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Der Keulen- oder Augustusberg

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Textdaten
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Autor: Friedrich Bernhard Störzner
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Titel: Der Keulen- oder Augustusberg
Untertitel:
aus: Was die Heimat erzählt. Sagen, geschichtliche Bilder und denkwürdige Begebenheiten aus Sachsen, S. 261–276
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Arwed Strauch
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Erscheinungsort: Leipzig
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[261]
122. Der Keulen- oder Augustusberg.

Zu den schönsten Höhen im lieblichen Berglande der westlichen Lausitz Sachsens gehört der sagenumsponnene Keulen- oder Augustusberg. Er ist von Pulsnitz aus nach zweistündiger Wanderung in nördlicher Richtung bequem zu erreichen und erhebt sich unweit des Kirchdorfes Oberlichtenau. Seine Höhe über dem Meeresspiegel beträgt 413 Meter. Die ihn umgebenden Täler liegen 200 Meter tiefer als sein Gipfel, so daß der Keulenberg dem Wanderer Achtung abzwingt. Auf die Höhe des Berges führen gute Wege, die durch Wegweiser und Kalkanstriche genügend gekennzeichnet sind, so daß ein Verirren ausgeschlossen ist. – Der Keulenberg besteht aus zwei Kuppen, dem großen und dem kleinen Keulenberge. Beide liegen gegen 20 Minuten auseinander und sind durch einen Sattel verbunden. Aufgebaut ist der Berg aus Granit, der hier und da in gewaltigen Felsenmassen zu Tage tritt. Nadelwald bedeckt ihn über und über, doch ziehen sich an einzelnen Stellen Feldstreifen weit hinauf. Alte Leute bezeichnen den Berg schlechtweg als den „Keulen“. In frühesten Zeiten nannte man ihn „Radewitz“. Von jeher ist dieser Berg berüchtigt durch seine Sagen von Berggeistern, die einst hier gehaust haben sollen. Seit dem Jahre 1818 führt der Keulenberg zur Erinnerung an Friedrich August den Gerechten, den ersten König von Sachsen, auch den Namen „Augustusberg“. Doch [262] dieser Name will nicht volkstümlich werden. Mir ist es widerfahren, daß Leute aus der Umgegend beim Befragen nach dem Wege den Augustusberg nicht kannten, wohl aber den Keulenberg. – Auf dem großen Keulenberge finden wir eine gute Restauration mit einem kleinen parkettierten Tanz- und Gesellschaftssaal. Von Zeit zu Zeit wird hier auch der Göttin Terpsichore gehuldigt. Dann kommen Burschen und Mädchen aus den umliegenden Dörfern herauf und schwingen sich im lustigen Reigen. An der Nordseite dieses Berghauses sind schattige Sitze hergerichtet, selbst eine Kegelbahn fehlte vor Jahren nicht. Vor Jahrzehnten befand sich hier oben auch ein schöner Schießstand. Sonntags kamen aus den umliegenden Orten verschiedene Herren herauf und übten sich im Scheibenschießen. Reste jenes Schießstandes sind noch vorhanden.

Oberlichtenau um 1830.

Der große Keulenberg endet in drei scharf gezeichneten Felsenspitzen. Einzelne Granitmassen ragen gleich Keulen empor, die wohl auch zu dem Namen „Keulenberg“ Veranlassung gegeben haben mögen. Diesen Berg, nebst dem Eierberge und Gückelsberge bei Pulsnitz, pflegte man im 17. Jahrhunderte die drei großen Landprediger zu nennen. Der Pulsnitzer[WS 1] Pfarrer, M. Christian Ehrenhaus, schrieb über sie ein Buch: „Drei große Landprediger, der Keulenberg, der Eierberg und der Gückelsberg, die von der Reue, dem Glauben und dem neuen Gehorsam predigen. Dresden, 1662, in 4.“ –

Auf der nördlichen Felsenkuppe des großen Keulenberges stehen die Trümmer eines ehemaligen Jagdschlößchens, aus dessen hohlen Fensterbögen man eine überaus herrliche Fernsicht genießt. Im Jahre 1835 riß ein rasender Sturm in der Neujahrsnacht das obere Stockwerk dieses Jagdschlosses

[263]

Kloster- oder St. Annenkirche im Jahre 1899 in Kamenz.

