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Der Dienst des Pfarrers/Der Dienst der Apostel

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« Der Dienst Jesu Hermann von Bezzel
Der Dienst des Pfarrers
Der Dienst des Pfarrers und seine Vorbedingungen »
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Kapitel II.
Der Dienst der Apostel.
 Gleichwie mich der Vater sendet, also sende ich euch auch (Joh. 20. 21), spricht der große Apostel (Hebr. 3, 1) zu denen, die er nicht nach seinem Gutmeinen erwählt hat, wie auch ohne daß sie ihn hätten wählen können und dürfen (Joh. 15, 16). Sie weiht und weist er in alles ein, was seine Aufgabe ist, die einmalige und für immer zu lösende und erfüllte, die fortgehende und fortdauernde, das zu verkünden und allen Verlangenden zu bezeugen, was durch die eine Tat der Welt eingestiftet ist. In der Auswahl der Apostel hat er erleben müssen, was sein Vater in der Wahl des Volks sich zu erleben gab. Wie dieser mit dem Unverstand eines ungetreuen Volks, seinem Lippendienst und Mundglauben, nach dem den Welttag lang er die Hände vergeblich hat ausstrecken müssen, gelitten, Mühe und Geduld getragen hat, so muß Jesus über die (Matth. 17, 17) ungläubige und verkehrte Art der Seinen klagen, die am Anfang (Joh. 2, 22, Mark. 8, 17, 18, 21) wie am Ausgang seiner Wirksamkeit (Luk. 18, 34) ihn nicht verstanden. Er hätte, da er wohl wußte, was im Menschen war (Joh. 2, 25), sich andere Jünger zur nächsten Umgebung erwählt, wie er denn in jener geheimnisvollen Stelle Joh. 5, 30 (vgl. mit Luk. 22, 42) andeutet, daß er immer wieder seinen Willen dem des Vaters aus innerer Freiheit unter- und einordnet. Er hat die Art der Jünger nicht erst mühsam enträtselt, sondern (Joh. 6, 64) von Anfang sie durchschaut und doch das Gehorsamsopfer gebracht,| sie Freunde zu nennen (Joh. 15, 14), nicht weil sie es waren (v. 14), sondern weil sie es sein sollten. Er gab ihnen nicht mit der Aufgabe die Gabe, sondern fügte zu dieser jene hinzu. „Werdet meine Jünger!“ (v. 8). Jeden einzelnen hat er, wie es in dem Werbegespräch Luk. 9, 27–62 vorgebildet ist, individuell behandelt, hat das sanguinische Temperament des Petrus gebraucht und beschämt (Matth. 14, 28–31; Luk. 22, 31–34), das melancholische des Thomas liebevoll angesehen (Joh. 14, 5; Joh. 20, 26 f.), die phlegmatische Art des Philippus (Joh. 14, 8, 9 und Joh. 1, 43) so geehrt, daß er (vgl. Luk. 9, 59) ihn allein direkt mit dem Rufe: ἀκολούθει μοι beglückt. Und dem gewaltigsten Apostel, den er im Sturm gewonnen hat wie der Wind die unreife Frucht vom Baume reißt, die dann in langsamer Ablagerung reifer und dienlich werden soll (ἔκτρωμα I. Kor. 15, 8) hat er gezeigt, wie viel er um seines Namens willen leiden muß (Apg. 9, 16). Der an seiner Seite saß, ward darum nicht verwöhnt (Luk. 9, 55, Mark. 10, 40), sondern mußte den tiefen Ernst der Seelsorge erfahren, die den nicht läßt, der sich ihr übergibt.
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 Die Apostel aber erfuhren ihres Teils, wie nahe Jesus denen kommt, denen er ferne tritt und wie ferne er ihnen bleibt, so lange er nahe ist. Über Jesu kurzem Scheiden in Tod und Grab war ihr Herz voll Trauerns geworden (Joh. 16, 6), als er aber von ihnen genommen ward (Luk. 24, 52), kehrte die Freude ein, welche den Tag der Arbeit preist und das ewige Leben auf Erden erfährt (Joh. 17, 3), um es im Vollendungstage ganz zu haben. Als ἂνθρωποι ἀγράμματοι (Apg. 4, 13),| Leute ohne gelehrte Bildung haben sie doch das Wenige, das Stückwerk δ (I. Joh. 1, 1), was sie vom Worte des Lebens durch großartige Überzeugung in sich aufgenommen haben, recht erfaßt und würdig weitergegeben in Kraft (I. Joh. 2, 27) der Sendung und Salbung durch den aus dem Vollbesitz der Wahrheit in ihren Gebrauch leitenden Gottesgeist und bedurften anderweitiger Unterweisung nimmer. Ja, der einzige, der mit dem Überschwang von Wort und Weisheit hätte kommen können (I. Kor. 2, 1), wollte nur die Sache reden lassen, damit nicht Erden-Weisheit die himmlische verdränge und die Paulusgemeinde da erstehe, wo Christus die Seinen haben wollte und sollte.
