Der Krieg IV
Unsere Leser stehen mit uns dem dermaligen Kriege zweier großer europäisch-orientalischer Mächte vor der Hand noch als ruhiger Beobachter gegenüber, und sie wünschen sicherlich mit uns, daß dieser Standpunkt uns bis zu Ende desselben erhalten bleibe. Abgesehen von der rein menschlichen Theilnahme für die Völker, deren Familienleben nun büßen muß, was die hohe Politik gesündigt hat, und denen wir unser Mitleid nicht versagen, unter welchem Glaubenszeichen sie geboren sein mögen, abgesehen von diesem Blick auf das neue Elend des Kriegs, das wir selbst nun genügend kennen gelernt haben, nimmt die begonnene orientalische Fragelösung eben nur die erste Stelle im Tages-Interesse ein, hetzt die gesammte Kriegsschreiberei [393] in gesteigerte Thätigkeit und giebt dem Publicum Gelegenheit, aus dem Schatz der von ihm erlebten Ereignisse Vergleiche mit denen auf dem russisch-türkischen Kriegsschauplatz anzustellen.
Wir sind verwöhnt durch die Riesenschritte in der Kriegsführung seit 1859. Was vordem in Jahren geschah, sahen wir seitdem in ebensoviel Monaten, ja Tagen vollbringen. Noch der erste Dänenkrieg von 1848 zog sich drei Jahre hin und ward im Januar 1851 in einer Weise geendet, daß die deutsche Geschichte noch heute darüber erröthet. In großartigem Style begann der Krimkrieg. Zwei Großmächte und eine Kleinmacht (Sardinien) kamen dem „kranken Mann“ gegen Rußland zu Hülfe; die Tage von Troja schienen sich zu wiederholen; so setzte der ganze Kriegszug sich vor einer Stadt fest. Ungeheure Opfer an Gut und Blut kostete diese Belagerung, die allerdings nicht zehn Jahre, aber trotz der modernen Zerstörungsmittel doch allein elf Monate in Anspruch nahm, und noch ein halb Jahr lang wehrte sich Rußland, bis es zu einem demüthigenden Frieden genöthigt werden konnte.
Dagegen war der französisch-österreichische Krieg von 1859 zwischen den zwei damals stärksten Armeen Europas in nicht ganz drei Monaten abgethan. Der Kampf Preußens und Italiens gegen Oesterreich und den deutschen Bund, 1866, war in sieben Tagen entschieden und in sieben Wochen vollendet, daher der französisch-chauvinistische Zeterschrei der „Revanche für Sadowa“. Im letzten französisch-deutschen Kriege geschah die erste Entschiedung (Sedan) schon vier Wochen nach dem ersten
Kanonenschuß; nach vier Monaten und neun Tagen ergab sich Paris, und nach sieben Monaten, vom Tage der Kriegserklärung an, feierten wir Sieg und Frieden.
Der jetzige russisch-türkische Krieg, von beiden Seiten längst vorausgesehen und vorbereitet, dauert heute, Ende Mai, schon über fünf Wochen. Schon jetzt läßt sich erkennen, daß an eine so rasche Kriegsführung, wie sie den drei genannten Feldzügen gelungen ist, hier nicht gedacht werden kann. Auch wenn beide Kriegsherren, der Czar und der Sultan, ihre Soldaten nicht aus so weiten Entfernungen ihrer über mehrere Erdtheile sich ausbreitenden Reiche herbeizuziehen hätten, würde der Kampfboden selbst es sein, welcher dem Vordringen von beiden Seiten große Hindernisse entgegenstellt. Anders scheint sich dies allerdings auf dem asiatischen Festlande zu gestalten und dort dem Vormarsche der Russen die Natur nicht zuwider zu sein. Desto schlimmer droht aber dort der Feind im Innern und im Rücken, der aufgestachelte Fanatismus der von Rußland besiegten und unterjochten Völker muhamedanischen Glaubens, zu werden. An den Küsten des Schwarzen Meeres wiederholt sich das Kriegsspiel, das einst Deutsche und Dänen aufführten und das König Friedrich Wilhelm der Vierte als einen „Kampf zwischen Hund und Fisch“ bezeichnete. Die flottenlosen Russen müssen sich ihre Küstenorte zusammenschießen lassen, ohne daß ihre Landbatterien den Seeschiffen der Türken bis jetzt Schaden gethan hätten. Die russische Küstenfestung Suchum-Kaleh ist bereits ein Opfer dieser Küstenschutzlosigkeit geworden.
