Der Bracoon
Der Bracoon.
Wenn man von Galveston nach New-Orleans fährt und sich dicht an der Küste Louisianas hält, so bemerkt man, ehe man sich der Hauptmündung des Misissippi nähert, in der dichten Waldung, welche sich am niedrigen Ufer gleichsam wie eine Mauer hinzieht, einen hellen Einschnitt, der durch den Ausfluß eines Sees oder Bayous bedingt zu sein scheint. Diese Lücke in dem Röhricht führt zur Baratariabai, welche im Anfang dieses Jahrhunderts als der Schlupfwinkel einer gefährlichen Piraten-Bande bekannt war, des letzten Restes jener blutigen Buccaniers, die in frühern Zeiten die westindischen Inseln und die Städte des Continents verwüsteten. Hier hauste der berühmte oder berüchtigte Lafitte, den Lord Byron in seinem „Corsar“ zum Modell nahm und dessen mächtige Hülfe General Jackson in der Schlacht von New-Orleans nicht verschmähte. Was späterhin aus dem Seeräuber, den eine Tugend bei tausend Fehlern zierte, wie der Dichter sagt, geworden ist, wissen wir nicht, ebenso wenig, ob es wahr ist, daß sein Adjutant und Gefährte späterhin in England als anglicanischer Bischof und gelehrter Theolog zu Cambridge glänzte – gerechter Gott, denken wir uns auf einem Lehrstuhle der Gottesgelahrtheit in Halle oder Göttingen einen frühern Corsaren als Diplomaten des Himmels, wie entsetzlich!
Soviel ist gewiß, daß in den funfziger Jahren ein Herr Eugen Lafitte, der Abkömmling des westindischen Wikingers, die beste Pflanzung an der Baratariabai besaß und wegen seines Reichthums, trotz seines finstern, mürrischen Charakters, eines großen Ansehens bei seinen Nachbarn genoß. Von dem Edelmuthe seines Vorfahren, welcher einst einem verrätherischen Freunde, der den auf den Kopf des Piraten gesetzten Preis verdienen wollte, das Leben geschenkt und denselben noch dazu mit Wohlthaten überhäuft hatte, war bei Eugen Lafitte keine Spur zu finden, und in dem ganzen Bezirke gab es keinen Herrn, der seine Sclaven so darben ließ und so ausbeutete, wie gerade er. In dem armen, hülflosen Neger sah er ganz im Gegensatz zu den sonst humaneren Ansichten der Creolen nur eine Arbeitsmaschine, die man so ausnutzen müsse, wie es eben geht, um sie dann wie eine ausgequetschte Citrone wegzuwerfen. Familienbande unter seinen zahlreichen Sclaven erkannte er nicht an, und nie fiel es ihm ein, die geringste Rücksicht darauf zu nehmen, wenn es sich um einen vortheilhaften An- oder Verkauf schwarzer Arbeiter handelte. Daß er unter diesen Umständen nur solche Aufseher wählte, die ganz nach seinen unmenschlichen Ideen handelten und verfuhren, läßt sich leicht erwarten, und daß die Gesetze, welche im Staate Louisiana zum Schutz der Sclaven gegeben sind, einem solchen reichen und einflußreichen Pflanzer gegenüber sich nur als todte Buchstaben erwiesen, ist ebenso begreiflich.
Die Gegend rings um die Baratariabai zeigt eine reiche Vegetation und bietet eine wundervolle Abwechselung von Wald, Wasser, Prairie und mit breitblättrigen Sumpfpflanzen bedeckten Swamps. Weiter im Innern erhebt sich eine Kette niedriger Hügel, aus welchen sich ein von hohen Sycomoren und Cedern beschatteter Bach, der schwarze Creek, in den schmalen Seearm ergießt, welcher früher der Piratenflotille als Versteck diente. An diesem Bache erhob sich das zweistöckige, mit Veranden versehene Haus des Herrn Lafitte, vor dessen nach Süden schauender Fronte ein großer, im schönsten Blumenschmuck prangenden Garten sich erstreckte, der mit einer grün angestrichenen Drahtfenze eingefaßt war. Am äußersten Zipfel desselben lag, in einem dichten Gebüsch von Orangenbäumen, Magnolien und Bignonien versteckt, ein mäßig großer Weiher, welcher vom schwarzen Creek aus durch einen breiten Graben gespeist wurde. Da, wo dieser in den Teich mündete, war wie eine Art Schleuße ein dichtes und starkes eisernes Gitter angebracht, um den ekelhaften und gefährlichen Thieren, welche in Louisiana alle Gewässer bevölkern, den Zugang zum Weiher abzusperren. Gewiß gab es auf der ganzen weiten Plantage keinen schattigern und kühlern Ort, als dieses duftende Wäldchen am stillen Wasser, und selbst der Pflanzer, der sonst für Naturschönheiten wenig empfänglich war, brachte hier manche heiße Mittagsstunde zu, indem er auf seiner zwischen den Bäumen aufgeschlagenen Hängematte die Zeitungen las oder bei dem blauen Dampfe der Havannacigarre über die Preise des Zuckers und der Baumwolle nachdachte.
