ziel ihrer Wanderung erreicht, jetzt schritten sie durch das Thor hinein in die Judengasse. Nur wenige Schritte, und sie hatten jenes Haus erreicht, aus dessen untern Fenstern ein heller Lichtschein ihnen entgegemflammte, das Haus, in welchem der alte Baruch Schnapper in Todesangst seiner Tochter harrte.

Sie schritten rascher vorwärts, hinein in das schweigende Haus. Ein Freudenruf ertönte aus dem Innern der Stube bei dem Schall ihrer Tritte, die Thür ward heftig geöffnet, und Vater und Tochter lagen sich weinend in den Armen.

„Vater Baruch,“ sagte Gudula nach einer Pause, auf Mayer Anselm hindeutend, „der hat mich gerettet vom Tode und von der Schande. Ihm dankst Du es, daß wir wieder vereinigt sind.“

„Ich werde für ihn beten Abends und Morgens,“ rief Baruch, ihm seine beiden Hände darreichend. „Ich werde ihn lieben, als wenn er wäre mein eigener Sohn.“

„Laßt mich Euer Sohn sein, Baruch,“ sagte Mayer Anselm, „gebt mir das Recht Euch zu lieben als meinen Vater!“

„Wie meinst du denn das, Mayer Anselm?“ fragte Baruch staunend.

„Ich will’s Euch sagen, Vater Baruch, und besonders will ich es Dir sagen, Gudula. Ich nenne Dich nicht mehr Schwester Gudula, wie ich es that heute Abend. Die wenigen Stunden haben Alles in mir umgewandelt, sie haben mir ein großes Geheimniß offenbart, das in mir geruht hat von Kindheit auf, und das ich selber nicht habe gekannt. Als ich dahinschritt in die Nacht hinaus in der Angst und Sorge um Dich, Gudula, da war’s auf einmal, als wenn sich in meinem Herzen die goldenen Pforten des Allerheiligsten aufthäten, und ich sah darin Dich, den Engel meines Lebens, Dich, das Gebet meines Lebens, die Hoffnung meiner Zukunft, und ich erkannt’ auf einmal, was ich bis dahin nimmer gewußt, daß ich Dich grenzenlos liebe, daß das Leben nur Werth für mich hat, wenn Du es mit mir theilen willst, Gudula. Und so frag’ ich Dich denn, Gudula, ob Du meine Lieb’ und mein Herz willst annehmen, ob Du mich machen willst zu einem glücklichen Menschen, indem Du mir Dein Herz giebst und Deine Liebe? Hab’ mühsam an mich gehalten, sonst hätt ich es Dir schon gesagt auf dem Wege hierher, daß ich Dich grenzenlos liebe, hätt’ Dich gebeten, mein Weib zu sein. Aber ich schwieg, weil ich weiß, daß ein tugendhaftes Mädchen nur Antwort giebt auf solche Frage im Beisein ihres Vaters. Und darum, Baruch, frag’ ich, bevor die Gudula mir Antwort giebt, nur Dich, ob Du mich willst haben zu Deinem Tochtermann und willst mir geben die Gudula zum Weibe?“

„Mit Freuden will ich Dich annehmen zu meinem Tochtermann,“ rief der Alte mit frohem Angesicht, „will Dir geben die Gudula zum Weibe und dazu meinen inbrünstigen Segen. Aber nein, nein,“ unterbrach er sich selber, „es geht ja nicht, Du bist ja nicht mehr im Stand, um irgend ein Mädchen zu werben. Mayer Anselm, muß ich Dich daran mahnen, daß Du der Bräutigam bist der reichen Veilchen Rahel, die Dich so herzlich liebt, daß sie Dir will geben ihre Hand und ihr Vermögen? Muß ich Dich daran mahnen, daß Du Dein Herz nicht mehr verschenken darfst, daß es der Veilchen gehört? Erst ein paar Stunden sind’s her, daß Du uns hast um Rath gefragt, ob Du die Veilchen Rahel heirathen sollst, die Dich zu einem reichen Manne macht, und wir haben Beid’ gesagt, daß Du es thun sollst. So kann ich Dir jetzt nur wieder sagen: geh’ hin und heirathe des reichen Nathan’s Tochter und werde ein reicher Mann!“

„Du meinst, erst ein paar Stunden wär’s her, daß Du mir das gesagt hast?“ fragte Mayer Anselm, indem er seine Augen fest auf Gudula heftete. „Nein, Du weißt, eine Ewigkeit ist es [818] her, denn eine ganze Welt von Empfindungen liegt dazwischen, ein neues Leben ist in mir aufgegangen seitdem. O, ich war bis dahin umhergegangen mit blinden Augen und mit tauben Ohren! Ich hatte mich schwer versündigt an der Liebe und an dem Glück, und in der thörichten Verstocktheit meines Herzens suche ich das Glück da, wo es nimmer zu finden ist, und wollt’ von dem Geld haben, was nur das Herz geben kann, das Glück und die Freudigkeit des Lebens. Gudula, werde meine Frau, und ich werde der reichste Mann auf Erden sein, denn ich werde besitzen, was alle Schätze der Erde nicht erkaufen können, ein schönes, tugendhaftes und geliebtes Weib! Gudula, sag, daß Du mich liebst, und dann werd’ ich ein Millionär sein, wenn ich auch in den Augen der Welt nichts hab! Aber das Herz einer geliebten Frau ist mehr werth als Millionen, und freudvoller ruht sich’s an seiner Brust, als auf Bergen von Gold und Edelsteinen.“

Gudula antwortete nicht, sie hatte sich abgewandt, daß die Beiden ihr Gesicht nicht sehen konnten, aber sie sahen doch, wie ihre ganze Gestalt bebte, sie hörten doch, wie sie leise schluchzte.

„Gudula,“ rief ihr Vater, „ich sag’s jetzt dem Mayer Anselm, warum Du Dich wolltest in den Main stürzen, wo er am tiefsten ist.“

Sie wandte sich hastig um und ließ den Beiden ihre erglühten Wangen sehen, über welche die Thränen in hellen Bächen niederschossen. „Vater, wenn Du das sagst,“ rief sie leidenschaftlich, „so geh’ ich und thu’, was ich geschworen.“

„Mayer Anselm, halt’ sie fest, daß sie nicht gehen kann,“ sagte der Alte lächelnd. „Ich droht’ ihr heut’ Abend, daß ich Dir wollt’ sagen ihr Geheimniß, das sie in ihrem Herzen trägt, und da hat sie geschworen, daß, wenn ich es Dir verriethe, sie sich darum wollte stürzen in den Main.“

„Und was war das für ein Geheimniß?“ fragte Mayer Anselm mit aufstrahlenden Blicken.