[265] ab, und seitdem liegt das Häuschen auf der nördlichen Felsenspitze in Trümmern. Dieses Jagdschloß wurde von der Gräfin von Holzendorf zu Lichtenau im 18. Jahrhundert erbaut. Dasselbe bestand aus zwei Stockwerken. Zu dem obersten führte von außen eine Freitreppe, deren Reste noch deutlich vorhanden sind. Die inneren Wände der Ruine zeigen selbst noch Spuren von ehemaligen Freskogemälden. Im Jahre 1813 hielt der König von Preußen hier oben mit seinen Feldherren Kriegsrat. – Reges Leben herrschte in diesem Jagdschlößchen alljährlich am „Maria-Heimsuchungstage.“ An diesem Tage wurde auf dem Augustusberge ein großes Scheibenschießen abgehalten. Die Schloßbesitzer von Oberlichtenau spendeten als Geschenk für den besten Schützen einen silbernen Becher, der mit dem Wappenbild jener Herren gezieret war. Auch schenkten sie Geldmünzen und Gebackenes. Letzteres warfen die Spender von dem aufwärts zum Jagdschlosse führenden Gange unter das unten versammelte Volk. Aus meilenweiter Ferne kamen Schützen und Zuschauer zu diesem beliebten Feste. Die Bewohner in der ganzen Umgegend freuten sich schon lange vorher auf diesen Tag, auf das Bergfest. An diesem Freudentage war der ganze Berg förmlich lebendig. Die hier oben versammelten Menschen zählten manchmal nach Tausenden. Man glaubte, auf einem großen Jahrmarkte zu sein. Zelte und Buden waren aufgeschlagen. Musikanten spielten, fahrende Sänger traten auf.

Die südliche Felsenspitze trägt einen aus Balken hergestellten Aussichtsturm. Derselbe wurde zum Zwecke der mitteleuropäischen Gradmessung errichtet. Eine bequeme Treppe führt hinauf. Die Aussicht von hier oben aus ist geradezu überraschend, und man versteht es, warum in früheren Zeiten die Leute aus der Umgegend so gern nach dem Keulenberge wallfahrteten und warum sie diese Höhe auch heute noch an gewissen Tagen im Jahre so gern aufsuchen, z. B. am Himmelfahrtstage. Nach Norden hinaus schweift der Blick in eine fast endlos erscheinende Ebene. Viele Meilen weit sieht das Auge in’s „Preußische“ hinein. Ein scharfes Auge erkennt die Türme von Lübbenau im Spreewalde. Nach Osten hin erblickt man die Höhen um Kamenz. In südlicher Richtung liegen der 458 Meter hohe Sibyllenstein, der Ohorner Steinberg, ferner die Bergstadt Stolpen mit der romantischen Burgruine, die Sächsische Schweiz, der langgestreckte Kamm des Erzgebirges. Nach Westen zu überblickt man das Waldmeer der Dresdener Heide, das am Buchberge liegende Städtchen Königsbrück und die dunklen Waldungen um Radeburg und Moritzburg. Es ist ein wundervolles Landschaftsgemälde, das der Keulenberg bereitwilligst jedem Besucher zeigt, vorausgesetzt, daß der Berg nicht gerade seine Nebelkappe sich aufgestülpt hat. Ist die Luft klar, dann schweift bei solchem Wetter das Auge sogar bis in die Oschatzer Gegend, und deutlich tritt am westlichen Horizonte der Kolmberg hervor. Ueberwältigend ist der Sonnenauf- und Untergang. Wer Gelegenheit gehabt hat, diese vom Keulenberge aus je beobachtet zu haben, der wird diesen Anblick nie wieder vergessen.

Am Fuße dieses Aussichtsturmes steht seit dem Jahre 1899 das Bismarckdenkmal, das an den ersten Kanzler des neuen deutschen Reiches erinnern soll. Am 10. September 1899 wurde dieses Denkmal feierlichst enthüllt. Trotz des regnerischen Wetters hatten sich doch viele Festteilnehmer hier oben eingefunden. Nachmittags 4 Uhr nahm die Enthüllungsfeierlichkeit ihren Anfang. Nach einem „Kanonenschlage“ spielte die Musikkapelle einen stimmungsvollen Marsch. Hierauf ergriff Herr P. Dr. [266] Schwarze aus Oberlichtenau, der zu Anfang des Jahres 1902 in den Ruhestand trat, das Wort zu seiner Weiherede. Nach dem Enthüllungsakte sangen die Mitglieder der Keulenbergkonferenz, eine Anzahl Lehrer aus der Umgegend, das Lied: „Wie könnt’ ich Dein vergessen!“[WS 2] Sodann sprach Herr Schäfer jun. aus Oberlichtenau allen denen, welche am Zustandekommen des Denksteins mitgewirkt hatten, den herzlichsten Dank aus. Mit dem allgemeinen Gesange: „Deutschland, Deutschland über alles!“ wurde diese einfache, aber erhebende Feier geschlossen. Das Denkmal selbst ist in einfach würdiger Form gehalten. Es besteht aus Sockel, Mittelstück und Bekrönung. Die Höhe beträgt 2½ Meter. Auf dem oberen Teile des Mittelstückes befindet sich das Bronzebildnis des Kopfes Bismarcks in Lebensgröße. Darunter steht die Widmung:

Was Bismarck uns errungen:
Des Volkes Einigkeit,
Laßt alle treu uns halten
Bis in die fernste Zeit!
 1815–1898.
Errichtet im Jahre 1899.