Dicht am Garten, zu beiden Seiten des Creeks, dehnten sich Tabaksfelder fast eine Viertelstunde weit gen Süden aus, bis dahin, wo das Terrain steil abfiel und eine breite mit dem Bache in Verbindung stehende Süßwasserlagune der Bodencultur unübersteigliche Schranken setzte. Zu gewissen Zeiten des Jahres bedeckten diesen Sumpf weißblühende Nymphäen mit ihren fetten, großen herzförmigen Blättern, und dicht aneinander schwimmende Nelumbiumarten erschienen mit ihren weiten grünen Verzweigungen gleichsam wie ein Teppich, so daß ein argloser, der Gegend unkundiger Wanderer wohl in Versuchung gerathen wäre, darüber wegzuschreiten, ohne das Verderben zu ahnen, das drunten in der Tiefe zwischen den scharfen Gebissen gieriger Alligatoren lauerte. Massen dieser gefräßigen Bestien hielten sich in der schwarzbraunen Lagune auf, um den Fischen nachzustellen, welche aus dem Creek bei hohem Wasser hereingeschwemmt wurden, und wenn ein Hund oder ein anderes Hausthier auf dem schmalen Fahrwege, der zwischen der Tabaksplantage und dem Sumpfe hart am Rande des letzteren hinlief, seine Stimme ertönen ließ, so wurde die ganze Lagune lebendig, und unter dem Schutze der grünen Pflanzendecke schossen Dutzende der gepanzerten [754] Ungethüme dem Ufer zu. Man hatte schon öfter den Versuch gemacht, die gefräßigen Thiere aus der Nachbarschaft zu vertreiben, weil ihnen doch hin und wieder ein Schwein, das seine Jungen tränken wollte, zum Opfer fiel, allein es war ihnen in ihren Schlupfwinkeln schwer beizukommen, da sie eine Büchsenkugel nicht sehr achten und sich nur selten auf das Land wagen. Zwar hatte ein unternehmender Yankee Herrn Lafitte den Vorschlag gemacht, er wolle sie mit Strychnin vergiften, und dann könne man aus den kolossalen Leichen eine Menge Stearin gewinnen; der argwöhnische Südländer aber, der die Neu-Engländer aus dem Grunde seines Herzens haßte, ging auf den seltsamen Vorschlag nicht ein und war schon zufrieden, wenn einer seiner Aufseher zuweilen eine solche Bestie durch einen Kernschuß in das Auge tödtete.
Der Pflanzer war seit langen Jahren Wittwer, und viele seiner nähern Bekannten, denn eigentliche Freunde hatte er nicht, waren der Meinung, daß die Härte seines Charakters erst nach dem Verluste seiner Frau, welche er wirklich geliebt habe, in ihrer ganzen Schroffheit hervorgetreten sei. Die Verstorbene, eine Französin von Geburt, die er als junger Mann bei einem flüchtigen Besuche in Paris hatte kennen lernen, war nach einem zweijährigen Aufenthalt in Louisiana dem gelben Fieber erlegen, zur großen Trauer ihrer Sclaven, deren Loos sie mit zarter Weiblichkeit und durch die größte Nachsicht zu mildern suchte, da ihren europäischen Anschauungen das ganze System widerstrebte. Die einzige Frucht dieser kurzen Ehe war eine vielversprechende Tochter, Blanche getauft, welche der Vater, als sie ein Alter von acht Jahren erreicht hatte, nach St. Louis brachte, um ihr dort in dem Institute der grauen Schwestern eine standesgemäße Erziehung geben zu lassen. In diesem Kinde concentrirte sich seine ganze Liebe, und wenn er durch die unmenschliche Abnutzung seiner Neger Reichthümer auf Reichthümer häufte, so geschah das, wie er sagte, um dereinst Blanche zu der begehrtesten Erbin des Staates zu machen.
Die junge Creolin hatte endlich ihr vierzehntes Jahr vollendet, ein Alter, in dem diese frühreifen Töchter südlicher Breiten in die Welt zu treten pflegen, und ihr Vater glaubte nun die Zeit gekommen, wo sie ihm durch ihre Gegenwart sein einsames, abgeschlossenes Leben erheitern könne. Ehe er nach St. Louis abreiste, um Blanche zu holen, wurde das ganze Haus einer vollständigen Restauration unterworfen und mit jedem möglichen Luxus ausgestattet, um die junge Herrin würdig zu empfangen.
