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Der Bettler vor dem Thron

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Titel: Der Bettler vor dem Thron
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 191
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[191]
Der Bettler vor dem Thron.
Hiob XXX, 31: „Meine Harfe ist ein Klagen worden und meine Pfeife ein Weinen.“

Ich komm’ von der sonnigen Illenau;
Da liegt mein Sohn
Lebendig begraben in Geistesnacht
Viel Monden schon.
Und daheim im ärmlichen Kämmerlein
Da liegt mein Weib
Wohl bald schon ein Vierteljahrhundert lang
Mit siechem Leib.
Ich selber bin ein durchlöchertes Sieb,
Zu nichts mehr nutz,
Und biet’ nur den Schlägen des Schicksals noch
Ein wenig Trutz;
Wohin ich auch blicke, kein Ausgang mehr,
Nur finst’re Nacht,
Und da es noch hell war, hat jeder Tag
Sein Leid gebracht.
Das Dach meiner Hütte ward weggefegt
Vom wilden Sturm;
Da zog ich zum Nachbar, doch dessen Haus
Zerfraß der Wurm.
Hohläugig lau’rte ein schlimmer Gast
Dort vor der Thür,
Und eh’ wir’s versah’n, zog der Hunger ein
Bei ihm und mir.
So zieh’ ich denn bettelnd von Ort zu Ort,
Wie sehr mich’s plagt,
Und habe der Hoffnung auf Besserung
Schon längst entsagt.
Mein einziger Trost ist – daß Viele noch
Viel übler d’ran,
Und daß ich mein Elend, so hart dies ist,
Noch klagen kann.
Und so klag’ ich’s denn Euch, mein hoher Herr,
Zu dieser Stund’,
Und bitte, käm’ Einer und spräche je
Mit süßem Mund:
„Heil, Großherzog, Dir, Du glücklicher Fürst!
In Deinem Land
Ein Unglücklicher nicht zu finden ist,
Wie allbekannt.
Es herrscht nur Wohlstand, wohin man geht,
Land ein, Land aus,
Und ungetrübtes Familienglück
In jedem Haus!“[1]
Ich bitte, ich bitte, o glaubt ihm nicht!
Er lügt, er lügt,
So gewiß, wie mein gramdurchfurchtes Gesicht
Eu’r Aug’ nicht trügt.

Und drum steht es fest, und ich sag’ es dreist
Was mir auch droht:
Untröstlich, o Herr, ist’s noch allerwärts
Und Viel noch zu helfen thut noth.

     Februar 1878.

y.
  1. In einem Festgedicht zu dem kürzlich gefeierten Jubiläum des Großherzogs von Baden hatte Victor Scheffel die allerdings unter dieser Regierung mannigfach sehr erfreulich gewordenen Zustände des Badener Landes gepriesen, sich aber bei der begeisterungsvollen Aufzählung aller durch einen edlen Fürstenwillen erwirkten Fortschritte auch zu dem Ausrufe hinreißen lassen: „Familienglück in jedem Haus!“ Freilich sucht der Dichter in der nächstfolgenden Strophe anzudeuten, daß er hier nur von dem „fürstlichen Ideal“, das heißt einem innigen Wunsche des Großherzogs, gesprochen und ihm also keineswegs in der trivialen Uebertreibungsmanier byzantinischer Hofpoeten eine Macht andichten wollte, die niemals ein Sterblicher besessen hat oder besitzen wird. Wie jedoch die bezeichnete Phrase dasteht und in einer Reihe politischer Errungenschaften sich ausnimmt, mußte sie ebenso gewagt wie bedenklich erscheinen und zu Mißverständnissen, bitteren Empfindungen und Urtheilen, namentlich unter den Nothleidenden und Gebeugten in der Bevölkerung, Anlaß geben. Solch ein Widerspruch aus dem Volke ist es, der in den obigen an den mit Recht verehrten Großherzog gerichteten Versen eines badischen Landmannes einen zwar an mancher Stelle etwas herben, aber doch erschütternden und herzergreifenden Ausdruck gefunden hat, eine Mahnung an die Dichter, in ihren Außerungen zum Lobe fürstlicher Verdienste ein wenig maßvoller, und vorsichtiger zu sein.
    Die Red.