„Ich darf es Dir ja nicht sagen, Mayer Anselm. Frag’ die Gudula darum.“

Mayer Anselm legte sanft seinen Arm um ihre Gestalt und sah ihr tief und flehend in das erglühte Angesicht. „Gudula,“ sagte er mit flehender Stimme, „ich hab’ Dir heute Abend gesagt, daß ich mein Leben wollt’ dran setzen, ein reicher Mann zu werden. Sieh nun, Gudula, ich steh’ vor einem großen Schatz und möcht’ ihn heben, denn er wird mich zum reichen Mann machen. Aber der Schatzgräber muß das Erlösungswort kennen, wenn er heben den Schatz soll. Ich denk’ aber, Gudula, Dein Geheimniß ist das Erlösungswort. Was war’s, das Dein Vater mir nicht sagen sollt’?“

„Daß ich Dich liebe!“ rief sie, indem sie ihre beiden Arme um seinen Nacken schlang und ihr Antlitz an seinem Busen barg.

„Gudula,“ rief er jauchzend, „ich danke Dir! Ich habe meinen Schatz gefunden, ich bin ein reicher Mann!“


3.

Die Glücklichen haben keine Geschichte, und die Jahre rauschen an ihnen vorüber, wie ein einziger Sonnentag. Mayer Anselm hatte seinen Schatz gefunden, und er ehrte ihn und hielt ihn hoch sein Leben lang, er nannte nach langen Jahren der Vereinigung noch seine Gudula die schöne und bessere Hälfte seines eigenen Wesens. Sie hatte ihren Antheil an allen seinen Gedanken, seinen Bestrebungen, sie darbte freudig mit ihm, als sie noch arm waren, sie arbeitete mit ihm und nahm Theil an fernen Geschäften, sie hatte mit ihm dasselbe Streben, dasselbe Ziel, reich zu werden! Denn sie wußten es Beide: nur der Reichthum konnte sie erlösen aus dem Druck der Verhältnisse, konnte ihnen die Freiheit geben und sie befähigen, auch für die Ihrigen, für die große Familie der Unglücklichen in der Judenstadt, Abhülfe ihrer Noth und Tröstung in ihren Leiden zu schaffen.

Und sie wurden reich, und nach Jahren unermüdlichen Schaffens und Sparens und klugen Berechnens und Speculirens war der Mayer Anselm Rothschild ein angesehener Mann auch unter den christlichen Geldmännern von Frankfurt, man grüßte ihn achtungsvoll an der Börse, wenn er so stattlich daherschritt mit seinen drei ältesten Söhnen, die er früh schon zu Gehülfen und Teilnehmern seines Banquiergeschäftes gemacht, und man gab wohl Acht, welche Papiere der Mayer Anselm kaufte, denn man wußte wohl, daß der niemals schlechte Papiere kaufte und niemals auf gewagte Speculationen sich einließ. Man wußte wohl, daß man sich nach ihm richten könne, weil er nicht blos ein kluger Geschäftsmann, sondern auch ein Ehrenmann war, auf dessen Wort man bauen konnte, wie auf einen Fels.

Nur durch sich selbst, durch seine Geisteskraft, seinen klugen Blick und seine unermüdliche Thätigkeit war Mayer Anselm geworden, was er war, ein reicher Mann, und gerade dessen freute er sich und sagte es mit Stolz zu seinen Söhnen: ich bin Alles durch mich selbst, Nichts durch Andere! Die Arbeit ist meine Gönnerin, der Fleiß mein Freund und die Sparsamkeit meine liebreiche Mutter gewesen. Durch sie bin ich geworden, was ich bin, ein reicher Mann, der Niemand zu danken hat, als dem großen Gott da droben, welcher ihm mehr gegeben hat, als Reichthum: ein geliebtes Weib und zehn liebe gesunde Kinder. So laßt uns denn fortfahren, fleißig zu sein, zu schaffen und zu wirken, und der Segen Gottes wird bei uns bleiben allezeit. – Jahre, lange Jahre waren so dahingegangen, sie hatten aber die Verbindung zwischen dem Landgrafen von Hanau und dem Mayer Anselm Rothschild, welche auf seltsame Weise begonnen, nicht wieder gelöst. Der Landgraf hatte sich standesgemäß vermählt, er hatte, da er nach dem Tode seines Vaters 1785 zum Kurfürst von Hessen succedirte, nach Kassel seine Residenz verlegt, aber immer war er eingedenk geblieben jener Scene im Pavillon, und es schien ihm nothwendig, dem Mayer Anselm Rothschild eine Genugthuung zu geben für die Beleidigungen und Schmerzen, welche er ihm angethan, und ihm zu beweisen, wie sehr er ihn hochachte und ihm vertraue.

Er ernannte also den Mayer Anselm Rothschild im Jahre 1801 zu seinem Hofagenten. Mayer Anselm ging mit dem fürstlichen Bestallungsschreiben zu seiner Gudula, die er im Familienzimmer im Kreise ihrer Kinder fand. Er reichte ihr das Papier dar und fragte lächelnd, ob sie etwa dem Kurfürsten noch grolle und ob sie etwas dawider habe, wenn er den Titel und das Geschäft annehme.

Gudula warf einen flüchtigen Blick auf das Papier und dann lächelte auch sie. „Ich groll’ dem Kurfürsten nicht,“ sagte sie, „im Gegentheil, er ist ja unser Brautführer gewesen und hat gemacht, daß der Mayer Anselm mein herzlieber Mann geworden. Aber ich möcht’ doch wissen, was der große Mayer Anselm Rothschild davon hat, wenn der kleine Kurfürst von Hessen ihn zu seinem Hofagenten ernennt.“

„Der Kurfürst von Hessen ist ein ausbündig reicher Herr,“ erwiderte ihr Mann ernst, „er wäre ein mächtiger und angesehener Herr, wenn er auch kein Fürst wäre, denn er besitzt viele Millionen Gulden.“

„Aber man weiß ja, auf welche Weise er sie sich erworben,“ sagte Gudula achselzuckend. „Hat seine armen Unterthanen für Geld an England verkauft, daß sie sollen helfen die Freiheit und Unabhängigkeit von Amerika unterdrücken. Hat sich lassen von England für jedes seiner gefallenen Landeskinder zahlen hundert Gulden und hat das Geld nicht etwa gegeben an die Hinterbliebenen der Gefallenen, sondern hat’s gesteckt in seine eigene Tasche, und einstmals, als in einer Schlacht am Mississippi nur wenige Hessen gefallen sind, da hat der Herr Kurfürst eigens geschrieben an den englischen commandirenden General in Amerika und hat sich beklagt, daß so wenig Hessen auf dem Schlachtfeld geblieben, und hat verlangt, daß man in den Schlachten die Hessen sollt’ immer dahin postiren, wo’s am gefährlichsten wär’![1] Ist mir ein prächtiger Landesvater, der Kurfürst von Hessen, verdient es wahrhaftig nicht, daß der Mayer Anselm Rothschild ihm die Ehr’ erweist, sein Hofagent zu werden.“

„Hast freilich Recht, Gudula,“ sagte Mayer Anselm sinnend, „ist ein schlechter Landesvater und hat für Geld seine Unterthanen verkauft an England. Aber ist doch Veranlassung gewesen zu einer großen und herrlichen Schöpfung. Wär’ der Kurfürst von Hessen nicht gewesen, so hätte der Friedrich Schiller nicht sein Trauerspiel Kabale und Liebe geschrieben, das Du neulich hast angeschaut mit mir im Theater und über welches Du so herzlich viel hast geweint.“

„Mit dem schlechten Landesfürsten hat er gemeint den Kurfürsten von Hessen?“ fragte Gudula lebhaft.