Es war an einem schönen Sommerabend, als sich sämmtliche Sclaven der Pflanzung vor der Veranda versammelt hatten, um Herrn Lafitte und dessen Begleiterin, deren Heimkehr stündlich erwartet wurde, ihren Respect zu bezeigen. Man hatte ihnen zu diesem Zwecke einen halben Feiertag zugestanden, und sie hatten diesen benutzt, um sich vom Schweiß der Woche zu reinigen und sich so gut wie möglich herauszuputzen. Die armen Schwarzen wollten auf ihre junge Herrin einen guten Eindruck machen, weil sie instinctmäßig hofften, dieselbe würde, gleich ihrer seligen Mutter, durch ihre Fürsprache dazu beitragen, daß Nachsicht gegen die Alten und Schwachen geübt werde. Selbst die greise Urrica, deren Alter man auf hundert Jahre schätzte, hatte ihre im Palmettodickicht des nächsten Hügels gelegene Hütte verlassen, um die Enkelin des berühmten Piraten, der sie geeignet hatte, zu begrüßen. Ihr jetziger Herr, der sonst dem Grundsatze huldigte, die durch Abnutzung unbrauchbar gewordenen Sclaven zu jedem Preise zu verkaufen und durch neue Kräfte zu ersetzen, hatte bei ihr eine Ausnahme gemacht und ihr das Gnadenbrod geschenkt, anscheinend aus Pietät gegen seinen Vorfahren, aber in Wirklichkeit aus andern Gründen. So sehr auch der Pflanzer den Nationalisten spielte und sich öffentlich als einen Anhänger Thomas Payne’s und Voltaire’s gerirte, so war er doch, wie alle Creolen, heimlich im ernstesten Aberglauben befangen, und die alte Urrica imponirte ihm, weil man ihr allerlei böse Künste zutraute und die ganze Nachbarschaft der Meinung war, daß sie mit dem „bösen Auge“ viel Schaden und Unheil anrichten könne, wenn sie gereizt werde. Ihre ganze Nachkommenschaft war auf der Plantage unter ihren Augen verdorben und gestorben, ohne daß sie eine Thräne nachgeweint hatte, nur ein einziger Enkel blieb ihr noch übrig, ein starker, intelligenter Neger. Namens Schocko, dem sie mit aufrichtiger Liebe anhing. Dieser war verheirathet, wenn überhaupt von Sclavenehen die Rede sein kann, und Vater von zwei hübschen schwarzen Buben, die sich lustig mit den jungen Hunden und Schweinen zwischen den Negerhütten herumzutummeln pflegten, da sie zu jung waren, um zur Arbeit angehalten zu werden.
Endlich fuhr der Wagen vor, der Herrn Lafitte und seine Tochter von dem Landungsplatze des Dampfbootes geholt hatte, und die versammelten Sclaven empfingen die Ankommenden mit einem lauten Hurrah, während die beiden Aufseher in ihrem Sonntagsstaate den Schlag öffneten und bei dem Aussteigen behülflich waren. Des Pflanzers Miene war düster und herrisch wie immer, und nachdem er flüchtig mit der Hand gegrüßt und Blanche in das Haus geleitet hatte, trat er wieder auf die Veranda und fing heftig an zu schelten: „Ihr faulen schwarzen Schlingel, wartet nur, Ihr habt wohl die Peitsche eben nicht geschmeckt, während ich abwesend war. Schon unterwegs habe ich gesehen, wie liederlich Ihr gearbeitet habt. Ist das eine Wirthschaft, so viel Unkraut unter dem Zuckerrohr zu dulden, und die Baumwolle fault in ihren Kapseln!“ Als nun die beiden Aufseher sich rechtfertigen wollten und die Erklärung gaben, daß sie nicht schuld wären, daß aber die Neger die ganze Zeit über widerspenstig und träge gewesen seien und daß sie Schocko – den sie wegen seines männlichen Charakters am wenigsten leiden mochten – für den Anstifter hielten, kannte die Wuth des Pflanzers keine Grenze mehr. Er riß die schwere Wagenpeitsche aus ihrem Futteral und schlug den armen Neger einige Mal über das Gesicht, daß dicke Blutstropfen hervorquollen, und wäre mit der Züchtigung fortgefahren, wenn nicht Blanche, welche an das Fenster getreten war, ihn mit Thränen in den Augen gebeten hätte, seinem Zorn Einhalt zu thun und zu ihr hereinzukommen. Die Neger schlichen betrübt nach ihren Hütten zurück, und Schocko schwankte mit geschwollenen und geblendeten Augen an der Seite seiner Großmutter nach dem benachbarten Bache, um sein brennendes Gesicht im Wasser zu kühlen, während die beiden Aufseher von ihrem Brodherrn zu größerer Strenge ermahnt wurden.
Das Leben auf der Pflanzung nahm nun freilich nach Blanche’s Ankunft einen anderen Charakter an, aber das Loos der Sclaven wurde darum nicht besser, da Lafitte, der sonst seiner Tochter in Allem zu Willen war, ihr ein für alle Mal erklärte, von diesen Verhältnissen verstände sie nichts, und sie möchte ihr Mitleid für ihre weißen Mitmenschen sparen. Trotz aller Vergnügungen, welche der Vater ihr zu bereiten suchte, trotz der zahlreichen Besuche, welche die benachbarte Gentry im Hause des Pflanzers machte, um der schönen und jungen Erbin ihre Achtung zu bezeigen, fühlte sie sich einsam und unglücklich und hatte eine Art Vorgefühl, als wenn sie etwas Schreckliches erleben würde. Der rohe, geldgierige Pflanzer hatte freilich keine Idee davon, daß es auch außer Reichthum und Luxus noch etwas Anderes giebt, wodurch unsere Zufriedenheit bedingt wird, und so ließ er es sich nicht einfallen, daß Blanche, der er jedes pecuniäre Opfer brachte, durch die Scenen der Grausamkeit, welche sie täglich zu sehen bekam, in ihrem innersten Gemüthsleben erschüttert wurde. So liebevoll und nachsichtig er sonst auch gegen seine Tochter war, eben so ausfallend und rauh benahm er sich gegen sie, wenn sie sich unterfing, ein Wort zu Gunsten der mißhandelten Sclaven zu sprechen, und so kam es denn, daß sie zuletzt ganz schwieg. Dieses Stillschweigen wurde aber von den Negern, welche sich von ihrer Anwesenheit auf der Pflanzung so viel versprochen hatten, als eine stumme Billigung der Härte ihres Vaters ausgelegt und sollte furchtbare Folgen nach sich ziehen.
