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Der Bernstein und die Schwäne am Po

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Textdaten
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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Der Bernstein und die Schwäne am Po
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Eilftes Bändchen, Seite 1405–1409
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1830
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Περὶ τοῦ Ἡλέκτρου ἢ Κύκνων
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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Bild
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[1405]
Der Bernstein und die Schwäne am Po.

1. Ohne Zweifel seyd auch ihr von der Richtigkeit der Sage überzeugt, daß der Bernstein von gewissen Pappeln am Po geweint wird, die um den Phaëthon trauern, und daß [1406] diese Pappeln eigentlich die Schwestern des Phaëthon sind, die, vergehend vor Jammer um den unglücklichen Jüngling, in Bäume verwandelt wurden, von welchen ihre Thränen fortan in Gestalt des Bernsteins herabträufeln. Ich selbst hatte diese Sage oft genug aus dem Munde unserer Dichter vernommen, und hoffte immer, wenn ich einmal an den Po käme, mich unter eine dieser Pappeln zu stellen, und etliche solcher Thränen in meinem Mantel aufzufangen, um auch Bernstein zu haben.

2. Vor nicht gar langer Zeit hatte ich nun, einer andern Ursache wegen, Veranlassung, jene Gegenden zu besuchen, und den Po stromaufwärts zu befahren. So aufmerksam ich mich umsah, so konnte ich gleichwohl weder Pappeln noch Bernstein zu Gesichte bekommen: ja die Einwohner kannten nicht einmal den Namen Phaëthon. Und als ich fragte, wenn wir denn einmal zu den Pappeln kommen würden, welche den Bernstein geben, lachten sie mich aus, und sagten, ich müßte mich deutlicher erklären, Was ich meinte. Da erzählte ich ihnen denn den ganzen Mythus, daß Phaëthon ein Sohn des Sonnengottes gewesen, und, wie er in seine Jünglingsjahre getreten, den Vater einmal gebeten habe, den Sonnenwagen führen zu dürfen, damit auch er einmal Tag mache. Der Vater hätte es ihm zugelassen: allein der Junge wäre aus dem Wagen gestürzt und ums Leben gekommen. „Seine Schwestern,“ setzte ich hinzu, „befinden sich in der Gestalt von Pappeln hier irgendwo bei euch am Po, gerade wo Phaëthon herabfiel, und weinen noch immer in der Trauer um ihn die Bernsteinthränen.“

[1407] 3. „Welcher Schelm, welcher Windbeutel hat dir dieses Mährchen aufgebunden?“ riefen sie. „Wir haben noch keinen Fuhrmann vom Himmel fallen sehen; noch gibt es bei uns solche Pappeln, wie du sie beschreibst. Wenn Das wäre, glaubst du denn, wir würden rudern für zwei Obolen des Tages, oder Schiffe stromaufwärts ziehen; da wir ja nur Pappelthränen aufzulesen brauchten, um so reich zu seyn, als wir wollten?“ Dieser Bescheid machte mich nicht wenig betreten: ich schwieg beschämt, daß ich so kindisch seyn konnte, den Poeten, deren Sache die gesunde Vernunft nicht ist, eine so abenteuerliche Fabel auf’s Wort zu glauben. Es ärgerte mich zugleich, in Einer der großen Hoffnungen, mit welchen ich hieher gekommen, mich getäuscht, und den schönen Bernstein mir gleichsam aus den Händen entschlüpft zu sehen, von welchem ich schon in Gedanken den mannichfaltigsten Gebrauch gemacht hatte.

4. Um so zuverläßiger hoffte ich etwas Anderes dort anzutreffen, nämlich die vielen singenden Schwäne an den Ufern jenes Stromes. Ich fragte also meine Schiffleute abermals – denn noch immer fuhren wir stroman: „Aber wann bekommen wir denn jene Schwäne zu hören, die zu beiden Seiten dieses Flusses stehend, ihre schönen Melodieen ertönen lassen? Denn man sagt ja, sie seyen einst musikalische Menschen und Gefährten des Apollo gewesen, und in dieser Gegend in Vögel verwandelt worden, als welche sie ihre Musik so wenig vergessen hätten, daß sie auch jetzt noch sängen wie ehemals.“

5. Meine Schiffer lachten auf’s Neue. „Höre, Mensch,“ sagten sie, „wirst du denn heute nicht fertig werden, unserer [1408] Landschaft und unserem Po Lügen nachzusagen? Wir treiben doch das Schifferhandwerk hier auf dem Flusse schon seit unseren Knabenjahren, und haben noch nirgends Schwäne zu Gesichte bekommen, ganz wenige ausgenommen, die sich hie und da in den Altwassern am Ufer sehen lassen; und diese krächzen so kläglich und unmusikalisch, daß Raben und Krähen Sirenen gegen sie sind. Einen lieblichen Gesang aber, wie du meinst, haben wir von ihnen auch nicht im Traume vernommen; und so ist es doch seltsam, wie solche Dinge über unsere Gegend bei euch in Umlauf kommen konnten.“

6. So kann man vielfältig irre geführt werden, wenn man Leuten glaubt, welche von allen Dingen nur mit Uebertreibungen sprechen. Ich bin in dem Fall, etwas Aehnliches auch in Rücksicht meiner befürchten zu müßen. Möchten doch Diejenigen, welche sich zum erstenmal eingefunden haben, um mich zu hören, nicht etwa in der Erwartung gekommen seyn, Bernstein zu finden, und Schwanengesang zu vernehmen, – um mich nach wenigen Augenblicken wieder mit Hohngelächter gegen Diejenigen zu verlassen, welche euch so kostbare Dinge von meinen Vorträgen versprochen hatten! Ich berufe mich auf euer eigenes und aller Welt Zeugniß, daß noch Niemand mich in einem so großsprecherischen Tone von meinen Leistungen reden hörte. Wohl aber weiß ich, daß ihr sonst mehr als Einen Po finden könnet, dem nicht nur Bernstein, sondern das lautere Gold aus dem Munde rinnt, weit lieblicher noch, als alle Melodieen jener poetischen Schwäne. Was ich euch gebe, ist anspruchlos, und verräth keineswegs, wie ihr jetzt selbst sehet, ein hohes Sängertalent. [1409] Hütet euch also, daß es euch, bei einer zu großen Erwartung von mir, nicht ergehe wie Denen, die einen Gegenstand im Wasser erblicken, und sich einbilden, er sey wirklich so groß, als er von oben gesehen erscheint, während doch nur sein Bild es ist, das sich erweitert; ziehen sie ihn heraus, so werden sie mit Verdruß gewahr, daß das Ding viel kleiner ist, als sie glaubten. Darum warne ich euch, ehe ich meine Produkte enthülle: erwartet nichts Großes, oder messet die Schuld der getäuschten Hoffnung euch selbst bei.