Der Einsiedler bei Dippoldiswalde
Der Einsiedler
bei
Dippoldiswalde.
[188] In der Dippoldiswalder Heide, eine halbe Stunde nördlich von der Stadt, steht ein großer Sandsteinfelsen mit einer wenig bedeutenden Höhle, welcher der Einsiedler heißt. Die auf demselben befindlichen Spuren von Gemäuer heißt die Dippoldsklause, und der nahe Quell der Einsiedlerbrunnen. Ohnweit davon stehen die Trümmer einer alten Kapelle. Die Sage selbst beginnt in den letzten Regierungsjahren Kaiser Heinrichs I., des Finklers, etwa um 933, und endet um 960. Der in derselben erwähnte Boleslav ist Boleslav II., der Fromme, welcher, seit 967 Herzog von Böhmen, 971 das Christenthum in Böhmen einführte, das Erzbisthum Prag und mehrere Kirchen stiftete.
Müde, nur der Welt zu leben,
barg zu Kaiser Heinrichs Zeit
sich der alte fromme Dippold
in des Waldes Einsamkeit.
seines Wohnens und sein Bette
dürres Moos und Farrenkraut,
Früchte dienten ihm zu Speise,
die nach frommer Klausner Weise
Rings vor seiner Felsenklause
hatte sich der fromme Greis
eingezäunt ein kleines Gärtchen
und bebaut mit regem Fleiß.
weiße Rüben, rothe Möhren,
sorglich gärtnernd, und begoß
sie aus dem krystallnen Quelle,
dessen schmale Silberwelle
Auch vergaß er nie die größ’re
Pflicht getreulich zu verseh’n,
und an die geweihte Stätte
täglich zum Gebet zu geh’n.
stand im Walde die Kapelle
der hochheil’gen Barbara,
wo der Klausner voller Freuden
treulich die Obliegenheiten
Wandrer, die den Wald durchzogen,
sprachen bei Dippolden ein,
ließen sich von ihm mit Freuden
für die Christuslehre weih’n.
floß die heil’ge Gotteswahrheit
von des frommen Greises Mund,
und was ihm die Lippe wehrte,
gab des Lehrenden Geberde
Keiner durfte ungetröstet,
keiner zweifelnd von ihm zieh’n,
alle dankten ihm mit Thränen,
segneten und priesen ihn,
von dem frommen Greis die Kunde
fernhin in das Böhmerland;
auch des Herzogs edlem Sohne,
Erben einst der böhm’schen Krone,
Längst schon war der bied’re Jüngling
allem Götzenopfer feind,
und der heil’gen Christuslehre,
wie er solche kannte, freund.
wie und wo der Klausner lehrte,
hatt’ er nimmer länger Ruh,
schied vom väterlichen Schlosse
still, und ritt auf schnellem Rosse
Nach drei Tagereisen kam er
bei der Felsenklause an;
jätend kniet’ in seinem Gärtchen
just der alte fromme Mann,
vor dem Zaune halten sahe,
stand er eilends auf, und sprach:
„Edler Ritter, seyd gegrüßet,
und so’s euch gefällt, genießet
Boleslav ¹) – so hieß der Böhme –
stieg vom Rosse flink, und band
es am Pförtchen fest, und reichte
ihm zum Gegengruß die Hand:
und ihr werdet von den Lasten
banger Zweifel mich befrei’n;
von euch will ich all’ die Lehren
eures heil’gen Jesu hören,
Freudig glänzte Dippolds Auge:
„Heil euch, Heil! wer ihr auch seyd,
euer guter Engel führte
euch in diese Einsamkeit.
den wir Christen Vater nennen,
sollt euch des Erlösers freu’n.
Kommt!“ Mit freudig raschem Schritte
führte Dippold in die Hütte
Stundenlang oft saßen Beide
in der Laube frischem Grün;
Boleslav ließ keine Lehre
spurlos seinem Ohr entflieh’n.
ihm genehm, und hatt’ er keinen
Zweifel jemals sich erlaubt;
aber bei der großen Lehre,
daß sich rächen Sünde wäre,
„„Aber seht, ehrwürd’ger Vater,
– unterbrach er sanft den Greis –
warum, wenn ich Böses sehe,
wird’s im Herzen mir so heiß?
wenn ich besser bin, nicht rechten?
Habt ihr mir doch selbst gesagt:
Wehe, wer durch Uebelthaten
seinem Nächsten Leid und Schaden
„Weh dem Bösen! – rief der Klausner –
weh ihm, wehe! Aber wißt,
daß, das Rächeramt zu üben,
ein Alleinrecht Gottes ist!
allen Makels ledig werden,
daß er könnte Richter seyn;
darum soll er ohne Klagen
seines Nächsten Fehler tragen,
„Doch genug jetzt! Zur Kapelle
ruft mich meine heil’ge Pflicht.