„Ja wohl, Gudula,“ erwiderte Mayer Anselm lächelnd, „und es hat nur an Dir gelegen, daß der Schiller mit der Lady Milford nicht hat gemeint die Gudula Schnapper.“

[819] Gudula erröthete, als wäre sie noch das junge Mädchen von achtzehn Jahren von damals. „Der Gott meiner Väter sei gepriesen, daß ich hab’ keine Gemeinschaft mit der armen Lady Milford, über die ich neulich so viel hab’ weinen müssen. Es ist ein gar herrliches Stück, das der Schiller da gemacht hat aus dem Kurfürsten von Hessen und seiner schlechten Wirthschaft, aber um des Schillers willen soll ihm vergeben werden, und wir wollen nicht weiter gehen mit ihm in’s Gericht. Thu’ ihm die Ehr’ an und nimm seinen Titel an, und vielleicht, wenn Du seine Millionen verwaltest, wird sich der Fluch, der an ihnen haftet, in Segen verwandeln!“

Mayer Anselm that also, was Gudula ihm erlaubt hatte, er nahm den Titel an, er ward der Hofagent des reichen Kurfürsten von Hessen-Kassel, er verwaltete mit Treue und Umsicht die ihm anvertrauten Millionen, und wie mißtrauisch und ängstlich der geizige Kurfürst auch immer sonst war, so hatte er doch zu Mayer Anselm’s Redlichkeit und Einsicht unbedingtes Vertrauen, denn er sah, wie seine Capitalien sich vermehrten und immer ungeheurer anwuchsen unter den Händen des klugen, weitschauenden Geschäftsmannes.

Aber während Mayer Anselm Rothschild in seinem kleinen, gemüthlichen Hause in der Judenstadt zu Frankfurt ein glückliches Familienleben führte, an der Börse der alten stolzen Reichsstadt ein immer angesehenerer Mann wurde, war außerhalb Frankfurts die ganze Welt in Aufruhr und Bewegung, durchhallte Kriegsgeschrei und Schlachtendonner ganz Europa, und der Name Napoleon’s, des Siegers von Marengo und Austerlitz und so vieler andern gewonnenen Schlachten, heulte wie die Windsbraut durch ganz Europa hin, und erfüllte die Herzen aller Fürsten mit Angst und Schrecken, die Herzen aller Völker mit Haß und Abscheu. Und endlich tönte er mit Donnergerolle auch hinein in die alte Reichsstadt Frankfurt, und bleich vor Entsetzen schrie Einer dem Andern entgegen: die Franzosen kommen! Sie rücken unter Mortier heran! Sie haben Hanau und Kassel und das ganze Gebiet des Kurfürsten eingenommen und besetzt, und den Kurfürsten verjagt! Und jetzt werden sie auch Frankfurt einnehmen wollen, und es ist aus mit der alten Reichsstadt, aus mit unsern Freiheiten und Rechten!

Am Abend dieses Tages der Schrecken und Aufregung, als Mayer Anselm längst sein Bureau geschlossen hatte und heimgekehrt war in sein Haus, um im stillen Gemach auszuruhen von den Anstrengungen des Tages, meldete man ihm, daß draußen ein Fremder stehe, der ihn dringend zu sprechen begehre.

„Die Sonne ist schon untergegangen,“ sagte Mayer Anselm unwillig, „und es werden heut’ keine Geschäft’ mehr gemacht.“

„Die Sonne ist untergegangen, aber sie wird auch wieder aufgehen, darauf hoffe ich,“ sagte eine ernste, traurige Stimme hinter ihm, und als Mayer Anselm sich umwandte, sah er da in der offenen Thür eine tief in einen Mantel gehüllte männliche Gestalt stehen.

„Wer seid Ihr?“ fragte Mayer Anselm, aufstehend und dem Verhüllten entgegenschreitend. „Mit welchem Rechte tretet Ihr hier ohne Zustimmung ein, und belauscht meine Worte, und –“

„Laßt den Diener hinaus gehen, Herr Hofagent, ich habe mit Euch zu reden,“ erwiderte der Fremde mit ernster, gebieterischer Stimme, indem er in das Gemach vorschritt.

Mayer Anselm mußte die Stimme wohl erkannt haben, denn er machte keine Einwendungen mehr, sondern entließ den Diener und verschloß hinter ihm die Thür.

Dann kehrte er zu dem Fremden zurück, der mit einem lauten Aechzen sich auf den Lehnstuhl des Hausherrn niedergelassen hatte.

„Ist es möglich, gnädigster Herr, Ihr seid es, und allein, zu Fuß?“ fragte Mayer Anselm mit schmerzlicher Verwunderung.

„Allein, zu Fuß und flüchtig,“ erwiderte der Fremde, indem er sein Haupt matt an die Lehne des Stuhls zurücksinken ließ. „Mich hungert, ich bin müde, ich bin den ganzen Tag zu Fuß gewesen. Gebt mir etwas zu essen, Mayer Anselm Rothschild.“

Mayer Anselm erwiderte nichts, er stürzte aus dem Zimmer, er rief sein Weib, er flüsterte ihr Etwas in’s Ohr, und dann waren sie Beide thätig und geschäftig in Küche und Keller. Mayer Anselm trug selbst, als wäre er der Diener des fremden Herrn, die Speisen und das Speisegeräth in das Zimmer des Hausherrn und servirte den Tisch, während der Fremde auf dem Lehnstuhl saß, mit geschlossenen Augen, in dämmerndem Halbschlummer.

„Gnädiger Herr, wenn es Ew. Hoheit gefällig wäre, es ist servirt“ sagte Mayer Anselm dann lächelnd, indem er den Tisch vor den Fremden hinrollte.

Dieser trank hastig ein Glas Wein und aß einige Bissen. Mayer Anselm stand ihm gegenüber, und schaute sinnend und gedankenvoll in sein trübes, bleiches Gesicht. Plötzlich hob der Fremde den Blick zu ihm empor, und die Augen der beiden Männer begegneten sich.

„Mayer Anselm,“ sagte er, „ich dachte eben an längst vergangene Zeiten.“

„Ich auch, gnädiger Herr Kurfürst,“ erwiderte Mayer Anselm sanft.