Eines Tages erschien Daly, einer der beiden Aufseher, auf der Veranda, wo Lafitte gerade Gäste empfing, und meldete, daß bei der Baumwollenpresse so eben ein Maulthier, das nicht recht angespuannt gewesen sei, das Bein gebrochen habe. Wüthend fragte der Pflanzer nach dem Namen des Schuldigen, und als er hörte, daß es Schocko sei, befahl er, ihn auf das Grausamste zu geißeln. Dem Unglücklichen wurden beide Daumen mit einem dünnen Strick zusammengebunden, und dieser dann über einen etwa acht Fuß hoch in einen Baum eingeschlagenen Nagel so fest angezogen, daß nur die Zehen des Negers den Boden berührten. In dieser qualvollen Stellung erhielt derselbe auf den bloßen Rücken mit der schweren Peitsche so lange die unbarmherzigsten Hiebe, bis das Leben fast erloschen schien und der Rasen um seine Füße förmlich mit Blut getränkt war. Dann wurde er losgebunden und bewußtlos in die Calebuse (Negergefängniß) geschleppt, wo er acht Tage lang bei Wasser und Brod zubringen sollte, bis seine Wunden wieder geheilt seien. Wäre dieses doch sein härtestes Loos gewesen! Vielleicht hätte Schocko bei seinem angeborenen Stoicismus die [755] ungerechte Strafe verschmerzt, aber es sollte noch anders kommen und der unglückliche Neger eine weitere Erfahrung machen, die seine Begriffe von Recht und Unrecht vollständig verwirrte und ihm den Rachedurst des Tigers einflößte, dem man seine Jungen geraubt.
Es traf sich nämlich, daß ein Sclavenhändler aus Georgia in die Gegend kam, um seinen Vorrath von schwarzer Waare zu vervollständigen, da er den Auftrag hatte, eine neuangelegte Baumwollenpflanzung bei Savannah mit Negern zu versehen. Dieser sprach bei Lafitte vor, weil er schon öfter mit ihm Geschäfte gemacht und der Pflanzer, der durch die Aufhetzereien der Aufseher einen immer größeren Zorn gegen Schocko gefaßt hatte, kam auf den unmenschlichen Gedanken, Dinah, dessen Frau, und die beiden Kinder an den Georgier zu verkaufen. „Was wird der verdammte Nigger für ein Gesicht schneiden,“ dachte er mit teuflischer Lust, „wenn er, sobald er aus der Calebuse kommt, erfährt, daß sein schwarzes Weib mit den beiden Piccaninnys (kleine Negerkinder) über alle Berge ist!“ Der Handel wurde geschlossen, und die unglückliche Frau konnte nicht einmal die Erlaubniß erhalten, ihren Mann noch zum Abschied im Gefängniß zu sehen.
Wer konnte wohl die Gefühle malen, welche Schocko’s Brust durchtobten, als er mit kaum vernarbtem Rücken und schwerem Herzen den Kerker verließ und nun die Entdeckung machen mußte, daß seine Familie ihm für immer entrissen war! Doch der kategorische Befehl des Pflanzers und die drohende Peitsche seines Feindes Daly ließ ihm keine Zeit, seinen Empfindungen durch Klagen und Weinen Luft zu machen. Sofort mußte er wieder an die Baumwollenpresse. Dort suchte er von seinen Mitsclaven zu erfahren, nach welchem Orte Dinah mit den Kindern gebracht sei, da er sich im Geiste bereits mit Plänen zur Flucht beschäftigte, allein jene konnten ihm nichts weiter mittheilen, als daß der Händler weit, weit mit ihnen über den großen Fluß – sie meinten den Mississippi – gezogen sei. Seinen Herrn und die Aufseher wagte er aus leicht begreiflichen Gründen nicht zu befragen, und so kehrte er am späten Abend traurig und niedergedrückt zu seiner Hütte zurück, um sich schlaflos aus seinem Lager herumzuwälzen. Plötzlich richtete er sich auf und, nachdem er gehorcht hatte, ob im Negerdorfe auch Alles ruhig sei, schlich er wie ein Schatten durch die Nacht.