Auf der mittleren Felsenspitze des großen Keulenberges steht ein einfaches Denkmal, ein 50 Fuß hoher Obelisk, errichtet zur Erinnerung an das 50 jährige Regierungsjubiläum des Königs Friedrich August des Gerechten von Sachsen. Dieser Denkstein trägt an seiner Südseite folgende Inschrift:

Friedrich August
dem fünfzigjährigen Vater
seiner treuen Sachsen
von jubelnden Kindern
den 15. September
1818.

Die erste Veranlassung zur Errichtung dieses Denkmales gab der damalige Königliche Förster Lüttich in Laußnitz. Durch ihn wurde ein Verein ins Leben gerufen, der weder Kosten noch Anstrengung scheute, in das Angefangene zur Ausführung zu bringen. Die Erbauer des Denkmales waren die Steinarbeiter Gotthelf Buhle aus Lomnitz und Christoph Schirge aus Höckendorf. Außerdem waren noch zehn Gesellen mit tätig. Da der Obelisk in der Nähe von Laußnitz bei Königsbrück angefertigt wurde, so mußte derselbe hinauf auf den Keulenberg transportiert werden. Das war keineswegs eine leichte Arbeit. Sie war mit großen Anstrengungen und sogar mit Lebensgefahr verknüpft. Der Obelisk besteht aus vier Teilen, aus Fuß, Würfel, Gesims und Kegel. Jeder Teil mußte einzeln auf den Berg geschafft werden. Das erste Stück des „Postamentes“ wurde mit 6 Ochsen, der Würfel, auf dem die Säule steht und der 50 Zentner wog, mit 18 Ochsen, das Gesims mit 4 Ochsen und die eigentliche Säule, 22 Fuß lang, aus einem einzigen Granitsteine gehauen und 60 Zentner schwer, wurde ebenfalls mit 18 Ochsen auf den Berg gefahren und zwar von Laußnitz über Höckendorf und Großnaundorf. Jede Auffahrt dauerte 10 Stunden. Der Tag der Denkmalsenthüllung lockte zahlreiche Zuschauer und Festteilnehmer herbei. Am 15. September 1818 fand diese großartige Feier statt, deren Verlauf von Augenzeugen wörtlich wie folgt beschrieben wird:

[267] „Man hatte zu dieser Feier das schon damals sehr baufällige Berghäuschen in stand setzen lassen, so daß es sehr brauchbar war. Der aus 242 Personen verschiedenen Standes bestehende Verein deckte auch den zum Feste erforderlichen sehr bedeutenden Aufwand. Nahe der Säule, in hochgewölbter laubiger Nische, war das Bild des gefeierten Königs aufgestellt, und auf den rotbedeckten Stufen des Laubthrones ein ebenfalls rot bekleideter Opferaltar errichtet. Ebenfalls in der Nähe der Säule war aus Stämmen ein völlig gedielter, 63 Fuß langer und 30 Fuß breiter Saal erbaut worden, dessen Seitenwände mit Leinwand ausgeschlagen und mit grünen Zweigen dekoriert worden waren. Dieser Saal wurde durch fünf große Kron- und 24 Wandleuchter erhellt; außerdem war er mit 5 hohen Spiegeln ausgestattet, das Orchester mit rotem Tuch behangen, und stand so zur Aufnahme der 242 Mitglieder bereit. Auch war durch eine Menge Zelte und Laubhütten für Herberge und Beköstigung der Zureisenden gesorgt. Uebrigens bildete der von Holz und Steinen gereinigte Hauptplatz eine mit Netzen umgebene, 160 Fuß lange und 100 Fuß breite Ebene. – Mehrere vorangegangene Regentage machten für den Fortgang des Festes besorgt. Da verscheuchte die Morgensonne des 18. September den die Kuppe des Berges verhüllenden Nebel, und kein Wölkchen trübte den weiten Horizont. Mit wehenden Fahnen und klingendem Spiele zogen die Schützen aus 4 umliegenden Städten den Berg hinauf, so wie sich auch eine Abteilung von 70 Mann reitender Artillerie mit ihren Geschützen eingefunden hatten. Viele Tausende von nah und fern, sogar aus dem Herzogtume Sachsen, waren herbeigeströmt, und vormittags 11 Uhr verkündete siebenmaliger Kanonendonner das Beginnen der Feierlichkeiten. Fünfzig grün und weiß

Höckendorf um 1840.