„Ich dachte daran, wie wir uns damals als Knaben zum ersten Male begegneten. Es sind jetzt dreiundfunfzig Jahre her, und doch sehe ich Euch noch ganz deutlich, wie Ihr vor mir standet mit Eurem zugleich klugen und trotzigen Gesicht, das mir, dem hochmüthigen Knaben, ein gewaltiges Aergerniß gab. Ich meine noch Eure Stimme zu hören, wie Ihr mir zum Abschied sagtet: „Ich bin der Mayer Anselm Rothschild und residire mit meiner Frau Mutter in der Judenstadt zu Frankfurt. Wenn Ihr meiner bedürft, so kommt nur zu mir.““

„Ich war ein recht unverschämter Junge damals,“ sagte der Banquier lächelnd.

„Nein, ich glaube, ich war es,“ erwiderte der Kurfürst, „und darum hat das Schicksal vielleicht gewollt, daß Euer Wort von damals sich auch erfüllen sollte. Mayer Anselm Rothschild, ich bin zu Euch gekommen, weil ich Euer bedarf.“

„Und Ew. Hoheit wissen wohl, daß Sie auf meinen Diensteifer zählen können.“

„Ich weiß, daß Ihr ein braver und rechtlicher Mann seid, und ich vertraue Euch. Seht mich an,“ fuhr der Kurfürst fort, indem er seinen Mantel zurückschlug, „ich bin als Bauer verkleidet, und nur dieser Verkleidung verdanke ich mein Leben. Die Franzosen haben mich vertrieben, haben meine Städte besetzt, meine Beamten verjagt, und Napoleon, meinen Haß gegen ihn und sein fluchwürdiges Räuberwesen kennend, hat mich meines ererbten und legitimen Thrones für verlustig erklärt. Meine Familie ist bereits glücklich nach Dänemark entkommen, ich konnte nicht sogleich mit ihnen gehen, denn ich mußte wenigstens für mein Vermögen Sorge tragen, da man mir mein Land gestohlen hat. Die sichern Geldpapiere nehme ich mit mir, aber das baare Geld, und Ihr wißt wohl, daß ich eine Freude an meinen schönen Goldrollen habe, das baare Geld kann ich nicht mit mir nehmen. Ich habe das Geld selbst in Säcke verpackt, die außerdem Korn enthalten, und ich habe die Säcke auf einem Bauerwagen, als Bauer verkleidet, hieher gebracht. Der Wagen hält vor der Thür. Mayer Anselm Rothschild, wollt Ihr mir mein Geld aufheben und behüten?“

„Ich will es, Herr Kurfürst,“ erwiderte der Banquier einfach.

„So laßt die Säcke abladen und hier hereinbringen. Beordert Eure Leute. Mein vertrauter Kammerdiener ist draußen bei dem Wagen.“

„Aber wär’s nicht besser, Hoheit, wenn ich allein die Säcke hereinschaffte?“

„Unmöglich! Sie sind zu schwer, denn es sind drei Millionen in geprägten Louisd’or und Goldbarren. Ich habe sie in zwölf Säcke vertheilt.“

„Drei Millionen!“ rief Mayer Anselm seufzend, „es wird sehr schwer sein so viel Geld sicher zu verbergen.“

„Ihr werdet es zu Stande bringen,“ sagte der Kurfürst; „eilt Euch, Rothschild, laßt die Säcke abladen, damit ich mein Geld in Eurem Besitz weiß. Dann muß ich fort.“

Eine Stunde später waren die zwölf Säcke ausgeladen, und die zwölf Fässer mit Louisd’or und Goldbarren standen in Mayer Anselm’s Zimmer.

Der Kurfürst betrachtete sie mit zärtlich traurigen Blicken, wie ein Liebender, der Abschied nimmt von seiner Geliebtesten.

„Mayer Anselm Rothschild,“ sagte er, „ich vertraue Euch dasjenige an, was auf der Welt das Höchste, Wichtigste und Nothwendigste ist, mein Geld. Ich bin ein armer, flüchtiger Mann. Ihr sollt mich davor bewahren, daß ich ein Bettler werde. Wollt Ihr es?“

Mayer Anselm Rothschild legte seine beiden Hände auf die Geldsäcke, und sagte heimlich: „Ich schwöre es Euch bei dem Allerheiligsten in unserm Tempel, bei Jehovah im Himmel und bei [820] Allem was mir heilig ist auf Erden, ich schwöre es Euch, Herr Kurfürst, daß ich Euer Geld bewahren und behüten, daß, wenn es sein muß, ich es selbst mit meinem Leben vertheidigen will. Ich schwöre auch, daß ich die ganze Sache geheim halten will vor Jedermann!“

„Ich weiß, Ihr werdet Euren Schwur halten, Mayer Anselm,“ sagte der Kurfürst ernst, indem er dem Banquier seine Hand darreichte. „Und jetzt lebt wohl, Rothschild, ich muß fort. Betet für mich, daß ich meinen Verfolgern glücklich entkomme und eine Zuflucht finde, bis daß die Zeit der Rache gekommen ist, die Zeit, da Deutschlands Völker und Fürsten die Schmach und Erniedrigung vergelten und sühnen werden, unter welcher sie jetzt dahin gehen.“

Als der Kurfürst ihn verlassen hatte, verschloß Mayer Anselm die Thür seines Zimmers, und wäre Baruch Schnapper noch am Leben gewesen, und hätte er noch da gegenüber gewohnt in dem kleinen Hause, so würde er sich gewundert haben, diese ganze Nacht in dem Zimmer seines Schwiegersohnes Licht zu sehen, und seinen Schatten an den Vorhängen zu gewahren, wie er kam und ging, und wie das Licht zuweilen verschwand, und dann wieder im Erdgeschoß aufglänzte, und wie dort hinter den keinen Kellerfenstern dann auch wieder ein Schatten kam und ging, und wie das dauerte und sich immer wiederholte die ganze Nacht hindurch. Aber Baruch Schnapper war längst heimgegangen zu seinen Vätern, und nur der Diener des Banquiers wunderte sich am andern Morgen, als er die Kleider seines Herrn so beschmutzt fand mit Erde und Staub, und Spuren von Kalk und Mörtel daran entdeckte.

Mayer Anselm sprach zu Niemand über den Besuch des flüchtigen Kurfürsten, er hatte ihm ja geschworen sein Geheimniß zu bewahren, und er that es. Aber es verbreitete sich dennoch gar bald ein dunkles Gerücht davon durch ganz Frankfurt, denn die Nachbarn hatten den Wagen vor Mayer Anselm’s Thüre halten sehen und zugeschaut, mit welcher Anstrengung man die Säcke in das Haus geschafft, und die Leute, welche die Säcke getragen, erzählten mit geheimnißvoller Miene, wie ungeheuer schwer sie gewesen, und daß sicherlich in diesen Säcken kein Korn gewesen. Und man combinirte und calculirte so lange, bis man der Wahrheit so ziemlich auf die Spur kam, und überall sich die Nachricht verbreitete: der Kurfürst ist glücklich entflohen und seine Millionen hat er seinem Hofagenten, dem Mayer Anselm Rothschild, in Verwahrung gegeben. Und diese Nachricht flog weiter, von Mund zu Mund, hinaus in die Welt, den Franzosen entgegen, die jetzt von Hanau daher zogen, um Frankfurt zu erobern und aus der alten deutschen Reichsstadt die Residenzstadt eines Großherzogs von Napoleon’s Gnaden zu machen! Und ein Deutscher war’s, der diese großherzogliche Krone aus den Händen des französischen Usurpators empfangen sollte. Sonst seit Jahrhunderten bei jeder Kaiserkrönung hatte der Reichsherold gerufen. „Ist kein Dalberg da?“ Und dann war ein Dalberg gekommen und hatte sein Knie gebeugt vor dem deutschen Kaiser, um von ihm den Ritterschlag zu empfangen, und ihm den Eid unverbrüchlicher Treue zu leisten. Jetzt aber hatte der französische Kaiser den Dalberg gerufen, und der Dalberg hatte vor dem Unterdrücker Deutschlands das Knie gebeugt, und hatte ihm den Eid der Treue geleistet, und hatte sich von ihm stempeln lassen zum Großherzog von Frankfurt.

