Der Höhenmesser in der Tasche
Skizze aus den Salzburger Alpen. Von Wilhelm Seyfferth.
Bei meinen öfteren Reisen nach der Schweiz und Tirol führe ich ein Aneroïdbarometer und ein Thermometer bei mir, um die Steigungsverhältnisse der Eisenbahnen und die Höhen der Gebirge, die ich besuche, zu messen und die erlangten Resultate mit den Angaben der Reisehandbücher zu vergleichen. Der wesentlichste Theil eines solchen Aneroïdbarometers besteht in einer luftleer (griechisch anaërios – daher der Name) gemachten dünnwandigen Metallkapsel. Diese elastisch federnde Kapsel wird bei Veränderungen des von außen auf ihr lastenden Luftdruckes in ihrer Form verändert, und um diese Veränderungen recht groß zu machen, giebt man ihr eine hierzu möglichst geeignete Gestalt, z. B. die einer Spirale. Durch ein kleines Hebelwerk werden alsdann diese Veränderungen auf einen Zeiger übertragen, der sich auf einem getheilten Gradbogen bewegt und hierdurch eine Messung der Druckveränderungen gestattet. Der große Vorzug dieser Art von Barometern vor den gewöhnlichen, bei welchen bekanntlich die Größe des Luftdruckes durch die Höhe einer Quecksilbersäule gemessen wird, besteht in ihrem außerordentlich kleinen Umfang und der dadurch bedingten Möglichkeit, sie ähnlich einer Taschenuhr stets bei sich zu führen.
Befinden wir uns in der Ebene, gleichsam auf dem Grunde des gewaltigen Luftmeeres, welches unsere Erde von allen Seiten bis zu einer gewissen Höhe umgiebt, so muß offenbar der Druck der Luft auf die Metallkapsel des Aneroïdbarometers ein größerer sein als auf dem Gipfel eines Berges; denn hier sind wir gewissermaßen der Oberfläche jenes Meeres näher, und es ist folglich die Luftsäule, welche auf der Metallkapsel lastet, eine um so viel kürzere, als der Gipfel des Berges jener Oberfläche näher ist als sein Fuß. Wäre nun die Luft nicht elastisch und würde daher durch ihr eigenes Gewicht nicht zusammengedrückt, so müßte sie auf dem Gipfel des Berges ebenso dicht als am Fuße sein, und dann würde man aus der am Barometer beobachteten Druckdifferenz [582] durch eine sehr einfache Rechnung sofort die Höhendifferenz finden können. Da diese Gleichheit der Dichtigkeit aber bekanntlich nicht stattfindet, so ist die Berechnungsart keine so einfache und erfordert die Anwendung von mathematischen Formeln, in welchen auch die Temperatur der Luft berücksichtigt wird. Natürlich kann diese Art von Höhenbestimmungen nur unter der Voraussetzung annähernd genaue Resultate liefern, daß sich der atmosphärische Druck während der Zeit, welche man gebraucht, um einen gewissen Höhenunterschied zu erreichen, nicht verändert.
Die früheren Instrumente dieser Art, wenn man von ihnen eine genügende Genauigkeit verlangte, waren oft ihrer Größe wegen unbequem und wurden im wirklichen Hochgebirge bei acht- bis zehntausend Fuß unzuverlässig. Auf Piz Ot in Graubünden, bekanntlich zehntausend Fuß hoch, ist mir der Mechanismus eines kleinen Aneroïd ganz untauglich geworden. Einer meiner Freunde, mit dem ich darüber gesprochen hatte, fand nun auf der Pariser Ausstellung ein von J. und R. Beck in London ausgestelltes Aneroïd in Uhrform, welches in Bezug auf die Vortrefflichkeit seiner Construction, wie auch auf das Zweckmäßige der Theilung, die ein directes Ablesen der Höhendifferenzen gestattet, für die angegebene Gebrauchssphäre wenig zu wünschen übrig läßt. Er schickte mir ein solches Instrument nach Gastein, wo ich meine Sommerferien verbrachte, und natürlich trat ich sofort mehrere Wanderungen mit demselben an.