Damit der Leser mit unserem Blatte in der Hand die See- und Landzüge der Türken und Russen an den Ostküsten des Schwarzen Meeres und auf dem Festland südlich vom Kaukasus verfolgen könne, geben wir dieser Nummer eine Karte jenes Kriegsschauplatzes bei. Dieselbe umfaßt das ganze Schwarze Meer, da nicht abzusehen ist, wie weit die Russen zu Land in Kleinasien auch an den Küsten vordringen und wie weit die Türken ihre Küstenverheerungen im Norden ausdehnen werden. Bis jetzt sind die am häufigsten genannten Namen Suchum Kaleh, Poti und Batum an den Küsten und Tiflis, Eriwan, Kars, Ardahan, Bajasid und Erzerum (Ersirum) auf dem Festland.
Mit demselben Erfolg, wie auf dem Schwarzen Meer, hatte die starke Dampfflotte der Türken auf der Donau operiert, und sie schien einen Uebergang der Russen über den mächtigen Strom unmöglich machen zu können, bis derselben Zweierlei entgegengestellt wurde: schweres Geschütz in Küstenbatterien und in der Donau selbst die Höllenmaschinen unter dem Wasser, die Torpedos.
Beiden ist es gelungen, ihre ersten Triumphe zu feiern, und da beide Ereignisse als Thatsachen unumstößlich festgestellt sind, so wollen wir sie nach den zuverlässigen Mittheilungen unserer Berichterstatter erzählen.
Braila, das von den türkischen Monitors am meisten zu leiden gehabt, ist von den Russen dafür mit einem stattlichen Kranz von Batterien geschmückt worden. Da aber, schon nach Vater Homer, „das Eisen den Mann anzieht“, so fühlten auch die türkischen Dampfer sich von diesem Feindesschmuck angelockt und beschauten sich ihn oft in anständiger Entfernung. Am 11. Mai fuhren wieder mehrere derselben in dem „Matschinacanal“ genannten Donauarm auf und ab und kamen den Batterien Nr. 1 und 2 an der Südseite der Stadt so nahe, daß eine Kanonade der Russen auf dieselben begonnen werden konnte. Von den beiden Batterien aus bemerkt man in Nr. 2 nur die Mündung des Canals, während Nr. 1 in denselben hineinsehen läßt; von beiden begann etwa um 2 Uhr das Feuern. Von den Schiffen war das größere die Panzercorvette „Lutfi Dschelil“ (d. i. Freude der Welt) mit fünf Vierundzwanzigpfündern, Capitain Nekib Bey, zweihundert Mann Besatzung; während diese das Feuer aushielt, ohne einen Schuß zu erwidern, zog ihr kleinerer Begleiter sich aus der Feuerlinie zurück. Die Russen ließen sich durch das beharrliche Schweigen des Schiffes nicht irre machen, sondern donnerten aus den genannten Batterien darauf los aus Vierundzwanzigpfündern, Haubitzen und Mörsern, sodaß die Geschosse rings um dasselbe einschlugen, augenscheinlich ohne den Dampfer selber zu treffen. Ein drittes, den Matschincanal daher kommendes Kriegsschiff, das von dem vorsichtigen kleineren ebenfalls eiligst als Schutzwand benutzt wurde, kam auch dem Feuer nicht zu nahe, selbst nachdem dem „Lutfi Dschelil“ wirklich ein russischer Gruß durch die Takelage gefahren war. Um diese Zeit verließ dasselbe Admiral Bujuk Pascha in einer weißen Barke und eilte auf dem Canal wahrscheinlich der Festung Matschin zu, die wir im Hintergrunde unsers Bildes, von dem zweiköpfigen Tabadaghberge überragt, erblicken. Das Schiff blieb schweigsam, auch als die russischen Batterien jetzt, wenn auch etwas lässiger, fortschossen.
Plötzlich steigen aus dem Lufti-Dschelil Ballen von Rauch und Dampf, sich mächtig fortschiebend, auf, dann bricht eines jener Feuerwerke los, die das Herz erschüttern, eine Flammensäule, zerfallend in Flammengarben, [394] hinter welchen eine ungeheure Rauchwolke aufqualmt, dies Alles mit der Begleitung des dumpfen Donners und Rollens, als ob ein Erdbeben vorüber getobt sei.
