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Der Fischfang mit Kormoranen in China

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Textdaten
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Autor: C. F. Liebetreu
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Titel: Der Fischfang mit Kormoranen in China
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 643
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[643] Der Fischfang mit Kormoranen in China. Die große internationale Fischerei-Ausstellung, welche im Sommer dieses Jahres zu Berlin über eine halbe Million Zuschauer angelockt hat, brachte, wie durch die Zeitungen wohl allgemein bekannt geworden, auf dem Teiche daselbst unter Anderem einen Kahn aus China; eine lebensgroße Puppe darauf versinnbildlichte den rudernden chinesischen Fischer, und auf dem Bord des kleinen Fahrzeuges hatte ein Dutzend ausgestopfter Kormorane[1] Platz gefunden.

„Diese Vögel werden von den Chinesen zum Fischfang benutzt.“

Das war die einzige Erklärung, die uns damals zu Theil werden konnte. Durch einen glücklichen Zufall ist uns jetzt aber der in Shanghai gedruckte Katalog der chinesischen Abtheilung zu Händen gekommen, der einen so interessanten Bericht über diese Fischerei giebt, daß seine Mittheilungen hier Platz finden mögen.

Am besten werden, sagt der Bericht, die Kormorane in T'anghsichên, einer kleinen Stadt fünfzig Li nordwestlich von Hangchow, aufgebracht. Der Volksglaube schreibt den Bewohnern dieser Stadt den Besitz eines Geheimnisses zu, das ihnen ermöglicht, die Vögel besonders geschickt zu dressiren. Der gewöhnliche Name für dieselben ist Yü-ying (Fischfalke), oder Yü-ya (Fischkrähe). In Büchern werden sie mit dem Namen Lu-tsu bezeichnet.

Zweimal im Jahre, im ersten und achten Monat, legen die Weibchen drei bis acht Eier von grüner Farbe von der Größe eines Enteneies. Das Eiweiß darin ist grünlich, und die Eier werden ihres abscheulichen starken Geruches wegen nie genossen (das will bei einem Chinesen viel sagen). Nur die im ersten Monat gelegten Eier werden zum Ausbrüten zurückbehalten. Hühner müssen das Brütgeschäft übernehmen, da die Kormoranweibchen durchaus unzuverlässige Mütter abgeben. Nach einem Monat des Brütens schlüpfen die Jungen aus. Sie können dann noch nicht auf ihren Beinen stehen und sind gegen Kälte besonders empfindlich. Man nimmt daher die Jungen von den Hühnern weg, legt sie in Körbe, die mit Baumwolle und Wolle gefüllt sind, und birgt sie an einem warmen Orte. Im achten Monat, wo, wie bemerkt, die Vögel auch legen, ist die Witterung zum Brüten zu kalt; die Eier werden daher entweder weggeworfen oder armen Kindern geschenkt. Die jungen Vögel füttert man zuerst mit einem Brei von Bohnenhülsen und Aalfleisch. Sind Aale nicht zu haben, so wird das Fleisch eines Fisches, des Ophicephalus niger, dem Vogel in kleinen Kugeln eingegeben. Nach einem Monat fangen die Federn an zu wachsen; dann erhalten die Vögel mehr Fischfleisch und weniger Bohnenhülsen. Nach Ablauf des zweiten Monats werden die ziemlich herangewachsenen Jungen zu Markte gebracht und die Männchen zu vier bis acht Mark, die Weibchen für die Hälfte verkauft.

Die Vögel werden von jetzt an mit jungen Fischen, die man ihnen zuwirft, gefüttert. Wenn sie vollständig ausgewachsen sind, wird ihnen das Ende einer Schnur um ein Bein gelegt, das andere Ende derselben aber an dem Ufer eines Teiches oder Canales festgebunden. Die Vögel werden hierauf gutwillig oder mittelst einer Bambusstange in das Wasser getrieben, und der Züchter pfeift dazu eine besondere Melodie. Man wirft ihnen kleine Fische zu, auf die sie sich gierig stürzen; denn während der Zeit der Abrichtung wird ihnen die Nahrung geschmälert. Mit einem anderen Pfiff ruft der Züchter alsdann die Vögel aus dem Wasser; folgen sie nicht sofort, so werden sie mittelst der Schnur an's Land gezogen. Die eingefangenen Fische geben sie ab, und erst nachdem die Lection vorüber, erhalten sie ihre Fischmahlzeit auf dem Lande. Diese Dressur dauert ungefähr einen Monat (wir fügen hinzu, daß nur die Geduld eines Chinesen im Stande ist, die Dressur des freßgierigen Vogels zu Ende zu führen); dann avanciren sie zur Dressur für den Fischfang von Böten aus. Nach vier bis fünf ferneren Wochen sind die Vögel so abgerichtet, daß man der Schnur entbehren kann.