Das mit einem silbernen Gehäuse versehene Instrument hat einen Durchmesser von fünfzig Millimetern, eine Dicke von vierzehn Millimetern, ist also von demselben Volumen wie eine etwas starke Ankeruhr und ganz bequem mit seinem Futteral in der Westentasche zu tragen. Unabhängig von dem Werke, dessen Einrichtung denen aller andern Aneroïden entspricht, ist das Zifferblatt, welches die Scala trägt, um seinen Mittelpunkt drehbar, und es geschieht die Einstellung auf die Höhe eines Normalquecksilberbarometers für den jedesmaligen Beobachtungsort nicht wie gewöhnlich durch Anziehen oder Lösen einer Stellschraube, welche direct auf die hohle Metallröhre wirkt, sondern durch Verschieben der Scala selbst. Daraus erwächst freilich eine Fehlerquelle, insofern nämlich demselben Extensionswinkel der Röhre unter sonst gleichen Umständen Scalentheile von verschiedener Länge als Maßstab untergelegt werden, indessen ist der Fehler nicht von größerer Bedeutung, als ihn die schon erwähnte andere Correctionsweise durch die Schraube auch darbietet, ja er könnte sogar bei dem Beck’schen Aneroïd, falls die Aneroïde überhaupt zu streng wissenschaftlichen Beobachtungen in allen Fällen geeignet, leicht durch die Rechnung beseitigt werden.
Die Marke, welche den Stand des Aneroïds zur spätern Vergleichung mit der spielenden Nadel dauernd notirt, ist an dem das über dem Zifferblatt befindliche Glas tragenden Ringe angebracht und mit diesem beweglich. Die Scala endlich ist eine doppelte, ein Mal den Barometerstand in englischen Zoll anzeigend und das andere Mal die diesem Barometerstande entsprechende Erhebungshöhe über dem Meeresspiegel angebend. Die letztgenannte Theilung befindet sich am äußern Rande des Zifferblattes, die erstgenannte in einem concentrischen Kreise dem Mittelpunkte zu. Beide sind in Zehntel, die Theilung in Zolle noch in Zwanzigstel abgetheilt, so daß man die Höhenangabe direct bis auf hundert Fuß Höhendifferenz angezeigt findet, durch Schätzung aber, und zumal wenn man sich daran gewöhnt, die daran stoßende Zollscala als Nonius (Gradtheiler) zu benutzen, leicht noch hiervon den zehnten Theil ablesen und also Höhenangaben bis zu zehn Fuß genau mit Hülfe des Beck’schen Instrumentes ausführen kann. Was die von der Ausführung des Mechanismus abhängige Empfindlichkeit anbelangt, so leistet dasselbe wohl ebensoviel wie die ungleich größeren Instrumente, die man bisher zu derartigen Beobachtungen allein zur Verfügung hatte. Es läßt sich nicht leugnen, daß bei einem so kleinen Instrument der Wärmeeinfluß, besonders wenn man es in der Westentasche trägt, leicht stören kann, daß man also die Nadel immer erst im Freien sich setzen lassen muß, sowie daß überhaupt ganz correcte Messungen schwieriger werden als mit einer größeren getheilteren Scala, daß es also mehr zum Vergnügen und zur Unterhaltung des Touristen dient, welcher schnell wissen will, wie hoch er gestiegen ist, in welcher Höhe die Schneeregion anfängt, in welcher Baum- und Pflanzenwuchs sich verändern, in welcher besondere Gebirgspflanzen vorkommen etc. Hierzu genügt aber das Beck’sche Instrument vollkommen, und wirkliche Messungen werden auch bis zu einer befriedigenden Genauigkeit gelingen, wenn man beständiges Wetter hat und das Instrument bei jedem längern Ruhepunkt sorgfältig wieder stellt. Ich glaube daher, den Apparat im allgemeinen Interesse den Freunden von Gebirgstouren warm empfehlen zu dürfen. – Zunächst stellte ich in der Nähe von Gastein, dem bekannten Wildbade im Salzburgischen, einige kleinere Versuche damit an und sobald ich die Brauchbarkeit des Instrumentes erkannt hatte, beschloß ich, es auf einem der höchsten Berge der Gegend, dem Ankogl, zu erproben. Die Partie wird von Gastein aus selten gemacht, obschon sie sehr lohnend und nicht mit ungewöhnlichen Schwierigkeiten verbunden ist. Sie bietet, wie aus der nachstehenden Beschreibung hervorgeht, des großartig Schönen und Interessanten so viel, daß es wohl der Mühe werth ist die rüstigen Bergsteiger darauf aufmerksam zu machen.