[268] gekleidete Jungfrauen, mit Kränzen geschmückt, Töchter des Vereins, Blumenkörbchen tragend, so wie die schwarz gekleideten Vertreter des Vereins, nebst mehreren hohen Staatsbeamten und Militärs, standen versammelt in der Nähe des Berghäuschens,[WS 3] wozu auch fast alle Greise der nächsten umliegenden 8 Dörfer, begleitet von ihren Gerichtspersonen, traten. Vom Häuschen herab stimmte unter vollster Musikbegleitung ein Gesangschor das Morgenlied an: „Dank Dir, das Dunkel ist vergangen!“ Hierauf zogen unter sanfter Musikbegleitung die sämtlich hier Aufgestellten, die Jungfrauen voran, das Sängerchor beschließend, paarweise zu dem von den Fahnen der Schützen bewehten und von ihnen selbst im Halbkreise umschlossenen Laubthrone. Einen entgegengesetzten Halbkreis bildend, standen jetzt die Jungfrauen vor diesem Throne, und ihre beiden Anführerinnen legten opfernd einen Kranz auf den Altar. Der nun zu Dresden verstorbene Hofrat Böttger betrat die linke Seite der Bestufung als Redner und schloß mit den Worten:

„Das ganze Land ist eine Opferflamme!
Heil unserm König! Heil dem ganzen Stamme!“

Nachdem die Musik hier kräftig eingefallen war, traten die beiden jugendlichen Priesterinnen dem Bilde des Königs näher, und eine derselben, den vom Altare genommenen Kranz in der Hand, sprach mit sehr gelungenem Vortrage ein Gedicht. Bei den Worten: „Streuet Blumen aus, Schwestern!“ stellten die Jungfrauen durch das Ausschütten ihrer Blumenkörbchen einen dem Hochgefeierten zu Füßen gelegten, lebenden reizvollen Blumenkranz dar, wobei die Rednerin mit Hilfe ihrer Gefährtin das Jubelbild mit dem Opferkranz krönte, und bei Vollmusik ertönte aus aller Munde der Festgesang: „Heil Dir im Jubelkranz, Vater des Vaterlands, Heil König Dir!“ – Hierauf brachte der Hofrat Böttger dem Jubelkönige ein dreimaliges Lebehoch, in welches die Menge freudig einstimmte, wobei die Schützen präsentierten und 101 Kanonenschüsse fielen. –

Nach dieser Feierlichkeit wurden die Tafeln geordnet, wo das Ganze einem wohlversorgten Lustlager glich, und wo Tausende ihre Pokale auf ein noch recht langes Leben des geliebten Königs erhoben und leerten. Herrliche Toaste wurden durch den Hofrat Böttger und andere ausgebracht. Nachmittags gegen 4 Uhr stellten sich die Greise nochmals vor das Bild des Königs, und nachdem der Schullehrer Hapatzky aus Oberlichtenau eine Rede gesprochen hatte, stimmten die Greise das Lied an: „Nun danket alle Gott!“ – Das Musikchor fiel mit ein, sowie tief ergriffen die ganze Umgebung. Nachdem die Sonne sich geneigt und auch den Berg nebst seinem Festvereine in Dunkel gehüllt hatte, wurde durch fünf Kanonensalven der Anfang eines Feuerwerks verkündet, bei dessen Beschluß über einem in Blau brennenden Vivat des teuren Königs Name flammte. Hierauf folgte im Saale ein glänzender Ball, und auch im Waldhäuschen bewegten sich fröhliche Tänzer. Den ganzen Berg beleuchtete bis zur Dämmerung des nächsten Morgens ein brennender Holzstoß, und nah und fern brannten zugleich auf Sachsens Höhen himmelansteigende Opferflammen.“ –