Aber bevor der neugeschaffene Großherzog einziehen konnte in seine Residenz, mußte diese Residenz doch erst ihrer alten Freiheiten und Privilegien beraubt werden, mußte ihre Verfassung verlieren und aufhören eine deutsche, freie Reichsstadt zu sein! Napoleon hatte gesagt, daß es so sein solle, und was er sagte, das war damals wie der Machtspruch einer Gottheit, dem man sich unterwerfen mußte.

Die Franzosen rückten von Hanau und Kassel in großen Colonnen heran, und was konnte Frankfurt anders thun, als sich der Uebermacht fügen, als sich unterwerfen?

Es unterwarf sich, und die Franzosen waren jetzt die Herren und Gebieter; die guten Bürger von Frankfurt, die heute Morgen als freie deutsche Männer aufgestanden waren, sahen sich am Abend in Unterthanen des Großherzogs von Napoleon’s Gnaden verwandelt.

Am Nachmittag dieses selben Tages zog eine Colonne französischen Militärs auch in die Judengasse von Frankfurt ein. Der voranschreitende Officier fragte die gaffenden Kinder, die am Thore standen und ganz verwundert darüber waren, daß so schöne und vornehme Soldaten die alte schmutzige Judenstadt besuchen wollten, ob sie vielleicht wüßten, wo der Mayer Anselm Rothschild, der Hofagent des Kurfürsten von Hessen, wohne.

Sie wußten’s Alle, die gaffenden Kinder, und sie rannten diensteifrig voraus, um den französischen Soldaten den Weg zum Hause des Mayer Anselm Rothschild zu zeigen.

Mayer Anselm saß ruhig in seinem Arbeitszimmer und berechnete beim Abschluß der Woche seine Bücher, als die Thüre hastig aufgerissen ward und Gudula bleich und angstvoll hereinstürzte.

„Mayer Anselm, es sind französische Soldaten in’s Haus gedrungen! Sie haben die Straße und den Hof besetzt, sie stehen auf dem Flur und auf der Treppe. Wir sind verloren! Sie werden’s erfahren haben, daß der Kurfürst bei Dir war, daß –“

„Still, Gudula,“ unterbrach sie ihr Gatte ruhig, „siehst Du nicht, daß wir nicht allein sind?“

In der That, es befanden sich einige französische Officiere in dem Gemach, und vor der geöffneten Thür standen französische Soldaten mit geschultertem Gewehr.

Mayer Anselm schritt den Officieren ruhig entgegen und fragte nach ihrem Begehr.

„Wir sind beauftragt, von Ihnen die Millionen einzufordern, welche der vormalige Kurfürst von Hessen Ihnen anvertraut hat,“ sagte der erste der Officiere.

„Ich habe keine Millionen von dem Kurfürsten von Hessen empfangen,“ erwiderte der Banquier ruhig.

Der Officier lächelte. „Sie weigern sich die Millionen herauszugeben? Der Kaiser Napoleon hat befohlen, daß dieselben dem Großherzog von Frankfurt übergeben werden sollen. Wir haben die strengsten Ordres, von Ihnen diese Millionen einzucassiren.“

„Ich weiß von keinen Millionen,“ rief Mayer Anselm. „Der Herr Kurfürst von Hessen hat mir nichts in Verwahrung gegeben.“

„Wir wissen mit Bestimmtheit, daß der abgesetzte Kurfürst Ihnen seine Millionen anvertraut hat, leugnen Sie es also nicht. Man wird Ihr Eigenthum schonen, man will nichts rauben von Ihrem Hab’ und Gut, Sie sollen nur herausgeben, was nicht Ihnen gehört.“

„Ich weiß von keinen Millionen,“ wiederholte Mayer Anselm.

„Ich warne Sie,“ rief der Officier heftig. „Sie sehen, Ihr Haus ist besetzt, bewaffnete Soldaten stehen vor Ihrer Thür. Wir haben gemessene Ordre, und wenn Sie nicht gutwillig nachgeben, sind wir zu den strengsten Maßregeln genöthigt. Ich darf es Ihnen nicht verhehlen, Sie riskiren sogar Ihr Leben, wenn Sie beharren bei Ihrer Weigerung.“

„Er ist verloren! Sie werden ihn tödten,“ murmelte Gudula, indem sie auf ihre Kniee niedersank und ihre gefalteten Hände zum Himmel emporrang.

„Sie können mich tödten,“ sagte Mayer Anselm ruhig, „aber Sie können mich nicht zwingen zu bekennen, was ich nicht weiß.“

Der Officier winkte einige Soldaten in das Gemach. „Besetzt alle Thüren,“ befahl er ihnen, „durchsucht alle Räume vom Boden bis zum Keller, laßt Niemand aus dem Hause hinaus, und wo Ihr Widerstand findet, da macht Ihr Gebrauch von Euren Waffen. Geht! Ich mache Euch die genaueste Durchsuchung zur Pflicht!“

Man hörte das taktmäßige Abmarschiren der Soldaten, die sich nun durch alle Räume des Hauses vertheilten. Mayer Anselm stand mit bleichem, aber entschlossenem Gesicht mitten in dem Gemach und horchte aufmerksam auf das Geräusch und das Getobe der Soldaten. Gudula lag noch immer auf den Knieen und betete.

„Mein Herr,“ sagte der Officier, „ich wiederhole es Ihnen, wir haben Befehl, zu den äußersten Mitteln zu schreiten. Wenn Sie die Millionen nicht herausgeben, bin ich gezwungen, Sie als Hochverräther und Rebellen erschießen zu lassen.“

Gudula stieß einen Schrei des Entsetzens aus und sprang empor, um zu ihrem Manne hinzueilen, um ihn zu umklammern mit ihren Armen und sich fest, fest an seine Brust zu drücken.