Wenn uns der Salzburger Lohnkutscher mit dem unvermeidlichen Vorspann von Lend den steilen Hang hinaufgeführt hat in die wunderschöne Klamm, wo die Ache sich schäumend ihr Bett tief unter uns gegraben hat und die Straße sich hoch am Felsen hin nach dem Gasteiner Thale senkt, sieht man von den letzten Höhen vor dem Marktflecken Hofgastein den Ankogl mit seinen Gletschern liegen; bald aber, wo der Weg hinüberführt nach der Schweizerhütte, einem Vergnügungsort der Gasteiner Badewelt, auf das linke Ufer der Ache, verschwindet der höchste Gipfel des Gasteiner Gebirges, gedeckt vom Gamskahr, Graukogl und dem Rathhausberge, die das Wildbad unmittelbar umgeben.
Von einem alten Sägemüller in der Nähe, der früher selbst ein tüchtiger Bergsteiger gewesen, war mir ein ehemaliger Bergknappe und jetziger Zimmermann, Namens Joseph Rick, als Führer empfohlen worden. Es war ein strammer Bursche, und mit ihm besprach ich, daß er, wenn das Wetter schön bliebe, mit zwei Trägern nebst den erforderlichen Stricken, Steigeisen und Kraksen (Tragen) bei mir eintreffen solle. Das Wetter hielt aus; ein lieber Freund, der mich begleiten wollte, ordnete mit mir, was wir von Proviant, Decken und sonst mitzunehmen gedachten, unsere Mannschaft erschien, theilte sich in die Last, und Nachmittag drei Uhr wanderten wir fröhlich im Böcksteiner Thale hin, dem Anlaufthale zu, in dessen Kessel die Radeckhütten liegen, wo wir heut übernachten wollten.
Schmal beim Eintritt in dasselbe, öffnet sich das Anlaufthal bald zu einer breiten Wiese, von hohen Felswänden und fichtenbewaldeten Hängen umgeben. Am südlichen Hange kommt der Hienkahrbach als schäumender Wasserfall herunter, wo der Weg über die lange Wand nach Kärnthen führt, dann tritt man in lichte Fichtenwaldung, in der kleine Wiesen zur Ruhe laden. Bald beginnt das Thal sich zu heben, der Triftweg wird steinig, die Thalhänge rücken näher zusammen und der Anlaufbach drängt sich durch Felsen schäumend an uns vorüber. Schärfer bergan geht der Weg über eine Brücke nach dem rechten Ufer, und hoch vom Felsen herunter stürzt ein anderer Wasserfall, den der Traunbach da bildet, wo ein anderer Weg, von den Hirten der Römersteig genannt, am Todtenstein hinauf nach dem Mallnitzthale führt. Noch einige hundert Schritte weiter, und um einen Felsenvorsprung biegend sieht man den Ankogl vor sich, den Kessel des Thales schließend. Ein kahler, schroffer Felsenkegel, von Gletschern und Schneefeldern umgeben, erhebt er sich aus dem Gebirgsrücken, der zu beiden Seiten noch ähnliche niedrigere Kuppen bildet.