An diesem Jubeltage wurde dem Berge der Name „Augustusberg“ gegeben. –

Um den Keulenberg hat die Sage einen lieblichen Kranz geflochten. Wie schon erwähnt, führte der Augustusberg in frühesten Zeiten den Namen „Radewitz.“ Damals soll der Berg eine altheidnische Opferstätte gewesen sein. Auf dieser Höhe stand ein Altar des Wendengottes Radegast. [269] Noch lange nach Einführung des Christentumes loderten von der Höhe des Radewitz aus Opferflammen empor. Heimlich versammelten sich hier oben zum Opferdienste Leute aus der Umgegend, die bereits zum Christentume übergetreten waren. Das Wallfahrten nach diesem Berge hat das Volk auch niemals aufgegeben. Zu manchen Zeiten soll der alte Heidengott Radegast, der über das Klingen der Glocken aus den umliegenden Dörfern sehr erzürnt sei, die am Berge arbeitenden Leute schrecken und ängstigen. Als im 18. Jahrhundert einmal Gräfenhainer Bauern in der Heuernte am Fuße des alten Opferberges beschäftigt waren, kam plötzlich eine finstere Wetterwolke dahergebraust. Aus ihr regnete es Steine, so groß, wie eine Mannesfaust. An dem Berge aber leuchtete es wie blaue Flammen auf, und es dröhnte wie ferner Donner. Der Sturm schnitt das Gras von der Erde weg, wie wenn es mit einem Scheermesser abgeschoren worden wäre. Die Heuschober aber wurden aufgehoben und verschwanden in der Luft. Da sagte eine Tagelöhnerin zu ihrem Manne: „Komm, wir wollen nach Hause gehen! Hole das Zeug, der jüngste Tag kommt!“ Unerschrocken aber antwortete jener: „Du Närrin, wenn der jüngste Tag kommt, dann brauchen wir das Zeug nicht mehr.“ – Man will auch gesehen haben, wie zu gewissen Zeiten feuerige Flammen vom Berge aus gen Himmel aufschlugen. –

Groß-Naundorf um 1840.

Die Sage erzählt ferner von Riesen, die einst auf dem Keulenberge gewohnt haben sollen. Dieselben lebten aber mit einer anderen Riesenfamilie auf dem Kolmberge bei Oschatz in Unfrieden. Sie warfen sich mit Riesentannen und mit Steinen von vielen Zentnern Gewicht. In jeder der beiden Familien befand sich ein Jüngling. Zur Freude ihrer Eltern überragten diese alle ihre Verwandten an Größe und Schönheit. Beide Jünglinge liebten ein und dasselbe Mädchen, nämlich Bila, die bildschöne Tochter [270] des Elbgaufürsten, der da, wo jetzt das Dorf Zadel liegt, auf einer Felsenburg seinen Sitz hatte. Die Jungfrau erwiderte aber die Liebe der Riesensöhne nicht. Als dieselben bei ihrem Vater um die Hand des Mädchens warben, da gab ihnen dieser die ausweichende Antwort: „Ihr müßt Euch meine Tochter erst zu verdienen suchen!“ Es hatte aber ein anderer das Herz des Mägdleins gewonnen und zwar ein armer Hirte, der die Lämmer des Elbgaufürsten hütete. –

Einst war dessen Töchterlein auf einem Spaziergange an dem Ufer eines Baches eingeschlummert. Eine giftige Schlange nahte der ahnungslosen Schläferin und wollte sie beißen. Das bemerkte aber der junge Hirte, der in der Nähe die Schafe weidete. Er eilte herzu und erschlug die Schlange. Bila, die Tochter des Elbgaufürsten, erwachte aus dem Schlafe und erblickte in dem jungen Schäfer, von dem sie eben geträumt hatte, ihren Lebensretter. Voll Dankbarkeit und Liebe verspricht sie dem hübschen Jünglinge Herz und Hand. Lange blieb aber das Geheimnis der Liebenden den beiden Riesen nicht verborgen. Einst sahen sie von ihren Bergen aus den jungen Schäfer, seiner Bila, welche an jener Stelle des Baches auf ihn sehnlichst wartete, entgegengehen. Da erhoben beide Riesen, jener auf dem Kolmberge, dieser auf dem Keulenberge, ungeheuere Steinblöcke und schleuderten sie dem Hirten entgegen. Doch dieser blieb unversehrt; denn er stand unter dem Schutze der Götter, weil er fromm und gut war. Als nun der alte Fürst des Elbgaues die Rettung seiner Tochter von dem giftigen Schlangenbiß erfuhr, da nahm er deren Retter als Eidam an und errichtete zum Dank gegen die Götter auf dem Steine, welchen der Riese des Keulenberges geschleudert hatte, eine Opferstätte. Die beiden Riesen aber gerieten in Zank und Streit, in welchem der Bewohner des Keulenberges erschlagen wurde.