Alte, gut abgerichtete Vögel begleiten nun die Jungen und erleichtern das Anlernen derselben. Lernen einige Exemplare durchaus nichts, so werden sie – wie der Bericht sich höflich für todtschlagen ausdrückt – bei Seite geschoben. Nach vollendeter Dressur füttert man die Vögel spärlich mit Fischen; ein kleiner Ring aus Hanfgarn wird um ihren Hals gelegt, um das heimliche Naschen zu verhindern. Jetzt sitzen zehn bis zwölf Kormorane auf dem Rande des Bootes und, gelehrig wie die Hunde, stürzen sie auf einen Pfiff des Fischers in die Fluthen. Sie tauchen unter; ihr scharfes Auge erspäht den Fisch; der hakenförmige Schnabel nimmt ihn gefangen, und die Beute wird treulich – dank dem hanfenen Ringe! – dem Herrn apportirt. Hat dieser oder jener Kormoran den Schnabel einem Fisch in die Flanken geschlagen, der stark und kräftig genug ist, den Feind abzuschütteln, so kommt ein anderer, ein dritter Vogel hinzu; sie packen den Unglücklichen mit vereinten Kräften, und vereint heben sie ihn zum Boot, um ihn als Beute abzuliefern. Allerdings hat auch der Kormoran seine Launen: manchmal fällt es ihm ein, sich für einen freien Vogel zu halten; er verweigert den Gehorsam, doch – der arme Schlucker! Ihm bindet der Fischer die Beine zusammen und zieht ihn mit einem Haken durch das Wasser in's Boot zum Arrest – und dann legen sich seine Freiheitsgedanken.

Nachdem die Vögel zwei bis drei Stunden gefischt haben, dürfen sie in's Boot zurückkehren und sich ausruhen. Abends wird der ominöse Ring gelockert oder ganz weggenommen. Dann erhalten die Vögel die gnädige Erlaubniß, für eigene Rechnung zu fischen, oder sie werden gefüttert, das heißt: sie werden, wie bei uns die Gänse, genudelt. Der Fischer nimmt die Vögel der Reihe nach an dem Oberschnabel, füllt ihren Rachen mit einer Handvoll kleiner Fische und einem Kloß aus Bohnenhülsen und drückt dann mit der Hand die Ladung langsam den Hals hinunter. Der Vogel verdreht dabei die Augen zum Erbarmen, aber kaum ist der Kloß im Magen, so reißt er schon wieder den Schnabel auf und drängt sich an das Knie des Fischers, um schleunigst einen zweiten Bissen zu erhalten.

Ein Kormoran kann fünf Jahre dienen; dann verliert er seine Federn und stirbt. Ein Paar gut abgerichtete Kormorane kostet sechszig, ein Männchen allein sechsunddreißig bis zweiundvierzig Mark; die Weibchen legen, wenn sie ein Jahr alt sind, zum ersten Male.

C. F. Liebetreu.


  1. Der Kormoran (Wasser- oder Seerabe) gehört zu den Ruderfüßlern, hat einen ziemlich langen, an der Spitze abwärts gebogenen Schnabel, kurzen Schwanz, lange Zehen, nackte Kehle und ausdehnbaren Kehlsack. Seine Durchschnittslänge beträgt vierundneunzig Centimeter, er ist auf Oberkopf, Hals, Brust, Bauch und Unterrücken glänzend schwarzgrün, auf den Flügeln und dem Vorderrücken bräunlich geschuppt, an der Kehle und den Weichen weiß; seine Augen sind meergrün, sein Schnabel und seine Füße schwarz. Man findet den Kormoran in Europa bis zu Mittelnorwegen hinauf, in Mittelasien und Nordamerika; sein Winterquartier schlägt er in südlichen Landstrichen auf, hinab bis nach Nordafrika, Westindien und Südasien.
    D. Red.