„Mayer Anselm,“ flehte sie, „sei barmherzig gegen mich und Deine Kinder! Du darfst nicht sterben, Du mußt Dich uns erhalten! Du mußt der Gewalt weichen. Du darfst Dein Leben nicht hingeben für elendes Geld! O Gott, Gott, sie werden Dich tödten!“

„Sie werden mich tödten, aber ich werde sterben als ein ehrlicher Mann,“ sagte Mayer Anselm fest. „Geh’ zu Deinen Töchtern, Gudula! Rufe mir die Söhne hierher!“

[821] „Es darf Niemand hier eintreten,“ sagte der Officier. „Alle Zimmer sind besetzt, und Jeder, der sich in einem Zimmer befindet, bleibt darin als Gefangener, bis Ihr sie befreit, indem Ihr bekennt, oder bis nach der Execution.“

„So bleiben meine Kinder Gefangene,“ rief Mayer Anselm ruhig, „und Du, Gudula, bleibst bei mir bis zur Execution!“

„Ich will beten, beten!“ flüsterte Gudula und sie sank wieder auf ihre Kniee nieder.

Nun ward Alles still in dem Gemach. An der Thüre standen Soldaten mit geschultertem Gewehr, die Officiere hatten sich in die Fensternische zurückgezogen.

Nach einiger Zeit trat eine Ordonnanz in das Zimmer, um zu melden, daß sie den obern Bodenraum des Hauses durchsucht und nirgends Geld oder Geldeswerth gefunden hätten.

„Sie verharren bei Ihrem Leugnen?“ fragte der Officier.

„Ich verharre dabei,“ erwiderte Mayer Anselm ruhig.

„Auch wenn ich Ihnen sage, daß wir durch unsere Spione und Agenten es mit Bestimmtheit wissen, daß der Kurfürst bei Ihnen war, daß er Ihnen seine Schätze anvertraut hat?“

„Auch dann noch!“

„Auch dann noch, wenn ich Ihnen sage, daß Sie nicht blos sich durch Ihr Schweigen zum Tode verurtheilen, sondern alle Ihre Glaubensgenossen gefährden? Denn wenn Sie uns die Millionen nicht ausliefern, so werden Sie erschossen, und dann erlaube ich den Soldaten die Plünderung der Judenstadt.“

„Mayer Anselm, sei barmherzig,“ schrie Gudula „errette unsere armen Glaubensgenossen. Unterwirf Dich der Gewalt!“

„Ich unterwerfe mich ihr, darum bin ich bereit, mein Leben hinzugeben,“ sagte Mayer Anselm feierlich.

„Und das Leben vieler Ihrer Glaubensgenossen zu gefährden, denn Sie wissen es wohl, wenn die Plünderung der Judenhäuser begonnen hat, so wird der Fanatismus aus der Plünderung einen Vernichtungskampf, eine Glaubenssache machen.“

„Mayer Anselm,“ jammerte Gudula, „gedenke Deines Vaters und Deiner Mutter, die keine Ruhe werden haben im Grabe, wenn ihr Sohn es ist, der sein geknechtetes Volk in neues Unglück stürzt; gedenke des Elends und der Noth, das auf den unsern lastet, und wolle nicht den Jammer noch vergrößern. Wehre ab neues Unheil, wenn Du es vermagst, erbarme Dich der Schwachen und Kranken, errette Dein Volk.“

Mayer Anselm stand da, unbeweglich, mit todtenbleichem Angesicht, mit festgeschlossenen Lippen, die Augen mit einem traurigen fragenden Blicke aufwärts gewandt.

Wieder trat jetzt eine Ordonnanz ein, um zu melden, daß man auch die untere Etage des Hauses durchsucht habe, ohne irgend etwas zu finden.

[822] „So begebt Euch jetzt hinunter in die Keller,“ befahl der Officier, „nehmt Hacke und Spaten mit, untersucht den Keller ganz genau, und wenn Ihr auch dort nichts findet, ist die Untersuchung beendet und die Execution beginnt.“

„Mayer Anselm,“ schrie Gudula in Verzweiflung, „errette mir den Vater Deiner Kinder, errette Dein Volk!“

Ihr Gatte richtete sich empor und athmete hoch auf, man sah es wohl an seinen zuckenden Zügen, er hatte einen letzten Kampf mit sich selber gekämpft. Der Schweiß stand in großen Tropfen auf seiner bleichen Stirn, und als er dann sprach, war seine Stimme matt und gebrochen.

„Nun wohl,“ sagte er, „ich gebe nach. Gott ist mein Zeuge, daß ich nicht anders kann, daß ich mich unterwerfen muß. Herr Hauptmann, rufen Sie Ihre Leute zurück, lassen Sie mein Haus nicht ganz und gar zerstören. Geben Sie Befehl, daß sie sogleich Alle mein Haus verlassen und meine Kinder freilassen, und ich bin bereit, das mir anvertraute Geld herauszugeben.“

„Endlich!“ rief der Officier. „Ich sage Ihnen, Mann, Sie standen bereits mit einem Fuß im Grabe, denn ich hätte Sie erschießen lassen, ich hatte strengen Befehl dazu. Das Flehen Ihrer Frau, welches Ihren Starrsinn erweichte, hat Sie vom Tode errettet. Meine Herren Officiere, bringen Sie den Soldaten die Ordre, daß die Untersuchung beendet ist, verlassen Sie mit den Mannschaften sofort das Haus und postiren Sie sich mit denselben auf der Straße bis auf weitere Ordre. Nur die Posten hier an der Thür bleiben noch.“

Die Officiere verließen das Zimmer, und der Hauptmann wandte sich wieder dem Banquier zu. „Jetzt, mein Herr, erfüllen Sie Ihr Versprechen. Uebergeben Sie mir die Gelder.“

Mayer Anselm stieß einen letzten bangen Seufzer aus und schien nach Athem zu ringen. „Gudula,“ sagte er dann mit sanfter, bittender Stimme, „gehe jetzt hinaus. Man wird Dich nicht länger zurückhalten. Begieb Dich in das Familienzimmer und erwarte mich dort mit unsern Söhnen und Töchtern. Ich werde zu Euch kommen, sobald ich die Geschäfte mit diesem Herrn beendet habe.“

Gudula nahm seine ihr dargereichte Hand, drückte einen langen inbrünstigen Kuß auf dieselbe und grüßte ihn mit ihren Augen, dann schlich sie schweigend und demüthig hinaus.

Mayer Anselm wartete, bis die Thür sich hinter ihr geschlossen hatte, bevor er entschlossenen Schrittes durch das Gemach ging nach der gegenüberliegenden Wand. Er nahm von derselben das Bild ab, welches sich über seinem Repositorium befand. Eine kleine eiserne Thür ward sichtbar. Der Banquier zog aus seiner Brusttasche einen Schlüssel hervor und öffnete dieselbe. Man sah nun in einen in der Mauer angebrachten Verschlag, der ganz und gar mit Geldrollen, gefüllten grauen Leinenbeuteln und Papieren angefüllt war.