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 Jesu nach und ihm entgegen zog die Schar der Apostel, ohne natürlicher Behinderung und Beschwernis zu achten, ohne etwas andres sein zu wollen als getreue und gehorsame Verwalter, I. Kor. 4, 1, von deren Antlitz und Wesensbetätigung, aus deren ganzer Persönlichkeit die heiligende und verneuende Kraft Christi hervorleuchten sollte, der character regius des aus Leiden und Mühen erhobenen Personenlebens (Gal. 6, 17). Nur Eines wissend, wußten sie um vieles, nur Einen predigend, wandelten sie Stimme und Wort je nach Bedarf, und teilten das Wort recht (2. Tim. 2, 15), gaben den Starken kraftvolle, zarte Speise den Schwachen, gingen auf die Gedankenwelt der Griechen ein, ohne sich in sie zu verlieren, ließen sich zu der Denkweise ungebändigter Völker herab, ohne sie zu beschämen, wurden allen alles, um keinem nichts zu sein, bewahrten die gesunde Einseitigkeit, um vielseitig sein zu können (1. Kor. 3, 23),| redeten durch ihren Wandel (I. Tim. 4, 12) und hielten an in dem Stadium des oft Gelesenen und nie Ausgegründeten, in der Einzelseelsorge und in der Lehrunterweisung. Weil sie ganz konzentriert waren, darum überwanden sie weit, was zerstreuen und teilen, innerlich verunruhigen und umtreiben konnte (Eph. 4, 14), ob es von Menschenmeinung kam, die mit der Seele spielt, oder von Satansbetrug, der im Lichtesgewande berückt (II. Kor. 11, 14). In solcher geschlossener Einfachheit, die nichts wußte, was beschweren muß, und alles erfaßte, was befreien kann, das Schwere aber eben nur zur Freiheit erheben wollte, konnten die Apostel, wie des geringen Marterholzes Ausdehnung, das in die Tiefe geht, zur Höhe reicht, in die Ferne und Weite deutet, so die Kreuzestat ausdeuten und verkünden, die aus Sündennöten und abgrundstiefem Leide anhebt, die mitleidsvolle Fürbitte und Stellvertretung zur Höhe des Sieges erhebt, über Weltweiten und Zeitenlängen hinaushebt.
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 So geht die Predigt des Jakobus – denn aus ihren Briefen läßt sich die Predigtart der Apostel am besten ermessen – mehr in die Breite der irdischen Verhältnisse. Nur einmal nennt er Jesum mit Namen (2, 1), einmal vielleicht meint er ihn (5, 11, wiewohl der Beisatz „denn der Herr ist barmherzig“ auf das Ende, das Gott bei Hiob herbeiführte, weist), aber – und das soll denen gesagt sein, die eine Predigt auf ihren christlichen Gehalt je nach der Nennung des Namens Jesu einschätzen – die ganze Abhandlung vom Preise der Geduld bis zum Dank für die sündenbekehrende Liebe ist der Ruhm| Christi und der Frage gewidmet, wie dieser Ruhm in Wort und Wandel zu erbringen und zu bewähren sei. So führt der Prediger in die Krankenstuben und in das Kämmerlein der Witwe, wo der rechte Gottesdienst zu begehen ist, hinaus aufs Feld und dessen ernste Arbeit, hinein in die gottesdienstlichen Räume, wo so viel Wehtat geschehen kann, daß die müden Herzen noch mehr verwundet, die satten und stolzen noch mehr verderbt werden. Es werden die Sünden des Hochmuts und der Vielgeschäftigkeit, der rein äußerlichen Klugheit, die doch der nächsten Stunde nicht mächtig ist, gestraft. Wie viele möchten lehren, ohne gelernt zu haben und lernen zu wollen. Und doch ist die Zunge solch gefährliches und unheilvolles Ding, das nur Einer von innen heraus heilen und heiligen kann, er, der in keinem Worte fehlte (3, 2). Christliches Leben erweist sich auf allen Gebieten, auf denen das natürlich-psychische sich betätigt, es durchgeistend und verneuend, es vertilgend und verwerfend. Denn Christ sein heißt einer neuen Schöpfung sein, welche an die erste sich reiht, nicht übergeistlich, aber wahrhaft geistreich, ferne von Schein und Glanz, ganz, echt und klar (3, 17).