Am Fuße einer dicht bewachsenen Anhöhe, welche von der Hügelkette, die die Baratariatabai[WS 1] halbmondförmig umgiebt, in die Ebene nach der Lagune und dem Bayou zu ausläuft, lag unter Palmettobäumen versteckt die Hütte der alten Urrica. Die Greisin, auf deren schneeweißem wolligem Haar die blaue Flamme des Ricinusholzes unheimliche Reflexe hervorrief, saß auf einem rohen Holzblock und stierte, finstere Flüche, wie sie dieselben vor achtzig Jahren an den Ufern des Congoflusses gehört hatte, zwischen ihren welken Lippen murmelnd, in das prasselnde Feuer. Da hob sich langsam der Binsenvorhang, welcher die Stelle der Thür vertrat, und die massive Figur Schocko’s tauchte aus der Finsterniß hervor. Stumm trat er ein und kauerte, die Ellenbogen auf die Kniee gestützt, neben Urrica nieder.
„Mein Kind,“ sagte die Alte, „ich wußte, daß Du kommen würdest, denn der Whip-poor-will hat sieben Mal gerufen. Massa hat Dir Weib und Kind geraubt, und Du willst wissen, wo sie hingekommen sind. Der Fetisch kann’s nicht sagen; er ist kein Bluthund, daß er Dinah’s Spur über den großen Fluß folgen könnte.“
„Ich weiß das, Mutter Urrica,“ antwortete Schocko, „aber er soll mir sagen, wie ich den weißen Bösewicht am besten strafen kann.“
„Ja, mein Kind, ich habe auch schon daran gedacht,“ versetzte die Alte, „aber Du mußt mir versprechen, genau zu thun, was der Fetisch mir sagt. Siehe, was Massa Dir gethan hat, hat er auch mir gethan, denn Du bist von meinem Blute. Die alte Urrica hat ihre Kinder und Enkel unter der Sclavenpeitsche hier verderben und verkommen sehen, ohne eine Thräne zu weinen; nun kommt die Reihe an Dich, aber Massa soll sich vorsehen, daß sein eigenes Blut nicht für alles Elend zu zahlen hat. Geh’ mit, und laß uns den Fetisch fragen.“
Sie erhob sich und schritt mit einem an ihrem Feuer entzündeten Ricinuszweige Schocko voraus in das Palmettodickicht hinein. Hier blieb sie vor einem hohlen Baume stehen, schwang ihre Fackel mit rasender Schnelle über ihrem Kopfe im Kreise herum und murmelte unverständliche Worte.
War es nun bloßer Zufall, oder kannte die alte Schwarze das Versteck der Schlange, genug während dem hatte eine Natter den Kopf aus einer Spalte des morschen Baumes gesteckt und züngelte nach der Alten.
„Sei ruhig, Schocko, fürchte nichts für mich,“ sagte Urrica leise zu dem erschrockenen Enkel, „der Fetisch thut mir nichts. Er will mir nur Kunde bringen.“
„Was hat der Fetisch gesagt, Großmutter?“ fragte der abergläubische Neger, indem er die Fackel auf dem feuchten Grunde auszulöschen bemüht war.
„Er schickt Dich zu seinen Vettern in der Lagune. Die werden Dir beistehen. Doch komm mit zur Hütte, es friert mich; dort will ich Dir Alles erzählen,“ war die Antwort.
Am nächsten Morgen sah man die alte Urrica auf ihren Stock gelehnt nach dem Herrenhause schleichen. Sie machte sich dort in dem Hofraume etwas zu schaffen, indem sie das Geflügel fütterte und den Negerinnen in der Küche kleine Dienstleistungen erwies. Als wie gewöhnlich um diese Zeit Fiddy, das braune Kammermädchen Blanche’s, erschien, um das Frühstück für ihre Herrin zu holen, knüpfte die Alte ein Gespräch mit derselben an und erkundigte sich angelegentlich nach dem Befinden des Herrn Lafitte und dessen Tochter. Die geschwätzige Mulattin erzählte ihr nun auf ihre Fragen, daß Miß Blanche schon seit längerer Zeit leidend sei und daß man deshalb einen berühmten Arzt aus New-Orleans habe kommen lassen, dieser habe aber erklärt, die junge Herrin sei eigentlich nicht krank, sondern nur nervenschwach, er habe auch aus diesem Grunde keine Medicin verschrieben und nur gerathen, daß Miß Blanche jeden Tag ein kaltes Bad nehmen solle. Die Herrin gehe nun jeden Morgen bei Tages Anbruch nach dem Weiher im Garten, um dort zu baden und dann ein Stündchen im Schatten der Bäume auszuruhen. Aus diesem Grunde sei es auch, sie selbst ausgenommen, allen übrigen Sclaven bei strenger Strafe verboten, diesen Theil des Parkes zu betreten.
Die alte Urrica hörte diese Aeußerungen mit einem widrigen Grinsen an und machte sich dann langsam auf ihren Heimweg. Im Negerdorf, welches, weil die Sclaven auf der Arbeit waren, wie ausgestorben dalag, blieb sie stehen und schaute sich um, ob sie auch beobachtet werde. Da sie sah, daß außer den gewöhnlichen Gruppen von Hausthieren nur ein paar ganz kleine Piccaninnys in der Morgensonne spielten, lockte sie einen jungen Hund, der sie zufällig anbellte, an sich heran, ergriff ihn mit einer für ihr hohes Alter unbegreiflichen Schnelligkeit und Kraft, hielt ihm das Maul zu und verbarg denselben gewandt unter ihrem Tuche. Darauf schritt sie langsam und ruhig ihrer Hütte in dem Palmettodickicht zu.