Als die Stätte wieder sichtbar wurde, war das schöne Schiff bis auf die Spitze des Mastbaumes verschwunden; es war gesunken durch eine Explosion, über deren Verursachung man sich verschiedener Meinung hingiebt. Nach der ersten Annahme sollen zwei Treffer auf einmal hier zusammengewirkt haben; der eine aus einem bronzenen Hinterlader, der andere aus einer Haubitze geschossen, letztere gerichtet von einem Sappeur-Lieutenant Romanoff, jener von dem Commandanten der Batterie Nr. 1, Lieutenant Samojlo, die Beide alle Triumphator-Freuden an diesen Tagen zu genießen bekamen. Und allerdings ist das Verdienst derselben nicht gering, wenn die Aussage des einzigen Geretteten wahr ist, daß dieses stärkste Schiff der Donauflotille dazu bestimmt gewesen sei, jenen Donauwinkel von den Russen frei zu machen, und sollten die Küstenstädte Reni, Galatz und Braila darüber in Trümmer gehen.
Anders hatte es das Kriegsglück beschlossen: jene Städte stehen noch, aber „die Freude der Welt“ ist in Trümmer gegangen und die ganze Bemannung hat, bis auf den einen Geretteten, den Tod gefunden. Obgleich nach der Explosion die russischen Batterien schwiegen, ließen die beiden anderen Schiffe dennoch ihre verunglückten Cameraden im Stiche. Um noch zu retten, was zu retten war, sandte der in Braila commandirende General Saloff, der mit vielen Officieren in der Batterie Nr. 2 dem Strandgefechte beigewohnt hatte, drei Barkassen ab. Zu retten war freilich nichts mehr, als jener Eine, aber gräßliche Menschenfetzen lagen an beiden Ufern des Matschinacanals. Vom gesunkenen Schiffe wurde schließlich die herabhängende rothe Fahne gestrichen und mitgenommen, ein Act, der vom Ufer mit außerordentlichem Jubel begrüßt wurde. Hier befand sich auch Capitain N. Karasine der sofort die treffliche Skizze des denkwürdigen Ereignisses für die „Gartenlaube“ entwarf.
Die türkische Berichterstattung schwieg anfangs über den sehr störenden Zwischenfall, der so mitten in ihre Seesiegesberichte fiel, bequemte sich aber dann zu der Erklärung, daß der Verlust dieses Schiffes ein rein zufälliges Mißgeschick sei; den russischen Kugeln wird die Ehre desselben ganz abgeschnitten und erzählt: ein Feuerwerker an Bord scheine mit der Zubereitung von Patronen beschäftigt gewesen zu sein und eine derselben sich entladen zu haben. Wir erfahren dabei wenigstens, daß das schöne Schiff für 3,200,000 Mark in England gebaut worden, mit der ganzen Mannschaft auch der Befehlshaber Hasim Bey in die Luft geflogen und der eine Gerettete ein Lootse gewesen sei.
Es ist gar kein Zweifel, daß die bisherige Sicherheit der türkischen Flottenbewegung auf der Donau durch dieses „Eckernförde“ von Braila einen Stoß erlitten hat. Dennoch waren diese Batterien offene Feinde, die man sah und gegen die man Schlag gegen Schlag führen konnte. Mit dem zweiten Gegner erstand der Donauflotille ein unheimlicher, aus dem Verborgenen, Unentdeckbaren meuchlings angreifender Feind, gegen den es keine andere Wehr giebt, als die: seine Nähe zu meiden. Wie furchtbar seine Zerstörungskraft ist, das sollte nur kurze Zeit nach dem Untergange der „Freude der Welt“ ein zweites türkisches Schiff und abermals vor Braila erfahren.