Von der Burg, welche die Riesen oben auf dem Keulenberge bewohnten, sollen die drei gewaltigen Felszacken, die auf dem großen Keulenberge emporragen, noch ein Rest sein. Umgeben war die ehemalige Burg der Riesen mit gewaltigen Steinwällen, von denen noch heute deutliche Spuren vorhanden sind. Die Riesen zogen sich durch ihren gottlosen Lebenswandel den Zorn der Götter zu. Während eines furchtbaren Gewitters wurde die Riesenburg zerstört. Später erbauten auf den Trümmern der Burg der Riesen Ritter eine neue Burg. Doch auch diese Ritter waren wilde Gesellen. – Am östlichen Abhange des großen Keulenberges liegt eine einsame Waldwiese. Der Volksmund bezeichnet dieselbe als die Nymphenwiese. Hier tummeln sich zu manchen Zeiten schöne weibliche Wesen, Nymphen genannt. Im Vollmondscheine führen sie hier ihre Reigen auf, zur Mittagszeit halten sie auf jener Wiese Rast im lachenden Sonnenscheine. Nicht selten soll es auch vorkommen, daß dem einsamen Wanderer jene reizvollen Wesen im Walde begegnen. Auch ein Ritter vom Keulenberge hatte auf der Jagd wiederholt einzelne Nymphen zu sehen bekommen. Sein Herz entflammte von heißer Leidenschaft. Einst kommt er in die Nähe der Nymphenwiese. Da erblickt er die schönste Nymphe, wie selbige sanft am Rande des Waldes schlummert. Schnell schleicht er hinzu, fesselt rasch die ahnungslos Schlafende, hebt sie auf sein Roß und jagt mit dem Raube hinauf zur Burg. Aber der wilde Ritter sollte sich des Besitzes dieser schönen Nymphe nicht lange erfreuen. Was der frevelnde Ritter getan hatte, war von den übrigen Nymphen beobachtet worden. Sie setzten nun alles daran, die Geraubte zu befreien. Sie riefen die Tiere des Waldes zu Hilfe. Diese kamen und umlagerten die Burg. Die Schar

[271]

RIESENBVRG.

[273] der Raben und der übrigen Vögel war so groß, daß kein einziger Sonnenstrahl in die Burg dringen konnte. Das Gekreische der Vögel war betäubend.

Am Fuße der Burg wühlten die Eber, um diese zum Einstürzen zu bringen. Dazu zog noch ein drohendes Gewitter herauf. Grelle Blitze zuckten, und der Donner war furchtbar. Da erschien plötzlich der Bote der erzürnten Nymphen, ein Zwerg, vor der Burg und forderte die Freilassung der Gefangenen. Aber der wilde Ritter ließ sich nicht erweichen. Plötzlich zuckte es hell auf. Es war als stehe der Berg in Flammen. Ein Blitzstrahl hatte die Burg getroffen. Rauchwolken stiegen auf, und krachend stürzten die Mauern auseinander. Mitten im Rauch stieg ein großer Vogel auf, der auf seinen ausgebreiteten Flügeln die befreite Nymphe trug und nach dem Nymphenschloß brachte. Der zum Tode erschrockene Ritter aber rettete sich vor dem Verderben noch durch einen unterirdischen Gang, der von dem einen Eckturm der Burg aus in’s Freie führte. Die Burg fiel in Trümmer, und von jenem Ritter hat niemand wieder etwas gehört. –

Wie die Sage ferner berichtet, stand vor Jahrhunderten am Abhange des großen und des kleinen Keulenberges je ein Kloster. Beide wären miteinander durch einen unterirdischen Gang verbunden gewesen. [274] Es befindet sich unter dem nördlichen Felsen, auf dem die Ruine des ehemaligen Jagdschlosses ruht, ein unterirdischer, gewölbter Gang. Derselbe soll hinüber nach dem kleinen Keulenberge führen. Verschiedene Leute sind früher in ihn vorgedrungen, mußten aber, da die Fackeln infolge der hier unten angehäuften Stickluft verlöschten, wieder umkehren. Seit einer Reihe von Jahren ist der Eingang zu jenem unterirdischen Gange vermauert worden. –