Bei den obersten Radeckhütten, wo der Felsenkessel des Ankogl, ein starres Bild der Einsamkeit, dicht vor uns liegt, erwartete uns ein österreichischer Alpenfreund, um Tags darauf die Partie mitzumachen; er hatte den bekannten Bergführer und Botaniker Freiberger nebst einem Träger für das Gepäck mitgebracht. Die untergehende Sonne warf ihren röthlichen Glanz auf den Gipfel des Berges und ein fernes Wetterleuchten zuckte über die Höhen als Vorbote des nahenden Gewitters. Wir theilten uns mit den Führern in die beiden Hütten, indem wir ihnen die ein paar hundert Schritte tiefer liegende allein überließen, und richteten ein Heulager im Kuhstalle her, der, von der Heerde verlassen, weil sie zu der Zeit im Freien übernachtet, ein famoses Schlafzimmer abgab. Der bekannte Straubinger Platz im Wildbad liegt dreitausend dreihundert und fünfzehn Fuß über Meeresfläche, das Aneroïd gab die Höhendifferenz von da bis zur Hütte mit zweitausend einhundert Fuß an, daher Höhenlage der Hütte über Meeresspiegel fünftausend vierhundert und fünfzehn Fuß. Die Sennerin hatte kochendes Wasser am Heerde geschafft [583] zum Thee, den wir in einem Häfele – Kochtopf – brauten, frische Butter gab es auch, Brod und kaltes Fleisch hatten wir mitgebracht, das Souper ließ also nichts zu wünschen übrig, nur die schwarzen Wolken, welche von Böckstein heraufzogen, waren störend. Bald auch rollte und donnerte es um uns herum, der Regen fiel in Strömen, und während der Rauch sich mühsam einen Ausweg aus unserem Salon am Heerde suchte, fanden die Regentropfen leichten Eingang durch die morschen Schindeln der Hütte.
In sehr gedrückter Stimmung und mit wenig Hoffnung für den nächsten Morgen, suchten wir unser Heulager auf. Zu meiner großen Freude aber sah ich, gegen zwei Uhr erwachend, Sternenlicht durch die Ritzen der Stallthür schimmern. Die Morgentoilette war bald gemacht, ich trat in’s Freie, und über mir wölbte sich ein reiner, heller Himmel, in dessen dunklem Blau die Sterne so lustig funkelten, als ob gestern Abend gar kein Gewitter gewesen wäre.
Schon rauchte der Heerd der Sennerin zum Kaffeekochen; ich weckte die Anderen. Dunkle Gestalten kamen den Hang herauf, es waren die Führer und Träger aus der unteren Hütte, und kurz vor drei Uhr, noch im Dunkeln, setzte sich unsere kleine Karawane in Bewegung. Ich hatte natürlich die bewegliche Marke am Aneroïd correct gestellt; das Thermometer zeigte + fünf Grad Réaumur.
Als wir über spärlich berastes Gestein am nördlichen Hange des Gebirgs hinaufstiegen, graute der Morgen und die ersten Strahlen der Sonne beleuchteten die Spitzen der Berge. Etwa eintausend einhundert Fuß über der Hütte, also bei sechstausend fünfhundert und fünfzehn Fuß Meereshöhe zeigten sich noch einzelne Pflanzen; wenig höher verlor sich alle Vegetation, und es begann ein Klettern über loses Geröll von Schiefern, die im wildesten Durcheinander, groß und klein, locker geschichtet die ganze Fläche des Hanges bedeckten. Wenn man nicht sorgfältig festen Fnß faßt, geräth das Gestein in Bewegung und poltert in Sätzen den Hang hinunter. Rippenartige Erhöhungen, wie alte Moränen, lassen es wahrscheinlich erscheinen, daß der Hang vergletschert gewesen ist; die Schiefer sind von grünlicher und brauner Farbe mit weißen Quarzadern, Glimmer und kleinen Bergkrystallen durchsprengt, nach denen die Führer emsig suchten.