„Am 26. Mai früh drei Uhr sprengten die Russen mittelst Torpedoschaluppen den größten türkischen Monitor in die Luft.“ Dieser telegraphischen Nachricht folgte sofort eine zweite nach, welche meldete, daß jene Torpedos, welchen das neue Zerstörungswerk gelungen, in derselben Nacht erst von zwei russischen Marineofficieren in den Matschinaarm der Donau versenkt worden seien. Die Namen der Officiere sind Duboschoff und Schestanoff. Sie rüsteten die rumänische Schaluppe „Rumwunika“ mit Torpedos aus, und als gegen zwei Uhr des Morgens der türkische Monitor Braila gegenüber Dampf machte und in den Donauarm von Matschin einfuhr, schwammen sie mit ihrem Boote an denselben hinan, erreichten ihn, bei dem Mangel an Wachsamkeit auf dem Schiffe, und brachten unter der Wasserlinie desselben, da, wo dessen Panzer aufhört, einen Torpedo an. Sie entkamen auch unbemerkt und gelangten glücklich an die rumänische Küste, während hinter ihnen, wenige Minuten nach ihrem Abstoßen vom Monitor, eine dumpfe Explosion die Luft erschütterte, eine hohe Wassergarbe sich erhob und das geborstene Schiff mit allem Lebendigen in die Tiefe versank.
Die Torpedos sind bekanntlich eine Erfindung des berühmten amerikanischen Erfinders des Dampfschiffs Robert Fulton, der sie nach der zoologischen Bezeichnung des Zitterrochens (Raja Torpedo L.) benannte. Die Zerstörungskunst hat sie bereits in defensive und offensive zergliedert. Ein Defensivtorpedo besteht aus einer mit Sprengstoff (Dynamit oder Pulver oder sonst einer zweckentsprechenden Mischung) gefüllten Glasflasche, in welcher durch einen durchbohrten Kork eine mit Schwefelsäure gefüllte Glasröhre mit einem Gefäße voll eines Gemenges von Zucker und chlorsaurem Kali so in Verbindung steht, daß nur durch das Zerbrechen der Glasröhre die Schwefelsäure auf das besagte Gemenge träufelt, dieses entzündet und dadurch die Explosion bewirkt. Gewöhnlich birgt man die Flasche in einem Holzkasten so, daß die Glasröhre herausragt und durch Anstreifen eines Schiffes zerbrochen werden kann. Diese Art Torpedos wird gewöhnlich an bestimmten Stellen durch Verankerung festgehalten. Neuerdings, wo Dynamit als Sprengstoff vorgezogen wird, nehmen sie ein sehr bescheidenes Maß ein; sie haben die Form eines Cylinders von vierundsechszig Centimeter Länge und am unteren Ende von fünfzig Centimeter Durchmesser; ferner sind dem Ufer näher liegende Defensivtorpedos auch bereits durch elektrische Zündleitung mit Batterien am Strande verbunden, welche die Explosion bewirken, sobald ein feindliches Fahrzeug die Stelle desselben erreicht hat.
Auch die Offensivtorpedos zerfallen bereits in zwei Sorten. Die eine sucht ihr Ziel durch eigene Bewegung. Sie hat die Form einer hinten und vorn zugespitzten Walze, deren im Innern sitzende Ladung durch das Anrennen der vorderen Spitze explodiert. Ein Theil des Innern wird aber als Behälter für comprimirte Luft oder verdichtete Kohlensäure benutzt, die, sobald dem Torpedo die Richtung nach dem feindlichen Schiffe gegeben ist, eine Turbine in Bewegung setzt, welche, von einem Steuer unterstützt, denselben stoßweise vorwärts treibt. Man behauptet, daß ein solcher Torpedo mit Kohlensäureladung in nahe an viertausend Schritt Entfernung noch zerstörend wirken könne. - Die andere Sorte unterscheidet sich vom Defensivtorpedo nur durch den Zünder, der als „Zeitzünder“ so eingerichtet ist, daß er erst nach einer bestimmten Frist nach seiner Entzündung die Explosion bewirkt. Solche Torpedos müssen durch kühne Männer an die feindlichen Schiffe befestigt werden, wie dies in dem vorliegenden Falle vor Braila geschehen ist. Es ist dies ein sehr schwaches Aushülfsmittel für Wilhelm Bauer's „Küstenbrander“ und „Brandtaucher“, den Rußland besaß, ohne seinen Werth zu erkennen. Jetzt würden ein paar Dutzend solcher Bauer'schen „Seeteufel“ den russischen Küsten größere Sicherheit gewähren, als alle noch so kostspieligen Küstenbatterien und die zu Tausenden gelegten Torpedos, die nach dem Kriege noch lange der Schifffahrt große Gefahren bereiten können. Es ist sehr möglich, daß gerade dieser Umstand die Submarine von vielen gegen sie herrschenden Vorurtheilen befreit und der schon halb vergessenen Erfindung eine neue Zukunft vorbereitet.