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Der Brunnen im Dom

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Josef Seiler
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Titel: Der Brunnen im Dom
Untertitel:
aus: Volkssagen und Legenden des Landes Paderborn, S. 35–81
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1848
Verlag: J. Luckhardt’sche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Cassel
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Originalherkunft:
Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
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[75]
Der Brunnen im Dom.

Im Dom zu Paderborn quillt ein tiefer, kühler Brunnen. Kein Fremder, der sich den alten Dom zeigen läßt, versäumt es diesen Brunnen zu sehen, denn an ihn knüpft sich eine alterthümliche Sage, welche der letztverstorbene Domküster folgendermaßen erzählte: Da unten ruhen Schätze von Gold und Edelsteinen, die mehr werth sind als das ganze Paderbornsche Land; aber Niemand vermag sie zu heben, denn ein schwerer Bann hält sie von alten Zeiten her gefangen. Nur über eins hat der böse Zauber keine Macht, und das ist ein steinernes Muttergottesbild. Jeder, der das rechte Wort und [76] die rechte Zeit weiß, kann das Bild heraufholen. Und wem es gelingt, der hat das größte Kleinod von der Welt in seinem Besitze. Sobald nämlich das Wunderbild aus dem Brunnen erhoben ist, wird das Haus und die Stadt und das Land, wo es sich befindet, mit allem nur erdenklichen Glück gesegnet werden.

Ein alter Bischof, dessen Namen ich nun gerade nicht zu nennen weiß, hatte auch von dem Marienbilde sagen hören, und jemehr er der Sache nachdachte, desto heftiger ward sein Verlangen, in den Besitz des beglückenden Bildes zu gelangen. Alle Bücher, in denen etwas von Zauberei, Schätzegraben, Geisterbeschwören vorkam, las er durch; aber nirgend fand er etwas von den Schätzen des Brunnens, und wie sie erhoben werden könnten. Darüber ward er ganz mißmuthig und krank, und mancher der Domherren freute sich schon im Stillen in der Hoffnung, bald des wankenden Prälaten Nachfolger zu werden. Da stellte sich plötzlich ein Mann bei dem Bischofe ein, der versprach, das Bild aus dem Brunnen herauf zu holen. Mit Entzücken rief der Bischof: „Und was, mein Freund, verlangst du für einen so großen Dienst?“ „Nichts, als daß [77] Ihr mir vergönnt, in dem von der Mutter Gottes gesegneten Lande wohnen zu dürfen. Nicht allein das sagte der Bischof dem bescheidenen Manne zu, sondern auch, daß er – der Fremde – der Nächste am bischöflichen Stuhle sein, und Reichthum und Alles in Fülle haben solle. Der Mann bat um drei Tage Vorbereitungszeit; dann wolle er sein schweres Werk beginnen. Am dritten Tage ging er mit dem Bischofe, der nun alle seine Munterkeit wieder erlangt hatte, in den Dom und schloß sich ganz allein mit ihm ein. Gerade als es Mittag war, stellten sie sich an den Rand des Brunnens, und der Fremde fing an, nachdem er dem Bischof das größte Stillschweigen auferlegt hatte, aus einem alten großen Buche halblaut zu lesen. Das dauerte lange. Darauf nahm er etwas wie ein graues Pulver, streute es in den Brunnen und rief dazu mit lauter Stimme:

„Geister im Brunnen,
Ich hab’ begunnen
Euch zu beschwören;
Mich sollt ihr hören!“

Dann las er wieder in dem großen Buche eine Weile, doch nicht so lange als das erstemal; warf [78] wieder von dem Pulver in den Brunnen hinab und rief:

„Geister der Tiefen,
Die unten schliefen,
Weichet zurücke
Vor meinem Blicke!“

Wieder las er im Buche; wieder warf er das Staubpulver hinab; wieder rief er, indem er zugleich mit einem Spiegel und Ringe über dem Brunnen wunderliche Zeichen beschrieb:

„Geister der Wellen,
Bringt es zum Hellen,
Was ihr da unten in feuchter Nacht
Lange bewacht,
Alle die Schätze, alle die Pracht!
Hört! ich beruf’ euch bei Nostradamus Spiegel;
Hört! ich beschwör’ euch bei Salomons Siegel,
Das da eröffnet der Hölle Riegel!
Hört! – Hört! – Hört! – –“