Gießt indeß die Rübenbeete,
auch versäumt das Jäten nicht!“
griff der Greis zu seinem Stabe,
eilte in den Wald hinein,
Boleslav ging mit den Kannen
an den Quell. Die Wässer rannen
„Gutes Brünnlein, bist der Reinheit
und der Freiheit treues Bild,
ein Crystall ist jeder Tropfen,
der aus deiner Tiefe quillt!
und dein Kieselbett verengen,
suchst dich friedlich zu befrei’n;
rächst dich nicht an diesen Steinen,
ja du wäschst sie noch mit deinen
Tiefbewegt in inn’rer Seele
schöpft er seine Kannen voll,
und begießt die Rübenbeete,
hackt und jätet, was er soll;
tritt er an den Zaun, und wendet
seine Blicke auf den Quell.
Lange schaut er in die Wässer –
seines Zweifels Nacht wird blässer
Nur der Fichten Wipfel glühten
noch im goldnen Abendschein;
immer schaute noch der Jüngling
sinnend in den Quell hinein.
lächelten der Zukunft Bilder
aus dem Quell in seinen Blick,
da vernahm er nahe Tritte;
durch der Fichten dunkle Mitte
Wohlzufrieden flog sein Auge
durch der Beete saubern Kreis,
und mit freudigmildem Blicke
lobt’ er seines Schülers Fleiß,
reifsten Aepfel von den Aesten,
pflückte Schoten noch dazu,
und als solches war genossen,
und die Gartenthür verschlossen,
Mitternacht war schon vorüber;
auf der Lagerstatt von Moos
schliefen, noch im ersten Schlafe,
Beide sanft und sorgenlos.
just, als ob der Zaun zerbräche,
und der Klausner wurde wach.
Aengstlich lauscht’ er, was es werde –
still war Alles, und er hörte
Rüttelnd weckt er seinen Schüler,
und erzählt, was er gehört;
aufspringt Boleslav, und zündet
rasch das Windlicht, und bewehrt
um zu seh’n, was wohl geschehen,
Beide in des Gärtchens Flur;
unter einem Apfelbaume
lag auf blutgetränktem Raume
Dippold bebt. Der Jüngling leuchtet
mit dem Lichte näher hin:
„„Ha, ein Dieb! Seht da, das Körbchen!
die gestohl’nen Aepfel drin!
Der ist auf den Baum gestiegen,
und wohl hoch herabgestürzt.
Wimm’re, sollst nicht lange wimmern!
Will den Schädel dir zertrümmern,
Zornig zuckt er mit dem Schwerte,
doch der greise Klausner hält
ihm den Arm: „Halt ein, Verwegner!
Bist zum Richter du bestellt? –
daß wir ihn vielleicht noch heilen!
Faßt ihn nur behutsam an!“
Boleslav gehorcht. Sie schlagen
in die Mäntel ihn, und tragen
Dippold wäscht ihm seine Wunden,
legt ihm Spinnewebe drauf,
und der Kranke regt sich wieder,
schlägt die stieren Augen auf.
solche Großmuth sahe üben,
schüttelte sein lockigt Haupt,
und begann: „„Könnt ihr verwetten,
daß der, den wir heute retten,
Strafend da mit finsterm Auge
sprach der Greis: „Das weiß ich nicht!
Aber wär’s auch; ihm zu helfen,
das ist heute meine Pflicht!
Großmuth auch am Feind zu üben,
wie sie Christus einst geübt!
Alle Menschen sind ja Brüder.
Darum, so frag’ niemals wieder,
Durch das ernste Wort erschüttert,
schweigt der Jüngling still dazu,
und begiebt sich, da der Klausner
sein nicht mehr bedarf, zur Ruh.
bei dem Kranken bis zum Morgen,
hülfreich stets um ihn bemüht,
so daß früh vom Schlaf ermuntert
Boleslav ihn hochverwundert
Da erwachte auch der Kranke,
wie aus langem Todesschlaf,
und erschrack in tiefster Seele,
als sein Blick den Klausner traf.
bis er, über sein Vermögen
hastig, auf vom Lager sprang,
und, vom Ungestüm der Schmerzen
und der Scham zerknirscht im Herzen,
Doch er hob ihn auf voll Güte,
und begann: „Was du gethan,
rechne dir’s der Herr des Himmels
im Gericht dereinst nicht an.
daß du Gnade mögest finden!“
So der Greis mit ernstem Ton,
Als ob’s ihm das Herz zerreiße,
stand der Sünder vor dem Greise,
Da ergreift’s den Jüngling plötzlich,
wie mit himmlischer Gewalt,
auf die Kniee stürzt er nieder
vor des Greises Hochgestalt:
tauft mich! Jetzt hab’ ich gesehen,
wie’s so schön ist zu verzeih’n!
Tauft mich! Gern will ich versprechen,
nur durch Liebe mich zu rächen;
Dippold preßt mit feuchtem Auge
seinen Schüler an die Brust;
der Triumph des Glaubens ist ja
seinem Herzen Himmelslust.
führt’ ihn dann in die Kapelle,
und noch manches fromme Wort,
gab er ihm mit auf die Reise.
Reich im Herzen ritt vom Greise
Viele fromme Wandrer sprachen
bei dem greisen Klausner ein.
ließen sich an seinem Quelle
für die neue Lehre weih’n,
nah der Klausnerei sich Hütten,
und so allgemach entstand
eine Stadt, die frommer Weise,
zum Gedächtniß jenem Greise,