Auf dem großen Keulenberge soll auch ein Schatz vergraben liegen, der noch auf die Aufhebung wartet. Bewacht wird der Schatz, wie die Leute sich erzählen, von einem feuerigen Ziegenbocke und von vielen Zwergen. Auch erzählt man, daß einst auf dem Keulenberge ein großer Kriegsschatz vergraben worden sei. Man vermutet, daß die früheren Besitzer des Rittergutes und Schlosses in Oberlichtenau zur Kriegszeit hier oben ihre Schätze vor den die Dörfer und Städte plündernden Feinden durch Vergraben in Sicherheit gebracht haben. Ob diese Schätze wieder gehoben worden sind, ist nicht bekannt. Allgemein ist in der dortigen Gegend aber der Glaube verbreitet, daß jene Schätze noch auf den glücklichen Finder warten. Als vor Jahren oben auf dem großen Keulenberge neben dem im Jahre 1862 erbauten Restaurant eine Kegelbahn angelegt wurde, fand man eine Anzahl Münzen von seltsamer Form. Die meisten derselben waren Engelsgroschen, Silbermünzen, die unter den sächsischen Fürsten in der Zeit von 1497–1559 geprägt wurden. – An das Vorhandensein von vergrabenen Schätzen auf dem Keulenberge erinnert auch folgende Sage:

Vor Jahren fuhr ein Bauer aus dem nahen Dorfe Gräfenhain auf einem Wagen Holzscheite nach Pulsnitz, um dieselben an die dortigen Töpfer zu verkaufen. Die Geschäfte gingen auch gut, und der Mann setzte seine Holzscheite für einen hohen Preis ab, so daß er frohgelaunt im nächsten Gasthause sich einen frischen Trunk gönnte. Hier saßen verschiedene Bürger aus Pulsnitz, die er kannte und die eben ein gemütliches Spielchen machten. Der Fuhrmann sah dem Spiel eine kurze Zeit zu und bekam bald Lust, mitzuspielen. Die Freunde waren einverstanden. Es dauerte aber gar nicht lange, so hatte der Bauer sein für die Holzscheite gelöstes Geld verspielt, und mißmutig und mit sich selbst nicht mehr einig, trat er seine Heimfahrt an. Es war bereits Nacht, als er aus Pulsnitz hinausfuhr. Unterwegs überlegte der Bauer, was er daheim wohl sagen solle, wenn seine Frau nach dem Gelde fragen werde; denn daß er es verspielt hatte, das durfte sie doch nicht erfahren, da es ihm sonst nicht gut ergehen könnte. Doch wie er auch sann, ihm kam kein rettender Gedanke. Schon war er am Fuße des Keulenberges angekommen, über den sein Weg ihn führte. Da sieht der Bauer, daß vor ihm her ein graues Männchen geht, endlich stehen bleibt und ihn fragt, ob es nicht auf dem Wagen mit Platz nehmen dürfe. Der Bauer nickt zustimmend, und das Männchen steigt auf. Da fragt der Fahrgast den Fuhrmann, woher er denn komme, und warum er so traurig sei. Der Bauersmann klagt ihm seine Not. „Nun“, spricht das Männlein, „Ihr könnt Euch ja leicht helfen. Seht, hier stehen noch viele Scheite im Walde, ladet doch diese auf, nehmt sie mit heim und sagt zu Eurer Frau, daß die Pulsnitzer kein Holz gebraucht hätten.“ Dieser wohlgemeinte Vorschlag gefiel dem Bauer, und das Männlein kam ihm vor wie ein rettender Engel. Schnell entschlossen stieg der Bauer vom Wagen und lud die Scheite, welche gerade am Wege standen, auf, die er dann gelegentlich schon wieder an Ort und Stelle zu bringen gedachte, um nicht [275] etwa späterhin als Holzdieb bestraft zu werden. Das graubärtige Männlein half gar fleißig mit aufladen, und bald war der Wagen gefüllt. Ein Stein war dem Bauer nun vom Herzen gefallen. Erleichtert atmete er auf, nahm wieder Platz mit seinem Retter auf dem beladenen Wagen und trieb die Pferde zur Eile an, um nicht gar zu spät in Gräfenhain einzutreffen. Die bedauernswerten Pferde mußten freilich tüchtig ziehen, doch die Höhe des Berges war ja erreicht, und nun ging es abwärts. – Als der Bauer unten am anderen Ende des Berges angekommen war, stieg das Männchen vom Wagen ab. Es nahm Abschied von dem Bauer, dankte ihm für die Liebenswürdigkeit und schlug darauf einen seitwärts abbiegenden Waldweg ein. Nun war der Fuhrmann wieder allein. Noch ein Weg von einem halben Stündchen lag vor ihm, ein Weg, der fast immer auf der

Neukirch um 1830.