Drei Stunden waren wir unterwegs, als wir das erste Schneefeld erreichten – das Aneroïd zeigte Differenz von der Hütte zweitausend siebenhundert fünfunddreißig Fuß, wir waren also, mit Hinzurechnung der Hüttenhöhe von fünftausend vierhundert und fünfzehn Fuß, bereits achttausend einhundert und fünfzig Fuß über der Meeresfläche und marschirten, nachdem wir die Steigeisen angelegt hatten, auf dem noch harten Schnee wie auf Parquet, im Vergleich zu dem mühsamen Klettern im Geröll, bequem aufwärts.
Mit geringer Unterbrechung konnten wir bis zur Kärnthner Schneide Schneefelder benutzen, die bei ihrer wenig steilen Lage es uns möglich machten, in etwa einer Stunde diesen Rücken zu erreichen. Von dem Gletscher, den wir nach der Angabe früherer Besteiger passiren sollten, war nichts mehr zu finden. Auf dem festen Firn des Rückens machten wir Rast, lagerten uns bei einer wundervollen Temperatur von + vierzehn Grad Réaumur und erleichterten die Träger um einige Flaschen Rothwein und sonstigen Mundvorrath. Das Aneroïd zeigte von der Hütte eine Höhendifferenz von dreitausendachthundertfünfundsechszig Fuß; mithin einschließlich der Hüttenhöhe von fünftausendvierhundertfünfzehn Fuß lagerten wir neuntausendzweihundertachtzig Fuß über der Meeresfläche.
Schon während des häufigen Rastens auf dem Hange waren uns im Norden und Westen die Pinzgauer und Kärnthner Hochgebirge aufgetaucht, das Wießbachhorn, der Venediger, der Großglockner, hohe Aar und Schareck. Jetzt, nachdem wir auf der niedrigsten Einsattelung den Gebirgskamm erreicht hatten, der sich vom Mallnitzer Tauern nach dem Ankogl hinzieht, bildete dessen Felsengrat einen herrlichen Vordergrund dieser Umsicht, und auf der andern Seite lag das grüne Mallnitzer Thal unter uns, auf das wir über die Firnfelder und Gletscher des südlichen Hanges hinabsahen. Im Osten stand die hohe Felsenpyramide des Ankogl vor uns, die wir auf dem schmalen Grate, welcher die Gletscher des Berges trennt, erreichen wollten.
Nur schwindelfreie Steiger können diesen Grat, der höchstens drei Fuß breit ist, gefahrlos passiren, denn ist auch auf der einen Seite, nach dem Anlaufthale zu, die steile Wand des Grates nur fünfzig bis achtzig Fuß, so gähnt nach dem Mallnitzerthale zu ein Abgrund von Tausenden.
Wir brauchten zwanzig Minuten, um diesen gefährlichen Rücken vorsichtig, zum Theil mit Benutzung des Seiles zu passiren, was besonders deshalb räthlich war, weil die Schieferplatten hier zwar größer als auf dem Hange sind, aber doch auch nicht fest liegen, leicht in’s Rutschen kommen und dann in lustigen Sätzen in die Tiefe stürzen. Näher dem Ankogl reicht der Firn seines Gletschers auf den Gebirgsrücken herauf, und da wird er dann auch breiter und leicht zu passiren. Am Fuße des eigentlichen Kogls selbst, den wir eintausend Fuß schätzten, beginnt die Kletterpartie nach dem Gipfel; Führer Rick ging recognoscirend voran. Man glaubt kaum, daß es möglich sei, die durcheinander geworfenen Felsblöcke, welche sich steil aufthürmen, zu überwinden, und dennoch findet der Fuß von Stein zu Stein Raum sich festzustemmen. Immer höher und höher klimmend, standen wir endlich glücklich auf dem Gipfel des Riesen.
Es war halb elf Uhr geworden, wir hatten also von der Hütte sechs und eine halbe Stunde gebraucht, allerdings mit häufiger Rast und Umschau. – Der Gipfel ist ein von West nach Osten gekrümmter schmaler Rücken, etwa vierzig Fuß lang und abwechselnd zwei bis sechs Fuß breit, nach der Tiefe steil abfallend. Man erkennt an ihm die zersetzende Thätigkeit der Natur, denn von allen Seiten sind Abrutschungen bemerkbar; das zerklüftete Gestein bewegt sich fast bei jedem Fußtritt, und nirgends steht fester Fels zu Tage.