Die Glocke auf dem Herrenhause hatte eben Mitternacht angezeigt, und außer dem melodischen Rufe des Whip-poor-will und dem entfernten, wie gedämpfter Trommelschlag klingenden Geschrei der amerikanischen Rohrdommel war kein Laut zu hören. Der Mond stand rein und klar am Himmel und ließ sein blaues Licht auf den von keiner Brise getrübten Spiegel der Lagune fallen, die wie eine geschmolzene Bleimasse dalag, und kein Hauch der Luft bewegte die phantastischen Guirlanden des spanischen Mooses, welches wie ein weißer Schleier die dunkeln Zweige der hohen Sycomoren und Sumpfeichen überzog. Die ganze Natur athmete jenen Frieden, wie er nur den zauberischen Nächten des Südens eigen ist, den der Mensch aber so gerne bricht, wenn wilde Leidenschaften ihn anstacheln. Da, wo der schwarze Creek seine dunkeln Gewässer mit der Lagune vereinigte und das schilfige Ufer sich flach abdachte, stand Schocko im Schatten eines Baumes. Unter dem linken Arme trug er den jungen Hund fest verwahrt, und sein rechter war mit einer starken eisernen Stange bewaffnet. Er ließ einen langen, klagenden Ruf über das Wasser hin erschallen, dann in kurzen Pausen einen zweiten und dritten, worauf er horchte und seine dunkeln Augen über die spiegelblanke Fläche schweifen ließ. „Hier muß er liegen, der Bracoon,“[1] sagte er im Selbstgespräch, „der Fetisch lügt nicht, er weiß, wo sein Vetter wohnt. Habe ich doch gestern noch seinen moosbedeckten Rücken gesehen, als er in den Creek schlüpfen wollte.“ Schocko hatte sich nicht geirrt, denn das Wasser unter ihm kräuselte sich, Luftblasen stiegen auf, und bald kam Etwas an die Oberfläche, das einem formlosen dunkeln Baumstamme glich. Als nun das Hündchen unruhig ward und ein leises Wimmern ausstieß, nahte sich, wie von unsichtbaren Händen geschoben, der Baumstumm dem Ufer, und einen Augenblick nachher schoben sich die massiven Kiefer eines riesigen Alligators auf den Strand. Jetzt wurde die ganze Lagune lebendig, phosphorescirende Streifen [756] zeigten die Stellen an, wo schuppige, gezahnte Schwänze das Wasser peitschten, und bald war ein Dutzend der Ungeheuer zu Schocko’s Füßen versammelt; doch hielten sie sich alle in respectvoller Entfernung von dem Bracoon, dessen überlegene Stärke und Wildheit sie kannten.
Schocko veränderte nun seinen Standpunkt, indem er längst des Ufers, auf das, wie er wußte, die Bestien sich dem Menschen gegenüber nicht wagen, nach der Stelle schritt, wo der Creek in die Lagune floß. Dort blieb er wieder stehen und entlockte dem unglücklichen Hunde, der wie Espenlaub zitterte, durch schmerzhafte Griffe die durchdringendsten Klagetöne, die fast gespenstig durch die stille Nacht hallten. Die Alligatoren konnten dieser Lockung nicht widerstehen und waren bald, den mächtigen Bracoon voran, da versammelt, wo des Negers schwarze Gestalt auf der niedrigen Landspitze ihre dunkeln Umrisse zeigte. Schocko ging jetzt langsam, alle zwei Schritte anhaltend und das arme Hündchen als Köder zeigend, stromaufwärts am linken Ufer des Baches. Jetzt wagten die übrigen Bestien sich nicht weiter, weil sie sich in dem engen Bette des Creeks nicht recht sicher fühlten, nur der Bracoon, der gefräßigste und größte von allen und sich seiner Stärke bewußt, wollte die Beute nicht fahren lassen. Bald kroch das Ungethüm, bald schwamm es dem Neger nach, je nachdem es die Tiefe des Wassers erlaubte, und richtete seine gierigen, wie Karfunkel glänzenden Augen fortwährend nach dem winselnden Hündchen, welches die eiserne Faust Schocko’s ihm vorhielt. Endlich gelangte dieser an den vorhin beschriebenen Graben, und auch in dessen Tiefe folgte die heißhungrige Bestie, mit aufgesperrten Kiefern ihr eigenthümliches heiseres Schnaufen ausstoßend, bis an das starke Gitter, welches den Zugang zum Teiche versperrte. Als Schocko mit sicherm Griffe dieses aufzog, schien der Alligator etwas über die ungewohnte Erscheinung betroffen zu sein und schwenkte seinen massiven Kopf rechts und links, als wenn er einen andern Ausweg suchte. So wie aber der unbarmherzige Neger den unglücklichen Hund mit lautem Geplätscher in den Weiher schleuderte, schoß der wilde Bracoon wie ein Pfeil vorwärts, weit in das stille Wasser hinein, und zermalmte mit eisernem Gebiß das grausam geopferte Thier, das kaum Zeit hatte, einen Schmerzensschrei auszustoßen. Teuflisch lachend schloß Schocko sofort das eiserne Gitter; er wußte, daß der Bracoon den Weiher nicht wieder verlassen konnte, und murmelte in sich hinein. „Des Fetisch Vetter wird heute ein gutes Frühstück haben. Massa, wir sind quitt!“
Die Sonne stieg eben am östlichen Himmel empor und warf ihre feurigen Strahlen über die im schönsten Sommerschmuck prangende Gegend. In dem kleinen Wäldchen des Gartens hingen glänzende, schwere Thautropfen an allen Zweigen, und die zierlichen Blüthen der Orangenbäume verbreiteten eine balsamische Atmosphäre, sobald sich ein Lufthauch regte. Da erschollen leichte Schritte, wie von zarten Mädchenfüßen, und näherten sich dem anmuthig daliegenden Weiher, auf dessen nur hin und wieder mit den schneeweißen Blüthen der Nymphäa bedeckter Oberfläche bunte Libellen ihr munteres Spiel trieben. Gleich darauf erschien Blanche in Begleitung Fiddy’s, ihres hübschen leicht aufgeschürzten Kammermädchens, und nahm auf der zu ihrer Bequemlichkeit angebrachten steinernen Bank Platz.