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 Die Predigt des Johannes geht in die Höhe des weltüberwindenden Glaubens. Unter ihm liegt Sünde und Leid, die dem Jünger Christi wie ein schwerer banger Traum erscheinen. Denn Gott ist Licht, und die durch Jesum, der die Finsternis entmächtigt und ihre Schuld getragen hat, in Gemeinschaft mit Gott treten, müssen Wort und Wandel zum Lichte richten, nicht in Selbsttäuschung, als ob der Wandel im Lichte keine| Trübungen mehr erleiden könne, aber in dem Ernste der Heiligung, die aus der Vergebung des Unlichten immer neue Kraft empfängt. Die Finsternisse sind vorübergezogen, das ist seit der Nacht, in die das ewige Licht versank (Joh. 12, 46; 13, 30), gewißlich wahr. Aber je höher es scheint, desto größer die Verantwortung dessen, dem es leuchtet. Weltliebe ist Rückschritt und Einkehr in die Nacht heißt dem Undurchsichtigen und Unguten vor dem Reinen den Vorzug geben, heißt leben nicht wie Gott, ohne ihn und wider Gott. Aber die Brüder lieben aus Jesu allumschließender Liebe heraus heißt im Lichte sein, das gibt, spendet, scheint, ohne sein zu achten, heißt Christo ähnlich sein und immer mehr werden, dessen Kraft erleuchtet und erwärmt. In der Liebe Christi liegt ihrer Natur nach die scheidende Gewalt, die alles echt sein Wollende anzieht, alles in Zwielicht und Dunkel Beharrende abstößt, denn schließlich kann die Liebe nur mit dem Wesenseinen sich zusammenfinden. Liebe Christi ist auch Zorn; wie groß muß dieser sein, wenn er jene ablöst! (Offg. 6, 17 der Zorn des Lämmleins!) So ist auch Christenliebe nicht lauer Indifferentismus, der allen Anschauungen und Meinungen, der Denk- wie der Lebensweise eines jeden gerecht wird, sondern scheidende und hemmende Kraft (I. Joh. 4, 2; 5, 10).
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 Die Verkündigung Petri, wie die Apostelgeschichte und der erste Brief namentlich sie ausweisen, betont die Vorzeitlichkeit der Heilsbereitung, die Innerzeitlichkeit der Heilsgewährung, die Überzeitlichkeit des zur Vollendung führenden Heilswillens. Seiner Predigt| eignen die geschichtlichen Rückblicke (Apg. 2, 17, vor allem 3 u. I. Petri 1, 1–10), die immer wieder auf dem unvordenklichen Gnadengrund ruhen, die Einblicke in das Leben der Gegenwart, die durch seine Verwertung eigner Erlebnisse besonders wirksam werden. Wenn er von der Demut spricht, denkt er an jene Stunde, in der er dem Herrn wehren wollte, ihm Knechtesdienst zu tun (Joh. 13, 8 zu I. Petri 5, 5). Die Mahnung zur Nüchternheit und Wachsamkeit (5, 8) geht auf Jesu Mahnung zurück, die er übersah, und seine Warnung vor dem Versucher (5, 8) auf die eigne Erfahrung (Joh. 13, 37 u. 38). Der Osterhymnus, der den des Paulus noch übertönt, läßt uns in das Herz des besonders Begnadeten blicken: der Herr ist wahrhaftig auferstanden und Simoni erschienen (Luk. 24, 34), der dem Tode Entnommene einem der nächsten Ursächer seines Todes und in ihm den Sündern allen. Das Leben vergibt dem, was es töten wollte, denn es hat das Leben verherrlicht und vertieft. Mit dem Heimweh, das die Kraft des Mannes ist, weiß er das Ende von allem näher herangekommen (4, 7): für die Menschen Christi bedeutet diese Zeit völlige Befreiung, gänzliche Ausreifung. Und wie einst der Meister die Jünger mit Wanderregeln bedachte, so ruft der Apostel den Mitpilgern Losung und Wahlspruch, Ordnung und Weise der christlichen Wallfahrt ins Herz. Jesus, der das Gestern mit der Kraft seiner Geistessalbung beherrschte und erlöste, will auch das Heute erfüllen, ihm die alten Gaben bringen, die täglich neu sind und verneuen, damit Vergangenheit und Gegenwart in die Zeit der Vollendung, das Werden ins Gewordensein| heimkehrend desselben Herrn sich freuen mögen, den der Glaube erblickt, die Hoffnung bewahrt, die Reife beider erschaut (1, 8 u. 9).