Von unserem Lagerplatze auf der Kärnthner Schneide gab das Aneroïd bis zum Gipfel eine Höhendifferenz von neunhundertfünfzig Fuß an – hierzu Differenz von der Hütte dreitausendachthundertfünfundsechszig Fuß und die Radeckhüttenhöhe fünftausendvierhundertfünfzehn Fuß macht ein Total von zehntausendzweihundertdreißig Fuß über der Meeresfläche. Die mir bekannten Angaben über die Höhe des Ankogl schwanken zwischen zehntausendzweihundertfünfzehn und zehntausendzweihundertneunzig Fuß, die Messung kann daher als hinreichend genau betrachtet werden. Sie war allerdings dadurch in hohem Grade begünstigt, daß das Wetter von früh drei Uhr, wo wir die Radeckhütten verließen, gleich schön und der Himmel wolkenfrei geblieben war. Das Thermometer zeigte vierzehn Grad Réaumur im Schatten und sechsundzwanzig in der Sonne; es regte sich kein Lüftchen und eine so milde sommerliche Temperatur herrschte, wie man sie selten in einer solchen Höhe findet.
Die Umschau war wunderbar schön und großartig; wie eine Landkarte lagen die Gebirge und Thäler zu unseren Füßen. Viele der großen Herren, die, vom Thale gesehen, uns als höchste Gipfel erschienen wären, sind niedrige Hügel geworden, auf die wir hinabsehen wie auf ein Basrelief, welches in einer Schaubude gezeigt wird, nur daß der Ausrufer mit dem Bambusstöckchen fehlt, um auf die einzelnen Gipfel zu zeigen und sie zu nennen; aber die Stubayer und Oetzschthaler Firnen in Tirol, deren Gipfel von ein- bis dreitausend Fuß höher sind als der Ankogl, auf dem wir stehen, treten aus dem Meere von Bergen, welches nach Tirol zu vor uns liegt, wie zwei hohe Felseninseln mit ihren schneebedeckten Häuptern hervor, Alles überragend, ein eigenthümlicher großartiger Anblick. – Im Norden liegen die Berge des Salzkammergutes, der Ewige Schnee, das Tännengebirge, dann die Pinzgauer, denen sich die Berge von Kärnthen und die des Naßfeldes anschließen.
Ein kleines Stück der grünen Gastein mit dem Markte Hofgastein und seinem Kirchthurme ist zwischen dem Rathhausberge und Gamskahrkogl sichtbar; dasselbe Stück, von wo aus man bei der Fahrt nach dem Wildbade den Ankogl sieht. In seiner ganzen Länge aber liegt das schöne Anlaufthal vor uns, winzig klein unter uns die Radeckhütten, wo wir übernachtet haben. Nach Westen hin zieht sich der Gebirgsrücken, aus dem der Ankogl aufsteigt, bis zum Mallnitzer Tauern; an dessen Fuße liegt das Städtchen Mallnitz im freundlichen Thale. Im Süden uns dicht gegenüber erhebt sich majestätisch der schneebedeckte hohe Saulek, seine Gletscher begegnen sich im Thalkessel, den beide Berge bilden, mit dem des Ankogl, dem Elendskahr, der am südlichen Hange in’s Thal reicht und dem sich nach Osten hin der Tischlerkahr von der Höllenthorspitz im Lötschachthal anschließt.
Die Führer hatten Schieferplatten zu Tisch und Bänken zusammen [584] getragen, auf denen wir uns lagerten und unseren Vorrath von Proviant ausbreiteten.