„Ach, liebe Fiddy,“ sagte sie, „ich habe heute eigentlich gar keine Lust zum Baden. Findest Du nicht, daß ich angegriffen aussehe?“
„Miß Lafitte hat bei der Hitze gewiß schlecht geschlafen,“ antwortete die junge Mulattin, „aber da wird das Baden gut thun und erfrischen.“
„Meinst Du?“ antwortete Blanche, „ich muß Dir nur sagen, daß ich kein Auge zuthun konnte, weil ich immer an die alte Urrica denken mußte. Als sie gestern Morgen im Hofe mit Dir sprach, saß ich am Fenster, und sie warf mir einen solchen Blick herauf, einen langen forschenden Blick, der mich wie der Biß einer Schlange traf. Sag, Fiddy, glaubst Du an das „böse Auge“?“
„Ei, die Leute sagen viel Sonderbares von der Alten; sie soll auch den Ort wissen, wo Ihr Großvater Lafitte eine Kiste mit Dublonen vergraben hat, als der Gouverneur von Louisiana seine Kanonenboote gegen ihn ausschickte. Aber das ist Alles nur eitles Geschwätz. Hat nicht neulich noch der Parishdecan in der Kirche gesagt, daß solcher Aberglaube unklug und unchristlich sei?“
Während dieses Gespräches hatte das treue und kluge Mulattenmädchen ihre Herrin entkleidet, und diese schickte sich an in das Bad zu steigen. Als Blanche einige Fuß vom Ufer bis an die Hüften im Wasser stand, zeigte sich weiter hinten im Weiher eine kleine, kaum bemerkbare Bewegung im Wasser, aber sie achtete nicht darauf und dachte, es sei vielleicht ein Terrapin (eine kleine Art Schildkröte), doch die Falkenaugen Fiddy’s hatten von ihrem höheren Standpunkte aus die entsetzliche Gefahr schon erkannt.
„Um Gottes willen zurück, Miß!“ schrie die Mulattin aus und rang die Hände. Da fiel ihr Blick wie durch des Himmels Fügung auf die starke, eiserne Stange, die Schocko bei seiner teuflischen Freude unvorsichtiger Weise am Rande des Teiches zurückgelassen hatte. Wie von plötzlicher Inspiration ergriffen, faßte das muthige Mädchen das schwere Eisen und war mit weitem Sprunge schon an der Seite seiner zitternden Herrin, ehe diese nur das drohende Verderben erkannt hatte. Leise, tückisch nach Katzenart, war der Bracoon auf dem Grunde des Weihers herangeschlichen, und schon waren die schwarzen Umrisse der gräulichen Eidechse auf dem weißen Sande sichtbar, schon bereitete sich die Bestie vor, vorwärts zu schießen und ihre fast besinnungslose Beute unten zu ergreifen, als der todesmuthige Sprung Fiddy’s und das dadurch verursachte laute Geräusch, wie auch das plötzliche Aufwallen des Wassers sie stutzen machten. Diesen Augenblick benutzte die Mulattin, da sie den eigentlich feigen Charakter des sich überfallen glaubenden Alligators kannte, ihre Herrin gegen das Ufer hin zurückzuschieben, und als der gierige Bracoon, der von seinem Erstaunen zurückgekommen war, einen zweiten Anlauf nahm, stieß das starke Mädchen ihm die massive eiserne Stange weit hinein in den rothen Rachen, so daß das wuthentbrannte Thier vor Schmerz mit dem riesigen Schwanze das Wasser zu Schaum schlug.