„Hier, mein Herr,“ sagte Mayer Anselm mit tonloser Stimme. „Es sind zwei Millionen achtmalhunderttausend Thaler in Gold, in Barren und in guten Werthpapieren.“

Zwei Stunden später trat Mayer Anselm in das Familienzimmer ein, in welchem er seine Frau, seine Söhne und Töchter versammelt fand.

Er grüßte sie Alle mit einem Neigen seines Hauptes, und ein wunderbarer Friede, eine stolze Freudigkeit war in seinen Zügen ausgeprägt. Mitten in dem Gemach blieb er stehen, hochgehobenen Hauptes, fester Haltung, wie ihn die Söhne nur in großen, entscheidenden Momenten gesehen.

„Söhne meines Herzens und meiner Liebe,“ sagte er, „als ich Euch zu Theilnehmern machte in meinem Geschäft, welches war da das Wort, welches ich Euch gab zum Gesetz Eures Lebens? Antworte Du, Anselm, im Namen Deiner Brüder. Wie lautet das Gesetz, das ich Euch gegeben?“

„Seid treu Euch selber und denen, welche Euch vertrauen,“ sagte der junge Mann feierlich. „Haltet fest an dem Glauben Eurer Väter, haltet fest an Arbeit und Ehrlichkeit. Heilig sei Euch Euer Wort, und was Ihr versprochen habet, das sei so unverbrüchlich, daß man darauf bauen kann wie auf einen Fels. Verschmähet nicht den kleinsten Gewinn, wenn er gemacht wird auf ehrliche Weise, verschmähet den größten Gewinn, wenn Ihr dabei müßt niederschlagen die Augen vor der Redlichkeit und Treue. So habet Ihr gesprochen, Vater, und ich hoffe, Ihr werdet uns geben das Zeugniß, daß wir darnach gelebet und gehandelt.“

„Und ich hoffe,“ rief ihr Vater mit begeisterter Stimme, „und ich hoffe, Ihr sollet in meiner Sterbestunde auch mir geben das Zeugniß, daß ich darnach gelebt und gehandelt. Meine Söhne, ich hatte einem Manne, der mir sein Geld anvertraute, mit dem heiligsten Eide geschworen, es ihm aufzubewahren und zu behüten, es zu vertheidigen mit meinem Leben. War ich verpflichtet, ihm Wort zu halten?“

„Ihr wart verpflichtet, ihm Wort zu halten,“ riefen die Söhne wie aus einem Munde.

„Und wenn ich sein Geld retten konnte, indem ich das meine hingab, mußte ich es geben?“

„Ihr mußtet es geben, Vater!“

„Nun wohl, ich habe meine Schuldigkeit gethan. Ich habe mein gegebenes Wort erfüllt. Das mir anvertraute Geid und Gut ist gerettet, aber mein und Euer ganzes Vermögen und Alles, was wir gehabt im Geschäft, ist verloren. Ich bin wieder ein armer Mann.“

„Nein,“ rief Gudula, und auf ihrem gealterten Gesicht glänzte ein Strahl der ewigen Jugend und der ewigen Liebe, „nein, Du bist reich, Mayer Anselm, denn Du bist ein braver Mann, Du hast ein Weib und Söhne und Töchter, welche Dich lieben. Du hinterläßt Deinen Kindern einen ehrenvollen Namen und ein reines Gewissen.“

Mayer Anselm stieß einen Freudenschrei aus und zog sein Weib an seine Brust. „Gudula,“ rief er, „ich sage Dir heute, wie ich es Dir damals sagte, als Du die Braut wurdest des armen Mayer Anselm: Ich bin ein reicher Mann, denn Dein Herz ist ein Schatz, der unvergänglicher ist, als Geld und Gut! Meine Söhne, unser Reichthum ist verloren, aber nicht unsere Kraft. Wir werden wieder von Neuem anfangen. Wir werden arbeiten, und Gott wird uns seinen Segen geben!“

– – – Und Gott gab seinen Segen! Das Haus Rothschild wuchs und gedieh, und sein Credit war nicht einen Augenblick erschüttert. Niemand wußte ja, daß Mayer Anselm sein Vermögen verloren, nur das hatte man erfahren, daß Mayer Anselm von den Franzosen gezwungen worden, die ihm anvertrauten Gelder des flüchtigen Kurfürsten herauszugeben, und Niemand tadelte ihn deshalb, denn man wußte, daß er nur der äußersten Gewalt gewichen war.

Und so verging die Zeit, und es kamen für das erniedrigte und in den Staub getretene Deutschland die Tage der Erhebung, die Tage der Rache. Das Volk, welches so lange wie ein gebändigter Löwe am Boden gelegen unter den Füßen des Allgewaltigen, das deutsche Volk brach seine Ketten, und stand auf, und ward sich seiner Kraft bewußt, und zwang seine Fürsten abzulassen von dem Usurpator und die nationale Sache zu der ihrigen zu machen. Das deutsche Volk erkämpfte sich seine Freiheit, seine Ehre wieder, und im Jahre 1813 am 18. October, da nahm es seine Rache, da übte es Vergeltung, da trieb es Napoleon mit seinen flüchtigen Schaaren hinaus aus Deutschland, und dann, dann nahm der großmüthige Löwe freiwillig seine Ketten wieder auf, und ordnete sich wieder unter seinen Bändigern und seinen Herren, rief seine verjagten Fürsten zurück, und aus den freien deutschen Männern wurden wieder deutsche Unterthanen von achtunddreißig Fürsten.

Auch der Kurfürst von Hessen kehrte nach der gewonnenen Schlacht bei Leipzig wieder heim in seine Staaten, und sein Volk, das großmüthig all’ die Unbill, welche der Kurfürst ihm früher angethan, vergessen hatte, sein Volk nahm ihn wieder an zu seinem Herrn.

Nachdem die Tage der Huldigung vorüber waren, begab sich der Kurfürst nach Frankfurt, und sein erstes Geschäft war, daß er nach dem Banquierhause Rothschild sandte, und den Chef desselben zu sich entbieten ließ.

Eine Viertelstunde später meldete man dem Kurfürsten den Banquier Anselm Rothschild, er befahl ihn einzulassen, und schritt hastig nach der Thür hin.

Aber es war nicht Mayer Anselm Rothschild, welcher da eintrat, sondern ein jüngeres Abbild von ihm, ein Mann von kaum vierzig Jahren.