Ebene hinführte. Wie er eine kleine Strecke gefahren war, bemerkte er, daß die Pferde kaum noch den Wagen fortzubringen vermochten, und doch war das Schleifzeug gelöst. Da er glaubte, die Pferde wären von den gehabten Anstrengungen des Tages zu sehr ermüdet, warf er eine Anzahl Scheite vom Wagen herab, um die Last zu erleichtern. Die Pferde zogen von neuem an. Doch weit kamen sie nicht. Der Wagen war nicht mehr von der Stelle zu bringen. Der Bauer sah zu seinem größten Verdruß sich genötigt, noch einmal eine Anzahl Scheite abzuwerfen. Die Pferde brachten den Wagen nun wieder ein Stück weiter, bis sie von neuem keuchten und schnaubten und endlich stehen blieben. Der Wagen war bis an die Achsen eingesunken und nicht mehr von der Stelle zu bringen. Da ging dem Bauersmann doch die Geduld aus, und in vollem Aerger warf er sämtliche Scheite vom Wagen herab, mochte daheim die Frau auch schelten, er hatte nicht Lust, noch länger in der rabenfinsteren Nacht sich herumzutreiben, obwohl er schon die Lichter von Gräfenhain leuchten sah. So kam der Fuhrmann mit [276] leerem Wagen und leerem Beutel gegen Mitternacht nach Hause. Seiner Frau, die schon ziemlich lange auf ihn gewartet hatte, sagte er, daß die Geschäfte schlecht gegangen wären, „Holz wollen die Pulsnitzer Töpfer wohl haben, aber zahlen will keiner!“ meinte er brummend und konnte vor Aerger kein Auge schließen. – Am anderen Morgen stand der Bauer frühzeitig auf, um wieder, wie er fast alle Tage zu tun pflegte, in den Wald zu fahren. Auf dem Wagen lagen noch einige Holzsplitter, die von jenen Scheiten herrührten, welche er in der verflossenen Nacht am Keulenberge aufgeladen und auch wieder abgeladen hatte. Aergerlich schleuderte er dieselben herab auf das Hofpflaster, wo diese aber seltsamerweise einen glockenreinen Klang von sich gaben. Verwundert hierüber, hob der Bauer einen solchen Holzsplitter wieder auf. Wie staunte er aber, als das Holz in reines Gold sich verwandelt hatte! Jetzt sammelte er sorgsam auch das kleinste Splitterchen. Wie bereute er, vergangene Nacht die Holzscheite abgeworfen zu haben! Ihm war es nun klar, daß das graubärtige Männchen niemand anders, als der Schatzhüter vom Keulenberge gewesen, war. Schnell eilte der Bauer mit seinem Wagen hinaus an den Berg, um die weggeworfenen Scheite heimzuholen, die nach seiner Meinung Gold sein mußten; denn jetzt wußte er, warum die Pferde den Wagen nicht mehr weiter zu schleppen vermocht hatten. Doch wie er auch suchte, von den abgeworfenen Holzscheiten war keine Spur mehr zu sehen. Wohl bemerkte er die tiefen Geleise, welche die Wagenräder hinterlassen hatten, aber die Holzscheite waren verschwunden. Ein großes Glück hatte er sich verscherzt. Heute hätte er der reichste Mann der Welt sein können. Doch immerhin machten die gesammelten Splitter ein großes Vermögen aus, und die Nachkommen jenes Gräfenhainer Landmannes gelten heute für wohlhabende Leute in der dortigen Gegend. –

Einst war ein Mann aus Naundorf oben im Walde am Keulenberge. Mit seinem Schiebekarren befand er sich in der Nähe der Bergruine. Er wollte dürres Reisig holen. Da erblickte er vor sich plötzlich einen unterirdischen Gang. Neugierig trat er ein und ging in demselben auch eine Strecke vorwärts. Er kam in ein Gewölbe, in dem große, mit Gold und Silber gefüllte Kästen standen. Schnell lief er wieder hinaus und holte den Karren, um eine der Kisten mitzunehmen. Aber er konnte den Gang mit dem Gewölbe nicht wieder finden. Der Eingang war spurlos verschwunden. Wie bereute es der Mann jetzt, nicht wenigstens soviel mitgenommen zu haben, als er in den Taschen hätte bergen können! Doch war es leider auch dazu zu spät. Er mußte nun zeitlebens ein armer Mann bleiben.

So sehen wir also, wie der Keulen- oder Augustusberg des Interessanten viel bietet. Es sollten Touristen, welche die Lausitz und die Wendei besuchen, nicht versäumen, auch diesen alten Götterberg mit in ihren Reiseplan aufzunehmen. Der Besuch desselben ist ein lohnender, dazu öffnet sich hier für den Sagen- und Geschichtsforscher ein ergiebiges Feld, aus dem er manchen Schatz heben kann.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Pulnitzer
  2. Vorlage: vegessen
  3. Vorlage: Berhäuschens