Mittlerweile suchte Freiberger nach Flaschen und Karten früherer Besteiger, fand aber nur Scherben, was natürlich ist, weil sich die einzelnen Schieferplatten des Gipfels so gesetzt und bewegt haben müssen, daß das als Signal aufgerichtete Steinmännl die Flaschen zerdrückt hat. Dennoch senkten wir, wie üblich, unsere Karten in eine der leeren Flaschen, verewigten darauf mit Bleistift auch die Namen unserer Führer und Träger und vertrauten wohlverkorkt die Flasche dem Steinmännl an, zum Gruß an die künftigen nächsten Besteiger des Berges. Als Flaggenstock diente der längste unserer Alpenstöcke, an dem Rick eine Jacke festgebunden hatte, denn die Luft blieb so mild und unbewegt, daß wir die Röcke nicht vertragen konnten.
Allmählich ward indeß der Druck der Sonnenstrahlen in der dünnen Luft, trotz der Schirme, unerträglich; wir empfanden fast Alle mehr oder weniger eine gewisse Mattigkeit und rüsteten uns daher nach einem Verweilen von etwa zwei Stunden zum Aufbruch. Zwei unserer Träger sandten wir zunächst voran, um beim Heruntersteigen die ganz losen Schieferstücken abzurollen und uns auf diese Weise einen festeren Steig zu schaffen; dann traten wir selbst in größeren Entfernungen den Rückmarsch an, um durch rollendes Gestein uns nicht gegenseitig überraschen zu lassen. So gelangten wir bald und bequemer, als wir es erwartet hatten, an den Fuß des Kegels, schlugen aber hier, den schmalen Grat vermeidend, den nähern Weg über den Firn und die damit in Verbindung stehenden Schneefelder des Ankoglgletschers ein. Zum Theil auf dem weichgewordenen Schnee gleitend, vom Alpstock gestützt, erreichten wir das Ende der Schneeregion schneller, als dies über die Kärthnerschneide möglich gewesen wäre.
Dabei hatte ich Gelegenheit, eine Folge der Gletscherbewegung zu beobachten, wie ich sie bisher noch nirgends wahrgenommen hatte. Wir wurden nämlich auf den Schneefeldern, die wir passirten, von einzelnen rollenden Schieferstücken belästigt; sie kamen von der Moräne des an den steilen Hängen des Ankogl und zum Theil auf der Abdachung der Kärnthnerschneide liegenden Gletschers, dessen oberes Firnfeld wir überschritten hatten. Er zieht sich etwa dreitausend Fuß lang in einer abwechselnden Breite von zwei bis dreihundert Fuß in steiler Lage nach dem Thale hinunter, seine Oberfläche ist vom Schiefergeröll, welches der Ankogl ihm sendet, schmutzig grau und in seiner Moräne ein fortwährendes Poltern und Rollen der Schiefer bemerkbar. Die sehr schräge Lage des Gletschers und die ungemein warme Temperatur schienen das ungewöhnlich rasche Bewegen des Eises zu verursachen, die lockeren Schiefer seiner Moräne wurden von ihm geschoben und stürzten zu beiden Seiten krachend und zerschellend in’s Thal. Es war höchst interessant, diesem fortwährenden Steintanze zuzusehen, mit dem sich der Gletscher jeden näheren Besuch ernstlich zu verbitten schien. Thalwärts war er zum Theil völlig geborsten, und große Eisblöcke hatten sich von ihm getrennt, die natürlich im Schmelzen begriffen waren.
Hiernach scheinen die Nordhänge des Ankogl allmählich gänzlich gletscherfrei zu werden, denn auch dieser noch allein übrige Gletscher des Hanges befindet sich auf raschem Rückzuge.
In vier und einer halben Stunde, vom Gipfel gerechnet, sahen wir die Radeckhütten wieder vor uns und fanden den Kaffee, den die Sennerin uns bereitete, vortrefflich, obschon er eigentlich mit dem Mokka nicht viel gemein hatte. Der Rückweg durch das reizende Anlaufthal erschien uns wie eine Erholung; am Tauernfall, wo der Ankogl verschwindet, nahmen wir Abschied von ihm, und kurz nach sieben Uhr saßen wir am Gehöft des sogenannten Patschke-Bauer, zehn Minuten vom Wildbad entfernt, beim Sanct-Johanner-Biere, welches die Bäuerin frisch vom Fasse zapfte.