„Wer seid Ihr, mein Herr?“ fragte der Kurfürst hastig. „Ich sandte nach meinem Hofagenten, dem Mayer Anselm Rothschild.“

„Hoheit, er konnte Eurem Rufe nicht folgen, denn Gott hat ihn zu sich gerufen.“

[823] „Er ist todt?“

„Ja, Hoheit, er starb vor einem Jahr.“

„Er war ein braver, guter Mann,“ sagte der Kurfürst seufzend. „Ich hegte das größte Vertrauen zu ihm, und ich habe es ihm bewiesen. Ich kann ihm auch keinen Vorwurf daraus machen, daß das Resultat meines Vertrauens unglücklich ausgefallen. Ich habe durch meine Agenten und Bevollmächtigten Alles erfahren, und ich weiß, daß Euer Vater nur nach dem tapfersten Widerstreben und gezwungener Weise den schändlichen französischen Räubern mein Geld ausgeliefert hat. Euer Vater hat sich benommen als ein redlicher und treuer Mann, ich gebe ihm dies Zeugniß noch in das Grab, und was die drei Millionen anbelangt, die ich ihm übergeben, so habe ich sie verschmerzt. Nicht deshalb ließ ich Euch rufen, es sind mir Gott sei Dank noch einige Millionen geblieben, und die wollte ich Eurem Vater übergeben, daß er sie mir sicher anlege. Ich beklage es, daß er gestorben, denn wie gesagt, er war ein redlicher, treuer Mann, und es ist nicht seine Schuld, daß meine drei Millionen verloren gegangen.“

„Hoheit,“ sagte Anselm Rothschild lächelnd, „Ihre Millionen sind nicht verloren gegangen!“

„Wie meint Ihr das? Es ist also nicht wahr? Man hat Euren Vater nicht ausgeplündert?“

„Ja, Hoheit, das ist wahr. Aber mein Vater hatte Eurer Hoheit geschworen, Ihnen das ihm anvertraute Gut zu bewachen, und er hat seinen Schwur erfüllt. Er übergab den Franzosen, die ihn mit dem Tode bedroheten, sein eigenes Vermögen und rettete dadurch die drei Millionen Eurer Hoheit.“

„Sodaß meine Millionen also wirklich nicht verloren gegangen sind!“ rief der Kurfürst mit aufleuchtendem Gesicht.

„Hoheit, das Haus Rothschild ist bereit, wenn Eure Gnaden es befehlen, die drei Millionen sofort auszuzahlen, nebst den üblichen Zinsen, vom Tage des Empfanges an.“

Der Kurfürst blickte staunend, athemtos in das ruhige, unbewegte Gesicht des Banquiers. „Alles?“ fragte er nach einer Pause. „Ihr konntet mir Alles verleugnen, und Ihr gebt mir Alles, das Capital sowohl, wie die Zinsen?“

„Es ist selbstverständlich, Hoheit,“ erwiderte der Banquier ruhig. „Nur um Eins ersuchet das Haus Rothschild Eure Hoheit, nämlich um dieses: daß Ihr wollet in Anbetracht der schlimmen Umstände, unter denen unser Vater Eure Millionen rettete, nicht bis zum heutigen Tage von den Zinsen den Zins fordern, sondern diesen Zins uns anrechnen für die jahrelange Verwaltung der drei Millionen. Wir sind bereit über Alles Rechenschaft abzulegen.“

„Aber ich bin nicht bereit sie entgegenzunehmen,“ rief der Kurfürst lebhaft. „Herr Banquier Anselm Rothschild, Ihr seid der würdige Sohn Eures Vaters. Ich habe einmal vor Eurem Vater beschämt die Augen niederschlagen, vor seinem Sohne will ich es nicht. Ihr sollt mir die drei Millionen nicht auszahlen, sie bleiben in Eurem Geschäft, und es darf keine Rede mehr sein von den Zinsen und Procenten, die Ihr mir anbietet vom Tage des Empfanges bis zu dieser Stunde. In diesem Augenblicke erst übergebe ich Euch meine drei Millionen, Herr Banquier Rothschild, und erst vom heutigen Tage an könnt Ihr mir Procente berechnen, doch dürfen dieselben nicht mehr als die Hälfte des üblichen Zinsfußes betragen.“

„Eure Hoheit, ich weiß nicht, ob ich diese Großmuth annehmen darf, und –“

„Still,“ unterbrach ihn der Kurfürst ernst, „redet nicht von Großmuth, sonst müßte ich bekennen, daß Ihr es seid, der sie geübt, Ihr, der Banquier gegen den Kurfürsten. Aber ich habe in diesen Jahren der Verbannung viel Neues begriffen, und der fürstliche Hochmuth hat sich beugen gelernt und eingesehen, daß es außer den legitimen Fürsten noch andere Fürsten giebt, und daß das Geld ebenso gut Throne aufrichtet, wie die Geburt. Wir conferiren also Macht gegen Macht, Herr Anselm Rothschild. Ich bin der Kurfürst, Ihr seid der Geldfürst. Und wer weiß, vielleicht ist der Geldfürst zuletzt mächtiger als der Kurfürst. Was ich dann thun kann, Euch Macht in die Hände zu geben, das soll geschehen. Ihr sollt sehen, Herr Geldfürst, daß der Kurfürst nicht undankbar ist, und daß er sich nicht schämen wird, laut gegen Jedermann zu bekennen, wie viel Dank er Euch schuldet!“

Und der Kurfürst hielt seinem Banquier, dem Oberhofagenten Rothschild, den er zum hessischen Finanzrath ernannt, sein Wort, hielt ihm besser Wort, als seinem Volk, dem er die versprochene Constitution bald wieder nahm.

Als die Fürsten alle in Wien sich zum Congreß versammelten, als dort, wie der Fürst von Ligne sagte, „die europäischen Fürsten ihre Ferien feierten“, als dort „der Congreß tanzte, aber nicht vorwärts schritt“, da erzählte bei einem der heitern festlichen Gastmahle der Kurfürst von Hessen den anwesenden Königen und Fürsten die Geschichte seiner drei Millionen und der Redlichkeit des Hauses Rothschild. Und staunend vernahmen die Fürsten diese seltene Mähr, und Jeder dieser gekrönten Herrn erklärte sich freiwillig bereit die seltene Redlichkeit zu lohnen. Und dies Mal hielten alle Fürsten Wort. Oesterreich erhob die Gebrüder Rothschild in den Freiherrnstand, Preußen ernannte sie zu Geheimräthen, die andern Fürsten decorirten sie mit Orden, und alle Fürsten, die kleinen wie die großen, wenn sie des Geldes bedurften, wandten sich an das Haus Rothschild, an die Geldfürsten, von denen man bald sagen konnte, daß sie mehr als die legitimen Fürsten über Krieg und Frieden zu entscheiden hatten.

Gudula, die Stamm-Mutter des Hauses Rothschild, die treu verblieb in ihrem kleinen Hause in der Judenstadt, obwohl die Söhne längst sich fürstliche Paläste gebaut da draußen auf der Zeil und anderswo im schönen Frankfurt, in Wien, Paris, Neapel und London, Gudula kannte auch gar wohl die Macht ihrer Söhne, der Geldfürsten. Als im Jahre 1830 eine Nachbarin weinend zu ihr kam und klagte über die Revolution, die in Frankreich und Polen ausgebrochen, und daß es nun wohl zum großen Kriege kommen werde, da antwortete Madame Gudula lächelnd und stolz: „Sei Sie ohne Furcht, meine Gute. Ich werde meinem Sohn sage, daß er dene Fürschte soll nit gebe Geld, und dann können die Fürschte keinen Krieg mache.“

  1. Historisch.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Stimmer