Der Bischof, welcher zufällig einen Blick in den Spiegel warf, sah wie sich plötzlich ungeheure Gestalten in demselben zu regen begannen; sie wanden und ballten und bäumten sich. Und wie die Geister im Zauberspiegel, so bewegte sich das Wasser im Brunnen; es zischte und schäumte und gährte, daß dem Bischof ein innerliches Grauen ankam. Doch [79] nach und nach ward es ruhiger im Spiegel und stiller in der Tiefe; die Bilder verblaßten; das Wasser sank. Endlich war es ganz trocken im Brunnen, und eine Treppe wurde sichtbar, die auf vielen Stufen hinabführte. „Harret meiner nur eine kleine Weile,“ sagte der Zauberer zum alten Bischofe; „sogleich bin ich mit dem heiligen Bilde wieder bei Euch.“ Darauf stieg er die Treppe hinunter und verschwand am Ende durch eine kleine Thür unten im Brunnen. Es dauerte gar nicht lange so kam er zurück und trug das schwere Steinbild, das ganz grau und verwittert aussah, auf seiner Schulter. So wie er heraufstieg kam das Wasser langsam hinter ihm her, und als er oben war, stand es gerade wieder so hoch im Brunnen wie vor der Beschwörung. Ein unbeschreiblich angenehmer Duft ging von dem Muttergottesbilde aus, welches der Bischof sogleich mit eigenen Händen auf den Hochaltar stellte. Darauf fragte er den Fremden: „Sahest du denn sonst nichts, mein Sohn, von den köstlichen Schätzen, welche der Abgrund da verbirgt?“ Und der Fremde fing an zu erzählen von der Tiefe, wo Paläste von Gold und Burgen von Perlen stehen; wo in duftenden Gärten Demantblumen blühen; wo in [80] Bächen edler Wein über Rubinfelsen rinnt; wo die größten Kostbarkeiten, Bergen gleich, aufgehäuft liegen. „Aber Alles, fügte er hinzu, ruht unter so schwerem Geisterbanne, daß es dem, der die Hand danach ausstreckt, unfehlbares Verderben bringt.“ „So ist mir’s doch also vergönnt diese Wunder wenigstens zu sehen und anzustaunen,“ fiel der Bischof ein; „und darum will ich hinab!“ Es half nicht das geringste, daß der Zauberer ihm die großen Gefahren, mit denen das Unternehmen verbunden sei, vorstellte; daß er ihn bat; daß er mit Thränen zu ihm flehete, sein Leben, seiner Seele Heil nicht so auf’s Spiel zu setzen. Der Bethörte blieb bei seinem Verlangen, und der Fremde mußte die Beschwörung zum zweitenmale beginnen. Wild brausete das Wasser; wüthend wanden sich die Geister, erzürnt über das doppelte Weh. Aber der Bischof war verblendet, und stieg hastig hinab. Als er durch die kleine Thür ging, trat er in ein Thal, welches wie von rosigem Morgenroth umflossen lag. Wohlgerüche, ähnlich denen, die das Steinbild ausgeströmt, drangen von tausend Blumenbeeten ihm entgegen, während laue Winde ihm Stirn und Schläfen kühlten. Am meisten wunderte er sich über [81] die große Helle die allenthalben war, da er sich doch tief unter der Erde befand. Jedoch bald merkte er, daß dieses Licht von sieben Schlössern ausging, welche vom lautersten Golde in dem Zauberthale erbaut, und mit Smaragden und Perlen gedeckt waren. Eilig wollte er auf das erste derselben zugehen; da nickte ihm eine Rose mit so wollüstig süßem Duft entgegen, daß er sich nimmer enthalten konnte sie zu brechen, und den Wohlgeruch gierig einzusaugen. Aber in dem Augenblicke hörte er die kleine eiserne Thür dröhnend zufallen, und – die schwärzeste Nacht umgab ihn. Zugleich hörte er das Wasser im Brunnen brausen und steigen und an seinen Ort zurückkehren. – Der alte Bischof ist nie wieder zum Vorschein gekommen; ebenso wenig der fremde Zauberer und das steinerne Marienbild. Ob das letztere in den Brunnen wieder hinabgestiegen, oder ob der Fremde mit ihm ungesehen entkommen ist, – das kann Niemand sagen.