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 Alle Kräfte aber und Gaben, die im Kreuze sich zeigen und von ihm ausströmen, in der Predigt zu verwerten und zu preisen vermag Paulus. Seiner jedes Gewissen rührenden und treffenden Frage (2. Kor. 2, 16) πρὸς ταῦτα τίς ἱκανός; antwortet die Gemeinde bis auf diesen Tag, ja auch die Schar der Gegner, die in ihm den Verzeichner des ursprünglichen Jesusbildes, den Schöpfer eines neuen Typus argwohnen: du hast mehr gearbeitet als die andern alle (I. Kor. 15, 10), Ströme lebendigen Wassers, weit über die Rinnsale des frommen Christenstandes hinüber, sind von dir ausgegangen (περισσότερον, vgl. Joh. 7, 38): Denn es gefiel der Gnade, in der Schwachheit sich auszugestalten, zur Vollerscheinung sich zu bringen. Die Kraft kommt in Schwäche zum Sieg, in ihr und durch sie und ihr zum Trotz. „Hart wie ein Diamant, weich wie Wachs, machtvoll und liebend, das war Paulus“ sagt Gregor von Nyssa. Und darum war er imstande (ἐξίσχυσεν im Vollmaß vermochte er), das Unfaßliche zu ergreifen. Kein Apostel führt so in die Tiefe der alles beschließenden Sünde, die als gewaltsame Herrin mit dem Tode zahlt, nicht aus einzelnen zusammenhangslosen Fehlern besteht, welche unvermittelt und voneinander unberührt aneinander sich reihten und grenzten, sondern die eine Widergöttlichkeit mit verschiedensten Ausstrahlungen ist, die alle eben in der Gottesfurcht ihren Sammelort haben. Aber aus diesen Tiefen, in denen die für sich selbst lebenden| und schließlich zum Leben mit sich wider ihren Willen gezwungenen Menschen hausen, erhebt sich schweigsam feierlich, in düsterer Einsamkeit, über der nur der ewige Ratschluß eines nicht erforderten, aber freigeschenkten Erbarmens leuchtet, das Kreuz, an dem der hängt, der zum Fluch gemacht ward (Röm. 8, 3, Gal. 3, 13), damit an ihm sich das Fluchwürdige auslebe, der Tod all seine Gewalt, die Hölle all ihr Gift an ihn verlieren (I. Kor. 15, 55) und die Fluchgewalt in einen Sieg hinabgezogen würde, der sie überwältigt. In die Tiefen des göttlichen Ratschlusses, in die seine Mitapostel nie hineinzublicken wagten, von denen Luther staunend sagt: Paule, du willst nicht verstanden sein, schaut schwindelfrei der an Gottes Wort ganz gebundene weltmächtige Glaube, der darum an Gott nicht irre wird, wenn er in der äußeren Weltgeschichte (Apg. 17, 26) bestimmte Linien und Grenzsicherungen verlaufen sieht, die aus ewigem Ratschluß das Leben der Nationen bezeichnen und das der einzelnen fügen und führen, weiß er doch alle diese Wege und Marksteine auf den großen Geschichtsweg hindeuten, den die Allmacht die willige Ohnmacht in Liebe gehen läßt, damit sie die Enterbten zu ewigem Erbteil heimführen und die versunkenen Lebensbilder im Erbarmen aufleben lassen könnte. Tiefen des Reichtums, der durch die Armut begnadet (2. Kor. 8, 9), und der Weisheit, die, weil sie zugleich Erkenntnis und praktische Erfahrung ist, nicht nur das Menschenleben führt, sondern so führt, ihm nicht nur das Sein in der Gnade, sondern das Sosein, die individuelle Lebenshaltung sichert, preist darum Paulus. Sie sind unfaßlich, unergründlich, ihre letzten Merkzeichen| verlieren sich in ewigen Geheimnissen, aber sie bleiben entgegen den unheimlichen Tiefen der Sünde, deren Geheimnisse vom Schrecken der Gewißheit in den der Ungewißheit führen, sonnenbeschienene Abgründe, von einer Klarheit zu der andern (II. Kor. 3, 18). Die Tiefe ist dem Glauben erschlossen, der einsetzt, wo der forschende Verstand die Zweiflung herbeiruft, die in Verzweiflung endet, denn der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes und nimmt von ihm nichts an (I. Kor. 2, 14), während der, den der in alle Wahrheit leitende Gottesgeist (Joh. 16, 13) besitzt, auch die Tiefen in Gott erforscht (I. Kor. 2, 10). Über die Tiefen