Fast hätte der heftige Anprall die Mulattin zu Boden geworfen, doch hielt sie sich mit der Kraft der Verzweiflung aufrecht, und die ohnmächtige Blanche mit dem linken Arme umfassend, suchte sie, fortwährend dem andrängenden Bracoon die Stange tiefer in den Schlund drückend, das Ufer zu gewinnen. Es gelang ihr, die schmächtige Gestalt ihrer Herrin auf das Trockene zu schieben, dann faßte sie das starke Eisen, an dem das scharfe Gebiß der Bestie krachend zerbrach, mit beiden Händen, drückte dem Alligator mit aller Kraft, welcher sie fähig war, die scharfe Spitze desselben so tief wie möglich in den blutigen Rachen und schwang sich mit der Gewandtheit einer Pantherkatze durch einen Satz auf das Ufer. Ihre besinnungslose Herrin zu ergreifen, dieselbe aus dem Bereich des Wassers zu ziehen und sie eine Strecke weit in den Garten zu tragen, war das Werk eines Augenblickes. Jetzt verließen Fiddy die Kräfte, und einen lauten Hülferuf ausstoßend, sank sie mit ihrer Bürde zu Boden, während der wuthentbrannte Bracoon, der endlich sich des Eisens entledigt hatte, an dem Rande des Weihers hin- und herschoß und nach seinen Opfern spähte, aber treu seiner Alligatornatur sich nicht auf festen Grund wagte.
Zehn Minuten später waren Fiddy und die noch immer ohnmächtige Blanche von den auf das Geschrei herbeigeeilten Sclaven sicher im Pflanzerhause untergebracht, und wer malt den Schrecken Lafitte’s, aber auch seine gleichzeitige Freude über der Tochter Rettung! Das Eis brach in seinem Herzen, und von Dankbarkeit durchdrungen schenkte er der muthigen Mulattin die Freiheit, welche diese nur unter der Bedingung annahm, daß sie zeitlebens bei ihrer jungen Herrin bleiben dürfe.
Jetzt galt es, den Bracoon zu tödten und die Art und Weise zu entdecken, wie dieser in den Weiher gelangt war. Nachdem Ersteres geschehen, wurden alle Sclaven der Pflanzung zusammengerufen, um einem Verhör unterworfen zu werden. Sie erschienen sämmtlich mit Ausnahme der alten Urrica und ihres Enkels. Der Umstand, daß Schocko den Tag vorher mit einer Eisenstange gesehen worden war, derselben, welche man am Grunde des Teiches verbogen und von dem mächtigen Gebiß des Alligators geschrammt gefunden hatte, verstärkte den dringenden Verdacht. Die beiden Aufseher holten nun die Bluthunde aus den Stallungen heraus und brachten sie, nachdem man ihnen einen alten Schuh des Negers zum Beriechen gegeben hatte, an den Teich. Dort angekommen, schlugen sie laut an, eilten an Graben und Bach hinauf bis zu der Stelle, wo Schocke zuerst den Bracoon gelockt hatte. Hier hielten sie an, als wenn sie die Spur verloren hätten, dann drehten sie um und liefen bis zum ersten Ausgangspunkte zurück, den sie in weiten Kreisen, die Nase dicht auf der Erde, umtrabten. Da schlug der größte scharf an und setzte sich, von der ganzen Meute gefolgt, von Neuem in Bewegung. Dieses Mal ging es in nördlicher [757] Richtung direct auf das Palmettowäldchen zu, wo Urrica’s Hütte stand, vor welcher die ganze Schaar heulend und bellend anhielt. Als die Verfolger eintraten, fanden sie die Alte todt mit unförmlich aufgeschwollenem Körper liegen, in der warmen Asche des Heerdes begrüßte sie aber eine mächtige Klapperschlange mit drohendem Rasseln. Das giftige Reptil wurde sofort getödtet und der Eifer der Bluthunde durch Zurufen angespornt. Vergebens, sie wollten nicht weiter und waren nicht dahin zu bringen, die Hütte zu umkreisen. „Der Nigger steckt doch nicht hier!“ rief Daly. „Doch was ist das?“ fuhr er fort, als er ein zerbrochenes Glas vom Boden nahm; „wahrhaftig, da haben wir’s, der Bursche hat sich die Sohlen mit Terpentin eingeschmiert!“
Man setzte die Verfolgung Schocko’s ohne Hunde fort, aber vergebens. Erst nach einigen Monaten erfuhr man, daß der Enkel Urrica’s, unfern einer neuen Pflanzung bei Savannah wegen Raubs gehängt worden sei. Vor seiner Hinrichtung hatte er den Anschlag bekannt, den er nach dem Orakelspruche Urrica’s gegen Blanche auszuführen versucht hatte. Herr Lafitte soll seit jenem furchtbaren Vorfall aber ein ganz anderer Mann geworden sein und seine Sclaven jetzt menschlich behandeln.
Wo viel Licht ist, da ist viel Schatten. Ebenso verhält es sich mit dem Charakter des Negers. Um diese Behauptung dem deutschen Leser besser verständlich zu machen, hat der Verfasser eine wahre Begebenheit erzählt, bei welcher diese beiden Extreme deutlich hervortreten: der rachgierige Schocko vertritt die wilde Natur der afrikanischen Race, die hochherzige Mulattin aber zeigt die bessern Eigenschaften derselben in vollem Lichte.
- ↑ Bracoon, eine große, wilde Alligatorart, die gern Menschen angreift.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Baratariabatai