hinweg, die der Spekulation sich verschließen, führt die Predigt Pauli in die Weiten und Breiten, welche die Liebe beherrscht und in welchen darum die Freude regiert. Und doch sind diese Weiten so erreichbar und diese Breiten dem zu beherrschen, der nichts anderes will als dienen und sich bescheiden. Sermo amoris barbarus non amanti sagt Bernhard. Aber wer geliebt liebt und versöhnt lebt, der herrscht (I. Kor. 14, 19). Was hilft geweihte und gewandte Sprache, wenn nicht die Liebe sie regiert? Der Denker des Altertums mit all seiner Erkenntnis, der Redner mit der machtvollen herzandringenden Rede, der Held, der sein Leben wagt, sind vergessen, aber die einfache Gedankenwelt und das schlichte Wort und die für Christum alles lassende und wagende Tat bleiben. Wie armselig ist das Tun des Weibes von Bethanien, dessen Dank wortlos und tatenarm war! Und doch sagt Christus von ihr (Mark. 14, 9), mit dem Evangelium von ihm werde das Gedächtnis der Salbung verbunden| bleiben, das Kleinste mit dem Größten. Wo diese alles glaubende und doch nicht leichtgläubige, alles hoffende und doch nicht leichtsinnige, alles tragende und doch nicht kaltsinnige, alles duldende und doch nicht charakterlose Liebe herrscht, da kehrt die Freude ein, welche über Welt und Zeit in die Höhe führt. Saeculi laetitia est impunita nequitia, sed in Domino gaudium est vis sagt der Kirchenvater. Wie oft zählt man bei Paulus das Wort Freude in seiner Verwandtschaft mit „Gnade“ als ihrem Grunde und „Dank“ als ihrer Äußerung und Wirkung: im Philipperbriefe allein vierzehnmal. Denn die Freude ist das Lebenselement des Christen, die Kraft, die ihn auf Höhen führt. „Aber der Teufel ist ein melancholischer Geist.“ In die Zeitenlänge und über sie hinaus geht die Heilsverkündigung, wenn sie bezeugt, daß noch ein Tag kommen wird, an dem alles Kreatürliche vor dem erhöhten Christus die Knie beugen und jede Zunge auch die der Widerwärtigen (I. Kor. 16, 9; II. Thess. 2, 8) ihn den Herrn nennen soll, aus Willigkeit gegen den Heiligen Geist die einen, die andern auf seinen Zwang, wenn sie als letztes Weltereignis Jesu heilige und willige Unterstellung seiner Person unter den Vater verkündet, daß, der einst als Mittler zwischen Gott und der Menschheit stand, an ihrer Spitze jenem zum Lobpreise der Ewigkeiten gegenübertritt.
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 So umfaßt die Predigt Pauli alle Fragen des Menschenherzens und der Weltzeit, die ewigen Anliegen der Seele und ihre Tröstung, erklimmt die Höhen und versenkt sich in die Tiefen, beherrscht das Gegenwärtige und blickt in das Zukünftige, versöhnt die größten Gegensätze| von Tod und Leben, von Sünde und Gnade und weiß sich bei allem in der Liebe geborgen, die in Christo Jesu ist, unserem Herrn.

 Daß in solcher Predigt Stimme und Stimmung wechselt, auf höchste Freude die Tränen folgen (Phil, 3, 18), auf Töne innigster Liebe der Ton schneidender Kritik (Phil, 3, 2 gegen die Übereifrigen), der bittren Ironie (II. Kor. 11, 19) und des gutmütigen Spottes (I. Kor. 4, 10 ff.), Töne des scharfen Zornes (I. Kor. 4, 21) und zarter Rücksichtnahme (I. Kor. 3, 2) abwechseln, dazu die sich überstürzende Sprache, die in Gegensätzen (II. Kor. 4, 1–10, II. Kor. 6, 7–10, Röm. 8, 38, 39) dahin eilt, in scharf zugespitzten Redewendungen neue Gedanken anregt, nie verweilt und doch innerlich stille ist und stille macht, die etwas Größeres als Ruhe kennt und nichts Höheres als Friede will, soll uns nicht wundern. Wahrlich, Pauli οὐκ ἐγκακοῦμεν (II. Kor. 4, 16 vgl. mit Eph. 3, 13) ist kein überstiegnes Wort. Weil er nicht aus sich noch für sich arbeitet, darum hat er Kraftquellen, die nicht versiegen und ist zu allem stark, weil Christus ihn stark macht (Phil. 4, 13).





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